Call for Papers zum Schwerpunktheft „Uncivil Society – aktuelle Ambivalenzen, Befunde und Herausforderungen der demokratischen Gesellschaft"

Das positive Bild „der“ Zivilgesellschaft, die die Demokratie schützt, ist unterkomplex: Seit Jahren wird auch auf „dunkle Seiten der Zivilgesellschaft“ Bezug genommen und auf Konflikte, Spannungsverhältnisse und Tendenzen von Polarisierung und Radikalisierung verwiesen, die „jenseits von Staat und Markt“ angesiedelt sind. Band 17. der IDZ-Schriftenreihe „Wissen schafft Demokratie“ will Debatten rund um das Themenfeld „Uncivil Society“ mit einer größtmöglichen Perspektivenvielfalt abbilden.

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Der Begriff „Zivilgesellschaft“ umfasst allgemein alle gesellschaftlichen Akteur*innen jenseits von Staat und Markt – egal, inwieweit sie organisiert sind, welche Aktivitäten sie umsetzen oder welche Werte sie vertreten. Dem landläufigen Verständnis nach wird „die“ Zivilgesellschaft als Trägerin und Stütze der Demokratie angesehen: Sie schafft Diskussionsräume, motiviert zu Engagement, artikuliert und vertritt gesellschaftliche Interessen. Ob nun in Vereinen, Bewegungen, Initiativen, losen Zusammenschlüssen: Zivilgesellschaftliches Engagement gilt als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts und demokratischen Zusammenlebens. Oftmals kritisiert begegnet sie dabei Problemlagen, die staatliche Akteur*innen nicht sehen; sie ist wachsam gegenüber Bedrohungen und gerät dabei selbst unter Druck. Sie mahnt, protestiert und mobilisiert Menschen für den Schutz der Demokratie, gegen Rechtsextremismus, Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Hass und Gewalt.

Dieses positive Bild „der“ Zivilgesellschaft, die die Demokratie schützt, ist jedoch unterkomplex: Seit Jahren wird auch auf „dunkle Seiten der Zivilgesellschaft“ Bezug genommen und auf Konflikte, Spannungsverhältnisse und Tendenzen von Polarisierung und Radikalisierung verwiesen, die ebenfalls „jenseits von Staat und Markt“ angesiedelt sind. Einerseits bezieht sich das auf den Aufbau eigener Vereins- und Engagementstrukturen sowie die gezielte Unterwanderung von Vereinen und Verbänden durch rechtsextreme und antidemokratische Akteur*innen. Andererseits ist davon die Rede, dass in Teilen der organisierten Zivilgesellschaft der demokratische Konsens ins Wanken geraten sei und „in den eigenen Reihen“ lange als selbstverständlich angenommene Werte zunehmend auch offen infrage gestellt würden.

Demoskopische Studien zur politischen Kultur belegen schon lange, dass rechtspopulistische, rechtsextreme und vorurteilsgeleitete Einstellungen weitverbreitet und in der „Mitte der Gesellschaft“ verankert sind. Diese Einstellungen zeigen sich auch dort, wo dem Selbstverständnis nach „unpolitisch“ bürgerliches Engagement für soziale und kulturelle Zwecke ausgeübt wird. Viele Akteur*innen sind verunsichert, inwieweit sie agieren sollen, wenn kontroverse Meinungen aufeinanderprallen und die gemeinsame Basis zu schwinden scheint – beispielsweise, wenn das von der Verbandsspitze veröffentlichte Bekenntnis zu Weltoffenheit und Diversität nicht bei allen Mitgliedern auf ungeteilte Zustimmung stößt. In erklärt progressiven und emanzipatorischen Bewegungen und Szenen wiederum werden besonders in jüngerer Zeit teils heftige Auseinandersetzungen beobachtet, vor allem um die Duldung von Antisemitismus und (Hetero-)Sexismus sowie anderer abwertender und ausgrenzender Positionen. Gleichzeitig beanspruchen extreme Rechte selbst, sich als zivilgesellschaftliche Stimmen Gehör zu verschaffen und als Teil einer „bürgerlichen Gesellschaft“ aufzutreten. In Form von Vereinen, Initiativen, Netzwerken oder Protestbündnissen versuchen sie, sich in der Fläche zu verankern, ihre gesellschaftlichen Werte, Norme und Zielvorstellungen zu normalisieren und ihren Einfluss auszuweiten – bis hin zur Etablierung eines Klimas der Ausgrenzung, des Hasses und der Gewalt.

Der 17. Band der IDZ-Schriftenreihe „Wissen schafft Demokratie“ will Debatten rund um das Themenfeld „Uncivil Society“ mit einer größtmöglichen Perspektivenvielfalt auf die oben skizzierten Herausforderungen abbilden. Wir freuen uns über Einreichungen u. a. zu folgenden Themen und Fragestellungen:

  • Erosion des demokratischen Konsenses in der Zivilgesellschaft
  • Auswirkungen auf (ehrenamtliches) Engagement, demokratische Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt (z. B. im Kontext von Vereins- und Verbandsarbeit, im Kontext von Wahlen usw.)
  • Konflikte und Spaltungstendenzen in Vereinen, Bündnissen, Institutionen usw. und Prozesse der Bearbeitung, Einhegung oder Beilegung dieser Konflikte
  • Exklusion und Defizit der Beachtung von Perspektiven gesellschaftlich marginalisierter Gruppen in zivilgesellschaftlichen Kontexten
  • „Zivilgesellschaft von Rechtsaußen“: antidemokratisches Engagement und Vernetzungsaktivitäten, Raumeroberungsstrategien und Normalisierung, insbesondere in ländlich geprägten Regionen
  • Bedrohungen und Angriffe gegen demokratische, weltoffene, pluralistische zivilgesellschaftliche Strukturen und Akteur*innen
  • Welche Gegenstrategien und Schutzkonzepte werden benötigt? Wo gibt es Best-Practice-Beispiele zum Umgang mit antidemokratischen Tendenzen und Phänomenen einer „Uncivil Society“?

Wir begrüßen zudem Beiträge, die die oben genannten Themen auch im Kontext von Digitalisierung sowie die Dynamik von On- und Offline-Interaktionen diskutieren. Besonders gewünscht sind Beiträge, die sich auf Thüringen beziehen und die empirisch begründete Handlungsempfehlungen beinhalten.

Die Schriftenreihe richtet sich an Forschende und Praktiker*innen, daher wird ein auch für Nichtakademiker*innen verständlicher Schreibstil erwartet. Interessierte senden bitte bis spätestens 15. Oktober 2024 ein Abstract im Umfang von max. zwei Seiten an wsd@idz-jena.de. Die Abstracts werden redaktionell gesichtet. Autor*innen ausgewählter Abstracts werden schnellstmöglich eingeladen, ein Manuskript (max. 20.000 Zeichen ohne Literaturverzeichnis) bis zum 31. Januar 2025 einzureichen. Diese werden anschließend begutachtet. Der Band mit den positiv begutachteten Beiträgen erscheint dann voraussichtlich Mitte 2025.