Melanie Bittner:
Frau Professorin John, zum Einstieg habe ich zwei Fragen: Warum sollten wir uns Ihrer Meinung nach mit Hasskriminalität beschäftigen? Und: Wie weit ist Deutschland mit diesem Thema im internationalen Vergleich?
Barbara John:
Ich habe es mir angewöhnt, bei solchen Veranstaltungen zu versuchen, immer einen Schritt zurückzutreten und zu fragen: Was machen wir hier eigentlich? Wieso sitzen wir hier und beschäftigen uns mit einem Thema, mit dem eigentlich nur wir uns beschäftigen? Wenn Sie mit diesem Thema rausgehen würden in irgendein Geschäft und fragen: „Wissen Sie was Hate Crime ist?“ und „Wissen Sie was Hate Speech ist?“, dann würden Sie natürlich sehr fragend angeguckt werden und gar nichts erfahren. Wir beschäftigen uns damit, weil wir einen sehr steilen Weg vor uns haben – einen langen, steilen Weg, den es in der Geschichte Europas und auch in der Geschichte Deutschlands so noch nicht gab. Und nach dem, was Barbara Perry1 erzählt hat, ist es so, dass selbst die Länder, die zu den klassischen Einwanderungsländern gehören, offensichtlich ähnliche Probleme haben: nämlich in einer Gesellschaft, die täglich bunter, diverser und offener wird, einen Weg zu finden, wie man diskriminierungsfrei und gewaltfrei zusammenleben kann. Das heißt aber nicht konfliktfrei – im Gegenteil, wir brauchen Konflikte, aber wir müssen sie wirklich ausdiskutieren. Das ist eine der neuen Herausforderungen, die es vorher so noch nicht gab. Die Kanadier_innen, die Amerikaner_innen, die Neuseeländer_innen, die Australier_innen und manche andere Länder sind uns da weit voraus. Insofern ist es kein Wunder, dass wir ihre Konzepte übernehmen, jedenfalls in großen Teilen, und sie auf unsere Lebensverhältnisse abstimmen.
Melanie Bittner:
Wie sind Sie dazu gekommen, sich beruflich mit Diskriminierung und Gewalt gegen Minderheiten zu beschäftigen?
Barbara John:
Ich beschäftige mich jetzt 43 Jahre lang mit diesem Thema. Ich hatte keine Ahnung, dass es so lange dauern würde. Ich hätte es mir so auch nicht vorgestellt, aber ich habe angefangen damit, als ich in den 70er Jahren an der Freien Universität in Berlin Hochschulassistentin war und Kinder in Deutsch als Zweitsprache ausgebildet habe. Ich war vorher Englischlehrerin und wusste, wie wichtig Sprache für den Erfolg in einer Gesellschaft ist. Als ich damit anfing, das zu unterrichten, habe ich gemerkt, wie rückständig wir waren, weil dieses Fach Deutsch als Fremdsprache in der Schule überhaupt keine Rolle spielte: „Och, wir machen einfach weiter Deutsch als Muttersprache. Das kennen wir Lehrer_innen alle und wir geben den Kindern Diktate und ob die nun richtig hören können, ist ja piep-egal. Das ist das Curriculum und das ziehen wir durch.“ Und da war mir natürlich schon klar: Diese Gesellschaft konnte wenig anfangen mit den Migrant_innen, die sie eingeladen hatte, und es würde lange dauern, bis sich das ändert. Und es würde nicht nur sehr lange dauern, sondern es ist ein sehr steiniger Weg, das merken wir jetzt. Und wir wissen auch noch nicht, wie es ausgehen wird. Ich hoffe natürlich, dass es gut ausgehen wird, eigentlich haben wir hier alle Voraussetzungen dazu. Aber wir müssen – jetzt kommt das berühmte Sisyphos-Bild – den Stein nach oben rollen, auf die neue Höhe, um von da aus gemeinsam weiterzugehen. Ob er wieder runterrollt, das wissen wir nicht. Es sieht gerade etwas wackelig aus.
Melanie Bittner:
Sie arbeiten auch für die ECRI2. Warum wurde diese Institution gegründet? Was sind ihre Ziele und wie wird konkret gearbeitet?
Barbara John:
Ich bin angefragt worden, ob ich für Deutschland die Ländervertretung übernehmen würde. ECRI ist das Akronym für European Commission Against Racism and Intolerance, die 1993 gegründet wurde. Sie können sich vermutlich vorstellen, warum sie damals gegründet wurde. Erinnern Sie sich an Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln und Hoyerswerda? Das war die Situation, jedenfalls in Deutschland, die wir Anfang der 90er Jahre vorgefunden haben, als es zu einem hohen Anstieg von Asylbewerber_innen kam. Auf den Unmut und die Aggressionen, die sich entwickelt haben, sowohl in den neuen Bundesländern als auch in den alten Bundesländern, Solingen und Mölln sprechen dafür, reagierte die Bundesrepublik mit der Änderung des Artikels 16 im Grundgesetz. Das wissen Sie alle oder haben das inzwischen natürlich sehr präsent.
Daraufhin ist auf europäischer Ebene die Kommission gegründet worden. Man merkte damals: Wir müssen jetzt etwas tun, und zwar nicht allein nationalstaatlich, sondern europäisch. Der Europarat hat sich der Sache angenommen und die 47 Länder, die im Europarat zusammengeschlossen sind, dazu gebracht, dass jedes Land eine_n Vertreter_in in dieses Gremium schickt. Also sind wir 47 Ländervertreter_innen. Wir kommen dreimal im Jahr zusammen und tauschen uns in Plenarsitzungen darüber aus, was wir gemacht haben und welche neuen Entwicklungen es im Bereich Diskriminierung von Minderheiten gibt.
Sie wissen, anhand welcher Merkmale Menschen geschützt werden sollen: Das ist die sogenannte „Rasse“3, also ethnische bzw. nationale Herkunft, Hautfarbe usw., auch Staatsbürgerschaft, Religion, Sprache, sexuelle Orientierung. LGBTI ist eine relativ neue Kategorie. Auf europäischer Ebene war ECRI diejenige Institution, die mit ihrer Arbeit und ihren Kontakten versucht hat, homosexuelle Menschen und Trans-Menschen zu schützen. Dafür werden Konzepte entwickelt, die die beteiligten Staaten dann umsetzen können.
Melanie Bittner:
Mit welchen Instrumenten arbeitet ECRI?
Barbara John:
Da sind erstens die Länderberichte (Country by Country-Reports): Alle fünf Jahre wird jedes Land von einer Gruppe von zwei Berichterstatter_innen besucht. Unsere Ansprechpartner_innen sind die Regierungen und lokale NGOs. Ich sage es ausdrücklich: Wenn es hier Vertreter_innen von NGOs gibt und wenn Sie Interesse daran haben, dass diese Länderberichte auch Ihre Beschwerden enthalten oder das, was Sie zu sagen haben, dann schreiben Sie uns. Das ist sehr wichtig, denn die NGOs sind die ersten, die wir treffen, bevor wir uns zu den Regierungsstellen begeben. Natürlich gehen wir auch zu offiziellen staatlichen Stellen, beispielsweise zu Gleichstellungsbeauftragten, den Innen- und Justizministerien und zu anderen Ministerien, die für das Thema mitverantwortlich sind. Mein letzter Besuch beispielsweise war vor einem Jahr in Schweden. Dort herrschen gerade schwierige Verhältnisse. Es war damals schon zu sehen: dass die Sverigedemokraterna-Partei4 sehr stark zunehmen wird, obwohl Schweden, wie ich finde, die größten Anstrengungen unternimmt, um das zu verhindern, aber es gelingt nicht. Das zweite Instrument ist: Standards setzen. Standards setzen heißt: Institutionen und Gesetze sind nötig, um Minderheiten zu schützen und um ein friedliches Zusammenleben möglich zu machen. Diese Standards werden in den sogenannten allgemeinen politischen Empfehlungen (General Policy Recommendations) gesetzt. Wir haben inzwischen 17 Empfehlungen herausgegeben.
Melanie Bittner:
Welche weiteren Ergebnisse der Arbeit von ECRI gibt es?
Barbara John:
Dazu will ich Ihnen eine neue und sehr interessante Veröffentlichung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (European Union Agency for Fundamental Rights, FRA5) vorstellen: „Die Dokumentation von Hasskriminalität und die Praxis der Datensammlung in der EU“6. Angestoßen haben wir das u. a. durch eine Empfehlung, die wir damals im fünften Berichtszeitraum für Deutschland abgegeben haben. Diese Empfehlung lautete: Deutschland müsse unbedingt Phänomene wie Hate Speech und Hate Crime genauer beobachten und dokumentieren. Denn das, was in Deutschland passiert ist, die lange unerkannte Mordserie durch den NSU, ist auch genau darauf zurückzuführen: auf mangelnde Dokumentation und Beobachtung. Die Vorstellungen, dass rechtsextreme Täter_innen immer einen Brief in der Tasche haben, der ihre Absichten erklärt oder dass sie im Internet bekennen „Wir waren’s, die das gemacht haben!“, sind aus Sicht von ECRI geradezu absurd.
Sie sehen also: Impulse, die von ECRI kommen, werden in den Ländern aufgenommen und dann in den Berichten dokumentiert. Im Anschluss, wenn der Länderbesuch beendet ist, werden zwei Empfehlungen an die besuchten Länder gegeben, die sie innerhalb von zwei Jahren erfüllen oder eben nicht erfüllen.
Zur besseren Beurteilung der Fortschritte bei der Umsetzung der gegebenen Empfehlungen erstellen wir seit fünf Jahren übrigens sogenannte Zwischenberichte (Interim Reports). Deutschland hat den Auftrag von ECRI bisher nicht erfülllt, Hate Crime- und Hate Speech-Dokumentationen einzurichten für Menschen mit ihren geschützten Merkmalen. Wir beginnen 2018 den 6. Berichtszyklus und werden die Forderungen wieder erheben. Anfang 2019 besucht ECRI Deutschland und ich kann Sie nur auffordern: Wenn Sie Interesse haben, schreiben Sie uns als NGO an und bitten Sie ggf. auch um einen Besuch durch die Länderbeobachter_innen.
Melanie Bittner:
Welche anderen allgemeinen politischen Empfehlungen von ECRI sind aus Ihrer Sicht bedeutend?
Barbara John:
Die „Einrichtung, Errichtung und Funktionsweise von Gleichbehandlungsstellen“ war Empfehlung Nummer 2.7 Ich habe ja gesagt: Für ECRI ist es wichtig, institutionelle und gesetzliche Standards zu setzen. Und diese allgemeine politische Empfehlung sagt: Wenn ihr nicht spezielle Stellen schafft, wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die Stellen der Gleichstellungsbeauftragten oder wie diejenige, die ich damals für 22 Jahre innehatte, zuerst als Ausländer_innenbeauftragte und später als Integrationsbeauftragte, wie wollt ihr dann überhaupt wissen, was los ist? Wer soll euch das sagen, wer soll kreativ sein und Ideen in die Verwaltungen bringen, aber natürlich auch in die Regierungen, wenn diese Stellen nicht existieren?
Diese Stellen müssen bestimmten Bedingungen unterliegen. Sie müssen absolut unabhängig sein. Sie müssen unabhängig sein von Parteien, von Parlamenten und von Regierungen. Überprüfen Sie selbst, Sie kennen solche Stellen, wie weit das der Fall ist. Das ist sehr schwer, aber das sind die idealen Standards, die wir setzen wollen. Unabhängigkeit ist eine Kernkompetenz. Solche institutionalisierten Stellen müssen mit den Mitteln ausgestattet sein, die sie brauchen, um mit den Medien zusammenzuarbeiten und ihre Botschaften, ihre Existenz in die Communities zu vermitteln. Sie müssen auch personell so breit gefächert sein, dass sie die größten Gruppen, die im Land vertreten sind, aber auch die kleineren Gruppen vertreten können, sich für sie einsetzen und sie unterstützen. Und sie müssen Funktionen übernehmen, z. B. juristische Klagen führen.
Melanie Bittner:
Gibt es allgemeine politische Empfehlungen von ECRI, die sich mit institutionellem Rassismus auseinandersetzen?
Barbara John:
Ja, auf eine weitere allgemeine politische Empfehlung möchte ich kurz eingehen: Empfehlung Nummer 11 betont, wie wichtig, ja geradezu zentral die Zusammenarbeit zwischen den Minderheiten und der Polizei ist. Ich selbst hatte am Anfang sehr viele Kontakte in die Vereinigten Staaten, ich war in Ottawa in Kanada und oft in England. Dort kam der Scarman-Report (1981)8 heraus, nach den „riots“ bzw. Aufständen in Birmingham, London und anderen Städten. Später kam der Macpherson-Report (1999)9, in dem versucht wurde, das Verbrechen an Stephen Lawrence aufzuarbeiten, der 1993 aus rassistischem Hass ermordet wurde. Nach dem Lesen der Berichte wurde mir klar, wie wesentlich es ist, wie die Menschen, die über Macht verfügen, Kontrollfunktionen ausüben und das Gewaltmonopol haben, von Minderheiten wahrgenommen werden und wie sie Minderheiten ansprechen. Wenn das misslingt, dann kommt es zu „riots“ und zu Spannungen, die kaum wieder zu kitten sind.
Ich will noch einen Moment bei Stephen Lawrence bleiben. Er war ein junger Mann schwarzer Hautfarbe, den in London drei Weiße an einer Haltestelle durch Messerstiche getötet haben (1993). Das hat zunächst einen Aufschrei gegeben. Aber dann ist es wieder versickert, nach dem Motto: „Naja, kommt vor …“. Aber diejenigen, die drangeblieben sind und gekämpft haben, waren die Eltern von Stephen Lawrence. Und so wurde ein paar Jahre später eine staatliche Untersuchungskommission (Royal Commission) unter der Leitung von William Macpherson eingesetzt, die 1999 ihren Bericht veröffentlichte. Darin wurde Scotland Yard „Institutioneller Rassismus“ vorgeworfen. Mit den mehr als 70 Reformvorschlägen begann ein Kulturwechsel in Großbritannien. Seine Reformvorschläge veränderten nicht nur Scotland Yard, sondern auch das Land, indem das Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheiten, insbesondere bei der Polizeiarbeit, grundlegend verändert wurde.
Ich war kürzlich bei einer Konferenz der deutschen Polizei. Da habe ich mich sehr gefreut, dass das Thema auch bei der Polizei hierzulande inzwischen eine Rolle spielt. Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, wie wesentlich die Bekämpfung von institutionellem Rassismus in der Polizei ist, dann empfehle ich Report Nr. 1110.
Melanie Bittner:
Welche weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung von rassistischer Gewalt halten Sie für notwendig?
Barbara John:
Die Bekämpfung von Rassismus, Gewalt und Diskriminierung durch das Strafrecht ist wichtig, doch das reicht nicht aus. Wichtig ist beispielsweise auch die Vorurteilsbekämpfung – da gibt es eine Menge Programme in Deutschland, z. B. „Demokratie Leben“, „Schule ohne Rassismus“. Das sind ganz wichtige Programme zur Vorurteilsbekämpfung. Wie erfahren Kinder und Schüler_innen bereits in der Schule, dass man nur verlieren kann, wenn man sich bekriegt, wenn man Vorurteile entwickelt, wenn man Feindbilder hat? Das sind Programme, präventive Programme, die letztendlich dazu beitragen können, Hasskriminalität zu verhindern. Natürlich brauchen wir die Bekämpfung von nationalsozialistischen Ideologien, die Bekämpfung des politischen Rassismus. Wir brauchen eine wehrhafte Demokratie, Verfassungsschutzbehörden, Verbote von Parteien, wenn sie undemokratisch sind, auch das haben wir. Aber was ist, wenn die Sicherheitsbehörde selbst bei der Aufklärung versagen, wie beim NSU-Terror geschehen? Das ist es nach wie vor, was die Opfer der NSU-Verbrechen weiter beschäftigt.
Melanie Bittner:
Wie schätzen Sie den Umgang mit der NSU-Aufarbeitung in Thüringen ein, dem Bundesland, in dem der NSU entstanden ist?
Barbara John:
Ein lobendes Wort zu Thüringen: Es ist das Bundesland, das sich – ich würde sagen beispielhaft – zu seiner Verantwortung bekannt hat. Es hat nicht nur einen sehr schonungslosen Untersuchungsbericht zum NSU vorgelegt, über 2.000 Seiten, sondern jetzt noch einmal beschlossen, die Opfer in einer großzügigen Weise zu unterstützen. Der Verlust eines menschlichen Lebens ist durch Geld natürlich nicht gutzumachen. Aber die Opfer von tödlichem Rassismus, und Rassismus ist tödlich, wie wir gesehen haben, verlieren nicht nur einen geliebten Angehörigen, sondern sie stürzen häufig auch in einen materiellen Abgrund. Das vergessen die Menschen immer, aber Thüringen hat das getan und insofern bin ich da sehr dankbar und die Familien sind es auch.
Melanie Bittner:
Was kann eine Gesellschaft ingesamt gegen Hassgewalt unternehmen?
Barbara John:
Das ist gerade etwas, das uns beschäftigt. Die Bekämpfung von Hass, Diskriminierung und Vorurteilen ist wichtig. Ich würde sagen: Sie ist nicht nur erforderlich, sondern geradezu zwingend, um als Gesellschaft der symbolischen Botschaft von Hasskriminalität etwas entgegenzusetzen. Hasskriminalität bzw. vorurteilsmotivierte Kriminalität sendet eine Botschaft gerade an die Minderheiten. Diese Botschaft ist absolut ernst zu nehmen, weil sie das Existenzrecht von Menschen infrage stellt. Das ist das Schlimmste, was passieren kann. Solche Taten nach § 46 StGB werden deshalb bei der Strafzumessung schärfer beurteilt als nicht vorurteilsmotivierte Straftaten. Wir wissen aus der Forschung: Ein Hassverbrechen gegen einen Minderheitenangehörigen trifft ihn in seiner Existenz. Wenn einem Deutschen so etwas passiert, das passiert auch, dann ist die Familie immer noch zur Mehrheit zugehörig. Wenn ein Mitglied einer Minderheit dasselbe Schicksal erleiden muss, dann fühlt er sich nicht nur ausgeschlossen, sondern er fühlt sich verloren, ihm ist der Boden unter den Füßen abhandengekommen. Er sagt, und das ist auch in diesen NSU-Fällen so, aber in manchen anderen auch: „Ich bin das Opfer, mein Mann, mein Bruder oder mein Vater war das Opfer, und zwar nur deshalb, weil er diese und jene Gruppeneigenschaften hat.“ Was sollen Menschen in einer solchen Situation denken? Es ist auch bei jüdischen Deutschen häufig der Fall, die mit sehr aggressivem Antisemitismus konfrontiert sind. Insofern müssen wir, wenn wir eine diskriminierungsfreie und gewaltfreie Gesellschaft aufzubauen gedenken, über diese Dinge sprechen und dabei die nicht strafrechtlichen Methoden oder Ansätze im Blick behalten.
Melanie Bittner:
Was ist Ihrer Meinung nach noch wichtig, um in unserer Gesellschaft erfolgreich gegen Diskriminierung und vorurteilsmotivierte Gewalt vorzugehen?
Barbara John:
Es ist wichtig, Kontroversen herauszuarbeiten und trotzdem weiterzumachen. Es gibt nicht „die Guten“ und „die Bösen“. Wir sind hier zusammen in diesem Land, wir müssen hier zusammen leben. Das werden wir nur schaffen, wenn ein großer, ein überragender Teil der Mehrheit, der hier lebt, in Dialog tritt. Und dazu gehören längst auch die vielen Einwander_innen. Denken Sie an die Gastarbeiter_innengeneration, denken Sie an die Aussiedler_innen aus russischsprachigen Gebieten, die die Sache wieder anders sehen. Wir müssen Dialoge führen über Gesinnungsgrenzen und Haltungsgrenzen hinweg. Ich denke, nur so können wir diesen Berg, diesen steilen Weg, den wir vor uns haben, gemeinsam schaffen.
1 Anmerkung der Redaktion: vgl. Beitrag „Hasskriminalität: Erfassung und Kontexte aus internationaler Perspektive“ von Barbara Perry in diesem Band.
2
Anmerkung der Redaktion: vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte (o.J.): Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI). Online: www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsinstrumente/europarat/europaeische-kommission-gegen-rassismus-und-intoleranz-ecri/ [15.10.2018].
3
Anmerkung der Redaktion: Zur Kritik und Problematik der direkten Übersetzung von „race“ mit „Rasse“ statt „ethnischer Herkunft“ vgl. u. a. Cremer, Hendrik (o.J.): Zur Problematik des Begriffs Rasse in der Gesetzgebung. Online: heimatkunde.boell.de/2008/11/18/zur-problematik-des-begriffs-rasse-der-gesetzgebung [18.10.2018].
4 Anmerkung der Redaktion: die rechtspopulistischen Schwedendemokraten.
5 Anmerkung der Redaktion: mehr über die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte online unter:
fra.europa.eu/de [15.10.2018].
6
Anmerkung der Übersetzerin: Die Broschüre „Hate Crime Recording and Data Collection Practice Across the EU“ zum Download: fra.europa.eu/en/publication/2018/hate-crime-recording [15.10.2018].
7
Anmerkung der Redaktion: vgl. Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (o.J.): Errichtung und Funktionsweise von Gleichbehandlungsstellen. Online: rm.coe.int/ecri-s-allgemeine-politikempfehlung-nr-2-zentrale-punkte-errichtung-un/16808b765a [18.10.2018].
8 Anmerkung der Redaktion: vgl. Scarman, Leslie G. (1986): The Scarman report: the Brixton disorders 10-12 April 1981: report of an inquiry. Penguin: Harmondsworth.
9 Anmerkung der Redaktion: vgl. Macpherson, William (1999): The Stephen Lawrence Inquiry, Cm. 4262–I.
10
Anmerkung der Redaktion: vgl. Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (2007): Allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 11 von ECRI – Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in der Polizeiarbeit. Online: rm.coe.int/ecri-general-policy-recommendation-no-11-on-combating-racism-and-racia/16808b5ade [17.10.2018].