Blackbox Rechtsterrorismus: extrem rechte und rassistische Gewalttaten vor Gericht

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem Umgang von Ermittlungsbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichten mit extrem rechten und rassistischen Gewalttaten. Aus Ermittlungsakten und einer Medienanalyse wurden zehn Fälle (schwerer) Brandstiftung gegen Asylunterkünfte aus den Jahren 2015 und 2016 ausgewählt, die strafrechtlich abgeschlossen sind und aus sozialwissenschaftlicher Perspektive eindeutig als rechtsterroristische Straftaten eingeordnet werden können: Allen Fällen liegt ein rassistisches Tatmotiv zugrunde, und es lässt sich eine politische Botschaft der Taten rekonstruieren. Die Opfer dieser rechten Gewalttaten waren zudem „symbolische Ziele“. Die Analyse zeigt jedoch, dass es Ermittlungsbehörden und Gerichten oftmals an Sensibilität für rechtsterroristische Taten fehlt. Rechtsterroristische Akte werden als solche nur bedingt erkannt. Damit bleibt das Ausmaß des Rechtsterrorismus weiterhin eine Blackbox – trotz seiner langen Geschichte und trotz der Erfahrungen mit dem NSU-Komplex.

Einleitung

Ist in öffentlichen Debatten von Terrorismus die Rede, dann geht es gegenwärtig zumeist um den sog. islamistischen Terrorismus oder Dschihadismus. Dies bildet sich dann auch in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren ab, die gegen Tatverdächtige unter Terrorismusverdacht durchgeführt werden.1 Erst in jüngerer Zeit räumen Sicherheitsbehörden ein, dass mit rechtsterroristischen Aktivitäten zu rechnen sei. Der Rechtsterrorismus hat demgegenüber in Deutschland eine lange Tradition, die bis in die Weimarer Republik zurückreicht und auch nach dem nationalsozialistischen Regime, also nach 1945 weiterlebte (Bundeszentrale für politische Bildung 2013; Pfahl-Traughber 2012). Rechtsterrorismus ist damit kein neues Phänomen, aber kaum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen. Die journalistischen und wissenschaftlichen Rekonstruktionen des sog. NSU-Komplexes haben zudem sichtbar gemacht, dass wir es mit einer bundesweiten Vernetzung einer gewaltbereiten extremen Rechten zu tun haben, die sich seit den 1990er Jahren entwickelt hat und eine neue Qualität möglicher rechtsterroristischer Gelegenheitsstrukturen offenbart (stellvertr. Aust/Laabs 2014; Funke 2015; Frindte et al. 2016; Birsl 2016; Quent 2018). Seit 2015/16 ist darüber hinaus eine „massive Verrohung mit Blick auf rassistische Alltagsgewalt“ (Salzborn 2018: 63) zu beobachten. Rechts und rassistisch motivierte Gewalt tritt aus dem extrem rechten, organisierten Spektrum heraus und wird von Täter*innen verübt, die bis zur Tat als „unverdächtig“ galten. Diese Verrohung oder Enthemmung zur Gewalt drückt sich u. a. in einer konstant hohen Zahl an rassistisch motivierten Gewalttaten aus. Aufgeklärt werden diese Gewalttaten jedoch nur in geringem Umfang (Wrobel/junge welt 2017). So wurden 2015 von 222 Brandanschlägen auf Asylunterkünfte nur in 41 Fällen die Täter*innen ermittelt (ZEIT online 2016a). Und: Deren Bezüge zu rechten Weltanschauungen oder Netzwerken bleiben bei Ermittlungen oftmals unberücksichtigt (Biermann et al./ZEIT 2016b).

Zudem ist eine Würdigung solcher oder anderer rechter Gewalttaten als terroristische Akte in Ermittlungsverfahren äußerst selten. So wurden 2018 lediglich 4 Verfahren gegen 30 Tatverdächtige nach §129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) oder §129b StGB (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung) eingeleitet.2 Dem stehen nach der Chronik des Projekts „Mut gegen rechte Gewalt“ von Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl 2018 1.123 Gewalttaten gegenüber. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erahnen, wie umfangreich rechtsterroristische Aktivitäten realiter sind und wie diese strukturiert sind. Mit anderen Worten: Das Phänomen des Rechtsterrorismus ist und bleibt eine „Blackbox“ – trotz aller Erfahrungen aus dem sog. NSU-Komplex.

Der Beitrag widmet sich nun Ermittlungs- und Gerichtsverfahren zu rechten und rassistischen Gewalttaten. Es soll anhand ausgewählter Fälle rekonstruiert werden, wie mit diesen Taten bei Ermittlungsbehörden und vor Gericht umgegangen wird, wie sie hier also eingeordnet werden und warum. Datenbasis sind abgeurteilte Fälle von (schwerer) Brandstiftung gegen Asylunterkünfte. In Anlehnung an die Terrorismusdefinition von Louise Richardson (2000) wird danach gefragt, (1) inwieweit das politisch motivierte Tatmotiv in den Phasen eines Verfahrens von den Ermittlungen über die Anklageschrift bis zur Urteilsfindung vor Gericht gewürdigt wird und (2) wer die Opfer der Gewalttat sind. Zu fragen ist außerdem, ob diese Opfer möglicherweise „nur“ symbolisch (3) für eine politische Botschaft stehen, die mit der Tat zum Ausdruck gebracht werden soll.

Methodisches Vorgehen

Ob wir es bei den rekonstruierten Fällen mit rechtsterroristischen Taten zu tun haben, wird an dieser Stelle nicht juristisch, sondern sozialwissenschaftlich bewertet. Der sozialwissenschaftliche Blickwinkel soll ermöglichen, nach dem Motiv und der Legitimation der Gewalt im gesellschaftlichen Kontext zu fragen. Nach Richardson (2000: 209) kann Terrorismus folgendermaßen definiert werden: „I see terrorism as political violence directed against non-combatant or symbolic targets, which is designed to communicate a message to a broader audience.“

Das heißt, dass Terrorismus (1) eine Form von politisch motivierter Gewalt ist. Terrorismus lässt sich daher von anderen Formen der Gewalt, wie Amokläufen, abgrenzen. Terrorismus richtet sich (2) gegen Zivilist*innen oder symbolische Ziele. Die Opfer werden aufgrund ihres symbolischen Wertes ausgewählt. Ziel von Terrorismus ist es (3), einer Öffentlichkeit eine Botschaft zu vermitteln.

Die Datenbasis

Die Basis der für diesen Beitrag ausgewählten Fälle bildet die Chronik des Projekts „Mut gegen rechte Gewalt“ von Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl. Sie erfasst politisch motivierte rechte Gewalttaten, Propagandadelikte sowie Verdachtsfälle gegen Asylunterkünfte, Asylsuchende und Helfende. Auf der Grundlage der Chronik wurden für das BMBF-geförderte PANDORA3-Teilprojekt „Dynamiken rechter Gewalt im Kontext der Debatte um Flucht und Asyl. Gelegenheitsstrukturen und Gegenmaßnahmen“ bundesweit Ermittlungsakten4 zu 18 Fällen von rechter Gewalt bei nachgeordneten Staatsanwaltschaften sowie der Bundesanwaltschaft beantragt. Hierbei handelt es sich um abgeschlossene Gerichtsverfahren zu Straftaten aus den Jahren 2015 und 2016. Über alle Verfahren wurde auch in lokalen oder überregionalen Medien berichtet. Ergänzend zu den Akten wurde auf bereits vorliegendes Material zur Medienberichterstattung zurückgegriffen. Dieses war in der Studie „Rechtsextremismus und Gender: Täter*innen und Betroffene rechter Gewalt. Eine Analyse bundesweiter Medienberichterstattung“ („Ereignisdatenbank“) erhoben worden.5 Alle für den Beitrag ausgewählten Fälle sind ebenfalls in der Chronik gelistet.

Für den vorliegenden Beitrag wurden zehn Fälle aus beiden genannten Projekten analysiert (s. Tab. 1). Zugrunde lagen fünf Kriterien: 1) Vermerk über politische Motivation (Meldung beim LKA/BKA bzw. Ermittlungen des polizeilichen Staatsschutzes) in der Chronik „Mut gegen rechte Gewalt“, 2) Straftatbestand (Brandstiftung/Brandanschlag), 3) Anzahl (Gruppen und [vermeintliche] Einzeltäter*innen) und 4) Geschlechterzugehörigkeit der Täter*innen sowie 5) Auswahl der Menschen, die Opfer rechter Gewalt wurden (Geflüchtete und Menschen, die für solche gehalten wurden). Medienberichte und Ermittlungsakten geben nur einen begrenzten Einblick in die Ermittlungsarbeit der Polizei und in die Arbeitsweise der Staatsanwaltschaften und Gerichte. Trotz dieser begrenzten Aussagekraft des Datenmaterials ist es jedoch möglich, Trends herauszuarbeiten. Im Folgenden wird untersucht, inwieweit eine soziologische Definition von Terrorismus bei der Analyse der vorliegenden Fälle greift.

Tab. 1: Kurzdarstellung der ausgewählten Fälle (P = PANDORA; E = „Ereignisdatenbank“)

Die Würdigung von Rassismus als Tatmotiv – politische motivierte Gewalttaten

Aus den untersuchten Ermittlungsakten6 geht hervor, dass die Ermittlungsbehörden die Straftaten sehr schnell als politisch motiviert mit extrem rechtem Hintergrund an die Zentraldatei „Politisch motivierte Kriminalität“ (PMK-rechts) meldeten und der polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen übernahm. Auch wurde im großen Umfang ermittelt. So wurden in allen untersuchten Fälle Telekommunikationsüberwachung beantragt, Facebook-Profile der Täter*innen recherchiert, in manchen Observationsmaßnahmen getroffen und in einem Fall Spürhunde bei Wohnungsdurchsuchungen eingesetzt. Im Fall des Brandanschlages in Dresden wurden 313 Zeug*innen befragt.

Einstufung als politisch motivierte Gewalttat, aber keine Konsequenzen?

Jedoch ist die Übernahme durch den polizeilichen Staatsschutz nicht gleichbedeutend mit entsprechend fokussierten Befragungen. Insbesondere die Klärung politischer Motive oder extrem rechter Einstellungen geschieht laut Vernehmungsprotokollen durch Polizeibeamt*innen oft nur sehr oberflächlich. So werden etwa Fragen gestellt, ob sich die Person selbst als „rechtsextremistisch“ einordnen würde oder ob sie ein „Problem mit Ausländern“ habe. Im Vergleich zu anderen Teilaspekten der Tat sind die Fragen nach den politischen Motiven der Angeklagten oberflächlich und wenig ausführlich. Außerdem fällt auf, dass die Tatverdächtigen sehr unterschiedlich befragt werden, und diese Unterschiede in der Befragung lassen sich am Geschlecht der Befragten festmachen. So wurde im Fall der Brandanschläge in Dresden und Eisbergen die weibliche Mitangeklagte weder nach ihrem Motiv noch nach ihren politischen Einstellungen befragt. Dieses Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Täter*innen zieht sich auch weiter durch den Prozess.

Es ist davon auszugehen – und das bestätigt die unterschiedliche Beurteilung vor Gericht –, dass es eine geschlechtsspezifische Rollenverteilung in den verschiedenen Gruppen gab. Diese Beobachtungen decken sich mit den Erkenntnissen aus dem Projekt „Ereignisdatenbank“ (vgl. Kette/Birsl/Jäkel 2018) zur Rollen- bzw. Arbeitsteilung zwischen männlichen und weiblichen Täter*innen innerhalb einer Gruppe. Übersehen wird dabei jedoch oft, dass die weiblichen Mitangeklagten i.d.R. ebenso stark ideologisiert sind wie die männlichen Hauptangeklagten. In den analysierten Fällen lässt sich das beispielsweise anhand der Aktivitäten der verschiedenen Beteiligten in sozialen Medien, aber auch im Tragen bzw. Akzeptieren neonazistischer Symbole durch Frauen wie Männer nachvollziehen.

„Ausländerfeindliche […] Motive […] kein zentraler Gegenstand des Verfahrens“7

In den meisten untersuchten Fällen wurde deutlich auf den rassistischen Hintergrund der Taten hingewiesen. Allerdings wirkt sich dieses Motiv nicht immer strafverschärfend aus. So zogen die Staatsanwaltschaften u. a. in den Fällen aus Altena und Eisbergen aus der Anerkennung, dass es sich um eine Tat aus rassistischen Motiven handelt, nicht den Schluss, die Anklage auf einen anderen, rechtlich möglichen Straftatbestand, nämlich versuchten Mord, hin auszuarbeiten. Dass Staatsanwaltschaften jedoch dafür durchaus den Spielraum hätten, zeigen weitere, ähnlich gelagerte Fälle. So zogen in den Fällen Salzhemmendorf und Zwickau Staatsanwaltschaft und Gericht an einem Strang und bezogen klare Positionen für Demokratie und den Rechtsstaat gegen eine extrem rechte Ideologie. Hingegen wurde im Fall des Brandanschlages in Schlettau ein politisches Motiv der Angeklagten gar nicht berücksichtigt. Dass beim Hauptangeklagten sowohl illegale Waffen als auch rechtsextreme Musik gefunden wurden, deren Texte sich deutlich auch gegen asylsuchende Menschen richten, wurde in die Beurteilung der konkreten Straftat, einem Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete, nicht einbezogen. Strafverschärfend wurden stattdessen die „kriminelle Energie“ und die Stellung des Angeklagten innerhalb der Gruppe gewertet.

Die Rolle der Nebenklage – die Tat aus der Sicht der Menschen, die Opfer rechter Gewalt wurden

Die Nebenklage spielt eine tragende Rolle, wenn es darum geht, ein rassistisches Tatmotiv zu würdigen oder überhaupt erst das Augenmerk auf ein solches zu legen. In der Regel schließt das mit ein, dass die Nebenklage eine Anklage der Täter*innen wegen (versuchten) Mordes fordert, während die Staatsanwaltschaft lediglich wegen (schwerer) Brandstiftung Anklage erheben will bzw. erhebt. Erst die Nebenklagen erzwangen in mehreren Fällen, dass sich die jeweiligen Gerichte mit dem Vorwurf des versuchten Mordes auseinandersetzten. Im Fall Eisbergen bewirkten diese immerhin, dass der Prozess vor einem Landgericht stattfindet, statt nur wie geplant vor einem Amtsgericht. Die Anklage wegen versuchten Mordes wurde dort, ebenso wie in Altena, jedoch zurückgewiesen.

Die Botschaft der Taten

Befragt nach ihrem Motiv – was in den untersuchten Fällen oft in einem Atemzug geschah mit der Frage, ob sie „rechts“, „rechtsradikal“, „rechtsextremistisch“ oder „ausländerfeindlich“ seien – gaben die verurteilten Täter*innen i.d.R. an, „nichts gegen Ausländer“ zu haben, aber „normal deutsch [zu] denken“ (Garzke/PNN 2017). Insbesondere in den beiden untersuchten Fällen gegen männliche Einzeltäter (Zwickau und Jüterbog) nannten diese entweder gar keine oder gaben unpolitische Gründe an. Dass die Staatsanwaltschaften in beiden Fällen zögerten, Rassismus als Motiv zentral zu stellen und stattdessen festhielten, „weitgehend schleierhaft [bleibe] der Grund seiner Tat“ (Stellner/Freie Presse 2017), passt in das Schema, das im Projekt „Ereignisdatenbank“ über (vermeintliche) Einzeltäter*innen herausgearbeitet wurde. Diesen wurde nämlich seltener ein rassistisches Tatmotiv unterstellt.

Einen politischen Hintergrund der Tat stritten die verurteilten Täter*innen also i.d.R. ab. Das steht jedoch im Widerspruch zur verübten Tat und deren Zielen – Brandanschlägen mit möglichen menschlichen Opfern. Außerdem lässt sich in den meisten der untersuchten Fälle jedes Zeichen von Reue oder ein Wort der Entschuldigung an die Opfer vermissen. Für die vorliegenden Fälle wurden daher die Motive und die dahinterstehende Botschaft an die breitere Öffentlichkeit herausgearbeitet.

Politische strategische Motive und politische symbolische Motive

Bei Straftaten, die sich gegen noch unbewohnte Unterkünfte für Geflüchtete richteten, wurde von den verurteilten Täter*innen als politisches strategisches Motiv genannt, den Zuzug von geflüchteten Menschen in die unmittelbare Umgebung verhindern zu wollen. Mit dem Anschlag – in einigen Fällen sogar mehrfach auf dieselbe Unterkunft – sollte diese ganz zerstört oder unbewohnbar gemacht werden. Die verurteilten Täter*innen verfolgten hierbei ein ganz konkretes politisches Ziel, nämlich eine de-individualisierte Gruppe von Menschen daran zu hintern, in ihrer nahen Umgebung zu leben.

Anders sieht es aus, wenn es sich um Angriffe auf bereits bewohnte Unterkünfte von Geflüchteten handelt; hier verneinen die verurteilten Täter*innen ein politisches strategisches Motiv. Dies nämlich würde bedeuten, dass ihr Ziel gewesen wäre, Menschen mit Fluchthintergrund zu töten, zu verletzen, zu verängstigen. Folglich verweisen die verurteilten Täter*innen hier ausschließlich auf ihre politischen symbolischen Ziele und geben an, mit ihrem Brandanschlag „gegen die aktuelle Asylpolitik“ „protestieren“ (Meißen, Crimmitschau) zu wollen.

Blick auf die Menschen, die Opfer rechter Gewalttaten wurden – symbolische Ziele

Es wird also deutlich, dass die verurteilten Täter*innen die Menschen, die Opfer ihrer Anschläge werden, auf ihren „rein symbolischen Wert“ reduzieren. Menschen mit Fluchthintergrund werden zur Projektionsfläche dafür, dass die Verurteilten die aktuelle Asylpolitik der Bundesregierung und den Zuzug von Menschen mit Fluchthintergrund bzw. Migration allgemein ablehnen. Die Betroffenen stehen für eine de-individualisierte Gruppe, die als „Ausländer“ oder „Flüchtlinge“, „Andere“ markiert werden und die man, „normal deutsch [Denkende]“, „hier“ nicht haben will. Auffällig ist hierbei, dass die verurteilten Täter*innen in ihren Aussagen die Menschen nur als homogene Gruppe wahrnehmen und nicht zwischen verschiedenen Religionszugehörigkeiten oder Herkunftsregionen differenzieren. Ein wichtiges Moment ist in diesem Zusammenhang jenes der Geplantheit. Dem stehen auf den ersten Blick solche Täter*innen entgegen, die teils unter erheblichem Alkoholeinfluss standen. Beim Trinken hätten sie beschlossen, „zur Tat zu schreiten“ (Müller/SZ Online 2016), „ein Zeichen zu setzen“ (Eisbergen). Gleichzeitig sei den meisten „nicht bewusst gewesen“, dass Menschen durch das nächtliche Inbrandsetzen von Unterkünften verletzt oder gar getötet werden könnten (Nauen, Jüterbog, Altena).

Lediglich in zwei Fällen (Nauen und Dresden) ging die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Tat der Gruppe im Vorfeld geplant war, auch wenn die Täter*innen selbst zur Tatzeit betrunken waren. Vor diesem Hintergrund lautete die Anklage im Nauener Fall auf Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB. Im Fall Dresden stützte sich die Staatsanwaltschaft als Beweis auf die Telekommunikation der Gruppe; sogar ein Codewort sei für den geplanten Anschlag verwendet worden. In anderen untersuchten Fällen wurde die Kommunikation in sozialen Medien hingegen bei den Ermittlungen und der Erstellung der Anklageschrift gar nicht oder kaum berücksichtigt (Altena, Meißen, Eisbergen) gleichzeitig wurden aber auch andere Hinweise ignoriert, die auf eine geplante Tat hinwiesen. So gab es sowohl im Vorfeld des Brandanschlags in Meißen als auch in Schlettau im Vorfeld der Tat konkrete Drohungen; in Schlettau suchten zwei der Täter vor der Tat die betroffene Unterkunft auf und drohten den Security-Mitarbeitern. In den untersuchten Fällen, in denen Alkohol in Spiel war, wird den Angeklagten jedoch bescheinigt, „keine Ausfallerscheinungen“ gezeigt zu haben. Insbesondere in den Fällen, in denen die Anklage auf versuchten Mord lautet, spielt der Alkoholgehalt im Blut in den Begründungen nur eine Nebenrolle. Stattdessen wird diesen Taten i.d.R. bescheinigt, alle Merkmale eines Mordversuches zu erfüllen: aus niederen Beweggründen gehandelt zu haben (i.d.R. Rassismus), heimtückisch (i.d.R. nächtliche Anschläge auf Schlafende), Verwendung gemeingefährlicher Mittel (i.d.R. selbst gebaute Molotowcocktails).

Schluss(folgerungen): Aus dem NSU-Komplex nichts gelernt?

Ermittlungsbehörden sind nach unserer Analyse nach wie vor nur bedingt sensibilisiert, wenn es darum geht, extrem rechte Ideologie zu erkennen bzw. herauszuarbeiten. Auch gibt es ein strukturelles Problem, da bspw. nur auf die Tat als solche, nicht aber auf das Umfeld der Tat geschaut wird. Außerdem ermitteln diese oft sehr kleinteilig und suchen nach möglichst stichhaltigen Beweisen, die vor Gericht Bestand haben. Das hat zur Folge, dass der größere Zusammenhang u.U. nicht hergestellt wird bzw. werden kann und die Anklage lieber „tief stapelt“. Damit einher geht ein weiteres Problem: Die Ermittlungsbehörden suchen nach organisierten Gruppen und Strukturen; scheinbar ungeplante Taten, die am Küchentisch unter Freund*innen entschieden werden, stellen sie vor Rätsel. Das erklärt u.E. auch die Fixierung auf soziale Medien und die Suche nach Planungsvorbereitungen im Internet, bspw. WhatsApp-Gruppen oder eindeutige Äußerungen auf Facebook, die in einigen Fällen beobachtet werden konnten.

Staatsanwaltschaften und Gerichte nutzen dagegen nach unseren Beobachtungen nur bedingt den Ermessensspielraum, den sie zur Beurteilung von Gewalttaten offenbar zur Verfügung haben. So treten einige sehr beherzt in ihren Plädoyers, Fragen und Urteilsbegründungen für Demokratie und gegen rechte Ideologie ein, während andere in der Hinsicht sehr zurückhaltend sind und keinen klaren Standpunkt erkennen lassen. Letztendlich steht und fällt die Beurteilung eines Brandanschlags auf eine (bewohnte) Unterkunft für Geflüchtete als versuchter Mord damit, zu welchem Grad die einzelnen in den Fall einbezogenen Institutionen sensibel sind für Rassismus und extrem rechte Ideologie. Die Nebenklage spielt in den untersuchten Fällen eine zentrale Rolle, weil sie im Zweifelsfall diejenige Partei ist, die die Perspektive der Menschen, die Opfer rechter Gewalttaten geworden sind und physische und psychische Schäden davontragen, im Gerichtssaal vertritt.

Legt man abschließend die Kategorien einer sozialwissenschaftlichen Definition von Terrorismus an die Fallbeispiele an, lässt sich Folgendes festhalten: Durch die politisch motivierte und symbolische Auswahl der Ziele (hier Asylunterkünfte) und der politisch motivierten und symbolischen Auswahl der Menschen, die Opfer werden (hier Menschen mit Fluchthintergrund), sind zwei Elemente der Terrorismusdefinition von Louise Richardson bereits erfüllt. Des Weiteren wurde deutlich, dass durch die Taten auch eine politische Botschaft vermittelt werden sollte: zum einen an die Politik und Gesellschaft adressiert, dass die Täter*innen die aktuelle Asylpolitik ablehnen, zum anderen als Botschaft an die Menschen, die Opfer der Straftat wurden bzw. zu deren markierten Gruppe sie zählen („Ausländer“, „Flüchtlinge“), dass sie nicht willkommen sind.

In der Anklageschrift zum Dresdner Brandanschlag werden alle Elemente der hier angebotenen sozialwissenschaftlichen Terrorismusdefinition aufgegriffen. Sie steht im Grundsatz nicht im Widerspruch zur juristischen Würdigung einer Tat, sondern kann helfen, Gewaltakte als terroristische Akte einzuordnen. Bislang obliegt es oftmals der Nebenklage, genau dies zu tun – mit mäßigem Erfolg. Auffällig ist, dass nur wenige Taten der Generalbundesanwaltschaft übertragen oder von dieser an sich gezogen werden oder Ermittlungen und Gerichtsverfahren nach §129a StGB durchgeführt werden. So lange dies so ist, bleibt der Rechtsterrorismus trotz seiner langen Geschichte in Deutschland in seinem Ausmaß, in seinen Vernetzungen und Gelegenheitsstrukturen verdeckt und damit eine Blackbox.

 

 

1 2018 wurden 859 Ermittlungsverfahren gegen 904 Beschuldigte eingeleitet (BT-Drucksache 19/8732, 2018: 15).

2 BT-Drucksache 19/8732 (2018: 5).

3 PANDORA steht für „Propaganda, Mobilisierung und Radikalisierung zur Gewalt in der virtuellen und realen Welt – Ursachen, Verläufe und Gegenstrategien im Kontext der Debatte um Flucht und Asyl“. Das Verbundprojekt ist über die Projektwebseite www.pandora-projekt.de erreichbar.

4 Ermittlungsakten umfassen die Gesamtheit aller von den Polizeibehörden gesammelte Dokumente, Protokolle, den Briefverkehr zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft, den Gerichten und den Angeklagten sowie die Anklageschrift und das Gerichtsurteil. Protokolle der Telekommunikationsüberwachung sowie nachrichtendienstliche Erkenntnisse sind nicht Bestandteil der analysierten Akten.

5 Die Untersuchung wurde vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) gefördert. Über die Medienberichterstattung wurden 535 Fälle rechter und menschenfeindlicher Gewalttaten für die Jahre 2016 und 2017 erhoben und quantitativ nach der Tatstruktur und den Gruppenkonstellationen der Tatbeteiligten ausgewertet. Von diesen 535 Fällen wurden 18 als „Ankerfälle“ ausgewählt, die stellvertretend für typische Tatverläufe und Täter*innenkonstellationen stehen (Kette et al. 2018).

6 Für die Fälle, die aus Medienberichten rekonstruiert wurden, lassen sich hier leider keine Angaben machen.

7 Vgl. MDR (2016).

 

 

Literatur

Aust, Stefan/Laabs, Dirk (2014): Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU. Pantheon: München.

Biermann, Kai/Faigle, Philip/Geisler, Astrid/Polke-Majewski, Karsten/Soltau, Hannes/Stahnke, Julian/Steffen, Tilman/Venohr, Sascha (2016):

Der Terror der anderen. Online: www.zeit.de/politik/deutschland/2016-02/rassismus-gewalt-notunterkuenfte-gefluechtete-rechter-terror/komplettansicht [17.06.2019].

Birsl, Ursula (2016): Rechtsextremismusforschung reloaded – neue Erkenntnisse, neue Forschungsfelder und alte Forschungsdesiderate. In: Neue Politische Literatur (NPL), 61, Heft 2, S. 251–276.

Bundeszentrale für politische Bildung (2013):

Zeitleiste Rechtsterrorismus. Online: www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/167786/zeitleiste-rechtsterrorismus [30.10.2016].

Deutscher Bundestag (2018):

Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken. Bundestag-Drucksache 19/8732. Online: dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/097/1909773.pdf [17.06.2019].

Frindte, Wolfgang/Geschke, Daniel/Haußecker, Nicole/Schmidtke, Franziska [Hrsg.] (2016): Rechtsextremismus und „Nationalsozialistischer Untergrund“. Interdisziplinäre Debatte, Befunde und Bilanzen. Springer VS: Wiesbaden.

Funke, Hajo (2015): Staatsaffäre NSU. Eine offene Untersuchung. Kontur: Münster.

Garzke, Rene (2017):

Angeklagter: Ich bin „normal deutsch“. Online: www.pnn.de/brandenburg/prozess-um-brandanschlag-auf-asylheim-in-jueterbog-angeklagter-ich-bin-normal-deutsch/21333644.html [17.06.2019].

Kette, Jan/Birsl, Ursula/Jäkel, Laura (2018):

„Rechtsextremismus und Gender, Täter_innen und Betroffene rechter Gewalt″. Working Paper No. 5 der Reihe "Forum Demokratieforschung – Working Papers. Online: www.uni-marburg.de/fb03/politikwissenschaft/institut/lehrende/birsl/forumdemokratie/workingpaperf/paperforschung/rechtsextremismusundgender.pdf [14.07.2019].

MDR (2016): Asylbrandstifter zeigen vor Gericht Reue. MDR Online: Beitrag vom 14.12.2016 [mittlerweile gelöscht, zuletzt aufgerufen am 14.12.2016].

Müller, Jürgen (2016):

Zwei Männer gestehen Brandanschlag. Online: www.saechsische.de/zwei-maenner-gestehen-brandanschlag-3382113.html [17.06.2019].

Pfahl-Traughber, Armin (2012): Die neue Dimension des Rechtsterrorismus. Die Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ aus dem Verborgenen. In: Ders. [Hrsg.]: Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2011/2012 (II). Fachhochschule des Bundes: Brühl, S. 58–101.

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Salzborn, Samuel (2018): Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Nomos: Baden-Baden.

Stellner, Michael (2017):

Brandanschlag auf Asylheim. Landgericht verurteilt Familienvater. Online: www.freiepresse.de/zwickau/zwickau/brandanschlag-auf-asylheim-gericht-verurteilt-familienvater-artikel9851955 [17.06.2019].

Quent, Matthias (2018): Rassismus als Fluchtpunkt der Dissonanzgesellschaft. Überlegungen zu den Entstehungshintergründen des NSU. In: Gomolla, Mechtild/Menk, Marlene/Kollender, Ellen [Hrsg.]: Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland. Figurationen und Interventionen in Gesellschaft und staatlichen Institutionen. Beltz Juventa: Weinheim, S. 143–160.

Wrobel, Claudia (2017):

„Beim Anschlag war jeder an seinem Platz“. Online: www.jungewelt.de/artikel/300482.beim-anschlag-war-jeder-an-seinem-platz.html [17.06.2019].

ZEIT online (2016):

Brandanschlag auf Heim für minderjährige Flüchtlinge. Online: www.zeit.de/gesellschaft/2016-10/jueterbog-brandenburg-brandanschlag-fluechtlingsunterkunft? [17.06.2019].