Verdrängte Vergangenheit: Verfassungsschutz und rechter Terror in den 1970er und 1980er Jahren in der BRD

Der vorliegende Beitrag untersucht, wie der Verfassungsschutz seit seiner Entstehung dazu beigetragen hat, rechten Terror in der Bundesrepublik Deutschland zu verharmlosen. Anhand der Verfassungsschutzberichte aus den 1970er und 1980er Jahren zeige ich, dass der Inlandsgeheimdienst zwar die seit Mitte der 1970er stetig wachsende Militanz von Rechtsextremisten erkannt hat. Aufgrund seiner begrenzten Kenntnis rechtsterroristischer Eigenheiten und einer falschen Parallelisierung mit dem RAF-Terror unterschätzte der Verfassungsschutz jedoch das Bedrohungspotenzial. Die diffuse Verwendung zentraler Begriffe und Beurteilungskriterien, etwa die Unterscheidung zwischen rechten Gewalttaten und terroristischen Aktionen, trugen ebenfalls zu einem mangelnden gesellschaftlichen Problembewusstsein gegenüber dem Rechtsterrorismus bei.

Einleitung

Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland hat es zahlreiche Todesopfer, Brand- und Sprengstoffanschläge durch rechtsterroristische Gruppen gegeben. Erinnerungs- und geschichtspolitisch spielt der Rechtsterrorismus jedoch kaum eine Rolle; die Geschichte des deutschen Terrorismus ist vor allem eine Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF). Es drängt sich die Frage auf, warum im öffentlichen Bewusstsein rechter Terror viel weniger erinnert und in weiten Teilen noch immer unterschätzt wird.

Spätestens die Verfehlungen deutscher Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit dem NSU zeigen, dass rechter Terror jahre- oder gar jahrzehntelang nicht als solcher erkannt und entsprechend bekämpft wurde. Aktenvernichtungen und -zurückhaltung, Quellenschutz und Vertuschungen nach dem Auffliegen des NSU und nicht zuletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Münchens, es habe sich lediglich um ein Trio gehandelt, machen eine vollständige Aufklärung unwahrscheinlich (vgl. Greif & Schmidt in diesem Band). So beispiellos der NSU-Terror und das Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden auch sind, handelt es sich dabei keineswegs um einen Betriebsunfall, nicht einmal um eine Ausnahme.

In beiden Teilen Deutschlands beginnt in der Nachkriegszeit die Reorganisation rechtsextremer Ideologien und militanter Strukturen, die bis in die 1980er Jahre in Gewalt und Terror münden. In den 1980er Jahren kamen in der Bundesrepublik Deutschland 27 Menschen durch rechtsterroristische Anschläge ums Leben, davon allein 13 beim Münchner Oktoberfestattentat 1980. Der NSU stellt lediglich die konsequente Fortsetzung des rechten Terrors in Deutschland dar und entwickelte zahlreiche Prinzipien der vorangegangenen Jahrzehnte weiter (Salzborn 2015: 53f.; siehe auch Quent 2016; Stöss 2010; Botsch 2012).

Die Geschichte des Terrorismus in der Bundesrepublik ist nicht nur eine Geschichte der RAF, sondern auch eine Geschichte rechten Terrors. Seit seiner Entstehung in den 1950er Jahren ist der Verfassungsschutz in diese Geschichte verwoben: über personelle Verstrickungen und Kontinuitäten aus der Nazi-Zeit bis hin zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Seit den 1960er Jahren beschafft der Verfassungsschutz nicht nur Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen, sondern tritt mit der Veröffentlichung von politischen Informationen und seiner Tätigkeiten zunehmend als meinungsbildender Akteur in Erscheinung. Aufgrund seiner staatlichen Autorität und Deutungsmacht hatte der Inlandsgeheimdienst erheblichen Einfluss auf öffentliche Debatten und darauf, wie Rechtsextremismus, rechte Gewalt und Terror seit 1945 bis heute in der Gesellschaft wahrgenommen und erinnert werden. Dass zum Beispiel der NSU so lange unentdeckt blieb, ist auch deshalb möglich geworden, weil Narrationen des Verfassungsschutzes durch Medien, Politik und Teile der Zivilgesellschaft lange Zeit unkritisch übernommen wurden (Quent 2016: 335).

Eine historische und politische Aufarbeitung des Rechtsterrorismus ist angesichts des aktuellen rechtsextremen Rollbacks in Deutschland und Europa wichtiger denn je. Daher untersucht der vorliegende Beitrag, wie der Verfassungsschutz seit seiner Entstehung kontinuierlich dazu beigetragen hat, rechten Terror in der Bundesrepublik zu verharmlosen und beinahe unsichtbar zu machen. Anhand der zwischen 1970 und 1990 veröffentlichten Verfassungsschutzberichte werden Kontinuitäten nachgezeichnet, wie der Verfassungsschutz rechten Terror lange Zeit unterschätzte und damit die Erinnerungspolitik der Bundesrepublik maßgeblich beeinflusst.

Die ersten Jahre des Verfassungsschutzes: autoritäre Kampfzeiten und Reintegration ehemaliger Nazis

Das Fehlverhalten des Verfassungsschutzes im NSU-Skandal steht in einer Reihe zahlreicher unaufgearbeiteter Skandale, die ihren Ursprung in der Gründung des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz in den 1950er Jahren haben. Der Verfassungsschutz unterschied sich zunächst von der 1946 in Kooperation mit der CIA gegründeten Organisation Gehlen, die 1955 in den Bundesnachrichtendienst (BND) überführt wurde. Die Gründung des Verfassungsschutzes steht mit dem ersten Verfassungsschutzpräsidenten Otto John, Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, zumindest für den Versuch, mit unbelastetem Personal einen Inlandsgeheimdienst aufzubauen, dessen Auftrag es ist, Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung abzuwehren. Die Organisation Gehlen hingegen ging unmittelbar aus der Generalstabsabteilung „Fremde Heere Ost“ der Wehrmacht hervor, zuständig für die Spionage gegen die Sowjetunion, und blieb personell weitgehend unverändert (Jaschke 1991: 122). Trotz aller Versuche Otto Johns, des Behördenleiters, unbelastetes Personal einzustellen, konnte er nicht verhindern, dass ehemalige NS-Funktionsträger auch weiterhin beschäftigt wurden und sogar in leitende Positionen des Amtes gelangten. Spätestens der Umstand, dass der ehemalige NS-Oberstaatsanwalt Hubert Schrübbers die Behörde 1955 übernahm und bis 1972 leitete, verdeutlicht das Fortleben nationalsozialistischer Strukturen in einer Behörde, dessen Hauptaufgabe der Schutz der verfassungsstaatlichen Demokratie ist (Funke 2018: 166). Neben den personellen und ideologischen Kontinuitäten ist sicherlich auch der historisch-gesellschaftliche Kontext, in dem die Behörde aufgebaut wurde, entscheidend für die frühe Verselbstständigung und den Handlungsspielraum des Verfassungsschutzes. Bedingt durch die Blockkonfrontation im Kalten Krieg galt es den Einfluss der Sowjetunion auch an der inneren Front zurückzudrängen, was sich in einem rigorosen Antikommunismus und der Bekämpfung linker Parteien und Gruppierungen ausdrückte (ebd.: 167 f.).

Verfassungsschutzberichte: der Staat betreibt Öffentlichkeitsarbeit

Lag der Fokus des Verfassungsschutzes in den 1950er Jahren noch auf der Abwehr von Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung und in der Spionageabwehr, wurde der Arbeitsbereich 1960 entscheidend erweitert. Als Reaktion auf eine antisemitische Welle von insgesamt 470 Fällen innerhalb von vier Wochen, veröffentlichte die Bundesregierung eine Broschüre zum Thema „Die antisemitischen und nazistischen Vorfälle. Weißbuch und Erklärung der Bundesregierung“ (Bundesregierung 1960). Die zeitliche Nähe der Veröffentlichung des Weißbuchs und des ersten Verfassungsschutzberichts (1962) legen den Schluss nahe, dass der Verfassungsschutz nun nicht mehr auf die Informationsbeschaffung zur Abwehr von Gefahren beschränkt blieb, sondern die Öffentlichkeit über seine Tätigkeiten sowie über demokratiegefährdende Tendenzen informieren sollte. Von 1962 bis 1968 erscheinen die Berichte zunächst als Beilage zu „Das Parlament“, ab 1970 dann als eigenständige Publikation (Grimm 2018: 166). Mit der Erweiterung der Aufgabenbereiche des Verfassungsschutzes, nun auch für die Öffentlichkeit politische Informationen bereitzustellen, hat die Behörde nicht nur entscheidenden Anteil etwa an der Durchsetzung des Konzepts Rechtsextremismus, sondern mit seinen Begriffsverwendungen, zahlenmäßigen Angaben zu verfassungsfeindlichen Gruppierungen und Ergebnissen der Spionageabwehr erheblichen Einfluss auf öffentliche Debatten und die politische Bildung.

Begriffe und Methodik der Berichte

Dem Selbstverständnis nach sind die Verfassungsschutzberichte Teil der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, Informationen zur Bedrohungslage für die freiheitlich demokratische Grundordnung bereitzustellen. Dabei präsentiert der Verfassungsschutz in seinen jährlichen Berichten allerhand Zahlen: Angaben über Szene- und Gruppenzugehörigkeiten, demografische Daten, Zahlen über Gewalttaten, Brandstiftungen, Terrorakte usw. Christoph Junggeburth merkt an, dass die Informationen allein schon aufgrund des Publikationsortes, der Begriffspolitik und des Informationsmonopols des Verfassungsschutzes alles andere als wertfrei sind (Junggeburth 2012: 239). Zudem ist nach wissenschaftlichen Kriterien die Art und Weise der Datenerhebung seit Veröffentlichung des ersten Berichts methodologisch undurchsichtig. Ebenso fragwürdig ist die Verwendung zentraler Begriffe. So etwa die konkurrierenden Konzepte Extremismus und Radikalismus, die der Verfassungsschutz in den 1960er und 1970er Jahren in seiner Berichterstattung unpräzise und teilweise synonym verwendet. Erst ab 1975 erfolgt schließlich eine Objektivierung und Trennung der beiden Konzepte zugunsten einer Durchsetzung des Extremismus-Konzepts, was jedoch keineswegs zu einer besseren Nachvollziehbarkeit oder einer differenzierteren Einschätzung der Bedrohungslage von Links- und Rechtsextremismus geführt hat (Grimm 2018: 179). Wie Franz Gress und Hans-Gerd Jaschke in ihrer Analyse der Verfassungsschutzberichte zeigen, war die Vergleichbarkeit der Daten auch nach der Vereinheitlichung der Begriffe hinfällig, da die Beurteilungskriterien häufig wechselten und somit Abweichungen im Datenmaterial produzierten (Gress/Jaschke 1982). So wurden etwa die Kriterien für die Bestimmung der Zugehörigkeit zu rechtsextremen Organisationen 1974 geändert. Personen, denen in einem Zeitraum von drei Jahren keine politische Aktivität nachgewiesen werden konnte, wurden fortan nicht mehr gezählt (ebd.: 29). Die häufig wechselnden Beurteilungskriterien legen den Schluss nahe, dass die Beobachtungsergebnisse empirisch unhaltbar waren, die politische Meinungsbildung aufgrund des Informationsmonopols aber dennoch gezielt beeinflusst werden konnte.

Rechtsterrorismus in den Verfassungsschutzberichten der 1970er und 1980er Jahre

Die ab 1970 vom Bundesministerium des Innern herausgegebenen Verfassungsschutzberichte sind in die Bereiche „Rechtsextremismus“, „Linksextremismus“, „Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern“ und „Spionageabwehr“ untergliedert. Um einen Eindruck davon zu bekommen, wie der Verfassungsschutz zwischen 1970 bis zur Wiedervereinigung das Phänomen Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland behandelte, untersucht der Artikel die Berichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz anhand dreier Dimensionen: 1) generelle Einschätzung militanter rechtsextremistischer Gruppierungen und deren Gefahrenpotenzial, 2) Merkmale rechten Terrors und 3) Verhältnis und Abgrenzung zwischen rechtem Terror und „sonstigen rechten Gewalttaten“. Für die Analyse waren insbesondere Kapitel oder Textstellen zur Entwicklung rechten Terrors, zu sonstigen rechtsextremen Gewalttaten und die Beurteilung dieser durch den Verfassungsschutz relevant. Dabei fand einerseits der quantitative Umfang der Berichterstattung Eingang in die Analyse und, sofern das Material es hergab, eine qualitative Betrachtung derselben.

In den ersten Jahren des Berichtszeitraums spielt Rechtsterrorismus und allgemein rechte Gewalt in den Verfassungsschutzberichten eine eher untergeordnete Rolle. Zum ersten Mal überhaupt findet im Verfassungsschutzbericht 1972 mit dem Kapitel „Terror und sonstige Ausschreitungen“ rechter Terror Eingang in einen Verfassungsschutzbericht (Bundesministerium des Innern 1973). Bis 1978 bleibt die Berichterstattung zu rechtem Terror und sonstigen Gewalttaten marginal – auf höchstens einer Seite berichtet der Verfassungsschutz über Terrorakte, militante Neonazis und Gewalttaten. Über den gesamten Zeitraum fehlen begriffliche Abgrenzungen und Kriterien, nach denen der Verfassungsschutz zwischen Gewalt und Terrorismus unterscheidet. So bleiben die Textstellen teilweise diffus, die Verwendung der Begriffe erscheint willkürlich. Im Verfassungsschutzbericht 1983 orientiert sich der Geheimdienst schließlich an der strafrechtlichen Definition des Paragrafen 129a des Strafgesetzbuchs (Bundesministerium des Innern 1984: 156). Problematisch ist dabei jedoch, dass Rechtsterrorismus juristisch schwierig einzustufen ist, da Terrorakte weniger von hierarchisch strukturierten Gruppen mit langfristigen Strategien und Planungen, sondern vielmehr von Terrorzellen, Untergruppen und vermeintlichen Einzelgängern durchgeführt werden. Entscheidend sind vor allem Netzwerke aus Vereinen, Gruppierungen und losen Zusammenhängen, die rechten Terror ermöglichen und unterstützen. Anschläge werden häufig spontan verübt und in aller Regel fehlen Bekennerschreiben – die Tat steht scheinbar für sich allein (Quent 2016).

Bis 1978 sieht der Verfassungsschutz im Rechtsextremismus trotz eines jahrelangen kontinuierlichen Anstiegs rechter Gewalt zunächst keine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung. Verschiedene Aspekte, etwa staatliche Maßnahmen, organisatorische Zersplitterung und eine fehlende einheitliche Ideologie, werden in jährlich wiederkehrenden, kurzen Beurteilungen als Gründe für die Harmlosigkeit rechtsextremistischer Bestrebungen angeführt. Bemerkenswert ist, dass der Verfassungsschutz bestimmte Textstellen, gerade was das Kapitel zur Einschätzung betrifft, über mehrere Jahre hinweg wörtlich übernimmt; dies macht er auch heute noch (z. B. Bundesministerium des Innern 1973 und 1976).

Braune Terrorjahre

Anfang der 1980er Jahre findet rechter Terror mit einer Reihe von Morden, Brandanschlägen, Gewaltandrohungen etc. einen Höhepunkt. Hierbei sind u. a. die Aktivitäten der Wehrsportgruppe Hoffmann zu nennen, in dessen Zusammenhang insbesondere das Oktoberfestattentat im September 1980 und zwei antisemitische Morde in Erlangen stehen, sowie die rassistischen Sprengstoff- und Brandanschläge der Deutschen Aktionsgruppen um Manfred Roeder, bei denen zwei Menschen starben (vgl. Röpke/Speit 2013, Manthe in diesem Band; Greif & Schmidt in diesem Band). So brutal der rechte Terror auch wütet, die Kapitel zu Rechtsterrorismus sind in den Verfassungsschutzberichten zwischen 1978 und 1984 mit ca. 2–5 Seiten zwar ausführlicher, die Ausführungen zum Linksterrorismus sind jedoch mit 10–15 Seiten wesentlich dominanter. Die oben genannten Gruppen finden Niederschlag in den Berichten sowie zahlenmäßige Angaben über sichergestellte Waffen, Granaten und Sprengstoffe sowie Verurteilungen und Verbindungen zum ausländischen Rechtsterrorismus. Zwar ist die Beurteilung der Sicherheitslage wie auch in den Jahren zuvor kurz und unpräzise, allerdings beurteilt der Geheimdienst den kontinuierlichen Anstieg rechter Gewalt immerhin als besorgniserregend.

Der Geheimdienst sieht in der Struktur und Arbeitsweise des Rechtsterrorismus eine Adaption linker Terrorstrukturen, wie diese Textstelle zeigt: „Häufig fehlten bei rechtsterroristischen Aktionen langfristige und durchdachte Planungen. Es sind aber Bemühungen erkennbar, gerade in dieser Hinsicht von linksextremistisch motivierten Terroristen zu ‚lernen‘“ (Bundesministerium des Innern 1982: 29). 1984 handelt es sich laut Verfassungsschutz nicht mehr nur um Bemühungen rechter Terroristen zu lernen, sondern um aktive Nachahmung, wie diese Textstelle zeigt: „1984 wurden bei ihnen Terroranleitungen von Linksextremisten gefunden, die ihnen schon seit Jahren als Vorbild dienen“ (Bundesministerium des Innern 1985: 168). Diese Parallelisierung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch, da sich Methoden, Strukturen und Ziele des Rechtsterrorismus vom Linksterrorismus erheblich voneinander unterscheiden (Gräfe 2017: 283 ff.). Die Gleichsetzung beider Phänomene wird in den darauffolgenden Jahren immer wieder gemacht; es entsteht der Eindruck, rechter Terror kopiere Strategien der RAF.

Mit den Anschlägen der Hepp-Kexel-Gruppe im Jahre 1985 erfahren rechtsterroristische Gewalttaten einen weiteren Höhepunkt, doch nach wie vor sind linksterroristische Gewalttaten das Maß für die Bewertung von Terrorakten in den Verfassungsschutzberichten (Bundesministerium des Innern 1986). Bis auf wenige Ausnahmen ist der Verfassungsschutz nicht in der Lage, Aktionen rechtsterroristischen Gruppen zuzuordnen, da nach seinen Beurteilungskriterien die eindeutigen Merkmale fehlen. Ein Großteil der Aktionen wird daher Einzeltätern zugerechnet (Bundesministerium des Innern 1984: 156). Eine klare Zuordnung muss natürlich scheitern, wenn die Verwaltungslogik auf dem Konzept des politischen Extremismus und einer engen strafrechtlichen Terrorismusdefinition beruht und damit das Instrumentarium fehlt, Eigenheiten rechten Terrors zu erkennen und entsprechend zu handeln. So wurden seit 1984 Terrorakte ausschließlich dann dem rechten Spektrum zugeordnet, wenn Bekennerschreiben vorlagen (Bundesministerium des Innern 1985: 167). Selbstbezichtigungen sind jedoch untypisch für rechten Terror – ein Merkmal, das dem Verfassungsschutz offenbar entging.

Nach den Jahren des Schreckens geht ab 1985 die Berichterstattung stark zurück. Im Berichtsjahr 1988 beschränkt sich die Berichterstattung auf zwei magere Seiten, wohingegen der Linksterrorismus mit knapp 15 Seiten erneut sehr ausführlich behandelt wird. Während dort auch von Entwicklungen des Linksterrorismus, der RAF sowie Verflechtungen zu ausländischen Terrororganisationen berichtet wird, findet sich derlei nicht beim Rechtsterrorismus (Bundesministerium des Innern 1989). Lediglich Zahlen zu Anschlägen und Verurteilungen sind Themen des Kapitels. Bis 1989 ist der Verfassungsschutz nicht willens, Auskunft darüber zu geben, um welche Gruppen es sich bei bestimmten Anschlägen gehandelt habe. Hier heißt es lediglich, dass rassistische Tatmotive mitursächlich gewesen sein können. Hier wird deutlich, dass der Verfassungsschutz entweder immer noch keine Kenntnisse über die Spezifika rechten Terrors hat oder schlicht ignorant ist. Er hat lediglich die Kenntnis, dass es sich bei einer Brandstiftung eines Hauses, das überwiegend von Migrant_innen bewohnt war, um eine rechtsextreme Tat gehandelt haben könnte (Bundesministerium des Innern 1989: 140).

Vergessen, verdrängen, verharmlosen

Das Spektrum rechtsterroristischer Gewalt umfasst Morde, Sprengstoff- und Brandanschläge, es reicht von größeren Gruppierungen, wie paramilitärischen Wehrsportgruppen, bis hin zu Terrorzellen und spontanen Einzeltätern. Jede_r kennt die RAF, doch rechter Terror wird im öffentlichen Bewusstsein viel weniger erinnert. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Untersuchung der Verfassungsschutzberichte zeigt, dass der Verfassungsschutz die seit Mitte der 1970er stetig wachsende Gefahr von gewaltbereiten Rechtsextremisten zwar erkannt hat und die Berichterstattung stetig umfangreicher wird. Allerdings sind Eigenheiten, etwa die für den Rechtsterrorismus typische Zersplitterung in viele kleine konspirative Gruppen, Zellen und Einzelkämpfer, für den Verfassungsschutz eher ein Indiz von Harmlosigkeit. Dabei handeln Einzeltäter keineswegs isoliert, sondern stehen in bestimmten Gruppenzusammenhängen. Beispiele dafür sind der Terrorist Gundolf Köhler (Oktoberfestattentat), der in der Wehrsportgruppe Hoffmann aktiv war oder aber der NSU und sein „Ermöglichungs-Netzwerk“, das die Gruppe mit Waffen und Verstecken versorgte.

Über den gesamten Untersuchungszeitraum bleiben die Kriterien unklar, nach denen der Verfassungsschutz Gewalttaten von terroristischen Aktionen unterscheidet. Der Übergang von spontaner Gewalt (rassistische und antisemitische Gewalttaten) hin zum geplanten Terrorakt ist in der rechtsextremen Szene fließend und erschwert die klare Einordnung bestimmter Fälle. Ein wesentliches Element rechtsextremer Ideologie ist Gewalt und insofern immer politisch. Die enge juristische Definition des Terrorismus, an der sich der Verfassungsschutz orientiert, blendet wesentliche Merkmale rechten Terrors aus. Die Behörde sieht etwa fälschlicherweise Bekennerschreiben als notwendiges Indiz für Terrorismus, dieser Umstand fehlt jedoch in aller Regel bei rechtsterroristischen Taten. Die ohnehin schon knappe Kenntnis rechtsterroristischer Eigenheiten wird in den 1980er Jahren durch eine falsche Parallelisierung mit dem RAF-Terror flankiert.

Auch wenn die Verfassungsschutzberichte aufgrund ihrer Rezeption durch Politik und Medien Einfluss auf öffentliche Debatten und die Meinungsbildung haben, darf der gesamtgesellschaftliche Kontext, der das jahrzehntelange Verschweigen und Vergessen rechten Terrors wechselseitig bedingt hat, nicht außer Acht gelassen werden. So herrschte in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik eine kaum aufgebrochene autoritäre Mentalität in der Bevölkerung vor sowie ein geschichtspolitisches Verdrängen der Nazi-Vergangenheit. Auf diesem Boden wurde der Verfassungsschutz gegründet, der seit seiner Gründung mit Skandalen zu kämpfen hatte. Dass Rechtsterrorismus noch immer unterschätzt wird, ist sicherlich nicht allein auf die Stellenbesetzung beim Verfassungsschutz oder die Veröffentlichung von Verfassungsschutzberichten zurückzuführen. Einen wesentlichen Beitrag zur Verharmlosung dieses Phänomens dürfte auch die in den Geheimdienst hineinwirkende und sich über Jahrzehnte hartnäckig haltende Extremismustheorie von Eckhard Jesse und Uwe Backes geleistet haben (zur Kritik des Begriffs siehe z. B. Stöss 1989). Beim Verfassungsschutz handelt es sich jedoch um eine staatliche Institution, bei der Fehleinschätzungen im Zweifel über Leben und Tod entscheiden. Eine (geschichts-)politische Aufarbeitung des deutschen Rechtsterrorismus einerseits und die vielfältigen Verstrickungen von Sicherheitsbehörden mit rechtsextremen Gruppierungen andererseits sind daher dringlicher denn je.

 

 

Literaturverzeichnis

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