Aktuelles aus der Forschung: Bereich „Rechtsextremismus- und Demokratieforschung“

In der Rubrik „Aktuelles aus der Forschung“ präsentieren wir Kurzzusammenfassungen ausgewählter aktueller wissenschaftlicher Publikationen internationaler Autor*innen. Vorgestellt werden wissenschaftliche Studien, Artikel und Bücher aus dem Bereich „Rechtsextremismus- und Demokratieforschung“. Die Inhalte der jeweiligen Publikationen werden entweder zusammengefasst wiedergegeben und/oder es werden Passagen direkt aus den angegebenen Originalquellen zitiert; diese Stellen sind dann mit Anführungszeichen versehen.

Decker, Oliver et al. (2024). Vereint im Ressentiment: Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen. Leipziger Autoritarismus Studie 2024

Über die Publikation

In der im Zweijahresrhythmus erscheinenden Studie stehen 2024 die Einstellungsfacetten Antisemitismus, Sexismus und Antifeminismus, Demokratieverdrossenheit sowie die sozialen Bedingungen für diese Ressentiments im Mittelpunkt.

Methode

Die Studie basiert auf einer repräsent. Bevölkerungsbefragung (2.502 Personen befragt, darunter 500 in Ostdeutschland). Die Interviews werden schriftlich in den Haushalten der Befragten geführt. Im Zentrum der Erhebung steht der „Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung in der Leipziger Form“.

Zentrale Befunde

Wie die Autor*innen konstatieren, nimmt die Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland ab. In den ostdeutschen Bundesländern sei die Zufriedenheit mit der Demokratie so gering wie zuletzt 2006. Verdrossenheit mit den Parteien und Politiker*innen und fehlende Möglichkeiten der Partizipation wurden am häufigsten genannt. Im Westen Deutschlands habe die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen deutlich zugenommen und nähere sich mittlerweile den Einstellungen im Osten an. Auch Antiamerikanismus, Antikapitalismus und Trans*feindlichkeit seien weit verbreitet. Erstmals wurden „postkolonialer“ und „antizionistischer“ Antisemitismus untersucht: 13,2 % der Befragten stimmen voll und ganz zu, dass es besser wäre, „wenn die Juden den Nahen Osten verlassen würden“.

Die vollständige Publikation finden Sie hier:

https://www.boell.de/de/leipziger-autoritarismus-studie

Quelle

Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Heller, Ayline/Brähler, Elmar (Hg.). (2024). Vereint im Ressentiment: Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen. Leipziger Autoritarismus Studie 2024. Gießen, Psychosozial-Verlag.

 

Castelli Gattinara, Pietro/Pirro, Andrea L. P. (2024). Movement Parties of the Far Right: Understanding Nativist Mobilization

Über die Publikation

Das Buch bietet empirische Einblicke, inwiefern die extreme Rechte in Europa ihren Einfluss über Protest ausbreitet. Die Autoren fokussieren Bewegungsparteien, die sie als nativistische kollektive Akteure verstehen, die mit nicht-konventionellen Methoden europäische Gesellschaften von Grund auf verändern wollen.

Methode

Die Autoren wählen einen pluralistischen und interdisziplinären Ansatz, um sich der Frage zu nähern, wie sich die extreme Rechte in der Protestarena aufstellt. Sie schaffen einen längsschnittlichen und vergleichenden Überblick über die Dynamik von Bewegungen und Wahlen, indem sie auf Grundlage von Primärquellen und Medienberichterstattung Protestevents von zehn rechtsextremen Bewegungsparteien analysieren. Unter ihnen sind die italienische Casa Pound, die Bulgarische Nationalbewegung (VMRO) und die griechische Goldene Morgenröte. Mit Blick auf das Funktionieren dieser hybriden Organisationen vergleichen sie die Organisationsfähigkeit, die internen Entscheidungsfindungsprozesse und die Mobilisierung von nahestehenden Netzwerken.

Zentrale Befunde

Die Autoren argumentieren wider die künstliche Trennung von Straßenmobilisierung und institutioneller Politik. Sie attestieren ein Verschwimmen der Arenen und betonen, wie dieselben Akteure sich sowohl auf der Straße als auch im Parlament beweisen müssten. Sie widersprechen damit Ansätzen in der Forschung, die argumentieren, dass eine Institutionalisierung und damit auch eine Anpassung an die parlamentarischen Spielregeln der einzige Weg für rechtsextreme Bewegungsparteien zum Überleben ist. Vielmehr müssten die Auswirkungen von nativistischen Impulsen rechtsextremer Bewegungsparteien und damit einhergehende potenzielle Verschiebungen des gesellschaftlichen Diskurses bereits als Bewegungsziele verstanden werden.

Die vollständige Publikation finden Sie hier:

https://academic.oup.com/book/58876

Quelle

Castelli Gattinara, Pietro/Pirro, Andrea L. P. (2024). Movement Parties of the Far Right: Understanding Nativist Mobilization. Oxford, Oxford University Press.

 

Fielitz, Maik et al. (2024). Social-Media-Partei AfD? Digitale Landtagswahlkämpfe im Vergleich

Über die Publikation

Wie digital affin trat die AfD in den ostdeutschen Landtagswahlkämpfen 2024 auf? Das Arbeitsheft der Otto-Brenner-Stiftung greift die Frage auf und untersucht vergleichend, wie sich die AfD in Sachsen, Brandenburg und Thüringen digital aufstellte.

Methode

Über eine Metadatenanalyse wird untersucht, welche Reichweiten relevante Akteure auf TikTok erzielten und inwiefern sich die Performanz unterschied. Netzwerkanalysen auf TikTok und Telegram ermöglichen es nachzuvollziehen, in welchem Verhältnis die AfD zu ihrem politischen Vorfeld steht. Die politische und thematische Inszenierung der Partei wird auf Grundlage von 40 Wahlkampfveranstaltungen betrachtet, die auf YouTube live gestreamt wurden. Hierbei sind sowohl die digitale Teilnahme an den Events über die Live-Kommentierung von Interesse als auch das thematische Agenda-Setting. Für die Analyse der digitalen Wahlwerbung werden Daten der Werbebibliothek des Meta-Konzerns ausgewertet. Der Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz wird über qualitative Zugänge untersucht.

Zentrale Befunde

Die Kurzvideo-Plattform TikTok wurde vielfach als Erfolgsfaktor der AfD gehandelt. In der Tat ist die Partei hier massiv vertreten. Viele AfD-Accounts sind jedoch von einem digitalen Amateurismus geprägt und sprechen eher ältere Generationen an, als dass sie Inhalte produzieren, die für eine junge Zielgruppe relevant wären. Die Junge Alternative spielte für die Erregung medialer Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle. Die Provokation mit extremen rassistischen und migrationsfeindlichen Aussagen – transportiert auch über generative Künstliche Intelligenz – trug zur besseren Sichtbarkeit der Partei bei. Bezahlte Wahlwerbung auf Instagram und Facebook spielte hingegen bei der AfD vergleichsweise keine Rolle. Unterschiede zeigten sich regional in der Vernetzung mit dem politischen Vorfeld, das in Brandenburg besonders stark und in Sachsen eher schwach ausgeprägt war.

Die vollständige Publikation finden Sie hier:

https://www.otto-brenner-stiftung.de/social-media-partei-afd/

Quelle

Fielitz, Maik/Sick, Harald/Schmidt, Michael/Donner, Christian (2024). Social-Media-Partei AfD? Digitale Landtagswahlkämpfe im Vergleich. Frankfurt a.M., Otto-Brenner-Stiftung.

 

Noah Marschner et al. (Hg.). 2024. Contested Climate Justice – Challenged Democracy: International Perspectives

Über die Publikation

Der internationale Sammelband ist die abschließende Publikation des Forschungsprojektes Internationaler Rechtspopulismus im Kontext globaler ökologischer Krisen, das am Teilinstitut Jena (IDZ Jena) des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt von 2020–2024 durchgeführt wurde.

Methode

Der interdisziplinäre englischsprachige Band bündelt 3 konzeptionelle Beiträge, 11 Länderperspektiven und vielfältige methodische Zugänge von 23 Autor*innen. Er führt Einstellungen, Diskurse, Agitationen, historische Bedingungen und aktuelle Dynamiken aus unterschiedlichen Regionen der Welt zusammen, welche effektiven Klimaschutz verhindern, verzögern, verlangsamen oder konterkarieren.

Zentrale Befunde

Dieser Band sensibilisiert dafür, dass nicht nur ihr Ursprung, sondern auch die Art und Weise, wie wir der Klimakrise begegnen, untrennbar mit Fragen von Demokratie und Menschenrechten verbunden sind. Dafür legt der Band ein Augenmerk auf das Zusammenspiel von Klimaschutzpolitik, Klimagerechtigkeit und demokratischem Zusammenhalt. Der Band thematisiert die klimaschutzregressiven, antidemokratischen und (extrem) rechten Politiken und Einstellungen in der Bevölkerung westlicher Industrienationen und beleuchtet sie nicht nur in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten, sondern auch vor der Entstehung globaler Ungleichheiten. Perspektiven u. a. aus Ländern wie Chile, Brasilien und Zimbabwe, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind, zeigen, welche Auswirkungen die historisch gewachsenen und fortgeschriebenen Muster von Ungleichheit und Ausbeutung auf ihre aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen im Hinblick auf Demokratie und Klimaschutzengagement haben. Der Band beleuchtet zudem aktuelle globale Verflechtungen durch Exportzentriertheit und Externalisierung der Klimakrise sowie durch Ressourcengewinnung und -ausbeutung im Zuge der aktuellen „Energiewende“ westlicher Gesellschaften.

Die vollständige Publikation finden Sie hier:

https://www.campus.de/ebooks/wissenschaft/soziologie/contested_climate_justice_challenged_democracy-18364.html

Quelle

Noah Marschner/Richter, Christoph/Patz, Janine/Salheiser, Axel (Hg.). (2024). Contested Climate Justice – Challenged Democracy: International Perspectives. Gesellschaftlicher Zusammenhalt 9. Frankfurt, Campus.

 

Schilk, Felix (2024). Die Erzählgemeinschaft der Neuen Rechten. Zur politischen Soziologie konservativer Krisennarrative

Über die Publikation

Die Erzählgemeinschaft der Neuen Rechten ist eine überarbeitete Fassung der Dissertation des Autors und erschien im August 2024. Der Band ist Open Access erhältlich.

Methode

Schilk hat einen umfangreichen Materialkorpus von 440 Ausgaben dreier zentraler französisch- und deutschsprachiger neurechter Zeitschriften analysiert: die Sezession, der Criticón und der Èlèments. Die Untersuchung des Materials fand mithilfe der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) statt, die nach den Maßgaben der Grounded Theory offen und rekursiv das vorliegende Material kodiert und so Analysekategorien erst synthetisiert und hervorbringt. Zur Verdeutlichung der Analyse verdichtet Schilk im Buch Auszüge aus 43 der analysierten Artikel auf eine 12-seitige Krisennarration. Die Fokussierung auf Frankreich und Deutschland findet statt, da die (deutsche) Neue Rechte sich an der (französischen) Nouvelle Droite orientiert. Deren Intellektuelle sind bis heute auch hier zentrale Stichwortgeber neurechter Gruppen.

Zentrale Befunde

Nach Schilk bedient sich die Neue Rechte stets der drei gleichen konservativen Krisennarrative: Entzweiung, Dekadenz und Apokalypse. Er unterzieht diese Narrative einer Tiefenanalyse und stellt ihre Verwendung in prototypischen Storylines sowie ihre Funktionen dar. Außerdem lassen sich die Narrative positiv und negativ wenden: So kann etwa das Narrativ der Apokalypse negativ/bewahrend oder positiv/revolutionär genutzt werden. Auch die narrativen Anschlüsse, die Schilk darstellt, sind vielfältig: So können etwa esoterische Erzählungen von einem holistischen Weltbild problemlos an eine Entzweiungserzählung anknüpfen, bekannte antisemitische weltverschwörerische Narrative unmittelbar an Krisennarrative der Apokalypse. Das Buch kann für Interessierte auch als schnelles Nachschlagewerk für die Geschichte des Konservatismus und die Geschichte der Neuen Rechten dienen.

Die vollständige Publikation finden Sie hier:

https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-7471-2/die-erzaehlgemeinschaft-der-neuen-rechten/?number=978-3-8394-7471-6&c=313000000

Quelle

Schilk, Felix (2024). Die Erzählgemeinschaft der Neuen Rechten. Zur Soziologie konservativer Krisennarrative. Bielefeld, transcript.