Vorwort

Soziale Medien können unter den richtigen Voraussetzungen Orte der Partizipation und eines demokratischen Diskurses sein. Sie ermöglichen ihren Nutzer*innen – insbesondere auch marginalisierten Gruppen – Öffentlichkeit für die eigenen Anliegen herzustellen, sich zu beteiligen, zu vernetzen und politisch wirksam zu werden. Soziale Medien tragen damit zur gesellschaftlichen Vielfalt und Pluralität bei. Die Zeiten sind allerdings lange vorbei, in denen wir sozialen Medien und das Internet vor allem mit Begriffen wie Partizipation, Deliberation und Pluralismus in Verbindung brachten. Heute beschäftigen wir uns in Wissenschaft, Politik und Bildung fast ausschließlich mit ihren negativen Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik und Öffentlichkeit.

Wie fragil die von uns als vermeintlich öffentliche Diskursräume verstandenen Plattformen sind, hat sich zuletzt bei der Übernahme von Twitter (heute X) durch Elon Musk gezeigt. Die Social-Media-Plattform hat sich zu einem toxischen Ort für den öffentlichen Diskurs entwickelt. Sie zu verlassen, scheint die einzige Alternative, bedeutet aber auch, sie den antidemokratischen Akteur*innen zu überlassen. Ein Dilemma, das sich nur schwer auflösen lässt.
Neben den großen Plattformen und Foren findet die Verbreitung von Hassrede, Desinformation und Verschwörungsideologien – nicht erst seit Corona – zunehmend in halböffentlichen Kommunikationsräumen statt, in Gruppen auf Facebook, auf Discord-Servern oder Messenger-Kanälen. Digitale Räume, die sich noch mehr als bisher dem Zugriff durch Forschung und Bildungsakteur*innen entziehen.

Für die Herausbildung von Resilienz, aber auch digitaler Zivilcourage und Empowerment braucht es (politische) Medienkompetenz und -souveränität. Nutzer*innen müssen nicht nur Desinformation und Agitationsstrategien und ihre Mechanismen erkennen können, um gegen rechtsextreme Ideologie gewappnet zu sein. Sie müssen auch befähigt und bestärkt werden, soziale Medien partizipativ und demokratiefördernd zu nutzen – ob auf den etablierten Plattformen oder in eigenen digitalen Kommunikationsräumen, beispielsweise im Fediverse. Es wäre allerdings vermessen, die Verantwortung für „gute“ soziale Medien den Nutzer*innen zuzuschreiben. Es braucht Formen der Regulierung, die Plattformen zur Einhaltung demokratischer Grundwerte verpflichten, ohne Grundrechte einzuschränken oder rechtstaatliche Prinzipien zu untergraben. Und es braucht Plattformpolitiken, z. B. im Umgang mit Hassrede, die demokratischen Diskurs ermöglichen und nicht verhindern.

Ein Problem dabei ist, dass sich Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft mit problematischen und antidemokratischen Entwicklungen in sozialen Medien und im Netz oft zu einem Zeitpunkt beschäftigen, an dem sich die Auswirkungen nur noch schwer bewältigen lassen. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz und dem Metaverse sind wir aktuell mit zwei technologischen Entwicklungen konfrontiert, die gesellschaftliche Sprengkraft haben. Hier früh den Blick auf die gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen dieser technologischen Entwicklungen zu schärfen, ist umso wichtiger, da die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass antidemokratische Akteur*innen zu den Early-Adoptern neuer Technologien und Plattformen gehören.

Um auf diese neuen Entwicklungen reagieren zu können, ist es wichtig, robuste digitale Strukturen zu schaffen. Thüringen als Bundesland mag in Digitalisierung-Indizes Schlusslicht sein. Aktuelle Initiativen wie die Beratungsstelle gegen #hatespeech „elly“ oder der deutschlandweit einmalige Master-Studiengang „Civic Education“, der angehende Sozialarbeiter*innen, aber auch politische Bildner*innen auf die Herausforderungen der Demokratiearbeit in der digitalisierten Gesellschaft vorbereitet, sind dagegen Leuchttürme und wichtige Impulse, die über die Landesgrenzen hinaus wirken. Dazu gehört auch der vorliegende Band, der wissenschaftliche Erkenntnisse mit profundem Praxiswissen kombiniert und damit auch für die politische Bildung, aber nicht nur, eine sehr gute Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit Hass im Netz und antidemokratischen Entwicklungen im Netz und sozialen Medien schafft.

 

André Nagel
Leiter Fachbereich Politische Bildung und Soziale Medien
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb