„Affen und Banditen“ – über die historische Rekonstruktion von Rassismus und rechter Gewalt in der späten DDR

Der Beitrag wirft die Frage auf, wie Kontinuitäten und Brüche von Rassismus und rechter Gewalt in der späten DDR und der ostdeutschen Umbruchsgesellschaft historisch adäquat dargestellt werden können; und welche methodischen Herausforderungen sich dabei ergeben. Nach zahlreichen Übergriffen auf ‚ausländische Staatsbürger‘ seit den 1970er Jahren, über die öffentlich nicht berichtet wurde, zeugten sozialwissenschaftliche Untersuchungen in den 1980er Jahren von weitverbreiteten rassistischen Stereotypen und nationalistischen Denkmustern in der DDR. Im Folgenden wird die Frage diskutiert, ob daraus auf eine Kontinuität des ‚ostdeutschen Rechtsradikalismus‘ geschlossen werden kann und welche Brüche im staatlichen und gesellschaftlichen Umgang in die Beantwortung der Frage einfließen müssen.

Einblick

Im April 1987 nahm Ricardo Rodríguez Hernández in Brandenburg/Havel mehrere Bögen Papier und einen Stift zur Hand. Er schrieb einen Brief an den Vorsitzenden des Staatsrates Erich Honecker, in dem er über rassistische Ressentiments in seiner Unterkunft berichtete und den er mit ‚Eingabe‘ beschriftete. Damit waren die zuständigen staatlichen Organe der DDR rechtlich verpflichtet, auf diesen Brief innerhalb einer vorgegebenen Frist zu reagieren.

Die DDR war ab den späten 1960er Jahren, wie die meisten Industriestaaten jener Zeit, dringend auf zusätzliche Arbeitskräfte angewiesen und begann – entgegen der eigenen Proklamation, Arbeitsmigration zu vermeiden – zunächst aus dem europäischen sozialistischen Ausland und ab den 1970er Jahren international Arbeitskräfte für eine festgelegte Dauer in die DDR-Produktion anzuwerben (Schulz 2011). Im Rahmen dessen reisten neben Polinnen und Polen, Ungarinnen und Ungarn und Algerierinnen und Algeriern auch Kubaner und Kubanerinnen für eine begrenzte Aufenthaltsdauer von meist vier Jahren in die DDR; später dann auch Menschen aus Angola, Mozambique, Vietnam und China. Um sich vom ‚imperialistischen Westen‘ und dessen vermeintlich einseitiger Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte abzugrenzen, stellte die DDR die Anwerbung der Arbeiter und Arbeiterinnen in den Zusammenhang mit ihrer Form von Entwicklungshilfe und Unterstützung ‚antikolonialer Befreiungskämpfe‘. Sie entsandte einerseits Experten – vor allem Ingenieure – in die Vertragspartnerstaaten und koppelte den zeitlich begrenzten Arbeitsaufenthalt in der DDR andererseits mit Qualifizierungsmaßnahmen. Im Alltag der Migranten und Migrantinnen zeigte sich jedoch, dass die Arbeitsbedingungen in den Betrieben häufig derart strukturiert waren, dass Weiterbildungen nicht wahrgenommen werden konnten und die Berufsausbildungen meist nicht den Arbeitsmärkten der Herkunftsländer entsprachen. Aus zeithistorischen Quellen wird der Unmut von Migranten und Migrantinnen über die Arbeits- und Lebensbedingungen in der DDR ebenso deutlich wie die Hoffnung, aus Armut, Arbeitslosigkeit und Krieg in den Herkunftsländern fliehen zu können.1

Welche Hoffnungen Rodríguez Hernández dazu bewegten, sich als Arbeiter in der DDR zu bewerben, wissen wir heute nicht. Der brandenburgische Betrieb, mit dem der Arbeitsvertrag geschlossen wurde, stellte ihm – eine gängige Praxis – eine Unterkunft in einem Arbeiterwohnheim mit anderen kubanischen Vertragsarbeitenden. Dort erlebte er rassistische Diskriminierungen seitens des Heimleiters. Das ließ er nicht auf sich sitzen und nutzte das Rechtsmittel der Eingabe, um seinen Fall darzustellen und eine Lösung herbeizuführen. Er formulierte den Brief an Erich Honecker auf Spanisch, eine Übersetzung wurde später den zuständigen Stellen im Ministerium für Arbeit und Löhne und dem Betrieb beigelegt: „Der Leiter dieses Wohnheimes verhalte sich rassistisch gegenüber den kubanischen Bürgern. Er würde Mädchen, die die kubanischen Bürger begleiten, zu sich rufen und fragen, warum sie mit den Kubanern zusammen seien, denn diese seien Affen und Banditen.“ (BArch DQ3/1808)2 Zur Klärung dieser Anschuldigungen wurde das Amt für Arbeit und Löhne im Bezirk Potsdam beauftragt, woraufhin eine Besprechung im zuständigen Volkseigenen Betrieb (VEB) unter Anwesenheit mehrerer Kollegen und Kolleginnen und Vertreter des Staatssekretariats für Ausländische Arbeitskräfte eingeleitet wurde. Nach Stunden der Diskussion kamen die Anwesenden – dem Protokoll zufolge – zu dem Schluss, dem Ganzen liege „eine persönliche Auseinandersetzung“ zugrunde. Daraufhin zog Rodríguez Hernández seine Eingabe zurück.

Kontinuitäten und Brüche rassistischer Diskriminierungen und rechter Gewalt –methodische Überlegungen

Mit der Eingabe von Rodríguez Hernández sollen exemplarisch die Herausforderungen der historischen Rekonstruktion von Brüchen und Kontinuitäten rassistischer Diskriminierungen und rechter Gewalt in der späten DDR und der ostdeutschen Transformationsgesellschaft verdeutlicht werden: Aus heutiger Perspektive lässt sich nicht klären, ob der Leiter des Arbeiterwohnheims für ‚ausländische Werktätige‘ tatsächlich die geschilderten Ressentiments geäußert hat – abwegig ist es nicht. Festhalten lässt sich jedoch, dass Rodríguez Hernández von der Möglichkeit einer ‚Eingabe‘ wusste und davon Gebrauch machte. Auch wenn diese retrospektiv aus nicht ersichtlichen Gründen zurückgenommen wurde, verhallte sein Schreiben zunächst nicht, sondern führte zu einer innerbetrieblichen Diskussion. Rodríguez Hernández war somit nicht nur Opfer rassistischer Stereotype, sondern auch handelndes Subjekt.

Die SED proklamierte für die DDR den Anspruch, ein antifaschistischer Staat zu sein. Aus zeithistorischen Forschungen, die häufig auf den Unterlagen der Staatssicherheit basieren, ist bekannt, dass es hunderte rassistischer und antisemitischer Vorfälle gab, die in der staatlich gelenkten Medienberichterstattung keine Rolle spielten (Poutrus 2003; Waibel 1995; Waibel 2017). Diskriminierungen und rechte Gewalt stellten traumatische Erfahrungen dar, die neben jenen Personen, die nicht den gängigen Normvorstellungen der spätsozialistischen DDR-Gesellschaft entsprachen – wie bspw. Punks oder Homosexuelle –, vor allem Migrantinnen und Migranten machen mussten. Dokumentiert und bereits intensiver untersucht wurden – vor allem durch zivilgesellschaftliches Engagement – u. a. die Angriffe auf algerische Arbeiter in Erfurt 1975, mehrtägige gewaltvolle Auseinandersetzungen zwischen kubanischen Arbeitern und Deutschen in Merseburg 1979, bei denen die zwei Kubaner Raúl Garcia Paret und Delfin Guerra ums Leben kamen und der grausame Mord an dem mosambikanischen Arbeiter Antonio Manuel Diogo 1986 auf seinem Weg von Berlin nach Dessau. Allein diese vier Übergriffe widerlegen den Mythos, in der DDR habe es keinen Rassismus mehr gegeben. Doch ist das bereits der Nachweis einer Kontinuität?

Aus einer historischen Perspektive stellt sich die Frage, auf welche Weise Brüche und Kontinuitäten rassistischer Diskriminierungen überhaupt dargestellt werden können. Nicht nur die Unterscheidung zwischen rassistischer Diskriminierung bzw. Gewalt und strukturellem Rassismus, der sich nicht als bewusstes Handeln Einzelner vollzieht, bereitet dabei Schwierigkeiten. Auch die Fokussierung auf die Suche nach rassistischen Vorfällen blendet die Komplexität gesellschaftlicher Verhältnisse aus und übersieht wiederum die große Bandbreite von Erfahrungen, die Migrantinnen und Migranten in der DDR machten und die zwischen den verschiedenen migrantischen Milieus äußerst unterschiedlich waren. Chilenische Künstlerinnen und Künstler beispielsweise, die sich als Zugehörige zur sogenannten Intelligenz durchaus privilegiert fühlten, machten im ‚Arbeiter- und Bauernstaat‘ gänzlich andere Erfahrungen als junge mosambikanische Arbeiter im Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe (Haber 2011; Scherzer/Schmitt 2011).

Die Vielfalt migrantischer Erfahrungen ist auch ein Spiegel für die ausdifferenzierte Gesellschaft der späten DDR selbst, in der sich unterschiedliche Lebensformen und Interessengruppen entwickelt hatten; und sie ähnelten auf ambivalente Weise jenen der DDR-Bürger. So versuchten auch Vertragsarbeitende, ihre Situation in den Betrieben durch Arbeitskämpfe zu verbessern oder verfielen, ebenso wie viele der deutschen Kollegen, Formen von Alkoholismus, die als gesellschaftliches Problem wahrgenommen wurden.3 Ausländer – vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter wie Rodríguez Hernández – wurden in der DDR meist in gemeinsamen Wohnheimen untergebracht. Dies kann einerseits als institutionalisierte Form staatlichen Rassismus interpretiert werden. Andererseits war die Unterbringung von Gruppen, die als sozial homogen galten, in der DDR weit verbreitet: Es existierten spezielle Wohnheime für ‚Ledige‘, Auszubildende und sogar Urlauber. Die gesonderte Unterbringung kann somit nicht ausschließlich als rassistische Praxis interpretiert werden bzw. lässt sich nur schwer rekonstruieren, wie viel Rassismus diese Form sozialer Kontrolle beinhaltete. Zudem setzten sich manche Vertragsarbeitende auch einfach über staatlich auferlegte Bestimmungen hinweg und bauten neben freundschaftlichen Kontakten auch Liebesbeziehungen auf, die zu einem dauerhaften Aufenthalt in der DDR und den späteren ‚neuen Bundesländern‘ führen konnten.

Nichtsdestotrotz muss festgehalten werden, dass die DDR – wie jede andere moderne Gesellschaft – Rassismus und rechte Gewalt hervorbrachte. Die genannten Übergriffe zeugen dabei zum einen von einer zunehmenden Gewaltförmigkeit in den 1980er Jahren und dem Beginn einer sich formierenden neonazistischen (Jugend-)Kultur. Zum anderen gaben die Übergriffe und diskriminierenden Ungleichbehandlungen Anstöße und Gründe, diese zu thematisieren und sich dagegen zu wehren: zunächst noch durch individuelle Eingaben von DDR-Bürgern, die sich um die Lebensbedingungen ihrer ausländischen Nachbarn, Freunde und Kollegen und Kolleginnen sorgten, später durch kollektives Handeln, für die die Herstellung von Gegenöffentlichkeit ein Beispiel darstellt.4 Während des Übergriffs auf algerische Arbeiter in Erfurt 1975 keine öffentliche Medienberichterstattung folgte (Erices 2018), wurde über den grausamen Mord an Antonio Manuel Diogo 1986 und den Angriff auf die Zionskirche 1987 (s. u.) zumindest lokal berichtet. Die bereits äußerlich als ‚Skinheads‘ erkennbaren Täter wurden als Anlass genommen, die Verbreitung rechten Denkens wissenschaftlich zu untersuchen.

Rassismus im Spiegel der ostdeutschen Sozialwissenschaften

Der SED selbst konnten rassistische Vorurteile innerhalb der Bevölkerung nicht unbekannt sein. Der Blick auf sozialwissenschaftliche Forschungen aus der DDR zeigt, dass sehr früh ein politisches Interesse darin bestand, derartige Stereotype zu untersuchen. Bereits seit den 1960er Jahren untersuchten Forscher vom Zentralinstitut für Jugendforschung mittels quantitativer Umfragen, wie Menschen anderer Nationalitäten eingeschätzt wurden (Bugiel 2002: 92). Möglicherweise wollte die SED dabei auch verhindern, dass die angeworbenen Arbeiter und Arbeiterinnen aus den ‚sozialistischen Bruderstaaten‘ Diskriminierungen oder gar Gewalttaten ausgesetzt werden. Das hätte zu Abbrüchen der Verträge führen können – wie es im Fall von Algerien letztlich auch geschah – und wäre damit den eigenen staatlichen Interessen entgegenlaufen. Die Untersuchung rassistischer Vorurteile innerhalb der eigenen Bevölkerung muss daher auch in den Kontext internationaler Beziehungen und verschiedener Formen von (Arbeits-)Migration in die DDR gesetzt werden. Die Studien zeigen neben den Stereotypen der Forschenden selbst, die anhand der Items deutlich werden, vor allem, dass rassistische Vorurteile registriert wurden.

Ab den späten 1980er Jahren, insbesondere nach dem Übergriff junger (Neo-)Nazis auf ein Konzert der ostdeutschen Punkband Die Firma und der westdeutschen Band Element of Crime in der Zionskirche in Berlin 1987, wurde das Problem ‚Skinheads‘ in zwei Studien des Zentralinstituts für Jugendforschung untersucht. Der Autor beider Studien – Wolfgang Brück – untersuchte in kleinen Expertisen zum einen die Skinheads im Meinungsbild ostdeutscher Jugendlicher und zum anderen die Einschätzung des ‚Phänomens‘ durch Experten aus dem Bereich der Jugendkriminalität. Eine Befragung rechter Jugendlicher selbst fand dabei nicht statt. Der Autor wies jedoch darauf hin, dass eine solche in der Zukunft notwendig sei, um zu verstehen, wieso sich Jugendliche radikalisieren. Bemerkenswert an beiden Studien aus dem Jahr 1988 ist das tastende Umkreisen der subkulturellen Erscheinung ‚Skinhead‘. Zwischen Punks, Poppern und Heavy Metallern stellten die Skins für die Mehrheitsgesellschaft lediglich eine weitere Jugendkultur dar, die sich zudem noch einmal in rechte und linke unterschieden. Die Jugendforscher um Wolfgang Brück warnten daher vor zu repressiven Mitteln gegen die Jugendlichen. Einen zu repressiven Umgang mit jenen Jugendlichen, deren Lebensweise sie letztlich nur deutend beschreiben konnten, schätzten sie als kontraproduktiv ein. Zwar diagnostizierte Brück eine „rassistische Grundhaltung“ einiger Skins, die sich „gegen Andersfarbige – vor allem ‚Schwarze‘ und ‚Vietnamesen‘ – sowie gegen die Juden richtete“, ein „ausgesprochenes ‚Faschismussyndrom‘“ wollte er jedoch nicht bestätigen (Brück 1988a: 13f.). Man kann diese Relativierungen nicht nur als naives Übersehen oder politisch gewolltes Blindsein gegenüber der Zunahme rechter Ideologien interpretieren, sondern auch als Befürchtung, der liberalere Umgang mit jugendlichen Subkulturen in der DDR Ende der 1980er Jahre könnte wieder restriktiver gestaltet werden.5

Abseits rechter Gewalttäter waren für die Jugendforscher auch die politisch-ideologischen Einstellungen der Mehrheit der Jugendlichen von Interesse. Seit 1987 beschäftigte sich am Zentralinstitut für Jugendforschung die neu gegründete Forschungsgruppe Jugend und Ideologie mit Fragen des Geschichtsbewusstseins (Schubarth 1989). Vorrangiges Ziel der Untersuchungen lag darin, anhand empirischer Befunde Empfehlungen für politische Konzepte zu erarbeiten, die die Bindungskraft an das Gesellschaftssystem der DDR stabilisieren sollten. In einer Studie vom Dezember 1988 gaben die Forscher der Frage nach dem „Verhältnis Jugendlicher zum Faschismus“ Raum für ein gesondertes 16-seitiges Kapitel. Sehr ausführlich warfen sie auf Grundlage von Aufsatzanalysen und einer Fragebogenauswertung von 2.000 Jugendlichen einen kritischen Blick „auf die Wirksamkeit unserer internationalistischen Erziehungsarbeit“ (Zentralinstitut für Jugendforschung 1988: 55). Dabei stimmten den Aussagen: „Die Deutschen waren schon immer die Größten in der Geschichte“ und: „Der Faschismus hatte auch seine guten Seiten“ jeweils 12 % zu.

Über ihre eigenen Befunde äußerten sich die Sozialforscher bestürzt. Die Ergebnisse zeigten, „wie weit wir von inneren, emotionalen Beziehungen zur Zeit des Faschismus entfernt sind, was die Frage nach einer angemessenen Bewältigung dieser Zeit durch Jugendliche erneut aufwirft“ (ebd.: 54).

Auch wenn sich nach Maßstäben quantitativer Sozialforschung Längsschnittanalysen aus diesem Material nicht erlauben lassen, ermöglichen die Ergebnisse doch rückblickend Hinweise auf das geistige Klima jener Zeit. Bereits im April 1989 gaben mehr als ein Drittel der befragten Jugendlichen an, dass beide deutsche Staaten ihr ‚Vaterland‘ seien (Müller 1989).6 Das ist erstaunlich, da in einer Befragung durch ein staatliches Institut der DDR davon ausgegangen werden kann, dass sehr stark nach sozialer und politischer Erwünschtheit geantwortet wurde. Die reale Verbundenheit mit der ‚Nation Deutschland‘ dürfte zu jener Zeit somit schon weitaus höher gewesen sein.

Zwischen dem 26. November und dem 7. Dezember 1990 – also nur ein paar Wochen nach der Vereinigung beider deutscher Staaten und noch vor den medial stark rezipierten Übergriffen in Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992) – führte das Jugendinstitut eine quantitative Befragung von insgesamt 1.624 Schülerinnen und Schülern durch, die kurz darauf unter dem Titel „Ostdeutsche Jugend – ihr Verhältnis zu Ausländern und zu einigen aktuellen politischen Problemen“ publiziert wurde. Als langjährige Forscher konstatierten die drei Autoren eine Verschlechterung des Verhältnisses von Deutschen und ‚Nichtdeutschen‘ seit den 1970er Jahren in der DDR. In den Sozial- und Geschichtswissenschaften wurde die politisch motivierte Abschottung der DDR-Bevölkerung von den Vertragsarbeitern und den politischen Emigranten oft auch als Grund für den pogromartigen Rassismus Anfang der 1990er Jahre interpretiert. An diesen Ergebnissen zeigt sich jedoch einerseits, dass genau in jener Zeit eine Zunahme rassistischer Stereotype zu verzeichnen war, als die Arbeitsmigration in die DDR erst einsetzte. Anderseits existierten rassistische Stereotype gegenüber ausländischen Bevölkerungsgruppen, die in der DDR so gut wie gar nicht präsent waren.

Wie bereits zwei Jahre zuvor, kamen die Sozialforscher auch in dieser Untersuchung zu der Erkenntnis, dass unter den befragten Jugendlichen in der Wahrnehmung von Ausländern milieuspezifische Unterschiede existierten. Die intergenerationale Weitergabe rassistischen Denkens über die Herkunftsfamilien konnten die Mitarbeiter des Jugendinstituts jedoch nur vermuten und zum damaligen Zeitpunkt mit ihrer Methodik noch nicht nachweisen.7 Die Autoren machten mit ihren Ergebnissen zudem auf regionale Unterschiede aufmerksam: So waren Schüler und Lehrlinge aus Dresden negativer gegenüber ‚ausländischen Staatsbürgern‘ eingestellt als jene aus Leipzig. Für weitere historische Forschung bieten diese Erkenntnisse Anknüpfungspunkte, um beispielsweise regionale Unterschiede in Untersuchungen von Kontinuitäten und Brüchen rechten Denkens und rechter Gewalt stärker zu berücksichtigen – wie Theodor W. Adorno bereits in einem 1967 gehaltenen und mehr als 50 Jahre später publizierten Vortrag argumentierte (Adorno 2019).

Ausblick

Es lässt sich historisch gut nachzeichnen, dass in der DDR der Nationalsozialismus und die Shoah nie eine öffentliche Aufarbeitung fanden. Häufig wird das Nicht-Thematisieren und damit die Entlastung der eigenen Bevölkerung als Nährboden für den Rassismus in der DDR der 1970er und 1980er Jahren gedeutet, der sich im Verlauf der ‚Vereinigungskrise‘ pogromartig Bahn brechen konnte. Ohne diese Kritik und Einordnung negieren zu wollen, greift sie doch zu kurz und schafft dort Dichotomien, wo eher Ambivalenzen vorherrschen.

Die DDR war eine postfaschistische Gesellschaft, deren politische Führung – die SED – mit der These, der ‚Monopolkapitalismus‘ habe den deutschen Faschismus ermöglicht, eine sehr verkürzte Analyse der historischen Entwicklungen zur Grundlage ihrer Staatsräson machte. Das kann heute berechtigterweise nicht nur als falsch, sondern als fatal bezeichnet werden. Trotz dessen mutet aktuelle Kritik am politischen Umgang mit Rassismus und Rechtsradikalismus in der DDR zuweilen seltsam an: zum einen, wenn versucht wird, diese als ursächlich in der DDR zu verorten und zum anderen, wenn die Kritik dazu genutzt wird, eher geschichtspolitisch zu wirken. So erscheint das Thema des ‚ostdeutschen Rechtsradikalismus‘ nicht nur als probates Mittel, die DDR, sondern auch aktuelle – politisch als links zu verortende – Positionen zu diskreditieren. Verstellt wird dadurch der Blick auf offene Fragen und Widersprüche, die historisch nachzuzeichnen wären und hier nur kurz angedeutet werden können.

Walter Süß kam 1993 zum Schluss, dass es eine Illusion sei, dass sich in den Akten des MfS „die geheime Geschichte eines straff organisierten Rechtsextremismus verbirgt“ (Süß 1993). Zwar hatte, wie Andreas Förster in seinem Buch „Zielobjekt Rechts“ darstellt, das MfS den westdeutschen Rechtsextremismus im Blick, aber Hinweise auf derartige Strukturen in der DDR fanden sich bis dato nicht (Förster 2018). Ist es der SED möglicherweise gelungen, einen solchen zu verhindern? Spätere westdeutsche Rechtsterroristen wie Arnulf Priem, der 1974 die gleichnamige Wehrsportgruppe gründete, und Uwe Behrendt, der 1980 als Bundesbürger den Verleger Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin erschoss (vgl. Wehrhahn/Renner 2020), waren bereits als DDR-Bürger politische Häftlinge, die jedoch von der Bundesrepublik freigekauft wurden. Noch immer sind dabei viele Frage ungeklärt: Weswegen wurden sie in der DDR verurteilt? Wer hat diese Freikäufe initiiert? Welche Verbindungen existierten zwischen ost- und westdeutschen Rechtsradikalen bereits in den 1970er und 1980er Jahren?

Diese offenen Fragen deuten nur an, wie komplex sich eine Rekonstruktion von Kontinuitäten und Brüchen rassistischer Ressentiments und rechter Gewalt innerhalb der zwei deutschen postfaschistischen Gesellschaften gestaltet. Belegen lassen sich – wie dieser Beitrag zeigen sollte – für die DDR der späten 1980er Jahre rassistische Übergriffe und weit verbreitete Ressentiments ebenso wie der Beginn, das Thema ‚Rechtsradikalismus‘ in Arenen der Gegenöffentlichkeit aufzugreifen. Aussagen darüber zu treffen, ob die DDR-Bevölkerung insgesamt rassistischer war als jene anderer Staaten oder ob heutige Ressentiments noch auf das geistige Erbe der DDR zurückzuführen sind, erweisen sich eher als geschichtspolitisch motiviert, denn als empirisch belegbar.

 

1 Einen Einblick geben u. a. Eingaben, die in Form von Briefen an das Staatssekretariat für Arbeit und Löhne gesendet wurden und heute in Berlin-Lichterfelde archiviert sind.

2 Die Eingabe und die Dokumente zu deren Bearbeitung sind im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde archiviert.

3 In unterschiedlichen Quellen, bspw. soziologischen Untersuchungen, aber auch in Eingaben und belletristischen Darstellungen, wird der hohe Alkoholkonsum als gesellschaftliches Problem in der Spätphase der DDR dargestellt.

4 In Form von über 100 meist in einem lokalen Kontext berichtenden Untergrundzeitschriften.

5 So zitierte Brück (1988b: 24) in der zweiten Studie den kritischen Sozialwissenschaftler Igor Semenovič Kon mit den Worten: „Das traurigste besteht meiner Meinung nach darin, wenn wir anhand von Kleinigkeiten erziehen, zur Beachtung von Bekleidungs- und Frisörvorschriften, wir im großen verlieren können.“ Brück schlussfolgerte, dass die sicherheitspolitische Behandlung des Skinhead-Phänomens Probleme entschärfen, aber auch dramatisieren könnte.

6 36 % von 486.

7 Es wird durch die Studien deutlich, dass abhängig von Berufsstatus und Geschlecht enorme Varianzen im Antwortverhalten existierten: 25 % der männlichen Befragten gaben an, meist oder nur schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht zu haben, dagegen ‚lediglich‘ 13 % der jungen Frauen. Ebenso gestalteten sich die unterschiedlichen Antworten zwischen Schülern und Lehrlingen: 16 % der Schüler und Schülerinnen gaben an, hauptsächlich schlechte Erfahrungen gemacht zu haben, dagegen stehen 31 % der Lehrlinge.

 

 

Literatur

Adorno, Theodor W. (2019): Aspekte des neuen Rechtsradikalismus: Ein Vortrag. Unter Mitarbeit von Volker Weiß. 4. Auflage. Suhrkamp: Berlin.

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