Buchvorstellung und Eröffnung des IDZ am 5. & 6. April in Jena

Am 6. April 2017 wurde unter regem Interesse der erste Band der Schriftenreihe des IDZ in Jena der Öffentlichkeit vorgestellt. Visuelle Eindrücke der Veranstaltung sowie die Eröffnungsrede des Direktors Matthias Quent sind hier dokumentiert.

"Es verstehe sich als "bundesweit einmaliges Pionierprojekt", das wissenschaftliche Expertise mit praktischen Erfahrungen zum Kampf um Demokratie verbinde, sagte der Direktor des Instituts, Matthias Quent, am Donnerstag in Jena. Eine solche Einrichtung sei besonders in Thüringen wichtig, wo Vorurteile gegen Menschen aus Einwandererfamilien weit verbreitet seien. Das Institut hatte bereits vor etwa einem halben Jahr seine Arbeit aufgenommen." (Ostthüringer Zeitung)

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Begrüßungsrede von Dr. Matthias Quent, 06. April 2017 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste, mein Name ist Matthias Quent. Als Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft heiße ich Sie alle herzlich willkommen.

Vor fast auf die Minute genau 11 Jahren, um 13:06 am 06. April 2006, führte Andreas Temme, damals Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes und noch immer Staatsbeamter, ein kurzes Telefonat mit seinem V-Mann, dem Neonazi Benjamin Gärtner. Vier Stunden später wurde Halit Yozgat hinter dem Tresen des Internetcafés seines Vaters von Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrund, der hier in Jena entstanden ist, hingerichtet. Wenige Meter von der Tat entfernt in dem Cafè saß – Andreas Temme. Auch als er sich entfernte und somit direkt am Tatort vorbeilief will er nichts mitbekommen haben von dem rassistischen Mord. Monatelang ermittelte das hessische Landeskriminalamt gegen Temme als Hauptverdächtigen wegen Mordes. Doch am Quellenschutz des Verfassungsschutzes und der politischen Rückendeckung bissen sich die Ermittler die Zähne aus. Wer aktuell den Fall des islamistischen Attentäters Anis Amri verfolgt, hat Déjà-vu-Erlebnisse. Durch eine Sperrerklärung des damaligen Innenministers und heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier wurden die Ermittlungen eingestellt. Obwohl Temme und weitere Mitarbeiter des Verfassungsschutzes der Lüge überführt wurden musste sich bisher keiner von ihnen vor einem Gericht verantworten. 11 Jahre später und fast 6 Jahre nach dem öffentlichen Bekanntwerden des NSU sind deren Taten noch immer ungesühnt und es ist nicht zu erwarten, dass alle Beteiligten und Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Der Schaden an unserem Rechtsstaat scheint irreversibel.

Halit Yozgat besaß die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach der Arbeit besuchte er die Abendschule, an der er sein Abitur nachholen wollte. Halit Yozgat war, wie die anderen Mordopfer des NSU, im besten Sinne integriert. Yozgat wurde 21 Jahre alt – er wäre jetzt so alt wie ich. Durch den brutalen Mord, durch den kalten Rassismus der Täter, die hier in Jena aufgewachsen sind, wurde ihm nicht erlaubt, vielleicht zu studieren, eine eigene Familie zu gründen. Bis heute wird seinen Eltern Gerechtigkeit und Gewissheit versagt.

Die zerstörerischen Folgen des Rassismus gehen über die direkt Betroffenen und ihre Angehörigen hinaus, wie Bahar Aslan in ihrem Beitrag in unserer Schriftenreihe deutlich macht bezugnehmend auf den NSU-Anschlag in der Kölner Keupstraße. Sie schreibt: „Es ist nicht nur die Bombe, die sie getroffen hat, sondern auch die negative Markierung in der Öffentlichkeit als Migranten, als Muslime, die Erfahrung der Ausgrenzung sowie die empfundene Ohnmacht gegenüber dem Alltagsrassismus.“

Liebe Gäste, es ist weder falsch noch schwer den Behörden Ihr Versagen vorzuwerfen. Aber es waren nicht nur Verfassungsschutz und Polizei, die ihrer Verantwortung gegenüber allen Mitgliedern unserer Gesellschaft nicht nachgekommen sind: Die Medien haben den rassistischen Terror nicht erkannt, sondern die Deutungen der Behörden reproduziert und das rassistische Motiv der „Döner-Morde“ hervorgebracht. Kein Wissenschaftler und keine Wissenschaftlerin hat sich überhaupt mit den Morden an neun Migranten auseinandergesetzt. Kein Bürgerbündnis, keine Partei und keine Antifa-Gruppe stand an der Seite der migrantischen Zivilgesellschaft, die im Sommer 2006 in Kassel und Dortmund Demonstrationen unter dem Motto „Kein 10. Opfer“ durchführten und auf die Möglichkeit eines rassistischen Tatmotivs hinwiesen. Der Versuch der Menschen aus Einwandererfamilien, ihre Deutung der Morde als rassistisch motiviert sichtbar zu machen; das Verständnis davon, dass es sich um Rechtsterrorismus handelt, der Angst und Schrecken in den migrantischen Communities hervorrufen sollte und darin erfolgreich war - dies wurde vom Rest der Gesellschaft nicht wahrgenommen. Wäre es anders gewesen, könnte Halit Yozgat, das neunte Mordopfer des NSU, heute noch leben. Ebenso wie die aus Thüringen stammende Polizistin Michelle Kiesewetter, die am 25. April 2007 in Heilbronn ermordet wurde.

Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft wurde gegründet als Reaktion auf die Morde des NSU und das Versagen sämtlicher staatlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen in diesem Kontext. Wenn wir heute bei dieser Veranstaltung auch stolz auf die Arbeit in den vergangenen Monaten sind, die wir heute präsentieren, so wollen wir nie vergessen, was ursächlich für die Gründung war und ist:

  • Ignoranz und Exklusion marginalisierter Perspektiven sowie das Verschweigen von Rassismus
  •  Strukturelle und institutionelle Diskriminierungen unterschiedlichster Formen und Menschenfeindliche Einstellungen in allen sozialen Milieus
  • Ein platter Extremismusdiskurs, der dies ausblendet und die sogenannte Mitte als einen sicheren Hort der Demokratie reinwäscht
  • Die weitgehend unhinterfragte, eindimensionale und konkurrenzlose Deutungsmacht staatlicher Behörden

 

Die Lehren daraus schlagen sich auch in der Struktur des IDZ nieder. Wir setzen dagegen das, was wir als öffentliche Demokratieforschung bezeichnen: den Schulterschluss kritischer Sozialforschung mit der Zivilgesellschaft. Wir sind der Thüringer Landesregierung dankbar mit dem IDZ einen unabhängig Möglichkeitsraum dafür ohne politische und inhaltliche Einflussnahme zu schaffen – und ich danke den hier anwesenden Vertreter_innen und insbesondere den Mitarbeitenden des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport herzlich für Ihre tolle Arbeit und Ihre Unterstützung. Ganz besonders danken möchte ich für Ihr unermüdliches Engagement auch Katharina König, die heute nicht hier sein kann, weil sie derzeit im Erfurter Untersuchungsausschuss weiter bemüht ist, den NSU-Komplex aufzuklären. In diesem Zusammenhang möchte ich auch meine Anerkennung für Lothar König und viele andere ausdrücken, ohne dessen jahrzehntelanges Wirken und seine beispielhafte Courage gegen Neonazis hier in Jena ich es mir heute vermutlich nicht wagen könnte und würde, in dieser Öffentlichkeit hier in der Stadt diese Arbeit zu machen.

Aber wir sind nicht naiv und sehen durchaus, dass die Politik mit einem Jahresbudget für das IDZ von derzeit 250.000 Euro für die Stärkung des Transfers zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft und zur Entwicklung eigener Datengrundlagen und Konzepte recht günstig davongekommen ist– jedenfalls im Vergleich zu dem, was nötig gewesen wäre, um innerhalb der staatlichen Gewalten einen echten Kurswechsel einzuleiten.

Denn Demokratie- und Menschenfeindlichkeit werden vom Thüringer Verfassungsschutz noch immer nicht so benannt, etwa, wenn sie sich in das philosophisch verbrämte Gewandt der sogenannten „Neuen Rechten“ hüllen. Und das der Thüringer Verfassungsschutz, wie der Landtagsabgeordnete der Linkspartei Steffen Dittes kürzlich – sechs Jahre nach NSU - kritisierte, in seinen Berichten zwar friedliche Protestaktionen gegen die AfD und das Weimarer Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus mit Linksextremismus in Zusammenhang brachte, aber über eine Reihe rechter Anschläge überhaupt nicht berichtet, legt zumindest mir die Vermutung nahe: Wenn nicht mal ein integrer Mann wie der aktuelle Präsident an der Spitze ausreicht, um diese Institution auf einen demokratiefördernden Kurs zu bringen, dann ist der Verfassungsschutz wohl wirklich nicht reformierbar.

„Das IDZ wurde gegründet, weil es Probleme gibt“, bringt der es der renommierte Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick im Interview mit der SZ-Redakteurin Lena Kampf in Schriftenreihe „Wissen schafft Demokratie“ auf den Punkt. Wir sind als Forschungseinrichtung dieser Art nicht allein – ich freue mich besonders heute Kollegen und Kolleginnen der auch erst vor kurzem als Folge aus dem NSU-Komplex gegründeten wissenschaftlich arbeitenden Dokumentations- und Forschungsstellen in Göttingen und in Potsdam begrüßen zu dürfen. Wir sind auch alles andere als ohnmächtig: Allein das IDZ hat beispielsweise seit der Gründung im August letzten Jahres in mehr als 75 nationalen und internationalen Medienauftritten die Gesellschaft erreichen können. Die Schriftenreihe, steht ab heute nicht nur als Buch, sondern auch als Onlineversion kostenlos zur Verfügung. Unser besonderer Dank geht an die Autorinnen und Autoren, die dazu beigetragen haben, vorhandene Befunde und Expertise zu dokumentieren und somit die fachliche und öffentliche Debatte zu bereichern.

Der wichtigste Bezugspunkt der Rechtfertigung einer public sociology, einer öffentlichen Soziologie, so Michael Buraway, ist die Zivilgesellschaft. In diesem Sinne sind wir besonders dankbar über die Zusammenarbeit und Unterstützung mit so hervorragenden Menschen und Initiativen wie unseres Trägers, der Amadeu Antonio Stiftung, sowie von ezra, mobit, der jüdischen Landsgemeinde und dem Zentralrat der Sinti und Roma, des LSVD, des Thüringer Flüchtlingsrates sowie zahlreichen anderen NGO‘s, mit denen wir zusammenarbeiten und für deren Kooperation und Erscheinen heute ich mich im Namen des Teams herzlich bedanken!