Johanna Hemkentokrax:
Die Initiatoren des NPD-Eichsfeldtages, der jährlich mit Bands und Rednern in Leinefelde stattfindet, antworteten im letzten Sommer auf Facebook auf die Frage eines Besuchers nach der Sicherheit bei der Anreise: „Mit Zeckos (abfällig für Gegendemonstranten, Anm. d. Red.) ist nicht zu rechnen. Die Stadt ist fest in der Hand nationaler Bürger.“ Erschreckt Sie das?
Harald Zeil:
Eine solche Aussage von ausgewiesenen Nazis erschreckt mich erst einmal nicht, denn es gehört zu ihrem Selbstverständnis zu meinen, dass eine schweigende Mehrheit hinter ihnen stünde. Seit dem es den sogenannten Eichsfeldtag der NPD gibt, gab und gibt es im Umfeld vielfältige Proteste der Zivilgesellschaft. Die können zum Beispiel bewirken, dass niemand „aus Versehen“ zu so einer Veranstaltung geht. Sie können aber auch die Menschen in der jeweiligen Region gegen Naziaktivitäten sensibilisieren. Um ein Nazimusikfestival zu behindern oder gar zu verhindern, ist ein Zusammenwirken von vielen verschiedenen Kräften der Zivilgesellschaft nötig – von antifaschistischen Gruppen bis hin zu den Ordnungsbehörden. Wie so etwas funktionieren kann, haben die Aktionen in Jena, Altenburg und Pößneck gezeigt, die das Neonazi-Großevent „Fest der Völker“ zum Erliegen gebracht haben.
Johanna Hemkentokrax:
Aber so ein Satz entsteht ja nicht im luftleeren Raum. Es gibt Regionen in Thüringen, wo Neonazis das Gefühl haben können, völlig frei agieren zu dürfen, und wo nicht widersprochen wird – woran liegt das?
Harald Zeil:
Das ist tatsächlich im Eichsfeld zum Teil auch so. Und sobald die Nazis den Sportplatz betreten, wo der Eichsfeldtag stattfindet, haben sie freie Hand. Und wir haben ja im letzten Jahr diese schlimme Situation erlebt, dass Polizisten Journalisten sogar Platzverweise erteilt haben. Natürlich ist das ein Zeichen auch in Richtung der Gegendemonstranten – da wird den Nazis Raum gegeben. Andererseits hat es in den letzten Jahren auch immer Demonstrationen gegen den Eichsfeldtag gegeben. Aber da gibt es noch viele Punkte, wo man ansetzen könnte. Beim Sportplatz müsste es Druck geben, den vermietet die Stadt immer wieder an die Organisatoren. Da müsste es viel mehr Engagement der Verwaltung geben.
Johanna Hemkentokrax:
Nicht nur das Eichsfeld ist ja in dieser Hinsicht eine Problemregion ...
Harald Zeil:
Nein, zum Beispiel in Kirchheim, einem kleinen Ort bei Erfurt, ist die Lage anders. Da mieten sich die Nazis in einen privaten Veranstaltungsort ein, die so genannte Erlebnisscheune. In Kloster Veßra gehört der Gasthof, wo regelmäßig Veranstaltungen stattfinden, einem Neonazi. Da sind in den letzten Jahren neue Erlebnisstätten entstanden und wie groß das Engagement und der Gegenprotest sind, hängt sehr stark damit zusammen, wer gerade im Ort aktiv ist. Es hängt meist an einer Handvoll Menschen, die sich engagieren. Wenn es rechtzeitig bekannt wird, dass zum Beispiel ein Neonazi-Konzert stattfindet, dann kriegt man an vielen Orten auch Leute zusammen. Aber das ist auch eine Frage der Zeit, die einzelne Menschen einbringen können – und man braucht einen sehr langen Atem und Selbstvertrauen, wenn man sich nur hinstellen und seine Meinung kundtun kann, aber es letztendlich doch nicht verhindert und eben nur hoffen kann, langsam in die Gesellschaft hineinzuwirken. Wenn man glaubt, mit einer einzigen Aktion Naziveranstaltungen verhindern zu können, führt diese Langwierigkeit auch schnell mal zu Resignation und Frust.
Johanna Hemkentokrax:
Unabhängig von den größeren Veranstaltungen gibt es auch eine Normalisierung von Neonazis im Alltag. Dass zum Beispiel rechtsextreme Kleidung und Neonazi-Symbole ganz selbstverständlich zum Straßenbild gehören, ohne dass die Umgebung daran Anstoß nimmt ...
Harald Zeil:
Damit so etwas nicht zur Selbstverständlichkeit wird, braucht es eine wache Zivilgesellschaft, die sofort reagieren kann. Es gibt viele Bereiche, wo man ansetzen müsste. Das Beispiel mit der Kleidung, wie Sie sagen, das ist genau diese tägliche Kleinarbeit. Ich muss dafür sorgen, dass es ein Problembewusstsein gibt. Ein nächster Schritt ist dann vielleicht eine Hausordnung in der Berufsschule vor Ort, die bestimmte Neonazi-Marken und Symbole verbietet. Diese Symbole und Marken müssen die Verantwortlichen vor Ort dann aber auch kennen und einordnen können.
Johanna Hemkentokrax:
Klingt mühsam …
Harald Zeil:
Ja, aber im besten Fall bekommen diejenigen, die sich über so ein Verbot an der Schule hinwegsetzen, dann auch konsequent ein T-Shirt, das sie dann den ganzen Tag drübertragen müssen. Das ist mühsame tägliche Kleinarbeit, mit der man es schaffen kann, der Normalisierung von Neonazis im Alltag etwas entgegenzusetzen. In größeren Städten sieht das anders aus. Da gibt es dieses Bewusstsein zum Teil. Gerade im ländlichen Raum muss sich aber noch viel ändern. Demonstrationen sind eine Sache, Aufklärung und Unterstützung sind oft viel mühsamer und langwieriger.
Johanna Hemkentokrax:
Sie sprechen die Städte an – wenn Thügida in Jena, Erfurt oder Saalfeld aufmarschiert, dann stellen sich zum Teil mehrere hundert Menschen auf die Straße, in ländlichen Regionen sieht die Situation schon anders aus ...
Harald Zeil:
Wirksamen Protest gegen Thügida in dem Sinne, dass im Vergleich zu den Thügida-Anhängern ein Vielfaches von Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung auf die Straßen geht, gibt es in unserer Region in Leipzig, Weimar, Jena, Eisenach und in hoffnungsvollen Ansätzen in Saalfeld und zum Teil in Erfurt und an einigen Tagen in Eisenberg und Apolda. Gerade in Jena haben wir im letzten Jahr erfahren, dass ein solches Engagement einen langen Atem und eine über Jahre gewachsene demokratische Kultur benötigt. Auch innerhalb von Polizei und Versammlungsbehörden braucht es einen längeren Verständigungsprozess, um auf der einen Seite die verfassungsmäßigen Rechte der Verfassungsgegner im gebotenen Rahmen zu gewährleisten, und auf der anderen Seite auch einen wirksamen zivilgesellschaftlichen Protest zu ermöglichen. An dieser Stelle erhoffen wir uns übrigens auch gerade vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft neue Ansätze, wie diese Prozesse besser werden können.
Johanna Hemkentokrax:
Noch mal zurück zum ländlichen Raum. Besteht da ein Mangel an – wie Sie sagen – demokratischer Kultur?
Harald Zeil:
Wenn ich mir die Städte angucke, gibt es da eine lange Tradition dieser demokratischen Kultur. Seit den ersten Versuchen der Neonazis in den 90er Jahren, das Buchenwaldgedenken in Weimar zu missbrauchen, gab es ganz klare Signale der Stadtverwaltung und auch aus der Bürgerschaft, dass man das nicht zulässt, dass man auf die Straße geht. In Jena gibt es seit 2000 ein Stadtprogramm gegen Rechtsextremismus, wo auch die Stadtverwaltung einbezogen ist. So etwas fehlt oft im ländlichen Raum, auch weil es weniger Leute sind, die sich rechtzeitig auseinandersetzen können.
Johanna Hemkentokrax:
Ist das also ein reines Zahlenproblem?
Harald Zeil:
Auf dem Land sind die Strukturen viel kleiner, es dauert und ist zum Teil sehr, sehr schwer, bis man Sportvereine und Feuerwehr gewinnt. Da ist noch sehr viel Beratungsbedarf. Aber es gibt auch ganz fitte Orte, die sich mit anderen austauschen. Da reicht es manchmal, dass es drei, vier Leute gibt, denen es gelingt, andere Leute zu aktivieren. Gerade im ländlichen Raum fällt es potenziellen Akteuren schwer, über längere Zeiträume eine starke demokratische Kultur zu entwickeln. Als Bürgerbündnisse versuchen wir das natürlich zu unterstützen, kommen aber auch schnell an unsere Grenzen, wenn es eben nicht gelingt, vor Ort die Menschen und ihre Vereine, also zum Beispiel Sportvereine, freiwillige Feuerwehr oder die Kirchen, mit ins Boot zu holen. Oft begegnet einem da auch die Meinung, dass die Nazis schon aufhören würden zu laufen, wenn sie keine Resonanz, eben auch keine durch Gegenproteste, erfahren würden. Ohne die Situation in den Städten schön reden zu wollen, gibt es doch ein größeres Problem im ländlichen Raum. Da ist das Problem mit den Immobilienkäufen durch Neonazis auch gravierend. Da hat sich übrigens die Wirkungslosigkeit des Verfassungsschutzes gezeigt und sein Versagen in der selbst behaupteten Rolle eines Frühwarnsystems. Kein einziger dieser Immobilienkäufe konnte durch rechtzeitige Informationen der Behörden vor Ort verhindert werden, selbst wenn die beim Verfassungsschutz anfragt hatten.
Johanna Hemkentokrax:
Gibt es Regionen, die Ihnen gerade besondere Sorgen machen in Bezug auf Neonazi-Aktivitäten und die Situation der Zivilgesellschaft?
Harald Zeil:
Besonders schwierig ist die Situation in der Kleinstadt Kahla und die im Landkreis Greiz. In Kahla ist die Situation so weit eskaliert, dass Menschen, die sich zum Beispiel für Geflüchtete einsetzten, die Situation in Kahla beim Namen nannten und sich ganz bewusst und aktiv für die Ziele des Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit einsetzten, so unter Druck gesetzt wurden, dass sie die Stadt verlassen mussten. Hoffen lässt die Entwicklung, dass jetzt, unterstützt von der Landesebene der demokratischen Parteien, Verbände und Gewerkschaften, ein Umdenken einsetzt. Vom Landesprogramm wird der Kahlaer Demokratieladen besonders gefördert, um dieses Umdenken zu unterstützen und auch, um Akteuren einen geschützten Raum zu bieten.
Johanna Hemkentokrax:
Und in Greiz?
Harald Zeil:
Der Landkreis Greiz ist ein sehr spezieller Fall. Da haben wir die einzigartige Situation, dass die dortige Landrätin das Wirken rassistischer, neonazistischer und anderer demokratiefeindlicher Kräfte so bagatellisiert, dass sie sogar den Abschluss einer von Bundesprogrammen geförderten Partnerschaft für Demokratie verhindert hat. Aber es ist dann demokratischen Verbänden gelungen – zusammen mit der evangelischen Kirche –, eine Struktur zu schaffen, die vom Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit unterstützt wird und die im Sinne einer Partnerschaft für Demokratie arbeitet. Als Bürgerbündnisse erhoffen wir uns da jetzt, dass es eine Analyse zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit mehr Menschen als bisher ermöglicht, die Gefahr, die von demokratiefeindlichen Kräften ausgeht, zu erkennen und auch entsprechend zu handeln – losgelöst von einem verengten Rechts-Links-Schema.
Johanna Hemkentokrax:
Sie sind immer wieder mit Engagierten im Gespräch. Mit welchen für Sorgen schlagen sich die Menschen herum, die sich engagieren?
Harald Zeil:
Besonders dramatisch war auf jeden Fall die Situation in Kahla. Insgesamt fällt es gerade im ländlichen Raum Menschen schwerer, in ihrer täglichen Umgebung Gesicht zu zeigen, in der relativen Anonymität einer größeren Stadt ist das einfacher. Wenn wir davon sprechen, dass Engagement einen langen Atem braucht, dann stehen dahinter natürlich vor allem viel Kraft und Zeit, die bei allen Aktiven knapp bemessen sind. Dazu kommen die Auseinandersetzungen mit Behörden, die die gebotene Neutralität gegenüber unterschiedlichen demokratischen Parteien mit einer Neutralität gegenüber Verteidigern und Gegnern unserer Verfassungsordnung verwechseln. Das zeigt sich zum Beispiel in Versuchen, angemeldete Demonstrationen zu kriminalisieren, in eine linksextreme Ecke zu drängen, über Auflagenbescheide kriminelle Handlungen zu unterstellen bis hin zu subtilen Aktionen innerhalb von Finanzbehörden, dass Vereinen ihre Gemeinnützigkeit infrage gestellt wird, wenn sie eine Förderung des Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit erhalten.
Johanna Hemkentokrax:
Können Sie da ein Beispiel nennen?
Harald Zeil:
Das Solibri-Festival in Hildburghausen im letzten Jahr war so ein Fall. Anfang Mai fand in Hildburghausen ein Neonazi-Festival mit 3.500 Besuchern statt. Eine Woche später haben junge Leute ein Festival gegen rechts und für Weltoffenheit organisiert. Denen ist das Leben richtig schwer gemacht worden. Da hatte man den Eindruck, dass die Aktiven einfach nicht in das Bild passen, wie junge Leute sein müssten oder das dort gern gesehen wird. Das Konzert ist durch die Verwaltung regelrecht behindert worden und dazu kam, dass die Veranstalter das zum ersten Mal gemacht haben und noch wenig Erfahrung hatten. Wir haben dort zwar unterstützt, aber man kann es auch nicht komplett von außen organisieren, dann wächst es nicht nachhaltig.
Johanna Hemkentokrax:
Wenn man sich den Gegenprotest ansieht, wird er meist von einer Handvoll Ehrenamtlicher organisiert und der Bürgermeister lässt sich im besten Fall beim Friedensgebet blicken. Ist das also ein Problem der Lokalpolitik?
Harald Zeil:
Schon wenn man die Städte Erfurt, Weimar, Jena und Gera vergleicht, lässt sich ein sehr unterschiedlicher Umgang mit der Zivilgesellschaft und deren Eintreten für Demokratie erkennen. Deutlich sichtbar wird das natürlich im Umgang mit demokratischen Aktionen im Umfeld von Naziaktivitäten, aber auch bei eher versteckten Dingen, wie zum Beispiel der Einladung oder Nichteinladung von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu von der Stadtverwaltung organisierten Treffen des Bundespräsidenten. Im ländlichen Raum beobachten wir wiederum, dass die Behörden weder das Versammlungsrecht noch ihre rechtlichen Pflichten und Möglichkeiten bei der Einschränkung von Naziaktivitäten kennen. Da gibt es noch viel Beratungs- und Aufklärungsbedarf.
Johanna Hemkentokrax:
Ist es wirklich nur Aufklärungsbedarf oder ein Mangel an Rückgrat oder sogar Unwille?
Harald Zeil:
Natürlich ist die Rolle vieler Bürgermeister eine unglückliche. Oft sitzen sie in der Zwickmühle, dass sie gleichzeitig Leiter der Versammlungsbehörde sind und deshalb zur Neutralität verpflichtet sind. Aber in dieser Neutralitätsvorstellung vergessen sie eben auch, dass sie eine verfassungsmäßige Verantwortung als Vertreter der Demokratie gegenüber ihren Bürgern haben. Natürlich muss man auf der einen Seite das Demonstrationsrecht einräumen, andererseits kann man auf der anderen Seite auch klar diejenigen stärken, die etwas gegen die Demokratiefeinde unternehmen. Mein Hauptvorwurf ist, dass zwischendurch, also abseits von Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen, zu wenig unternommen wird. In kleineren Orten ist auch die Nähe ein Problem: Man lebt auf engstem Raum zusammen, wo sich alle kennen, die Bürgermeister wohnen im Ort und es ist schwer, sich in so einer Situation deutlich gegen jemanden auszusprechen, der dort Neonazi-Aktivitäten unterstützt oder seine Kneipe dafür zur Verfügung stellt. So eine direkte Konfrontation muss man aushalten können. Dafür braucht es Kraft und man muss, auch als Bürgermeister, das Gefühl haben, dass einem die Leute den Rücken stärken.
Johanna Hemkentokrax:
Hand aufs Herz: Haben Sie im Stillen gedacht, mit Rot-Rot-Grün wird alles besser? Das da ein stärkeres Signal in die Kommunen geht?
Harald Zeil:
Natürlich gab und gibt es große Erwartungen an Rot-Rot-Grün. Auf der Ebene des Landesprogramms konnten davon auch eine Reihe von Dingen auf den Weg gebracht werden, aber ein Spaziergang war das nicht.
Johanna Hemkentokrax:
Zum Beispiel?
Harald Zeil:
Zum Beispiel die deutlich bessere Ausstattung des Programms und seine Überarbeitung auf der Grundlage der Auseinandersetzung mit allen Facetten der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit statt des bisherigen Denkens und Handeln im Sinne der völlig abwegigen Extremismusdoktrin; auch das Bekenntnis, dass Thüringen als das Herkunftsland der NSU-Täter_innen und ihres Umfelds eine besondere Verpflichtung im Kampf für Demokratie hat. Die Strukturprojekte des Landesprogramms, wie Mobit und ezra, sind deutlich gestärkt worden, Projekte wie das Netzwerk für Demokratie und Courage, Schule gegen Rassismus – Schule für Courage, das Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus an der Universität Jena wurden neu in diesen Kreis aufgenommen. Vor allem wurde mit der Gründung des Institutes für Demokratie und Zivilgesellschaft die langjährige Forderung nach einer Dokumentations- und Forschungsstelle zur Demokratieentwicklung endlich erfüllt.
Johanna Hemkentokrax:
Haben Sie sich an der Basis, also im kommunalen Alltag mehr erhofft?
Harald Zeil:
Für die Kommunen an sich habe ich nicht ganz so viel erwartet. Es ist ja auch nicht so, dass die Landesregierung in die Kommunen reinregieren kann. Es gab ja auch viel Kritik und Ablehnung schon im Vorfeld der Regierungsbildung. Da hat sich nicht auf einmal ein ganzes Land gefreut. Da gibt es auch immer noch viele Widerstände. Es ist schon eine ganze Menge passiert – der nächste Schritt ist dann hin zu den lokalen Bündnissen für Demokratie, dass wir da gucken, was in den einzelnen Projekten gemacht wird und wie wirkungsvoll es ist.
Man schafft nicht in zwei Jahren eine andere Kultur. Man kann nur anknüpfen und wenn viel da ist, geht’s auch schneller; wenn wenig da ist, braucht es mehr Zeit. Der Weg bis in die Kommunen hinein ist einfach langwieriger. Und wir stellen auch fest, dass der gesellschaftliche Rechtsruck und das Erstarken des Rechtspopulismus das Wirken natürlich dämpfen. Der Beginn von Rot-Rot-Grün fällt zeitlich zusammen mit dem Aufkommen von Pegida und ihrer Ableger in Thüringen.
Johanna Hemkentokrax:
Gibt es eigentlich ein Erfolgsbeispiel – eines, wo Kommunen ihr Neonazi-Problem angepackt und gelöst haben?
Harald Zeil:
Natürlich gibt es Erfolge zum Beispiel in Weimar und Jena, wo Nazis entweder gar nicht in die Stadträte gewählt wurden oder sie keine Rolle spielen können und bei Naziaufmärschen garantiert ein Vielfaches von Menschen gegen sie auf die Straße geht. Wenn man das mal vergleicht mit der bedrückenden Situation Ende der 1990er Jahre, hat sich die Situation in Saalfeld und Rudolstadt deutlich verbessert. In Ballstädt stand die Gemeinde zusammen, nachdem Nazis die Kirmesgesellschaft überfallen hatten; in Crawinkel gelang es, den Kauf einer Immobilie durch Nazis rückgängig zu machen. Es sind eher einzelne Punkte, an denen man sagen kann: Da ist etwas gut gelaufen, da wurde gut reagiert.
Johanna Hemkentokrax:
Dafür haben Neonazis in Henningsleben bei Bad Langensalza gerade erst eine neue Immobilie erworben ...
Harald Zeil:
Ja, das geht Schlag auf Schlag. Wirklich etwas tun kann man nur, wenn die Gemeinde ein Vorkaufsrecht hat oder wenn es staatliche Auktionen sind und die Gemeinde bzw. der Staat schnell reagieren. Das ist meist nicht der Fall. Und da hat auch immer wieder der Verfassungsschutz kläglich versagt. Mobit hat ja eine Broschüre rausgebracht, die die Immobilien für Thüringen dokumentiert. Damit kann man zumindest reagieren und den Leuten sagen, dass von diesem Ort eine Gefahr ausgeht. Letztendlich wird es immer darum gehen, die Menschen vor Ort zu stärken und sich nicht einschüchtern zu lassen.
Johanna Hemkentokrax:
Einschüchterung ist ein gutes Stichwort: Müsste sich die Zivilgesellschaft da nicht noch viel stärker überregional vernetzen? Wenn es im ländlichen Raum Gegenproteste gibt, stehen die Teilnehmer am nächsten Tag mit den Neonazis, die da aufmarschieren, in derselben Schlange an der Supermarktkasse ...
Harald Zeil:
Im schlimmsten Fall noch am gleichen Tag. Auf dem Gebiet der Vernetzung ist schon Vieles geschehen, nur kann es nicht das Ziel sein, dass eine Gruppe Aktiver durchs Land reist. Ich denke schon, dass Angst eine Rolle spielt – oder nennen wir es Unsicherheit. Die Leute, die dort den Gegenprotest stellen, sind meist nicht sehr wehrhaft; das sind oft Familien aus dem Ort, ganz normale Menschen, die müssen sich das dreimal überlegen. Wenn es Unterstützung durch die Verwaltung und das gesellschaftliche Umfeld gibt, sieht aber auch das schon wieder ganz anders aus.
Johanna Hemkentokrax:
Wie kann Verwaltung denn ganz konkret Gegenprotest unterstützen?
Harald Zeil:
Der Umgang mit dem Versammlungsrecht, den man im ländlichen Raum erlebt, ist zum Teil haarsträubend. Da wird zum Beispiel gesagt, Versammlungsleiter seien zivilrechtlich für alles verantwortlich, was auf der Strecke passiert. In Kahla gab es vor Jahren einen Fall, da wollte eine Frau auf einem Platz eine Demonstration gegen eine Neonazi-Veranstaltung anmelden und ihr wurde gesagt, sie ist privat für alles finanziell verantwortlich, was auf dem Platz passiert. Das hat mit Versammlungsrecht nichts zu tun. Spontandemos werden oft per se unter absurden Vorwänden verboten. Und dann ist da das große schwarze Loch des Umgangs mit dem Informationsfreiheitsgesetz. In Jena und Weimar werden Kundgebungsanmeldungen und Auflagen zum Teil ins Netz gestellt. In Gera gibt’s null Informationen von der Stadtverwaltung, gerade aktuell zur Anmeldung des anstehenden Aufmarschs der Neonazi-Partei „Der III. Weg“ am 1. Mai. Da werden die Anmeldungen und Strecken nicht bekannt gegeben, was natürlich den Gegenprotest erschwert. Da wird so getan, als hätte man nie was davon gehört, dass es ein Recht der Öffentlichkeit auf solche Informationen gibt, damit sich Gegenprotest organisieren kann. Ob das Unwillen oder Unwissen ist, muss man immer von Fall zu Fall gucken. Die Warnungen vor dem Gewaltpotenzial solcher Aufmärsche werden zu wenig beachtet oder gar ignoriert.
Johanna Hemkentokrax:
Welche Situation oder Haltung, mit der Sie selbst konfrontiert wurden, hat Sie in der letzten Zeit schockiert im Zusammenhang mit menschenfeindlichen Einstellungen?
Harald Zeil:
Schockiert hat mich, dass selbst in Jena Akteure der Proteste gegen Thügida angepöbelt wurden. Das war bei der Demonstration gegen den Thügida-Aufmarsch im August 2016. Da gab es am Busbahnhof solche Situationen. Und wenn dann sogar die Verkäuferin im Bäckerladen sagt: „Na, Gott sei Dank sind die König-Leute (gemeint sind die LINKE-Landtagsabgeordnete Katharina König und der Stadtjugendpfarrer Lothar König, Anm. d. Red.) nicht da.“ So etwas wäre vor zwei Jahren nicht passiert. Das hat mich auch persönlich sehr schockiert. Richtig wütend macht mich auch die Haltung der in Thüringen dominierenden Lokalblätter der Funke-Gruppe, die keine Chance auslassen, antifaschistisches Engagement zu kriminalisieren und zivilgesellschaftliches Engagement für Demokratie nur dann zu tolerieren, wenn es mit Kerzen und in aller Stille weitab vom Ort und den Inhalten der Auseinandersetzung unterwegs ist. Da scheint man alles zu tun, um sich ja nicht den rechtspopulistischen Vorwurf der „Lügenpresse“ zu verdienen.
Johanna Hemkentokrax:
Überall ist vom Rechtsruck die Rede, die Parteienlandschaft hat sich mit der AfD verändert, das gesellschaftliche Klima ist rauer geworden. Vor welchen neuen Herausforderungen sehen Sie Zivilgesellschaft jetzt?
Harald Zeil:
Ein differenzierter Umgang mit der AfD und ihren Anhängern ist sicher eine große Herausforderung. Selbst in Jena hat man das Gefühl, dass es in der Stadtpolitik eine Art vorauseilenden Gehorsam gibt, weil man davon ausgeht, demnächst mit der AfD im Stadtrat zu sitzen. Es gibt eine ganze Reihe an Entwicklungen, die uns als Engagierte unmittelbar neu fordern. Da sind zum Beispiel die Bedrohungen von Flüchtlingshelfern, die stark zugenommen haben. Die Aktionen gegen Thügida fordern uns. Im Ton hat sich viel verändert, auch bei Diskussionen, da sind einfach Grenzen gefallen. Wir brauchen eine noch stärkere Vernetzung. Aber es ist eben auch schwierig, Akteure für die langfristige Arbeit zu finden. Wir arbeiten viel stärker als früher inhaltlich mit Flüchtlingsintiativen und natürlich dem Flüchtlingsrat zusammen – gerade was den Umgang und die Stärkung von Geflüchteten betrifft.
Johanna Hemkentokrax:
Sie haben die AfD schon angesprochen. Glauben Sie, dass es auch neue Kategorien braucht, um jetzt als Bündnisse zu arbeiten und Ihr Arbeitsgebiet auch anders zu definieren?
Harald Zeil:
Die alten Kategorien haben nicht funktioniert. Deshalb war der Wegfall der Extremismus-Doktrin aus dem Landesprogramm im letzten Jahr für uns so eine große Sache – also dass die Kategorien „linksextrem“, „rechtsextrem“ rausgefallen sind. Gerade im Zusammenhang mit dem Erstarken des Rechtspopulismus müssen wir viel stärker von der Mitte aus denken. Die Wurzeln sind in der Mitte – und waren es übrigens auch schon immer. Da macht es keinen Sinn, an den Rändern zu suchen. Das hat ja zum Teil absurde Züge angenommen.
Johanna Hemkentokrax:
Was meinen Sie damit?
Harald Zeil:
Dass Institutionen, die endlich mal etwas gegen rechts machten, auch meinten, gleichzeitig der Form halber etwas gegen links machen zu müssen – obwohl das als Problem so nicht existierte. Wenn ich Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nehme, dann kann ich Diskriminierung in all ihren Facetten viel besser erfassen. Eine gute Argumentation zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist viel überzeugender als eine Rechts-Links-Rhetorik, die das Problem, wie schon gesagt, fälschlicherweise an den Rändern verortet. Sätze wie „Ich bin ja kein Nazi, aber...“ gehen ins Leere, wenn mit Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit argumentiert wird. Denn dabei geht es um die breite Analyse auf der Basis von Menschenbildern. Damit lässt sich erfassen, wenn dem politischen Gegner das Menschsein abgesprochen wird – und ebenso Formen von Alltagsrassismus. Da müssen wir noch eine Menge machen.
Johanna Hemkentokrax:
Müssen Sie sich auch selbst kritisch reflektieren? Salopp ausgedrückt: Was haben Luftballons, Trillerpfeifen und Vortragsveranstaltungen in der Stadtbücherei in den letzten Jahren gegen organisierte extrem rechte Strukturen geholfen, die international vernetzt, personell gut aufgestellt und geschäftlich versiert sind, und die auch den Rechtsrahmen sehr genau kennen?
Harald Zeil:
Gemeinsam mit Trillerpfeifen, Luftballons oder kreativen Aktionen unterwegs zu sein, stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Zivilgesellschaft. Hier entwickeln sich Lebensfreude, Selbstvertrauen und Eigenverantwortung für den Zustand einer Gesellschaft, die weit über den jeweiligen Tag hinauswirken. Gerade in Bezug auf die Neonazi-Konzerte im privaten Umfeld haben wir noch kein erfolgreiches Mittel gefunden, um diese wirklich zu behindern. Wenn wir andererseits davon ausgehen, dass die Wurzeln für Rassismus und Ideologien der Ungleichwertigkeit in der Mitte der Gesellschaft liegen, ist jede gute Veranstaltung in der Stadtbibliothek oder im Kahlaer Demokratieladen ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft erwarten wir uns da eine kräftige Unterstützung unter anderem bei der Analyse und Bewertung der Situation.
Johanna Hemkentokrax:
Die gibt es ja schon mit dem Thüringen-Monitor ...
Harald Zeil:
Der Thüringen-Monitor ist ohne Frage ein wichtiges Instrument. Für unsere Arbeit brauchen wir aber eine differenziertere Analyse zum Beispiel des ländlichen Raums mit regionalen Schwerpunkten. Und vor allen Dingen brauchen wir als Bürgerbündnisse dringend eine Analyse der Wirksamkeit unseres eigenen Handelns und Impulse bei der Suche nach neuen Ideen.
Johanna Hemkentokrax:
Wie kann das aussehen?
Harald Zeil:
Also zum Beispiel interessiert uns natürlich, wie die einzelnen Projekte langfristig wirken, was funktioniert, was nicht. Wo sind regionale Schwerpunkte für die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Bündnissen? Da versprechen wir uns eine Menge. Und da dürfen dann natürlich keine, ich sag mal, „dicken Bände“ entstehen, die im Regal verstauben, sondern das Ganze muss so aufbereitet werden, dass es auch öffentlichkeitswirksam ist. Über diese Wirksamkeitsanalyse hinaus erwarten wir vom IDZ ganz praktische Unterstützung. Wir haben oft gehört, dass sich zum Beispiel Versammlungsbehörden mit Fragen nach der Beurteilung von möglicherweise rechtsextremen Anmeldern an den Verfassungsschutz gewandt hatten und dort einfach keine zielführenden Informationen erhalten haben. Über die Immobilienkäufe haben wir ja eben schon gesprochen. Auch da erwarten wir, dass das IDZ belastbare Antworten geben kann.
Johanna Hemkentokrax:
Thüringen ist mit dem Landesprogramm, der Mobilen Beratung Mobit und der Opferberatung ezra eigentlich schon recht gut aufgestellt. Was kann das IDZ aus Ihrer Perspektive ergänzen oder andersrum gefragt – besteht nicht die Gefahr, dass sich Aufgaben doppeln?
Harald Zeil:
Wir erwarten in erster Linie eine gute Kooperation der verschiedenen Projekte untereinander. Mobit und ezra sitzen im Kuratorium vom IDZ, auf der anderen Seite ist das IDZ im Mobit-Vorstand. Da gibt es personelle Zusammenarbeiten und der eine kann einsehen, was der andere macht. Trotzdem sind inhaltliche Abstimmungen natürlich notwendig. Die wissenschaftliche Analyse ist ganz klar beim IDZ verortet – also wie die gesellschaftliche Situation im Lande ist und welche Kräfte wie agieren. Mobit kann noch stärker und intensiver als bisher in die Beratung vor Ort gehen und ist da die erste Anlaufstelle. Für die Arbeit der Opferberatung ezra ist die Untersuchung von Hasskriminalität durch das IDZ extrem wichtig. Davon können sie in ihrer Arbeit unmittelbar vom IDZ profitieren, wenn untersucht wird, welche Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit eine Rolle spielen, die über Rechtsextremismus, wie man ihn im klassischen Sinne versteht, hinausgehen. Ich glaube, dass durch dieses Zusammenwirken alle nur profitieren können und wir sind da sehr gespannt. Und nicht zuletzt kommt durch die Amadeu Antonio Stiftung als Trägerin des IDZ die bundesweite Kompetenz dieser Stiftung stärker als bisher auch in Thüringen zur Geltung. Umgekehrt hoffen wir, dass das IDZ eine ausgewiesene Stimme in der bundesweiten Diskussion zum Umgang mit demokratiefeindlichen Entwicklungen werden wird.