Rezensionen
‚Weltbürgertum statt Vaterland‘
Antisemitismus im RechtsRock
Timo Büchner, 2017 | 112 Seiten | 12,80 Euro
Edition Assemblage: Münster | ISBN 9783960420330
Als sich im Sommer 2017 rund 6.000 Neonazis im thüringischen Themar versammelten und die Musik einschlägig bekannter RechtsRock-Bands unter dem Titel ‚Rock gegen Überfremdung II‘ mit Hitlergrüßen feierten, war das vielleicht das öffentlichkeitswirksamste, aber weder das erste noch das letzte Ereignis dieser Art. Darauf nimmt Timo Büchner Bezug, wenn er in seinem Buch ‚Weltbürgertum statt Vaterland – Antisemitismus im RechtsRock‘ einleitend auf die Relevanz von Musik für die extrem rechte Szene hinweist.
Seine antifaschistische Motivation erörtert der Autor zu Beginn: Das Buch soll ein Beitrag für eine offene, friedliche Gesellschaft ohne Faschismus und Krieg sein. Nach dem persönlichen Vorwort folgt eine Definition des RechtsRocks und seine Einordnung in die rechtsextreme Szene, die mit einer Beschreibung der vielfältigen neonazistischen Feindbilder und der Rolle des rassistischen Freund-Feind-Schemas abschließt, bevor sich der Autor intensiv mit den antisemitischen Inhalten auseinandersetzt. Er unterscheidet hier zwischen Antijudaismus, Rassenantisemitismus, sekundärem Antisemitismus und Antizionismus, was eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Facetten ermöglicht, ohne in irgendeiner Form zu verharmlosen.
Dabei klärt das Buch nicht nur über offenen Antisemitismus und seine Codes im RechtsRock auf, sondern gibt auch einen allgemeinen Überblick über Geschichte und Entwicklung, wissenschaftliche Einordnung und strafrechtliche Relevanz der Neonazi-Musik. Für Menschen, die sich bisher nicht umfassend oder gar nicht mit der Thematik auseinandergesetzt haben, bleibt das Buch verständlich und bietet zudem eine knappe Einführung in die Strukturen und Agitationsformen rechtsextremer Organisationen. Antisemitismus wird ebenfalls grundständig definiert, in seinen unterschiedlichen Facetten aufgezeigt und seine Erzählungen dekonstruiert, sodass ein Verständnis auch verschlüsselter antisemitischer Codes möglich wird. Damit stellt das im populärwissenschaftlichen Stil gehaltene Buch einen sehr gelungenen Überblick über den Antisemitismus der extremen Rechten in Deutschland dar – anschaulich verdeutlicht am Beispiel ihrer Musik als Sprachrohr, Mobilisierungs- und Politisierungsinstanz.
Im Bemühen, einen möglichst weiten Überblick zu geben und viele ausführliche Zitate zu analysieren, geht die Tiefe der Interpretation etwas verloren. An einigen Stellen wäre eine intensivere Auseinandersetzung wünschenswert, um die neonazistischen, antisemitischen Narrative fundiert zu widerlegen und somit auch Gegenargumente zu liefern. An einigen Stellen werden die rechtsextremen Narrative erfolgreich dekonstruiert und ihre Absurdität sarkastisch aufgezeigt. Davon wünscht man sich mehr, u. a. da die explizit und großzügig vorgebrachten Zitate sonst kaum auszuhalten sind. Das ist allerdings nicht nur eine Frage der Bequemlichkeit, besteht doch auch die Gefahr, dass am Ende die antisemitischen Klischees und Aussagen eher im Gedächtnis bleiben als ihre Gegenrede. Umso dankbarer ist die Leserin angekommen beim – leider viel zu knappen – letzten Kapitel, denn hier wird noch einmal die Zielsetzung des Buches deutlich: durch Wissen um das ideologische Fundament der Nazi-Musik eine Basis schaffen, die es möglich macht, sich „im Netz, auf der Straße und natürlich in der Musik“ (S.101) rechten Inhalten, Personen und Organisationen entgegenzustellen.
Das Land, in dem wir leben wollen – wie die Deutschen sich ihre Zukunft vorstellen
Jutta Allmendinger, 2017 | 271 Seiten | 16,99 Euro
Pantheon Verlag: München | ISBN 978-3570553473
Eigentlich ist immer Vorsicht geboten, wenn ein*e Autor*in ein Buch mit einem Titel veröffentlicht, der verspricht zu sagen, was „die Deutschen“ wollen. Glücklicherweise handelt es sich bei dem vorliegenden Werk nicht um in Seiten gebundenen Zunder für den ‚Volkszorn‘, sondern die Zusammenfassung einer Studie aus den Jahren 2015/2016.
Seinerzeit wollten das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und die Wochenzeitung DIE ZEIT wissen, was die Menschen in Deutschland in den Bereichen soziales Leben, Wohnen, Lebensstil, Berufsleben, Besitz, Liebe und Partnerschaft, Ernährung, Gesundheit sowie Kommunikation und Technik den kommenden Generationen mitgeben wollen und bewahrt wissen wollen – in ihren Worten eine „Vermächtnisstudie –, ausgehend von drei Fragestellungen an die 3.104 Teilnehmenden: „Wie ist es heute?“, „Wie soll es werden?“ und „Wie wird es sein?“
In einem Spagat zwischen akademischem Anspruch und Lesbarkeit verzichtet die Autorin weitgehend auf theoretische und methodische Ausführungen, verschafft dem*der Lesenden aber im ersten Teil des Buches zumindest eine Einführung des Aufbaus der Untersuchung. Spannend hier ist u. a., dass die Befragung in Verbindung mit Geruchs-, Tast- und Hörsinn stattfand. Darüber hinaus differenziert die Studie nach sozio-ökonomischen und demografischen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Migrationserfahrung, Bildung, Region (Ost/West), Kinder, Erwerbstätigkeit und Einkommen. Alles in allem ist der Autorin eine gut lesbare Aufbereitung der Studie gelungen, die sich perfekt für jene eignet, die sich zwar vor dem Zubettgehen inhaltlich beschäftigen wollen, aber eben nicht mehr die Energie haben für allzu akademische Ergüsse. Allen anderen sei die zugrunde liegende Studie der Autorin und ihres Teams empfohlen, auf die auch das Buch verweist.
Großerzählungen des Extremen. Neue Rechte,
Populismus, Islamismus, War on Terror
Jennifer Schnellhöh, Jo Reichertz, Volker M. Heins, Armin Flender [Hrsg.], 2018 | 214 Seiten | Transcript: Bielefeld | ISBN: 9783837641196 | 24,99€
Vor dem Hintergrund, dass vor allem die neuere westliche Geschichte von den ‚großen Ideologien‘ beziehungsweise Großerzählungen wie dem Faschismus beherrscht wurde und sich die Bezeichnung des ‚Zeitalters der Extreme‘ durchsetzte, erscheint es fragwürdig, dass diese Großerzählungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einfach verschwunden seien, auch wenn beispielsweise Francois Lyotard selbiges behauptet (siehe S. 8). Dies wollen die Autor_innen des Sammelbandes „Großerzählungen des Extremen“ widerlegen. So existiert für sie zwar keine übergeordnete große Erzählung mehr, die den internationalen Frieden gefährdet. Sie wollen aber zeigen, dass es weiterhin übergreifende Narrative gibt, die eine vorgefertigte und unflexible Erklärung auf die Welt bieten und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt herausfordern. Es werden vier verschiedene Gruppen von Akteur_innen vorgestellt, die solche Großerzählungen als Ausgangspunkt von ihrem Handeln nutzen. Der Sammelband entstand aus einer Veranstaltungsreihe an der Universität Essen und wurde um wichtige Aspekte erweitert. Gesammelt sollen die Fragen beantwortet werden, wie Großerzählungen konstruiert und in den gesellschaftlichen Diskurs eingeführt werden und welche Handlungsmöglichkeiten daraus resultieren.
Im ersten Abschnitt des Sammelbandes analysieren Jennifer Schnellhöh, Daniel-Pascal Zorn und Thomas Pfeiffer den Ethnopluralismus als Großerzählung der ‚Neuen Rechten‘. Hierbei wird auf der einen Seite das strategische Kalkül beleuchtet, mit welchem die Akteur_innen der ‚Neuen Rechten‘ das Konzept des Ethnopluralismus nutzen, um gesellschaftsfähiger zu werden und Rassismus zu chiffrieren. Auf der anderen Seite geht es um das Konzept des Ethnopluralismus an sich, seine Entstehung und die verschwörungstheoretischen Verbindungen, die damit einhergehen.
Im zweiten Abschnitt beschäftigt sich Armin Flender mit den Wechselwirkungen zwischen Populismus und Demokratie und zeigt dabei die lange Tradition auf, in der Demokratien immer wieder mit Populist_innen zu kämpfen hatten. Claus Leggewie beschreibt den Radikalisierungsprozess von Nichtwähler_innen zu Antidemokrat_innen und gibt klare Handlungsempfehlungen gegen Populismus. Er sieht diesen sogar als eine positive Herausforderung, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die politische Kultur stärken könnte. Paula Diehl beschäftigt sich mit der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Populismus und Massenmedien und zeigt die Auswirkungen auf die politische Kultur der betroffenen Länder auf. Florian Hartleb beleuchtet die jüngsten Entwicklungen des Populismus und kommt zu dem Schluss, dass der Anti-Populismus-Bewegung eine große Erzählung fehle, die diese einen könnte.
Jo Reichertz, Susanne Schröter und Aladin El-Mafaalani analysieren im dritten Abschnitt die Ideologie des Dschihadismus. Der Dschihad wird dabei als eine ‚Ideologie des Krieges‘ beschrieben, die in der gesamten muslimischen Welt verbreitet sei und der nur entgegengewirkt werden könne, wenn eine reflektierte Lesart des Korans die Oberhand gewinne. Des Weiteren wird der Dschihadismus als eine Jugendbewegung untersucht, die zwischen Provokation und Plausibilität steht und deswegen für junge Menschen sehr interessant ist. Der dritte Artikel beschäftigt sich mit dem Islam in den sozialen Medien und zeigt, welche Auswirkungen dieses neue Phänomen auf Jugendliche haben kann.
Der vierte und letzte Abschnitt widmet sich der Großerzählung des ‚War on Terror‘, die vor allem unter den amerikanischen Neocons weit verbreitet ist, aber auch immer wieder den Weg in den gesellschaftlichen Diskurs findet „in so unterschiedlichen Ländern wie Frankreich, Myanmar und der Türkei“ (S.172). Volker M. Heins, Susanne Kirchhoff, Hannah Pfeifer und Alexander Spencer betrachten dabei vor allem Rhetorik, die zur Verbreitung des Konzepts des ‚War on Terror‘ genutzt wird. Der zweite Text beschäftigt sich mit der Vermischung des westlichen Lebensstils und des Dschihadismus. Dies wird anhand der Analyse eines Mobilisierungsvideos von ISIS gezeigt, das mit den typischen romantischen Eigenschaften der amerikanischen Literatur produziert wurde.
Insgesamt bietet der Sammelband einen guten Überblick über die Diskurse von Akteur_innen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt (zer-)stören wollen. Neu sind die Erkenntnisse, die darin vorgestellt werden, aber nicht und es wurde auch verpasst, die Gemeinsamkeiten der Großerzählungen genauer zu analysieren. So bleibt das Buch eine Sammlung von Texten zu einzelnen Themenbereichen der ,Extremismusforschung‘. Auch die unhinterfragte Verwendung des Extremismusbegriffs in allen Artikeln zeigt, dass die ‚gute demokratische Mitte‘ als Mythos weiter im Forschungsdiskurs bestehen bleibt und von den Autor_innen reproduziert wird.