Vorwort WsD9

Mit dem Wort „Krise" können sehr vielfältige Situationen betitelt werden. Im politischen Raum und im Falle der Coronakrise knüpft es gedanklich an die Bankenkrise und die sogenannte Flüchtlingskrise an. Jedoch muss man in der Analyse feststellen, dass die „Coronakrise“ eine andere Dimension hat als die zuvor benannten. Alle diese Krisen können als Systemstörungen analysiert werden, die mehr oder minder zwangsläufig Bestehendes infrage stellen und in jedem Fall schnelle Handlungen und Entscheidungen erfordern. Als Problem kann man grundsätzlich konstatieren: Demokratische Systeme sind aber auf Diskussions- und Aushandlungsprozesse angewiesen, die im Krisenmodus durch die Geschwindigkeit und den Handlungsdruck sehr stark in Mitleidenschaft gezogen werden.

Im Falle der Coronakrise wurden im Gegensatz zu den vorher genannten Krisen jedoch Handlungen erforderlich, die weit über die Krisenbewältigung der Banken- und Flüchtlingskrise hinausgehen. Das allumfassende dieser Systemstörung hat eine Dimension, die in der planerischen Vorwegnahme offensichtlich weltweit nur unzureichend durchdacht wurde. Alle bestehenden Katastrophenszenarien haben dort nicht handlungsleitend wirken können. Es mussten Versatzstücke von Plänen zueinander gebracht und sehr viel ad-hoc entschieden werden.

Insbesondere die Exekutive musste feststellen, dass sie mit ihren Strukturen und Prozessen bei der Bewältigung solcher Herausforderungen auch auf Improvisation angewiesen ist. Vieles wäre ohne das hohe Engagement und den persönlichen Einsatz der Beschäftigten nicht möglich gewesen. Das stellt auch sehr eingespielte Abläufe und Arbeitsweisen infrage und hinterlässt Fragen nach dem Aufbau von Ministerien, Behörden und parlamentarischen Regeln.

Was bedeutet dies nun für die Fragestellung der Demokratiegefährdung? Spätestens seit Anfang der 2000er-Jahre gibt es die Erkenntnis, dass Demokratie kein Selbstläufer ist. Wir müssen sie entwickeln und immer wieder begründen, ohne ihre Grundlagen infrage zu ziehen. Studien wie „Deutsche Zustände“ von Wilhelm Heitmeyer oder der „THÜRINGENMONITOR“ zeigen sehr deutlich, wie sich Einstellungsmuster in den letzten Jahrzehnten immer stärker in Teilen der Gesellschaft hin zu autoritären und menschenfeindlichen Haltungen verändern.

Der Begriff der Demokratie wird bis zur Unkenntlichkeit gedehnt und ein vermeintlicher „Willen des Volkes“ wird als Ersatz herangezogen. Dazu kommt, dass es in Teilen der medialen Wahrnehmung und journalistischen Bearbeitung Vereinfachungen gibt, die komplexe Entscheidungsprozesse immer weniger sichtbar machen und nicht zu ihrer Klärung beitragen. Insofern ist es fast zwangsläufig, dass mit dem vorhandenen Nährboden der Demokratieskepsis oder auch Demokratiefeindlichkeit, die wir seit Längerem beobachten können, und einer so gravierenden und allumfassenden Systemstörung die Zahl derer steigt, die sich autoritären Strukturen zuwenden. Dies sollte nicht entschuldigend verstanden werden, sondern Defizite in der Bearbeitung dieses Themenfeldes verdeutlichen. Auch in anderen Bereichen des politischen Handelns hat die Pandemie Veränderungsbedarf aufgezeigt. Hier seien nur beispielhaft das Gesundheitswesen, die Bildung und die Digitalisierung genannt.

In diesem Sinne bedanke ich mich beim Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft für die geleistete Arbeit und dieses Projekt. Es bietet wichtige Grundlagen zur Erkenntnis und sollte zu einem beherzteren Handeln gegen die Demokratiegefährdung führen. Meine Aufmerksamkeit haben die benannten Problemfelder – und damit auch die Offenheit, noch stärker über Lösungen nachzudenken, die vor der nächsten Systemstörung Veränderungen für das demokratische Miteinander besser befördern.