Einleitung

Die zivilgesellschaftliche, politische, wissenschaftliche und mediale Auseinandersetzung mit Rassismus in Deutschland hat ihr jahrzehntelanges Nischendasein hinter sich gelassen. Dies ist vor allem den emanzipatorischen Kämpfen und dem zivilgesellschaftlichen Engagement der Menschen zu verdanken, die selbst von Rassismus betroffen sind. Beharrlich haben sie eingefordert, dass die Gesellschaft (selbst-)kritisch die facettenreichen Problemlagen des Rassismus wahrnimmt und erkennt, sich mit den Ursachen und Folgen von Rassismus beschäftigt.

Die zivilgesellschaftliche, politische, wissenschaftliche und mediale Auseinandersetzung mit Rassismus in Deutschland hat ihr jahrzehntelanges Nischendasein hinter sich gelassen. Dies ist vor allem den emanzipatorischen Kämpfen und dem zivilgesellschaftlichen Engagement der Menschen zu verdanken, die selbst von Rassismus betroffen sind. Beharrlich haben sie eingefordert, dass die Gesellschaft (selbst-)kritisch die facettenreichen Problemlagen des Rassismus wahrnimmt und erkennt, sich mit den Ursachen und Folgen von Rassismus beschäftigt. Dies reicht von systematischen Defiziten des Staates, Schutz vor rassistischen Hassverbrechen und deren angemessene Ahndung zu gewährleisten über alltägliche rassistische Diskriminierung sowie institutionalisierte und strukturelle Formen der Benachteiligung. Auch die beständige Aufklärungsarbeit gegen die Verbreitung von Rassismus als gesellschaftliche Ungleichwertigkeitsideologie, über ihre historischen Ursprünge und ihren Zusammenhang mit dem Erstarken politischer Kräfte, in deren Programmatik die Exklusion von Teilen der Bevölkerung nach ethnokulturellen oder gar biologistischen Identitätsdefinitionen zentralen Stellenwert besitzt, gehört zu den zivilgesellschaftlichen Verdiensten. All die genannten Aspekte werfen die Frage nach dem Verhältnis zwischen gesellschaftlichem Zusammenhalt und Rassismus auf, nach den zugrunde liegenden normativen Postulaten – und nicht zuletzt nach den Herausforderungen, die sich aus rassismuskritischen Diskursen ergeben. Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), dessen Jenaer Teilinstitut das IDZ ist, hat sich die Aufgabe gestellt, nach wissenschaftlich fundierten Antworten zu suchen und dabei eine Brücke zwischen Zusammenhalts- und Rassismusforschung zu schlagen.

Auch in der Rassismusforschung ist das Verständnis von Rassismus nicht ausschließlich enggeführt auf vorurteilsgeleitetes individuelles Handeln und Denken, sondern wird als systemimmanent und gesellschaftlich prägende Ungleichwertigkeitsideologie verstanden, die wiederum Einfluss auf das Handeln und Denken der Menschen hat. Im wissenschaftlichen Fokus stehen dabei Diskurse, Phänomene und Erfahrungen des individuellen, institutionellen bzw. strukturellen Rassismus sowie seine Auswirkungen auf gesellschaftliche Teilhabe und soziale Ungleichheit, aber auch seine historischen Kontinuitäten und deren Aufarbeitung. Um diese Forschung stärker mit einer interdisziplinären Zusammenhaltsforschung zu verknüpfen, sind theoretische, empirische und (ideen-)geschichtliche Zugänge ebenso hilfreich wie die Untersuchung konkurrierender normativer Orientierungen, Konzepte sozialer Identitäten sowie emanzipatorischer Bewegungen und Praktiken. Rassismussensible Forschung braucht dabei den Dialog mit jenen innerhalb und außerhalb der Forschungslandschaft, deren Lebensrealitäten durch Rassismus beeinflusst ist.

Ziel der IDZ-Fachtagung „Gesellschaftlicher Zusammenhalt & Rassismus“ vom 9. bis 10. Dezember 2021 war es, die Verknüpfung zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Forschungsansätzen, Fragestellungen und interdisziplinären Forschungstraditionen voranzutreiben. Im vorliegenden Tagungsband, der als 11. Band der IDZ-Schriftenreihe „Wissen schafft Demokratie“ erscheint, sind die einzelnen Vorträge und Formate als schriftliche Beiträge zusammengefasst: Zur Eröffnung des Tagungsbandes leitet ein Interview mit Manuela Bojadzijev in die Geschichte der Rassismusforschung in Deutschland ein und macht u. a. auf ihre Prekarität, strukturellen Probleme und neuen Herausforderungen aufmerksam.

Session I der Tagung widmete sich der Frage „Teil haben – Teil sein?! Oder: Kann Verwaltung machtkritisch sein?“ Linda Kelmendis, Kathrin Leipolds & Stefan Schlagowsky-Molkenthins Beitrag ergründet, inwiefern Konzepte der Rassismus- und Machtkritik die Ausrichtung der Integrationsarbeit auf Partizipation flankierend unterstützen können. Anhand von Fallbeispielen aus der integrationspolitischen Verwaltung werden rassistisch diskriminierende Situationen beschrieben, aus denen Potenziale der Konzepte „Empowerment“ und „Powersharing“ für die Verwaltungspraxis abgeleitet werden.

Session II stand unter der Frage „Wer spricht? Partizipation im Kontext von Diversität und Migrantisierung“. Yonca Dege & Sascha Nicke stellen in ihrem Beitrag das Forschungsprojekt „Wer kann mitmachen?“ vor, in dem mithilfe einer mehrsprachigen, repräsentativen Befragung von Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte die Hürden zur politischen Beteiligung für Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland untersucht wurden. Die Ergebnisse zeigen u. a., dass Menschen mit Migrationsgeschichte häufiger strukturelle Barrieren in der politischen Beteiligung erfahren. Amani Ashour präsentiert in ihrem Beitrag Ergebnisse einer Medienanalyse und zeigt auf, dass innerhalb des Diskurses über gesellschaftlichen Zusammenhalt in deutschen Zeitungsartikeln vor allem die Vielfaltsdimension der geografischen Herkunft im Zentrum des Verständnisses von Diversität steht.

Session III widmete sich der Frage: „Neben uns die Sintflut? Klimakrise, Ethnozentrismus und exklusivistischer Zusammenhalt“. Dennis Eversberg schlägt in seinem Beitrag vor, den Begriff des Klimarassismus systematischer zu nutzen, um die Verknüpfung von Klimawandel und -politik mit rassistischen Ideologien und Herrschaftsverhältnissen genauer zu verstehen. Dabei unterscheidet er drei Ebenen: „Klimarassismus“ kann sich beziehen auf a) eine offen vertretene Ideologie, b) auf sozial geteilte Grundhaltungen oder Mentalitäten oder c) auf ein strukturelles Herrschaftsverhältnis. Christoph Richter, Fabian Klinker & Axel Salheiser beleuchten, dass seit Jahrzehnten eine Allianz aus rechtskonservativen, rechtslibertären bis hin zu radikal rechten und verschwörungsideologischen Gruppen die Befunde zum menschengemachten Klimawandel attackiert, und diskutieren die rechte Ideologieproduktion im Kontext der globalen Klimakrise.

Session IV setzte sich mit der „Geschichte und Theorie des Rassismus“ auseinander. Maria Alexopoulou plädiert in ihrem Beitrag für eine breit aufgestellte Rassismusforschung in Deutschland. Rassismus solle dabei nicht mehr primär als Ideologie betrachtet und untersucht werden, sondern als eine mit weiteren historischen Phänomenen verflochtene Praxis, die vielfache Ausprägungen annimmt und sich als Form der Vergesellschaftung historisch verändert und adaptiert. Felix Axster betrachtet in seinem Beitrag das bisweilen schwierige Verhältnis zwischen Rassismus- und Antisemitismuskritik. Ausgehend von einem Text des Soziologen und Antisemitismusforschers Detlev Claussen aus dem Jahr 1994 zeichnet er zentrale Konfliktlinien zwischen den jeweiligen Disziplinen bzw. aktivistischen Milieus nach. Ines Grau rekonstruiert in ihrem Beitrag auf Grundlage biografisch-narrativer Interviews Rassismuserfahrungen in den Lebensgeschichten ehemaliger Vertragsarbeiter*innen aus Mosambik, die bis heute in Deutschland leben. Damit macht sie den subjektiven Erfahrungshorizont der Rassismusbetroffenen auf die letzten vier Jahrzehnte deutscher Gesellschaftsgeschichte sicht- und hörbar.

In seiner Keynote betrachtet Brian N. Williams am Beispiel der US-amerikanischen Polizeiarbeit den sozialen Zusammenhalt in der US-amerikanischen Gesellschaft und fragt, wie es möglich ist, eine sozial kohäsive Gesellschaft innerhalb der USA hervorzubringen. Auch in der deutschen Öffentlichkeit wird seit geraumer Zeit kontrovers über Rassismus debattiert. Im Gespräch mit Amani Ashour über sein neues Buch „Wozu Rassismus?“ geht Aladin El-Mafaalani u. a. den Fragen nach, was „strukturelle“ und „institutionelle“ rassistische Diskriminierung bedeuten, wie sie definiert werden, was Rassismus mit gesellschaftlichem Zusammenhalt zu tun hat und welche Rolle Konflikte und Konfliktfähigkeit dabei spielen. Die Podiumsdiskussion „Wissenschaftsbasierte Antirassismusarbeit – Handlungspotenziale für Politik, Institutionen und Zivilgesellschaft“ mit Katharina König-Preuss, Tahera Ameer, Martin Thüne & Cornelius Helmert widmete sich der Frage, wie Rassismusforschung in die Bereiche Politik, Institutionen und Zivilgesellschaft hineinwirken kann und nahm die Zusammenarbeit und mögliche offene Potenziale in den Blick.

Session V beschäftigte sich mit „Rassismus in Institutionen“. Gert Pickel & Matthias Middell präsentieren in ihrem Beitrag das FGZ-Verbundprojekt „Rassismus als Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts im Kontext ausgewählter gesellschaftlich-institutioneller Bereiche“ und legen dar: Neben der Erhebung, was als Rassismus angesehen wird, widmen sich verschiedene Fallstudien erstmals in der Breite unterschiedlichen Behörden, um verlässliche Studienergebnisse zum Rassismus in Institutionen vorzulegen. Merih Ates, Sué Gonzalez Hauck, Felicia Lazaridou & Jill Pöggel stellen in ihrem Beitrag den Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) des DEZIM vor. Im NaDiRa stehen die strukturelle und institutionelle Ebene von Rassismus im Mittelpunkt der Betrachtung und werden aus Gesamtbevölkerungs- und Betroffenenperspektive untersucht. Isabelle Stephanblome & Stefan Kroll nehmen die Einrichtung des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus zum Ausgangspunkt und zeigen, dass zahlreiche Maßnahmen die Schaffung bzw. Erneuerung rechtlicher Instrumente vorsehen. Im Beitrag analysieren sie die Bezugnahmen auf Recht im Maßnahmenpaket als Ausdruck der politischen Erwartungen an das Recht.

Der Schwerpunkt der Abschlussdiskussion lag auf der Bedeutung von Rassismusforschung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Yasemin Shooman, Taylan Yildiz & Matthias Quent diskutierten u. a. die Frage, ob Rassismus eine Gefahr für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist, weil er die Menschenwürde des Einzelnen infrage stellt, oder ob Rassismus nicht sogar die Gesellschaft zusammenhält, zum Beispiel, indem er von massiver nationaler, globaler und sozialer Ungleichheit ablenkt und diese rechtfertigt.

Der Tagungsband schließt mit der Rubrik Aktuelles aus der Forschung, in der Zusammenfassungen ausgewählter wissenschaftlicher Publikationen internationaler Autor*innen präsentiert werden – aus den Arbeits- und Forschungsfeldern des IDZ: der Rechtsextremismus- und Demokratieforschung sowie aus der Forschung zu Diversität, Engagement und Diskriminierung.