Einleitung
Das Schwerpunktthema des THÜRINGEN-MONITORs 2020 (Reiser et al. 2021) war die Corona-Pandemie in Thüringen. Seit dem Frühjahr 2020 wird das Leben aller Einwohner*innen Thüringens ebenso wie die öffentliche Debatte von der Pandemie, ihren Folgen sowie den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung beherrscht. Viele dieser Maßnahmen wurden und werden kontrovers diskutiert. Daher standen im THÜRINGEN-MONITOR die Sorgen und Einstellungen der Thüringer*innen bezüglich des Corona-Virus, die Bewertung der Maßnahmen ebenso wie die Folgen der Pandemie für sie selbst, das Gesundheitssystem, die Gesellschaft, Wirtschaft und Demokratie im Zentrum. In den differenzierten Einschätzungen und Bewertungen der Befragten spiegeln sich dabei auch die großen Herausforderungen für die Politik und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Thüringen wider.
Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass der Befragungszeitraum im September und Oktober 2020 in eine Periode bundes- und thüringenweit niedriger Fallzahlen fiel. Zudem war Thüringen – im bundesdeutschen Vergleich – von der ersten Welle nur schwach betroffen. Daher waren bis zum Zeitpunkt der Befragung nur 12 % der befragten Thüringer*innen entweder selbst betroffen oder hatten am Virus erkrankte Personen in ihrem persönlichen Umfeld. Das dramatische Infektionsgeschehen der zweiten Welle, in der Thüringen zu den am stärksten betroffenen Regionen Deutschlands gehörte, setzte erst nach Abschluss der Befragung ein. Dies dürfte das Antwortverhalten der Befragten beeinflusst haben, sodass alle Ergebnisse vor diesem Hintergrund interpretiert werden müssen.
Die Corona-Pandemie in Thüringen: Herausforderung für die Demokratie?
Die gesundheitliche Gefahr durch das Corona-Virus wurde in Thüringen zum Befragungszeitpunkt im September und Oktober 2020 als vergleichsweise gering eingeschätzt: So sah eine deutliche Mehrheit von 72 % der Befragten durch das Virus keine Gefahr für ihre eigene Gesundheit. Ein deutlich höheres gesundheitliches Risiko sahen, den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechend, vor allem jene Thüringer*innen, die über 60 Jahre alt waren und die sich aufgrund von Vorerkrankungen einer Risikogruppe zuordneten. Des Weiteren nahmen diejenigen das Virus verstärkt als gesundheitliche Bedrohung wahr, die selbst oder in ihrem persönlichen Umfeld vom Virus betroffen waren. Da auch andere Studien (Dryhurst et al. 2020) einen signifikanten Zusammenhang zwischen der persönlichen Betroffenheit und einer erhöhten Risikowahrnehmung feststellen, ist anzunehmen, dass durch das dramatische Infektionsgeschehen in der zweiten Welle die Risikowahrnehmung der Thüringer*innen deutlich angestiegen ist.
Auf die offene Frage, was ihnen bei der Bewältigung der Corona-Krise insgesamt am wichtigsten sei, dominierten insbesondere zwei Themen die spontanen Antworten der befragten Thüringer*innen: die Pandemiebekämpfung und der Wunsch nach Gesundheit für sich selbst, aber auch für andere. Außerdem wurde wiederholt die Hoffnung auf eine Rückkehr zur „Normalität“ und auf einen bald verfügbaren Impfstoff gegen das Virus geäußert. Mit Blick auf die Pandemiebekämpfung war die mit Abstand häufigste Forderung, dass die Mitmenschen die zahlreichen Regeln einhalten sollten. Hingegen wurde Kritik an Maßnahmen oder die Forderung nach einer Lockerung deutlich seltener geäußert.
Dies spiegelt sich auch in der insgesamt hohen Akzeptanz der Thüringer*innen für die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wider. So hielten 83 % die Maskenpflicht und 74 % die Kontaktbeschränkungen für sinnvoll bzw. sogar für sehr sinnvoll. Schul- und Kitaschließungen sowie die Schließung von Läden und Restaurants wurden zwar kritischer gesehen, aber dennoch von einer Mehrheit der Thüringer*innen als sinnvoll bewertet. 70 % der befragten Thüringer*innen befürworteten auch generell die Einschränkung von Grundrechten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Diese insgesamt hohe Akzeptanz der Maßnahmen deckt sich mit den Ergebnissen bundesweiter Umfragen und dürfte mit einer hohen Bereitschaft einhergehen, den Regeln auch Folge zu leisten.
Eine geringere Zustimmung erhielt zum Zeitpunkt der Befragung die Impfung als zentrale Maßnahme der Pandemiebekämpfung: Nur knapp die Hälfte der befragten Thüringer*innen gab an, sich impfen lassen zu wollen, während dies knapp ein Fünftel vehement ablehnte. Diese vehementen Impfgegner*innen („auf keinen Fall impfen“) unterschieden sich von den anderen Befragten insbesondere dadurch, dass sie das Virus eher als Grippe verharmlosten und ein deutlich erhöhtes Misstrauen in die zentralen Institutionen – wie das Robert Koch-Institut, die Wissenschaft und die Regierung – hatten. Hingegen speiste sich eine zurückhaltende Einstellung („bin mir unsicher“ und „eher nicht impfen“), die ein Viertel der Befragten äußerte, nicht aus diesen Corona-verharmlosenden Einstellungen. Stattdessen scheint sich diese Zurückhaltung auf Ängste und Unwissenheit über die eingesetzten Impfstoffe zurückführen zu lassen.
Die Belastungen durch die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus sind jedoch in der Thüringer Bevölkerung ungleich verteilt: Für 15 % der Befragten hatte sich die persönliche wirtschaftliche Situation zum Zeitpunkt der Befragung bereits stark verschlechtert, ein Fünftel der Befragten sah eine (sehr) große Gefahr für die eigene ökonomische Lage. Neben Selbstständigen waren insbesondere Arbeiter*innen, Arbeitslose und Personen mit formal niedriger Bildung häufiger betroffen. Damit bestätigten sich auch im THÜRINGEN-MONITOR Befunde, die auf eine Verstärkung bestehender sozialer Ungleichheiten hinweisen. Für ein gutes Drittel der Thüringer*innen war die Pandemie eine Belastung für das Familienleben. Dies trifft insbesondere auf Familien mit Kindern zu. Hinsichtlich der befürchteten Folgen der Corona-Krise dominierte bereits zum Zeitpunkt der Befragung die Sorge der Thüringer*innen vor den wirtschaftlichen Folgen von Pandemie und Shutdown, die mehr als 80 % der Thüringer*innen teilten. Etwas mehr als die Hälfte der Thüringer*innen sah Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und 40 % für das Gesundheitssystem. Etwa ein Drittel der Thüringer*innen befürchtete angesichts der größten Einschränkungen der Grundrechte seit Inkrafttreten des Grundgesetzes in Thüringen große oder sehr große Gefahren für die Demokratie (Abb. 1).
Insgesamt bestand somit eine hohe Akzeptanz der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in der Thüringer Bevölkerung. Trotz der Sorgen um die Auswirkungen der Pandemie auf Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie zeigte sich eine hohe Zufriedenheit mit den handelnden Politiker*innen. Dies ist angesichts der z. T. drastischen Maßnahmen sowie der Einschränkung zahlreicher Grund- und Freiheitsrechte bemerkenswert und zeigt, dass die Thüringer*innen – zumindest zum Zeitpunkt der Befragung im September/Oktober 2020 – zu sehr großen Teilen hinter dem von Politik und Verwaltung eingeschlagenen Weg zur Eindämmung des Virus standen.
Trotz dieser insgesamt hohen Unterstützung äußerte ein nicht unerheblicher Anteil an Thüringer*innen Corona-skeptische Einstellungen: So hielten 35 % der Befragten „das Virus für nicht schlimmer als eine Grippe“. Ein beachtlicher Anteil von 43 % gab an, dass sie ihren Gefühlen mehr vertrauen als Expert*innen. Zudem bewertete eine knappe Mehrheit von 53 % der Thüringer*innen die Medienberichterstattung über das Corona-Virus als „stark übertrieben“. Dass diese Wahrnehmung in Thüringen stärker vertreten wurde als im Bundesdurchschnitt, könnte möglicherweise auch an der geringen Betroffenheit Thüringens während der ersten Welle liegen.
Corona-Skeptiker*innen (d. h. Befragte, die das Virus für nicht schlimmer als eine gewöhnliche Grippe hielten) unterschieden sich in ihren Sorgen und Bewertungen systematisch von den übrigen Thüringer*innen: Sie bewerteten das Virus signifikant seltener als gefährlich (Abb. 2) und akzeptierten auch die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung deutlich seltener. Während die übrigen Befragten zu 87 % die Kontaktbeschränkungen und zu 96 % die Maskenpflicht für (sehr) sinnvoll hielten, lag dieser Anteil bei den Corona-Skeptiker*innen bei lediglich 48 % bzw. 59 %. Dies bedeutet jedoch gleichzeitig: Obwohl die Maske für die Teilnehmer*innen der Anti-Corona-Kundgebungen einen gewissen symbolischen Charakter hat, fand dennoch eine Mehrheit der befragten Corona-Skeptiker*innen die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sinnvoll.
Fast die Hälfte der Corona-Skeptiker*innen glaubte an die pandemiebezogene Verschwörungserzählung, dass „geheime Organisationen“ während der Corona-Krise „großen Einfluss auf die Politik“ haben. Dieses Verschwörungsdenken wurde auch unter Nicht-Corona-Skeptiker*innen von einem erheblichen Anteil der Befragten geteilt. Außerdem sahen Personen mit Corona-skeptischen Einstellungen verstärkt die demokratischen Grundrechte gefährdet, vertraten häufiger die Auffassung, dass es an der Zeit sei, Widerstand gegen die aktuelle Politik zu leisten, und fühlten sich überdurchschnittlich oft in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt. Sie waren auch eher bereit, an einer nicht genehmigten Demonstration teilzunehmen und für die Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt anzuwenden.
Die Ergebnisse des THÜRINGEN-MONITORs verweisen auf eine deutliche Überlappung von pandemieskeptischen und rechtsextremen Einstellungen: Von den rechtsextrem eingestellten Befragten (s. u.) waren knapp zwei Drittel gleichzeitig auch Corona-Skeptiker*innen. Von den Corona-Skeptiker*innen wiederum war ein Drittel rechtsextrem eingestellt, im Vergleich zu 9 % bei den übrigen nicht-skeptischen Thüringer*innen. Auch wenn die Gruppe der Corona-Skeptiker*innen politisch heterogen ist und sie sich selbst auf der politischen Links-Rechts-Achse von ganz links bis ganz rechts verorteten, ist somit die Verharmlosung des Corona-Virus auch in Thüringen besonders stark im politisch rechten Spektrum verbreitet. Diese Verknüpfung von rechtsextremen und Corona-skeptischen Einstellungen stellt also eine besondere Herausforderung für die Demokratie in Zeiten der Pandemie dar.
Corona-skeptische Einstellungen fanden sich einerseits verstärkt bei Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung weder selbst noch im Umfeld vom Virus betroffen waren. Andererseits zeigten sich jedoch auch tieferliegende Gründe. So war die Unzufriedenheit mit dem politischen System und ein Misstrauen gegenüber den Institutionen und politischen Akteur*innen bei Corona-Skeptiker*innen besonders stark ausgeprägt. Insofern scheinen sich pandemieskeptische Haltungen insbesondere aus wahrgenommenen Repräsentationsdefiziten sowie einem Gefühl der politischen Einflusslosigkeit zu speisen.
Allgemeine Einstellungen zur Demokratie, zum Institutionenvertrauen und zur politischen Teilhabe
Trotz dieser beunruhigenden Tendenzen zeigte die Langzeituntersuchung im THÜRINGEN-MONITOR im Jahr 2020 eine weiterhin sehr hohe Unterstützung der Demokratie. 87 % stimmten der Aussage zu, dass „die Demokratie die beste aller Staatsideen“ ist. Die Zufriedenheit mit der Praxis der Demokratie erreichte 2020 mit 68 % sogar den bisherigen Rekordwert seit Beginn der Erhebung im Jahr 2001. Wie in den Vorjahren waren Personen, die sich in einer als gut befundenen persönlichen finanziellen Situation befanden und ein hohes Vertrauen in die Bundes- und Landesregierung hatten, zufriedener mit der Praxis der Demokratie. Doch auch eine zum Befragungszeitpunkt (im Herbst 2020) sehr positive Bewertung der Corona-Politik auf Bundes- und Landesebene erhöhte die Demokratiezufriedenheit der Befragten.
Derselbe positive Trend zeigte sich beim Vertrauen in die zentralen Institutionen des politischen Systems. Insbesondere dem Robert Koch-Institut und der Wissenschaft, die beide in der Corona-Pandemie eine hohe Bedeutung haben, wurde ein sehr hohes Vertrauen entgegengebracht. Lediglich das Vertrauen in die Medien lag auf niedrigem Niveau, da ihnen nur jede*r Vierte vertraute. Bemerkenswert war vor allem ein sprunghafter Anstieg des Vertrauens in die Landes- und Bundesregierung, die jeweils Rekordwerte erreichten: Der Landesregierung vertrauten 53 % der Befragten (2019: 43 %), der Bundesregierung 44 % (2019: 29 %). Dies war vor dem Hintergrund der Regierungskrise im Frühjahr ein überraschendes Ergebnis. Allerdings gelten Krisen gemeinhin als Stunde der Exekutive. Entsprechend ist dieser Anstieg daher nach den Ergebnissen des THÜRINGEN-MONITORs und in Übereinstimmung mit deutschlandweiten Untersuchungen (Bertelsmann Stiftung 2020) vermutlich auf den Einfluss der Corona-Krise zurückzuführen. Damit verbunden sank auch der Anteil der Befragten, die ihre Anliegen nicht mehr wirksam vertreten sahen, deutlich um 15 Prozentpunkte auf 57 %. Dennoch sahen weiterhin viele Thüringer*innen erhebliche Repräsentationsdefizite. So gaben nach wie vor zwei Drittel an, dass sich die Parteien nicht für den Wählerwillen interessieren und sie selbst keinen Einfluss auf das Regierungshandeln hätten.
Letztlich bleibt es somit beim bereits in früheren THÜRINGEN-MONITORen diskutierten Paradoxon: Einerseits gab es eine deutliche Mehrheit der Bürger*innen, die das politische System nicht als responsiv einschätzen und den Eindruck haben, mit ihrem Handeln keinen Einfluss auf die Regierung nehmen zu können. Andererseits gab es ein sehr hohes Maß an Demokratiezufriedenheit, Institutionenvertrauen sowie eine sehr hohe Zufriedenheit mit dem Corona-Krisenmanagement der politischen Akteure – zumindest zum Zeitpunkt der Befragung im Herbst 2020.
Auch die politische Partizipation der Bürger*innen scheint in hohem Maße von der Corona-Pandemie beeinflusst zu sein. So ist die politische Beteiligung im Vergleich zur letzten Erhebung durchgehend und zum Teil sogar erheblich zurückgegangen. Bei fast allen Formen der Beteiligung wurde der bislang niedrigste Wert seit der erstmaligen Erhebung im THÜRINGEN-MONITOR gemessen. Insbesondere Personen, welche die Gefahr durch die Corona-Krise für ihre eigene Gesundheit als groß oder sehr groß bewerteten, waren deutlich seltener bereit, sich politisch zu beteiligen. Wie ausgeführt, wiesen jedoch Personen mit Corona-skeptischen Einstellungen eine erhöhte Bereitschaft zur Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen und zur Gewaltanwendung auf.
Rechtsextreme Einstellungen
Die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen ist in Thüringen 2020 gegenüber 2019 deutlich gesunken. So zeigte das auf der sogenannten Konsensdefinition des Rechtsextremismus aufbauende Messinstrument mit seinen zwei Unterdimensionen Ethnozentrismus und Neo-Nationalsozialismus im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang von 24 % auf 17 % rechtsextrem eingestellter Befragter (Abb. 3). Alle Aussagen zur Erfassung rechtsextremer Einstellungen fanden im Jahr 2020 weniger – z. T. sogar deutlich weniger – Unterstützung als noch 2019 (Reiser et al. 2019: 52). Die stärksten Rückgänge gab es zum einen hinsichtlich der Verharmlosung des Nationalsozialismus. So ging die Zustimmung zur Aussage „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“ von 26 auf 14 % zurück. Zum anderen halbierte sich auch die Zustimmung zur antisemitischen Aussage „Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns“, von 16 auf 8 % (s. u.). Damit waren im langfristigen Vergleich Tiefststände der Verbreitung rechtsextremer Einstellungen erreicht, ohne sie jedoch zu unterschreiten.
Dieser Rückgang macht deutlich, dass insbesondere ethnozentrische Einstellungen externen und situativen Einflüssen unterliegen und entsprechend durch die öffentliche und politische Auseinandersetzung geprägt werden. Mitentscheidend für den Rückgang dürfte einerseits sein, dass die Themen Migration und Integration durch Regierungs- und Corona-Krise eine deutlich verringerte öffentliche Aufmerksamkeit erhielten. Andererseits wurden die Betroffenheit und die Bewältigungsstrategien in der Pandemie zum Befragungszeitpunkt nicht als Verteilungskämpfe zwischen Eigen- und Fremdgruppen wahrgenommen – eine Wahrnehmung, die ein zentraler Erklärungsfaktor ethnozentrischer Einstellungen ist. Die im Jahr 2020 weiterhin rechtsextrem eingestellten Thüringer*innen beurteilten v.a. die politische Bewältigung der Corona-Pandemie deutlich negativer als die übrigen Bürger*innen. Insbesondere die politischen Aspekte beurteilten sie noch etwas negativer als die Corona-Skeptiker*innen ohne rechtsextreme Einstellungen. Diese kritischere bis ablehnende Haltung ist v.a. durch deren schon vor der Corona-Pandemie bestehendes größeres Misstrauen in die Demokratie mit ihren Institutionen und Akteur*innen bedingt. Solche Befragte allerdings, die rechtsextrem eingestellt waren, aber das Corona-Virus als gefährlich einschätzten, bewerteten die politischen Maßnahmen durchaus positiver. Auch wenn diese Gruppe sehr klein war, zeigt sie doch, dass auch rechtsextrem eingestellte Thüringer*innen politisches Handeln nicht nur ideologisch motiviert wahrnehmen. Ob sich daraus eine insgesamt positivere Beurteilung der demokratischen Institutionen und Akteur*innen entwickeln kann, die wiederum rechtsextreme Einstellungen reduziert, wird sich erst auf längere Sicht erweisen.
Einstellungen zu ethnischen, kulturellen und sozialen Minderheiten
Übereinstimmend mit dem Rückgang der rechtsextremen Einstellungen in der Thüringer Bevölkerung sind auch hinsichtlich der Aussagen über ethnische, soziale und kulturelle Minderheitsgruppen bemerkenswerte Veränderungen festzustellen. Negativen Aussagen über Migrant*innen, Jüdinnen und Juden sowie Sinti*zze und Rom*nja wurde seltener zugestimmt als 2019. Die generalisierte Haltung zum Verhältnis von Minderheiten und Bevölkerungsmehrheit veränderte sich ebenfalls: 58 % der Befragten meinten 2020: „Es sollte wieder mehr für die Mehrheit der Leute in unserem Land getan werden als sich um Minderheiten zu kümmern“. 2019 meinten dies noch 66 %. Insgesamt verblieben die Einstellungen gegenüber Minderheiten ambivalent: Einige Zustimmungswerte, bspw. zu Asylsuchenden, verharrten auf vergleichsweise hohem Niveau. Bei einigen Aussagen – wie jenen über Jüdinnen und Juden – stimmten zwar nur Minderheiten zu, aber doch bis zu einem Viertel der Befragten (u. a. israelbezogener Antisemitismus). Bemerkenswert ist der Zusammenhang zwischen der Zustimmung zu pandemiebezogenen Verschwörungsaussagen und der Zustimmung zu antisemitischen Aussagen (Abb. 4).
Aus diesem Zusammenhang kann nicht geschlussfolgert werden, dass entsprechende Befragte tatsächlich „den Juden“ (bzw. einer „jüdischen Verschwörung“) eine Schuld an der Pandemie zugewiesen hätten. Allerdings besteht der Anfangsverdacht, dass für das Antwortverhalten zumindest eine strukturelle Ähnlichkeit bzw. Wesensverwandtschaft von antisemitischen Verschwörungslegenden und pandemiebezogenen Spekulationen und Behauptungen ursächlich war.
Der (vorläufige) Rückgang einiger Zustimmungswerte bezüglich ethnischer, kultureller und sozialer Minderheiten im Jahr 2020 ist erfreulich und lässt auf die Umkehr von Trends hoffen, die in früheren THÜRINGEN-MONITORen beobachtet werden mussten. Dennoch bleibt festzuhalten: In Thüringen besteht weiterhin erheblicher Entwicklungsbedarf hinsichtlich der Akzeptanz von Diversität und des Abbaus von Ressentiments gegenüber „Fremden“.
Fazit
Insgesamt zeigten die Ergebnisse des THÜRINGEN-MONITORs 2020 deutliche Verschiebungen in den politischen Einstellungen der Thüringer*innen zu Demokratie, Partizipation, Rechtsextremismus und Diversität. Neben den positiven Trends – Anstieg der Demokratiezufriedenheit und des Institutionenvertrauens sowie Rückgang rechtsextremer Einstellungen – stellen die Corona-Skeptikerin*innen in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft im Freistaat Thüringen dar: Erstens gefährdet die geringere Akzeptanz der Schutzmaßnahmen die erfolgreiche Bewältigung der Pandemie, da sich dafür möglichst viele Menschen an die Maßnahmen halten müssen. Zweitens ist die festgestellte deutliche Überlappung von Corona-skeptischen und rechtsextremen Einstellungen auffällig. Drittens spiegelt sich in der Verharmlosung des Virus und im Verschwörungsdenken ein tieferliegendes Misstrauen in die Demokratie mit ihren zentralen Institutionen und Akteuren sowie Deprivationserfahrungen wider. Insofern ist dies auch ein Symptom der von einem Teil der Thüringer*innen wahrgenommenen Repräsentationskrise.Die Analysen zeigen, dass die Corona-Pandemie, die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung sowie die (befürchteten) Folgen für Wirtschaft, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt die Perspektiven und Positionen der Thüringer*innen in hohem Maße beeinflusst haben. Zu beachten ist dabei: Die Thüringer*innen waren zum Zeitpunkt der Befragung nur in einem vergleichsweise geringen Ausmaß durch die Krankheit betroffen. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich das dramatische Infektionsgeschehen und seine Folgen in Thüringen in der zweiten (und dritten) Welle auf die Sorgen und Bewertungen der Thüringer*innen auswirken. Wie hoch der „Corona-Effekt“ auf die politische Kultur im Freistaat mittel- und langfristig sein wird und inwiefern sich die positiven Ergebnisse zu einem generellen Trend verstetigen, werden erst zukünftige THÜRINGEN-MONITORe zeigen.
1 Im Jahr 2009 wurde kein THÜRINGEN-MONITOR erstellt.
Literatur
Bertelsmann Stiftung (2020):
Regierungsvertrauen nach erster Phase der Pandemie erreicht Höchstwerte, 13.05.2020. Online: www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/monitoring-der-demokratie/projektnachrichten/regierungsvertrauen-nach-erster-phase-der-pandemie-erreicht-hoechstwerte [12.03.2021].
Dryhurst, Sarah/Schneider, Claudia/Kerr, John/Freeman, Alexandra/Recchia, Gabriel/van der Bles, Anne Marthe/Spiegelhalter, David/van der Linden, Sander (2020): Risk perceptions of COVID-19 around the world. In: Journal of Risk Research 23 (7–8), S. 994–1006.
Reiser, Marion/Best, Heinrich/Salheiser, Axel/Fürnberg, Ossip/Hebenstreit, Jörg/Vogel, Lars (2019):
Politische Kultur im Freistaat Thüringen: Gesundheit und Pflege in Thüringen. Ergebnisse des Thüringen-Monitors 2019. Online: www.komrex.uni-jena.de/komrexmedia/publikationen/tm2019.pdf [12.03.2021].
Reiser, Marion/Küppers, Anne/Hebenstreit, Jörg/Salheiser, Axel/Vogel, Lars (2021):
Die Corona-Pandemie in Thüringen. Ergebnisse des Thüringen-Monitors 2020. Jena: Friedrich-Schiller-Universität Jena. Online: www.komrex.uni-jena.de/komrexmedia/publikationen/tm2020.pdf [02.06.2021].