Neuer OSZE-Leitfaden "Antisemitischen Hassverbrechen begegnen - jüdische Gemeinden schützen"

Das OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (OSZE/BDIMR) stellte am 15. Mai 2017 einen Leitfaden zum Thema „Antisemitischen Hassverbrechen begegnen – jüdische Gemeinden schützen“ in Berlin vor.

 

Kurzbericht zur Veröffentlichung von Janine Dieckmann

Hassverbrechen stellen die radikalste Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung dar. Es sind Verbrechen gegen Menschen oder Eigentum, welche aufgrund der Zuschreibung eines geschützten Merkmals stattfinden. Diese juristisch „geschützten Merkmale“ sind für Deutschland beispielsweise im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz benannt: u.a. ethnische Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion bzw. Weltanschauung. Hassverbrechen sind nicht nur die gefährlichste Manifestation von Intoleranz und Diskriminierung, sie sind auch ein Angriff auf die Demokratie einer Gesellschaft.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) besteht aus 57 Mitgliedsstaaten. Ihr Ziel ist es, Frieden, Demokratie und Stabilität in allen Teilnehmerstaaten zu gewährleisten und zu unterstützen. Aus diesem Grund ist auch die Sensibilisierung für und die Bekämpfung von Hassverbrechen ein wichtiges Anliegen der OSZE. Seit September 2016 läuft das von Deutschland finanzierte Projekt „Taten statt Worte gegen Antisemitismus“. Als ein erstes Ergebnis der Projektarbeit wurde nun der Leitfaden veröffentlicht. Er soll vor allem Regierungen für die Sicherheitsherausforderungen jüdischer Gemeinden sensibilisieren, sie über Antisemitismus und antisemitische Hassverbrechen aufklären und konkrete Handlungsmöglichkeiten vermitteln. Er beinhaltet Informationen zur Erkennung antisemitischer Hassverbrechen, Leitsätze und praktische Schritte zur Bekämpfung sowie Fallstudien für Schulungszwecke.

In Deutschland leben schätzungsweise rund 200.000 Juden und Jüdinnen, so Gernot Erler, MdB, Sonderbeauftragter der deutschen Bundesregierung für den OSZE-Vorsitz 2016. Dass sie hier leben, stelle einen „enormen Vertrauensbeweis“ an Deutschland dar, meinte Erler auf der Veranstaltung zur Veröffentlichung des Leitfadens. Wie der aktuelle Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus[1] aufzeigt, bleiben antisemitische Einstellungen und Hassverbrechen beständige Problembereiche in Deutschland. Aus diesem Grund sei es wichtig, die Regierung für das Problem Antisemitismus und antisemitische Hassverbrechen stärker zu sensibilisieren und ihr konkrete Maßnahmen zum Schutz jüdischer Menschen und Gemeinden an die Hand zu geben.

Folgende zehn Handlungsschritte werden im Leitfaden hervorgehoben und detailliert beschrieben:

1)    Das Problem an-/erkennen

2)    Sicherheitsrisiken einschätzen und Gewaltverbrechen verhindern

3)    Aufklärung und Sensibilisierung

4)    Vertrauen zwischen der Regierung und jüdischen Gemeinden aufbauen

5)    Jüdische Gemeinschaften und Einrichtungen schützen, besonders an Feiertagen

6)    Jüdische Gemeinden beim Aufbau eines Krisenmanagementsystems unterstützen

7)    Antisemitische Hassverbrechen erkennen und erfassen

8)    Hassverbrechen gemeinsam erfassen und so den Nachweis über die Sicherheitsbedürfnisse jüdischer Gemeinschaften erbringen

9)    Die betroffene Gemeinde im Falle eines Übergriffs bestärken und beruhigen

10)  Die Opfer antisemitischer Übergriffe unterstützen

Auch Expert/-innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind aufgerufen, die „zuständigen Behörden dabei [zu] unterstützen, Erkenntnisse über die Verbreitung und die Erscheinungsformen des Antisemitismus zu gewinnen und zu ermitteln, welche Strategien sich im Kampf gegen Antisemitismus als effektiv erweisen“ (aus dem Leitfaden, S. 27).

Dieser Aufgabe stellt sich auch das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft und erarbeitet derzeit gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Institutionen in Thüringen Strategien zur Erfassung von Diskriminierung und Hassverbrechen. Der neue Leitfaden stellt hierfür eine hervorragende Grundlage dar: Er liefert praktische Schritte zur Begegnung antisemitischer Hassverbrechen, welche auch auf andere Hassverbrechen und zum Schutz weiterer stigmatisierter Gruppen unserer Gesellschaft angewendet werden können.


[1]

BT-Drucksache 18/11970 vom 07.04.2017: Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus. Online dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/119/1811970.pdf [Abgerufen am 19.05.2017]