Aktuelles aus der Forschung: Bereich „Vielfalt, Engagement und Diskriminierung“

In der Rubrik „Aktuelles aus der Forschung“ präsentieren wir Kurzzusammenfassungen ausgewählter wissenschaftlicher Publikationen internationaler Autor*innen. In alphabetischer Reihenfolge vorgestellt werden wissenschaftliche Studien, Artikel und Bücher zum Schwerpunktthema „Netzkulturen und Plattformpolitiken“ aus dem Bereich „Rechtsextremismus- und Demokratieforschung“ sowie aus dem Bereich „Vielfalt, Engagement und Diskriminierung“. Die Inhalte der jeweiligen Publikationen werden entweder zusammengefasst wiedergegeben und/oder es werden Passagen direkt aus den angegebenen Originalquellen zitiert; diese Stellen sind dann mit Anführungszeichen versehen.

 

Hadas Zur & Hatuka Tali (2023). Local-digital activism: Place, social media, body, and violence in changing urban politics

Über die Publikation

„Dieser Artikel zeigt, wie soziale Medien neue Formen kleinerer Protestveranstaltungen ermöglichen und wie sie genutzt werden, um die Stadtpolitik zu beeinflussen.“ (S. 1) Vor allem wird untersucht, inwiefern die Darstellung von Gewalt eine wichtige Rolle beim „lokalen-digitalen Aktivismus“ spielt.

Methode

„Dieser Artikel konzentriert sich auf kleine Proteste, bei denen Aktivisten verschiedene Praktiken anwenden, um die lokale und städtische Politik zu beeinflussen.“ (S. 1) Diese werden anhand von geografischen und ethnografischen Arbeiten, ausführlichen Interviews (N=24) und einer Inhaltsanalyse von Social-Media-Kanälen und -Beiträgen (N=282) untersucht.

Zentrale Befunde/Aussagen

Die Studie zeigt, dass der Einsatz von Gewalt im lokal-digitalen Aktivismus strategisch und absichtlich erfolgt. Der Wettbewerb um Sichtbarkeit in den sozialen Medien fördert gewalttätige Praktiken. Die Inszenierung von Gewaltspektakeln erregt wiederum öffentliche und mediale Aufmerksamkeit, steigert die Sichtbarkeit in den sozialen Medien, entfacht öffentliche Debatten, stärkt die Dominanz des öffentlichen und virtuellen Raums und ruft bei Online-Publikum Wut und Engagement hervor. (S. 10) Die Ergebnisse zeigen, dass verschiedene Gruppen (rechte und bürgerliche Aktivist*innen) ähnliche Verfahren anwenden. Sie setzen gewalttätige digitale Praktiken ein, um gegenhegemoniale Diskurse sowie beleidigende und gewalttätige Erzählungen zu verbreiten, um Hass zu schüren und Machtverhältnisse zu verändern. (S. 11)

Die vollständige Publikation finden Sie hier:

https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/20563051231166443

Quelle

Zur, Hadas/Hatuka, Tali (2023). Local–digital activism: Place, social media, body, and violence in changing urban politics. Social Media + Society 9(2), doi.org/10.1177/20563051231166443.

Kiess, Johannes/Wetzel, Gideon (2023). Antifeminismus und Queerfeindlichkeit in der Sächsischen Telegram-Szene

Über die Publikation

Der aktuelle Digital Report des Else Frenkel Brunswik Instituts analysiert die neuesten Entwicklungen der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Online-Mobilisierung in Sachsen. Neben der allgemeinen Beschreibung aktiver Gruppen und Kanäle, Zu- und Abgänge, der Nachrichtendichte und Vernetzung werden Diskursverschiebungen und die inhaltliche Verknüpfung von Themen betrachtet.

Methode

Die Datengrundlage beruht auf einer seit März 2022 möglichst umfassenden Sammlung und Beobachtung rechter und verschwörungstheoretischer Telegram-Kanäle und Gruppen durch das EFBI in Kooperation mit dem Projekt „Digitales Monitoring“ der Amadeo-Antonio-Stiftung. Seit Herbst 2022 wird zur Inhaltsanalyse ein computergestütztes Topic-Modeling-Verfahren eingesetzt.

Zentrale Befunde/Aussagen

Allgemein sind in den letzten Monaten nur geringfügige Veränderungen in der digitalen rechtsextremen und verschwörungsideologischen Szene in Sachsen festzustellen. Wetzel und Kiess schreiben: „Ein milieuübergreifend mobilisierendes Thema ist derzeit nicht in Sicht. Einig ist man sich lediglich in der grundsätzlichen Verachtung der liberalen Demokratie“ (S. 6). In Bezug auf das Schwerpunktthema Antifeminismus und Queerfeindlichkeit kommt Künne in ihrem Beitrag zur Onlinemobilisierung in Nordsachsen zu dem Schluss, dass antifeministische und queerfeindliche Inhalte in den untersuchten Telegram-Kanälen zwar vergleichsweise selten sind, jedoch Schlagworte wie „Genderwahn“, „Regenbogenideologie“ oder die beschworene Gefahr einer „Frühsexualisierung“ als wichtige „Brückennarrative“ (S. 7) innerhalb der Szene und darüber hinaus dienen. Unter anderem das Motiv des „Kinderschutzes“ wird auch im Beitrag von Niendorf und Wetzel unter die Lupe genommen. Sie resümieren: „In den analysierten Nachrichten zeigt sich eindrucksvoll die Bedeutung der Ordnungskategorie Geschlecht für rechtes Denken. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt steht hier für Bedrohung, ‚Zersetzung‘, Erniedrigung und Chaos in der Gesellschaft.“ (S. 16)

Die vollständige Publikation finden Sie hier:

https://efbi.de/files/efbi/pdfs/Digital%20Reports/2023_EFBI_Digital%20Report_2023_3.pdf

Quelle

Kiess, Johannes/Wetzel, Gideon (2023). Antifeminismus und Queerfeindlichkeit in der Sächsischen Telegram-Szene. EFBI Digital Report. 2023-3.

Kollodzieyski, Tanja/Dieckmann, Janine (2020). Empowerment, Emanzipation und Alltag: Das Inklusionsprojekt @54Kontraste

Über die Publikation

In dem Artikel wird anhand des Twitter-Projekts @54 Kontraste exemplarisch dargestellt, welche Möglichkeiten und Herausforderungen digitale Plattformen für die Ziele der Inklusionsbewegung bieten. Das Projekt @54 Kontraste bot 54 Wochen lang 54 verschiedenen Menschen mit Behinderung jeweils eine Woche lang eine Plattform, um über deren Erfahrungen zu berichten.

Methode

Kollodzieyski und Dieckmann legen den sozialwissenschaftlichen Forschungsstand darüber dar, welche Bilder von Behinderung gesellschaftlich dominieren. Sie erklären, wie durch diese Bilder von Behinderung Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Menschen mit Behinderung legitimiert werden. Anschließend beschreiben sie, wie sich die Inklusionsbewegung im Kampf gegen diese Diskriminierung von Menschen mit Behinderung entwickelt hat und für welches gegensätzliche Verständnis von Behinderung die Inklusionsbewegung eintritt. Im weiteren Verlauf analysieren sie die Möglichkeiten und Herausforderungen des Projekts @54 Kontraste für die Ziele der Inklusionsbewegung.

Zentrale Befunde/Aussagen

In der Analyse der auftretenden Probleme des Projekts @54 Kontraste wurde deutlich, dass das Ernstnehmen vielfältiger Perspektiven auch bedeutet, allen Community-Mitgliedern einen Vertrauensvorschuss zu geben. Fazit der Autorinnen ist: „Es gibt nicht die eine Gruppe von behinderten Menschen, die geschlossen, homogen und gegenseitig solidarisch ist. Menschen mit Behinderung ist eine sozial konstruierte Kategorie, der eine riesige Vielfalt an Menschen zugerechnet wird, mit unterschiedlichsten körperlichen und psychischen Voraussetzungen und Einschränkungen. Dass Differenzierungen zwischen Subgruppen stattfinden und verschiedene Sichtweisen von Anderssein vorherrschen, bildet sich auch auf digitalen Plattformen wie Twitter ab. Dennoch ermöglichen digitale Plattformen vielfältige Perspektiven von Menschen mit Behinderung auf Behinderung und behindert, selbstbestimmt sichtbar zu machen.“ (S. 526)

Die vollständige Publikation finden Sie hier:

https://doi.org/10.1515/fjsb-2020-0044

Quelle

Kollodzieyski, Tanja/Dieckmann, Janine (2020). Empowerment, Emanzipation und Alltag: Das Inklusionsprojekt @54 Kontraste. Forschungsjournal Soziale Bewegungen 33(2), 520–527.

Lupu, Yonatan et al. (2023). Offline events and online hate

Über die Publikation

In dieser Studie wurde der Zusammenhang zwischen Online-Hassreden und Offline-Trigger-Events auf verschiedenen sozialen Medienplattformen untersucht. Es wurden drei Plattformen mit einem höheren Maß an Inhaltsmoderation analysiert: Facebook, VKontakte und Instagram; und drei mit einem geringeren Maß an Moderation: Gab, Telegram und 4Chan. Ziel war es, zu verstehen, ob die Reaktion von Online-Hassreden auf Offline-Trigger-Events auf stärker bzw. weniger moderierten Plattformen unterschiedlich ausfällt. Weiterhin wurde untersucht, ob die sich online verbreitende Hassrede gegen bestimmte Ziele in direktem Zusammenhang mit den Trigger-Events steht.

Methode

Zwischen Juni 2019 und Dezember 2020 wurden englische Textdaten von Hass-Communitys auf Social-Media-Plattformen mittels computational methods erhoben. Eine Supervised-Machine-Learning-Analyse ermöglichte es, zwischen verschiedenen Typen von Online-Hassrede zu unterscheiden, nämlich Hassrede gegen Race, Geschlecht, Religion, Geschlechtsidentität/sexuelle Orientierung, Einwanderung, Ethnizität/Identität/Nationalismus und Antisemitismus.

Zentrale Befunde

Die Ergebnisse zeigen, dass auf Offline-Trigger-Events wie (Black Lives Matter-)Proteste und Wahlen (in den USA) häufig eine Zunahme von Online-Hassrede folgt, die scheinbar wenig mit dem zugrunde liegenden Ereignis zu tun haben. Dies geschieht sowohl auf sozialen Medienplattformen mit hoher als auch mit niedriger Moderation. Insgesamt nahm Online-Hassrede im Untersuchungszeitraum auf Social-Media-Plattformen trotz der Moderationsbemühungen zu, insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahres 2020. Die häufigste Art von Hassrede richtete sich gegen Race.

Die vollständige Publikation finden sie hier:

https://doi.org/10.1371/journal.pone.0278511

Quelle

Lupu, Yonatan/Sear, Richard/Velasquez, Nicolas/ Leahy, Rhys/Johnson Restrepo, Nicholas/Goldberg, Beth/Johnson, Neil F. (2023). Offline events and online hate. PLoS ONE 18(1). https://doi.org/10.1371/journal.pone.0278511.

Spiecker, Indra/Towfigh, Emanuel (2023). Automatisch benachteiligt

Über die Publikation

Spiecker & Towfigh legen ein Rechtsgutachten dazu vor, inwiefern die aktuelle deutsche und europäische Gesetzgebung Schutz vor Diskriminierung durch algorithmische Entscheidungssysteme (ADM-Systeme) bietet und wie Diskriminierung durch den Einsatz von ADM-Systemen nachgewiesen werden kann.

Methode

Basierend auf dem Stand der sozialwissenschaftlichen und rechtlichen Literatur zu Ansprüchen und Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung bei Diskriminierung identifizieren die Autor*innen bestehende Herausforderungen und Schutzlücken.

Zentrale Befunde/Aussagen

Durch die Verbreitung verzerrter Datensätze und die fehlende Transparenz des Entscheidungsvorgangs sind diskriminierende Entscheidungen und deren Ursachen häufig nicht nachvollziehbar (S. 27ff.). Zudem erschwert Unsicherheit dazu, wem Diskriminierungen durch ADM-Systeme zuzurechnen sind, die Rechtsdurchsetzung (S. 29f). Im AGG vorgesehene Beweiserleichterungen sind aufgrund dieser Macht- und Informationsasymmetrie nicht ausreichend (S. 61). Zur Rechtsschutzverbesserung schlagen Spiecker und Towfigh Erweiterungen des AGG vor: die Begrenzung des Transparenzrisikos durch schneller greifende Beweiserleichterungen (S. 70f.), die Erweiterung des Anwendungsbereichs (S. 72ff.) und des Adressat*innenkreises des AGG (S. 76f.) sowie die Anpassung des Angemessenheitsmaßstabs zur Rechtfertigung von Benachteiligung (S. 77ff.). Um Schutzlücken zu schließen, sollten zudem Kompetenzen und Pflichten institutioneller Akteure erweitert werden (S. 79). Weitere Empfehlungen sind die Ausweitung behördlicher Aufsichtsbefugnisse (S. 95ff.) und Verpflichtungen der Verwender*innen zu Regulierungsmaßnahmen hinsichtlich Qualitäts- und Transparenzstandards (S. 98ff.).

Die vollständige Publikation finden Sie hier:

https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Rechtsgutachten/schutz_vor_diskriminierung_durch_KI.pdf?__blob=publicationFile&v=2

Quelle

Spiecker gen. Döhmann, Indra/Towfigh, Emanuel (2023). Automatisch benachteiligt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und der Schutz vor Diskriminierung durch algorithmische Entscheidungssysteme. Rechtsgutachten im Auftrag der Antidiskriminierungsstellte des Bundes. Berlin.

Vodafon Stiftung Deutschland (2023). Kompetent in die Zukunft? Junge Menschen über ihre Vorbereitung auf ein leben in Digitalität

Über die Publikation

Die Studie fragt junge Menschen nach ihren Erfahrungen und Erwartungen mit Blick auf das Leben in Digitalität (S. 3). Sie werden danach gefragt, wie sie ihre bisherige Ausbildung einschätzen, wie sie auf ihre Zukunft blicken, welche Kompetenzen sie für wichtig halten und wie sie die sogenannten 21st Century Skills beurteilen (ebd.).

Methode

Der Studie liegt eine Online-Befragung im Zeitraum 26.11.-12.12.2022 von 2.069 deutschsprachigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 24 Jahren in Privathaushalten in Dtl. zugrunde. „Die Stichprobenziehung erfolgte als Quotenstichprobe. Die Quoten wurden so angelegt, dass die Stichprobe in den wesentlichen Merkmalen der Struktur der Grundgesamtheit entspricht.“ (S. 34)

Zentrale Befunde/Aussagen

Die Studie zeigt, dass 69 % der befragten Jugendlichen dem Prozess der Digitalisierung und den gesellschaftlichen Veränderungen eine große Bedeutung beimessen. Digitale Kompetenzen werden von 79 % als unverzichtbare Zukunftskompetenzen eingestuft (S. 10). Die Selbsteinschätzung der jungen Menschen erweist sich als durchaus reflektiert, „ein knappes Drittel der Befragten (30 Prozent) bezweifelt, Fake News erkennen zu können“ (ebd.). 52 % der Befragten fühlen sich im Internet sehr sicher oder sicher, für den Schutz ihrer Daten sorgen zu können, während 48 % bei Datenschutzfragen im Internet eher unsicher sind (S. 10). Die digitale Ausstattung an Schulen wird von 44 % den Befragten bemängelt. Die digitalen Kompetenzen der Lehrkräfte werden von 9 % der Schüler*innen als schlecht, von 35 % als weniger gut bewertet (S. 11).

Die vollständige Publikation finden Sie hier:

https://www.vodafone-stiftung.de/wp-content/uploads/2023/03/VSD-Jugendstudie-Kompetent-in-die-Zukunft.pdf

Quelle

Vodafone Stiftung Deutschland (2023). Kompetent in die Zukunft? Junge Menschen über ihre Vorbereitung auf ein leben in Digitalität. Düsseldorf, Vodafone Stiftung Deutschland.