„Ich trau mich nicht mehr auf die Straße“ – Neonazistischer Alltag im Erfurter Herrenberg und seine Bekämpfung

Der Ortsteil Herrenberg im Erfurter Südosten ist ein Beispiel für neonazistische Geländegewinne. Seit Anfang der 2010er-Jahre verfügen Rechtsextremist*innen über Räumlichkeiten und Immobilien, die sie als Treffpunkt und Veranstaltungsort nutzen (Best et al. 2017: 53f.). Im Laufe der Jahre haben sich Agitationsformen, Strukturen und Vorgehen immer wieder den veränderten Bedingungen angepasst. In den letzten Jahren regte sich aber zunehmend Widerstand gegen diesen Zustand. Zivilgesellschaftliche und staatliche Interventionsformen führten nach jahrelangen Auseinandersetzungen nun zur Schließung der rechtsextremen Agitationsräume.

Einleitung

Im Erfurter Stadtteil Herrenberg verdeutlichen sich rechtsextreme Strategiemuster und eine Normalisierung der rechtsextremen „Erlebniswelt“. Neben klassischen Parteiveranstaltungen sprechen Freizeit- und Sportangebote seit Jahren junge Menschen an und führen sie an die Strukturen und die Gedankenwelt der Rechtsextremen heran. Die Normalisierung der neonazistischen Akteure ist damit weit vorangeschritten, der Stadtteil „Angstzone“ für mögliche Opfer rechter Gewalt (Quent 2013). Ermöglicht wurde diese Entwicklung auch durch eine mangelhafte soziale Infrastruktur und wenig Widerspruch. Seit einigen Jahren allerdings sind zivilgesellschaftlicher Widerspruch und staatliche Reaktionen deutlicher zu hören und kulminieren nunmehr im Entzug zweier Agitationsräume. Vor diesem Grund rekapituliert der Artikel rechtsextreme Geländegewinne und die damit einhergehenden Transformationsprozesse in der Szene. Im zweiten Teil fokussiert der Artikel sodann die demokratischen Gegenbewegungen und zeigt auf, wie eine aktive Stadtteilarbeit und der Entzug der Immobilien zur aktuellen Situation führen. Am Schluss steht eine kritische Bilanz, die davor warnt, nun die Geschehnisse im Stadtteil wieder aus den Augen zu verlieren.

Rechtsextremismus im Erfurter Herrenberg seit 1990

Probleme mit Rechtsextremismus am Herrenberg sind über die Stadtgrenzen Erfurts hinaus bekannt (siehe u. a. UNGLEICH magazin 2019). Der Stadtteil steht exemplarisch für ein Erstarken rechtsextremer Kräfte in Thüringen, ermöglicht durch strategische Flexibilität der Szene und sich langfristig entwickelnde situative und standortbezogene Faktoren. Bis Ende der 1980er-Jahre war der Herrenberg mit seinen Neubauten ein beliebtes und belebtes Stadtviertel mit diversen Angeboten, von Geschäften über Freizeitgestaltung bis hin zu einem regen gesellschaftlichen Miteinander. In den 1990er- und 2000er-Jahren zogen jedoch viele Anwohner*innen fort, mit den Jahren verschwanden die Freizeitangebote und das gesellschaftliche Miteinander kam zum Erliegen. Solche Abwertungen von Stadtteilen in den Jahrzehnten nach der Wende bereiten den Nährboden für das Erstarken der rechtsextremen Szene an verschiedenen Standorten. Der Herrenberg entwickelte sich schließlich Ende der 2000er-Jahre durch die Kneipe „Kammwegklause“ zu einem wichtigen Standort für die rechtsextreme Szene. In den Räumlichkeiten fanden Konzerte mit Neonazibands statt, sie wurden zudem als NPD-Bürgerbüro und Bekleidungsgeschäft der Szene genutzt. 2015 mieteten sich die Akteure mit dem neu gegründeten Verein „Volksgemeinschaft Erfurt“ (später als „Neue Stärke“) in einer ehemaligen Kaufhalle ein, die im Laufe der Jahre auch von der rechtsextremen Kleinstpartei Der III. Weg genutzt wurde.

Während Ende der 2000er-Jahre klassische rechtsextreme Strategien wie Parteiaktivitäten, Demonstrationen und Konzerte zentral waren, vollzog die Szene in den folgenden Jahren einen Strategiewechsel. So verstärkte man die Ansiedlung einflussreicher Neonazikader (Klein 2020), was sich im Fall des Erfurter Herrenbergs u. a. in der Präsenz der Rechtsextremen Enrico Biczysko und Michel Fischer zeigte. Beide sind führende Personen der Vereine vor Ort, Biczysko ist bekannt durch seine wechselnde Aktivität in verschiedenen rechtsextremen Parteien und sein Mitte der 2010er-Jahre für die NPD errungenes Stadtratsmandat (UNGLEICH magazin 2019; Mobit 2019). Darüber hinaus forcierte man eine Etablierung „sozialer“ Angebote, die bereits von der Enquete-Kommission Ursachen und Formen von Rassismus und Diskriminierung in Thüringen (2017) beschrieben wurde. Dieses vermeintlich bürgerliche Auftreten ist besonders in Gegenden erfolgreich, in denen die rechtsextreme Szene auf geringe zivilgesellschaftliche Gegenwehr trifft (ebd.: 147). Auch die sogenannte „Volksgemeinschaft“ versuchte mit Angeboten wie Kraft- und Kampfsport, einer abendlichen Öffnung ihrer Immobilie für Bar- und Partybetrieb sowie Hausaufgabenbetreuung und Musikunterricht insbesondere Jugendliche und Kinder anzusprechen, über die schließlich ganze Familien erreicht wurden (Hessenauer 2020). Darüber hinaus bot der Verein kostenlos Unterstützung bei Amtsgängen und zuletzt Einkaufshilfen in der Corona-Pandemie sowie die einzige Bibliothek im Stadtteil an (ebd.). So wurden mit den Angeboten Menschen aller Altersklassen auch in der Mitte der Gesellschaft erreicht. Während sich einige Besucher*innen des rechtsextremen Hintergrundes der Angebote nicht bewusst waren oder diesem gleichgültig gegenüberstanden, resultierte für viele (vor allem Jugendliche) ein sukzessiver Einstieg in die rechtsextreme Szene. Diese pflegte nach innen ein starkes soziales Miteinander und schürte nach außen ein Klima der Angst. So wurden Außenstehende unter Druck gesetzt und soziale Alternativangebote, wie das Stadtteilzentrum, Opfer rechtsextremer Angriffe, die bis hin zum Einsatz von Reizgas gegenüber Schulsozialarbeiter*innen reichten (Hessenauer 2020).

Sozialstrukturelle Kennziffern wie die Arbeitslosenquote, die Quote der Empfänger*innen von staatlichen Transferleistungen und die Armutsquote sind am Herrenberg gegenüber dem Stadtdurchschnitt erhöht (ebd.). Ein solches Sozialprofil steht häufig im Zusammenhang mit ausgeprägten rassistischen und rechtsextremen Ressentiments (Michelsen et al. 2017), es sollte jedoch nicht als Ursache rechtsextremer Strukturen fehlinterpretiert werden. Die Strukturschwäche des Herrenbergs ist vergleichbar mit anderen Randbezirken Thüringer Städte, die keine vergleichbaren rechtsextremen Strukturen aufweisen. Daher scheinen andere Standortfaktoren entscheidender. Hier ist einerseits eine Stigmatisierung des Herrenbergs und eine Vernachlässigung durch politische Akteur*innen zentral, verbunden mit hoher Politikverdrossenheit und geringer Wahlbeteiligung. Andererseits haben der Abbau sozialer Infrastruktur und das mangelnde gesellschaftliche Miteinander Angebotslücken entstehen lassen, die Rechtsextremist*innen besetzen konnten (Michelsen et al. 2017: 135ff.). So konnte sich die Szene als „sozialer Kümmerer“ (Hessenauer 2020) inszenieren und über Jahre eine Normalisierung von Rechtsextremismus im Stadtteil fördern (Quent 2013: 59ff.). Gerade in den 1990er- und 2000er-Jahren wurde es versäumt, dem entgegenzutreten und durch Alternativangebote ein gesellschaftliches Miteinander wieder zu stärken. Wie der Vergleich mit anderen Wohnquartiere mit erhöhten sozialen Problemlagen deutlich zeigt, kann eben dies entscheidend für den Erfolg in der Stadtteilarbeit gegen rechts sein (ebd.). Die Normalisierung der Szene macht es zivilgesellschaftlichen Akteur*innen bedeutend schwerer, ihre sozialen Angebote erfolgreich umzusetzen und mit ihnen die Menschen aus dem Einflussbereich der extremen Rechten zurückzuholen.

Reaktionsweisen

„Vor ein paar Jahren fing das an, da zogen immer mehr so in die Gegend. Das hat man schon gemerkt, da haben wir uns schon ein bisschen bedroht gefühlt, wenn so viele Nazis hier in der Gegend wohnen.“ (ARD 2020) Das Zitat einer Anwohnerin verdeutlicht die beklemmende Situation im Quartier. Es zeigt Angst und Einschüchterung, aber auch den Mut der Anwohnerin, öffentlich darüber zu sprechen. In der Tat haben sich in den letzten Jahren zivilgesellschaftliche und zunehmend staatliche Akteure aufgemacht, gegen die Normalisierung der rechtsextremen Szene im Erfurter Herrenberg anzugehen. Zwei zentrale Handlungsfelder, die die Auseinandersetzung am Herrenberg charakterisieren, beschreiben die folgenden Abschnitte.

Aktive Stadtteilarbeit: Quartiersmanagement und Jugend- und Sozialarbeit

Normalisierungsgewinne rechtsextremer Strukturen gelingen vor allem dort, wo es an demokratischen Strukturen fehlt, wo sich staatliche Institutionen, Jugend- und Sozialarbeit sowie Kulturangebote zurückziehen und rechtsextreme Deutungsangebote unwidersprochen bleiben. Im Quartier ist soziale Infrastruktur durchaus vorhanden, allerdings nicht immer in ausreichendem Maße, in optimaler Qualität bzw. in einer für die Anwohner*innen attraktiven Form. Soziale Träger sind mit Einrichtungen vor Ort und einige Vereine sind hier angesiedelt. Auffällig ist aber der schlechte bauliche Zustand der städtischen Einrichtungen (Entwicklungskonzept: 32ff.), der dazu führte, dass die Bibliothek 2012 geschlossen werden musste, und die fehlende Heterogenität der Angebote (Hessenau 2020).

Diese strukturellen Problemlagen sowie die seit vielen Jahren bekannten Auseinandersetzungen mit organisierten Rechtsextremist*innen im Stadtteil führten zu einigen kurz- und langfristigen Veränderungen in der Stadtteilarbeit. 2013 entschied der Erfurter Stadtrat, ein gemeinwesenorientiertes Stadtteilzentrum am Herrenberg zu etablieren. Im daraufhin folgenden Interessenbekundungsverfahren erhielt Plattform e.V. den Zuschlag und etablierte Mitte 2014 das Stadtteilzentrum (STZ), das für Kinder, Jugendliche und Erwachsene Raum zur Entfaltung sozialer und kultureller Projekte bietet. Seit seiner Gründung hat sich das STZ als Anlaufstelle und sozialer Ort des Erfurter Südosten etabliert. Die Sachberichte der Einrichtung weisen jährlich wachsende Besucher*innenzahlen aus und zeigen, dass das Zentrum bereits früh zu einer Anlaufstelle für von rechtsextremen Aktivitäten eingeschüchterte Bürger*innen wurde (Plattform e.V. 2015: 16f.).

Als weitere Maßnahme beantragte die Stadt Erfurt 2015 die Aufnahme ins Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“. Nach erfolgreicher Beantragung stehen dem Erfurter Südosten Fördermittel zur Verfügung. Auch das Quartiersmanagement in Trägerschaft der Arbeiterwohlfahrt (AWO) wird seitdem durch das Programm unterstützt. Einen weiteren Part der aktiven Stadtteilarbeit nimmt seit vielen Jahren die Stadtteilkonferenz ein, ein Netzwerk professioneller Akteur*innen, die „sich gemeinsam für das Wohl und die Weiterentwicklung des Erfurter Südostens einsetzen“ . Das Netzwerk engagiert sich zunächst allgemein für die Weiterentwicklung des Quartiers, zugleich zeigt die Mitwirkung von Akteuren wie ezra, der mobilen Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, dass hier auch eine Problembehandlung stattfindet. Die Konferenz setzt zudem Arbeitsgemeinschaften für Themen ein, die eine dauerhafte Bearbeitung bedürfen – so die AG „Werte und Haltung“, die eine rassismuskritische Entwicklung des Stadtteils in den Blick nimmt.

Hier zeigt sich eine Problemauseinandersetzung, die langfristig, lokal und unter Inanspruchnahme von externen Expert*innen stattfindet. Damit wird ein weiterhin nicht uneingeschränkt, aber sich dennoch positiv entwickelndes Gesamtbild deutlich: Die soziale Infrastruktur hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert. Es ist gelungen, soziale Angebote für Bewohner*innen des Stadtviertels zu verbessern. STZ, Quartiersmanagement und Stadtteilkonferenz sind Akteure vor Ort, die explizit für eine demokratische, rassismuskritische Entwicklung einstehen. Damit haben sich Netzwerke und sichtbare Akteure etabliert, die für eine demokratische Entwicklung des Stadtteils einstehen und diese gegenüber lokalen und regionalen politischen Eliten einfordern.

Interventionen gegen rechtsextreme Immobiliennutzung

Der Zugriff auf Räume und Immobilien ist für die rechtsextreme Szene nach wie vor von nicht zu unterschätzender Bedeutung (Best et al. 2017). Dementsprechend gibt es bundesweit zahlreiche Erfahrungen, wie rechtsextreme Raumnutzung verhindert werden kann (siehe etwa Koch 2009). Gerade staatlichen Strukturen kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Für Thüringen attestiert MOBIT, die Mobile Beratung gegen Rechtextremismus, zwar ein deutlicheres Vorgehen der Behörden in den letzten Jahren, wenngleich das Engagement nicht in allen Fällen von gleicher Intensität sei (Fieber 2020). Erschwerend für die Arbeit der Behörden sind irreführende Ankündigungen von Rechtsextremist*innen und der gerade bei privatrechtlichen Immobiliengeschäften beschränkte Handlungsspielraum. Das Thüringer Innenministerium hat vor diesem Hintergrund eine Broschüre herausgegeben, die kommunale Entscheidungsträger*innen beim Umgang mit rechtsextremen Aktivitäten unterstützen soll (Thüringer Innenministerium 2018). Auch die Förderung von Mobit und anderen Strukturen kann als Teil einer staatlichen Strategie verstanden werden, die präventive, intervenierende und repressive Anteile miteinander verbindet. Dennoch bleibt der Umgang mit rechtsextremen Immobilien eine überregionale Herausforderung, die durch den Austausch von Erfahrungen und die Kommunikation von guter Praxis verbessert werden kann. In diesem Sinne soll nachfolgend die mehrjährige Auseinandersetzung am Erfurter Herrenberg skizziert werden.

Fall 1: Die Kammwegklause

Seit Anfang der 2010er-Jahre organisierten Antifaschist*innen und Bürgerinitiativen Proteste vor der rechtsextrem genutzten Kammwegklause. Sie wiesen öffentlich auf die regelmäßig stattfindenden Konzerte und Veranstaltungen hin und trugen zu einem wachsenden Problembewusstsein bei. Zugleich gab es verschiedentliche Bemühungen, die rechtsextreme Nutzung der Kammwegklause dauerhaft zu beenden. So forderte die Antifaschistische Koordination Erfurt den Vermieter des Gebäudes auf, den Mieter*innen zu kündigen. Die Forderung verhallte. Zwar zeigte sich der Vermieter gesprächsbereit, wollte aber ohne eine Nachmietung des Gebäudes keine Kündigung aussprechen (Thüringische Landeszeitung 2014). Ein Jahr später verhandelte die Stadt Erfurt mit dem Immobilienbesitzer über einen Gebäudetausch (Thüringer Allgemeine 2015). Die Auseinandersetzung sprach aber weniger für die demokratische Verantwortung des Vermieters, sondern mehr für die Priorisierung seiner ökonomischen Interessen. Erst im Herbst 2020 kam es zu einer Lösung: Die Stadt Erfurt gab bekannt, dass die Räumlichkeit nunmehr als Ort der Jugend- und Sozialarbeit genutzt werden soll (Stadt Erfurt 2020). Mittlerweile hat die TAG, eine örtliche Wohnungsgenossenschaft, die Immobilie übernommen und einen langfristigen Mietvertrag mit der Stadt vereinbart.

Fall 2: Nutzung der ehemaligen Kaufhalle

Auch im Fall der ehemaligen Kaufhalle ist die rechtsextreme Nutzung bereits seit Jahren dokumentiert. Berichte über Bedrohungen und Übergriffe im Umfeld der Immobilie wurden immer wieder öffentlich (InSuedthueringen.de 2020). Zuletzt wurden im August 2020 drei Männer direkt vor der Immobilie brutal angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Um die Raumnutzung durch die „Neue Stärke Erfurt“ zu beenden, appellierten, ähnlich wie im Fall der Kammwegklause, immer wieder verschiedene Akteur*innen an die Immobilienfirma, die das Gebäude besitzt. 2020 wollte sich die Firma schließlich von ihren rechtsextremen Mieter*innen trennen und den geschlossenen Zeitmietvertrag beenden. Dafür musste sie zunächst einen Rechtsstreit für sich entscheiden (MDR 2020a). Zur vorgesehenen Räumung im Herbst kam es nicht; die Immobilienfirma räumte den Mieter*innen eine Übergangsfrist ein (Thüringer Allgemeine 2020). Nach diesem Entgegenkommen wurde die Er­furter Zivilgesellschaft erneut aktiv. Das Bündnis „Auf die Plätze“ wandte sich mit einem offenen Brief an die Vermieter*innen. Schließlich endete die Präsenz des „Neue Stärke Erfurt“ e.V. im Dezember 2020 kurz vor der Zwangsräumung. Nach Aussagen des Ortsteilbürgermeisters Hans-Jürgen Czentarra stehe der Verkauf der Immobilie unmittelbar bevor, für die künftige Nutzung sei ein Betreiber von Pflegeeinrichtungen interessiert (Thüringer Allgemeine 2020). Thüringens Innenminister Georg Maier und Erfurts Bürgermeister Andreas Bausewein kündigten bei ihrem Besuch im Stadtteil die Gründung eines Demokratienetzwerks an (MDR 2020b). Bis Ende des Jahres 2020 wurden dazu jedoch keine weiteren Informationen öffentlich.

Damit ist auch die zweite Immobilie im Stadtteil Herrenberg der Nutzung durch Rechtsextremist*innen entzogen. Wie die Schilderungen verdeutlichen, waren in beiden Fällen jahrelange Verhandlungen und vor allem Druck der Zivilgesellschaft notwendig, um die Situation schließlich zu verändern. Zum Teil schalteten sich Kommunalpolitiker*innen wie der Ortsteilbürgermeister in die Verhandlungen ein. Auch die Stadt Erfurt beteiligte sich an der Suche nach neuen Mieter*innen. Dennoch äußerten sich Akteur*innen des Stadtteils immer wieder enttäuscht bezüglich der Unterstützungsleistung aus der Lokal- und Landespolitik. Ein Vertreter von Mobit wies etwa darauf hin, dass erst öffentlichkeitswirksame Vorfälle 2017 kommunalpolitische Aufmerksamkeit auf sich zogen und zu gezielten Maßnahmen führten (UNGLEICH magazin 2019).

Fazit: aktuelle Herausforderungen und Lernprozesse

Die Situation am Erfurter Herrenberg beschreibt die langfristige Entwicklung eines Stadtteils mit rechtsextremen Raumgewinnen. Den Boden dafür bereitete u. a. die mangelhafte soziale Infrastruktur und städtische Jugend- und Sozialarbeit sowie eine noch relativ schwache Zivilgesellschaft. Das Auftreten der Rechtsextremist*innen zeigte sich exemplarisch für eine in ihrer Strategie flexibler werdenden Szene, die sich verstärkt durch soziale Angebote in einem bürgerlichen Milieu zu profilieren versuchte. Ab den 2010er-Jahren sind vermehrte Bemühungen der Auseinandersetzung und Intervention dokumentiert. Sie verdeutlichen ein spannungsreiches und langwieriges Zusammenwirken zivilgesellschaftlicher und staatlicher Maßnahmen. Ende 2020 ist die viele Jahre andauernde Präsenz rechtsextremer Strukturen am Erfurter Herrenberg zunächst beendet. Damit schwindet die Bedeutung der Szene im Quartier. Gleichwohl darf nicht davon ausgegangen werden, dass die jahrelange Aktivität folgenlos bleibt. Vor allem dürfen die Wunden bei Anwohner*innen und Betroffenen nicht aus dem Fokus geraten, die unter jahrelanger Einschüchterung gelebt haben und für die die Bedrohung nicht allein durch die Immobiliennutzung beendet sein dürfte. Vor diesem Hintergrund gilt es, die Situation weiterhin dauerhaft im Auge zu behalten und nachhaltige Präventions- und Interventionsstrukturen zu verankern. Die aktivere Stadtteilpolitik der letzten Jahre ist ein Schritt in die richtige Richtung. Weitere Unterstützungsleistungen und vor allem eine kontinuierliche Umsetzung von angekündigten Maßnahmen müssen folgen. Nur so kann der Erfurter Herrenberg nicht nur als ein deutschlandweites Beispiel für die Normalisierungsgewinne von agilen Rechtsextremist*innen gelten, sondern auch als ein Beispiel für die Rückeroberung des Sozialraums für die Demokratie.

 

 

Literatur

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Hessenauer, Jonas (2020): Ich trau mich nicht mehr auf die Straße – Über den Umgang mit rechtsextremen Akteuren am Herrenberg. (Vortrag, Erfurt, 15.09.2020).
InSuedthueringen.de (2020):

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Nach Angriff am Herrenberg: Debatte um Rechtsextremismus in Erfurt. Online: www.mdr.de/thueringen/mitte-west-thueringen/erfurt/herrenberg-rechtsextremismus-100.html [30.12.2020].


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