Teil-Habe – Teil-Sein?! – Perspektiven auf Machtverhältnisse, Bündnisse und Partizipation in der Verwaltung im Bereich Integration

Der Beitrag beleuchtet, inwiefern Konzepte der Rassismus- und Machtkritik die Ausrichtung der Integrationsarbeit auf Partizipation flankierend unterstützen können. Zunächst erläutern wir die Begriffe Kritik, Diskriminierung und Intersektionalität sowie die Konzepte Empowerment und Powersharing. Anhand von Fallbeispielen werden anschließend Situationen an der Schnittstelle von integrationspolitischer Verwaltung und Rassismus beschrieben, von denen aus Potenziale der Konzepte Empowerment und Powersharing für die Verwaltungspraxis abgeleitet werden. Der Beitrag schließt mit Vorschlägen, wie sich der Prozess von Teil-Habe zu Teil-Sein durch machtkritische Konzepte stützen und durch eine Kooperation zwischen Wissenschaft und Verwaltung stärken lässt.

Einleitung

In Gesprächen und durch Beobachtungen im integrationspolitischen Feld1 sowie in der Auseinandersetzung um die konzeptionelle Weiterentwicklung des Integrationsbegriffs zeigt sich, dass Integrationsarbeit eine hohe Dynamik aufweist und aktuell ein Perspektivwechsel von Integration hin zu Teilhabe stattfindet2. Diese (Neu-)Ausrichtung der Integrationsarbeit am Begriff Teilhabe verweist auf einen Diskurs um gesellschaftliche Partizipation. Partizipation bezieht sich im Folgenden auf die Fragen, wie es Personen individuell und strukturell ermöglicht wird, gesellschaftliche Entscheidungen mit zu gestalten (Teil-Habe) und inwiefern es ihnen ermöglicht wird, sich in der diskursiven Aushandlung von Bedeutungen gleichwertig einzubringen (Teil-Sein). Teil-Habe und Teil-Sein ergänzen sich gegenseitig. Dieses Verständnis von Partizipation im Integrationsfeld als Teil-Habe und Teil-Sein erfordert – so die Ausgangsthese des vorliegenden Beitrags– eine Auseinandersetzung mit Rassismus- und Machtkritik, eine Reflexion von strukturellen Rahmungen und Möglichkeiten, diese zu verändern. Die Konzepte Empowerment und Powersharing ermöglichen eine solche Auseinandersetzung mit Strukturen und Änderungsoptionen und gestatten daher eine kritische Perspektivierung der bestehenden Integrationspraktiken.

Mit unserem Beitrag möchten wir daher ein Nachdenken über Eingebundenheiten und Bündnisse – ein Denken in Relationen – fördern und aufzeigen, wie eine macht- und rassismuskritische Integrationsarbeit gesellschaftliche Veränderungsprozesse anstößt und Zusammenhalt gestalten kann.

Zusammenhalt – Kritik – Macht

Dass Zusammenhalt der Gesellschaft als Ziel integrationspolitischer Bestrebungen gesehen werden kann, zeigt sich bereits in der Vielseitigkeit des Integrationsbegriffs selbst, der die „Integration jeder einzelnen Person und die Integration bzw. der Zusammenhalt der Gesellschaft als Ganzes“ (Integrationsbericht des Landes Baden-Württemberg 2020, 14) umfasst3. Und auch im Nationalen Aktionsplan Integration heißt es, dass Zusammenhalt durch Zugehörigkeit4 gelebt und gestaltet werden kann (Nationaler Aktionsplan, Bericht Phase V, 2021, 15). Vor diesem Hintergrund kann Integrationsarbeit in Städten, Landkreisen und Gemeinden selbst als Praktik des Zusammenhalts gelesen werden. Nun ist es nicht verwunderlich, dass sich Praktiken mit der Zeit immer weiter verfestigen oder gar erstarren. Es ist daher notwendig, den „Kurs“ der Integrationsarbeit regelmäßig zu reflektieren, gegebenenfalls neu zu justieren und auch Kritik an bestehenden Praktiken zu üben.

Kritik kann sich dabei auf unterschiedliche Ebenen, auf Handlungen, Wissensbestände, gesellschaftliche Verhältnisse allgemein beziehen – und schließt auch Machtverhältnisse mit ein. Judith Butler geht es konkret um die „Art des Fragens, die sich als zentral für den Vollzug der Kritik selbst erweisen wird“ (Butler 2002, 250). Eine so verstandene Kritik als die Art und Weise, wie etwas umgesetzt wird, fragt stets nach eigenen machtvollen oder machtlosen Praktiken. Hier wird deutlich, welche Rolle das Denken in Relationen für den Vollzug von Kritik hat: Erst durch die Reflexion und Offenlegung von Kontexten und Konsequenzen der eigenen Handlungen vor dem Hintergrund der jeweiligen Machtstrukturen kann Kritik gelingen.

Diskriminierungsrelevante Differenz- und Herrschaftsverhältnisse in Arbeitsprozessen der integrationspolitischen Verwaltung zeigen sich vor allem im spannungsreichen Arbeitsalltag: Zum einen sollen Integrationsakteur:innen in der Verwaltung Handlungsoptionen für marginalisierte Minderheiten und Zugewanderte fördern. Zum anderen ist auch Integrationsarbeit selbst eingebunden in gewachsene Hierarchien, in machtvolle oder machtlose Netzwerke. Integrationsarbeit kann sowohl als strukturierend und machtkritisch als auch als strukturiert, ohne Möglichkeit zur Änderung, beschrieben werden. In dieser Ambivalenz zeigt sich, dass die Perspektive auf Bündnisse und Beziehungen für die Gestaltung eines rassismuskritischen Professionalisierungsprozesses in der integrationspolitischen Verwaltung sehr geeignet ist. Denn Rassismuskritik greift Fragen nach Macht und Ohnmacht auf und stellt sie in den Vordergrund.

Im Folgenden werden wir mit der Perspektive der Intersektionalität arbeiten, das heißt mit Fragen nach Macht und Ungleichheit, Differenz, Gleichheit sowie Emanzipation (vgl. Frühauf 2014, 18). Zudem verknüpfen wir Intersektionalität mit Empowerment und Powersharing: Nach Rosenstreich (2018) meint Empowerment die Selbststärkung und (Wieder-)Aneignung von Handlungsspielräumen von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen. Powersharing kann als solidarische Handlung von Menschen mit Privilegien für die Öffnung und Umverteilung von Ressourcen, Zugängen und Diskursen eingesetzt werden.

Ausgehend von diesen Überlegungen werden wir nun Fallbeispiele und Probleme im integrationspolitischen Verwaltungsalltag skizzieren5 und aufzeigen, inwiefern Powersharing oder Empowerment Lösungen für eine stärkere Hinwendung zu Partizipation als Teil-Habe und Teil-Sein anbieten.

Themen- und Problemfelder

„Es gibt keine Stelle, an der das Schweigen auf der anderen Seite so intensiv ist“ – Macht und politische Partizipation

Das erste Beispiel aus der Verwaltungspraxis zeigt die Auswirkungen, die eine jahrelange und jahrzehntelange Ausrichtung der Integrationsarbeit auf Austausch, Sprache und Verständigung zwischen Kulturen auf die (post-)migrantischen Communitys und Personen hat:

Wir haben heute auch noch italienische Frauen, die sind über 80, die sagen immer noch, sie gehen zurück nach Bella Italia. Das sind alles Narrative des Zusammenhalts in diesen Communitys. […] Auch wenn ich sage, auch zu jüngeren Vertreterinnen aus den Communitys, dass wir wollen, dass sie dann irgendwann im Gemeinderat sitzen – es ist gibt keine Stelle, an der das Schweigen auf der anderen Seite so intensiv ist! [...] Sie sagen: ‚Das glauben wir euch nicht! Wir glauben euch nicht, dass ihr das wollt! Also, dass wir was zu essen machen, wenn die interkulturelle Woche da ist, klar, das schon. [...] Aber dass ihr wirklich wollt, dass wir die Geschicke der Stadt mitgestalten, nein!‘ (Beitrag von Linda Kelmendi und Stefan Schlagowsky-Molkenthin 2021 vom 9. Dezember 2021)

Angesprochen ist die Ausrichtung der interkulturellen Wochen an einer „Politik der Geselligkeit“ (Ezli 2020), die v. a. durch die interkulturellen Wochen transportiert wurde. Denn obwohl der Schwerpunkt der interkulturellen Wochen seit 1998 selten auf rein kulturellen oder folkloristischen Schwerpunkten lag (Ezli 2020, 66) und das demokratische Element von Dialog und Austausch einer „Kultur der Zugehörigkeit“ im Vordergrund stand, werden durch den Fokus auf das friedliche und gesellige Miteinander „harte“ Themen wie die Gestaltung von Politik und Mitsprachemöglichkeiten wenig thematisiert.

Dies spiegelt sich auch in einem gesellschaftlichen Diskurs der bis in die 1990er-Jahre hineinragenden Ablehnung von Deutschland als Einwanderungsland. Diese Mentalität des Vorübergehenden wird auch vonseiten der Integrationsarbeit nur teilweise durchbrochen. Hier wird deutlich, dass das Element der „Politik der Geselligkeit“ (Ezli 2020) durch die Stärkung politischer Handlungsfähigkeit(en) begleitet werden muss und welche Rolle Empowerment hier spielt: Empowerment ist nicht defizitär zu verstehen, sondern bedeutet vielmehr, Machtstrukturen und Barrieren offen zu legen und ihnen in Bündnissen zu begegnen, indem man das Schweigen – vor allem über Vertrauensverhältnisse – bricht6.

Empowerment wird so zu einer Praktik des Thematisierens von Herrschafts- und Machtstrukturen, in denen auch eine Mentalität des Vorübergehenden in ihren lähmenden Auswirkungen besprochen werden kann . Ein so verstandenes Empowerment nimmt dann das Schweigen als auch das Sprechen von migrantischen Organisationen und Personen in Integrationsprozessen ernst. Empowerment erweitert damit Teil-Habe zu Teil-Sein, indem alle Personen gehört werden und auch ein Sprechen über rassistische Strukturen ermöglicht wird.

„Angebote sind doch für alle offen“ – Macht und Öffnung in der Verwaltung

Das folgende kurze Beispiel aus der Verwaltungspraxis beschäftigt sich mit dem Mangel an Repräsentationsmöglichkeiten von Personen mit Migrationsgeschichte in der Verwaltung und beschreibt Probleme, die sich bei der interkulturellen Öffnung, erkennen lassen:

[...] und die Stadtgesellschaft [...], die steht auf dem Standpunkt, und auch die Verwaltung, was jetzt diese Sachen des Mitmachens angeht: ‚Wieso, brauchen wir doch nicht! Die Angebote sind doch für alle offen.‘ (Beitrag von Linda Kelmendi und Stefan Schlagowsky-Molkenthin 2021 vom 9. Dezember 2021)

Im Beispiel wird eine De-Thematisierung von Strukturen erkennbar, die von Kontexten und Rahmenbedingungen ablenken, die Personen in ihren Bildungs- und Lebenswegen behindern, vollständig am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die im Beispiel genannte Verschiebung der Verantwortung lässt keine Perspektive auf Verknüpfungen und Bündnisse zu und kann als rassismusrelevant beschrieben werden, da die Frage nach Mitsprache und Mitwirkung begleitet wird von einer Umkehrung der Verhältnisse: Statt die Kontexte und Barrieren für einen Einstieg in die Verwaltung sachlich zu durchleuchten und zu reflektieren, werden Kontexte ausgespart. Durch diese Praktik der Verschiebung können Akteur:innen, die sich bereits in einer machtvollen Position befinden, die Bring-Schuld auf die Seite der machtarmen Personen schieben – Bündnisse werden damit erschwert.

Der Abbau dieser Verschiebung und die Unsichtbarmachung der eigenen Verantwortung gelingt über die Reflexion der eigenen Privilegien. Das Konzept des Powersharing bietet hierzu die passende Perspektive, um Privilegien, die oft nicht bewusst wahrgenommen werden, zu erkennen (Liebscher et al. 2010, 52). Powersharing wird damit als Praktik der Kontextualisierung der eigenen Position beschrieben, die auch die Offenlegung von rassistischen Strukturen ermöglicht und damit die Aufgaben auf dem Weg zu einer Gesellschaft benennt, in der alle Teil-Sein können.

„Diese ‚Kultur des Helfens‘ ist noch nicht zum Konzept des Empowerments übergegangen“ – Macht und Ehrenamt

In der Integrationsarbeit nimmt Kooperation mit dem Ehrenamt eine wichtige Rolle ein. Obwohl ehrenamtliche Strukturen ganz unterschiedlich gestaltet sind, zeigt sich im folgenden Fallbeispiel ein Problem, das als strukturübergreifend beschrieben werden kann: eine „Kultur des Helfens“ ist oft verstrickt in Diskurse von Dankbarkeit und Abhängigkeit. Das folgende Beispiel verdeutlicht das Dilemma:

Dort [im Ehrenamt, Anm. d. A.] ist es so, dass die Bereitschaft zur Hilfe sehr groß ist und wir ohne das Ehrenamt ganz sicher nicht da wären, wo wir sind, und die Bemühungen des Ehrenamts auch sehr wertvoll sind. Es ist aber auch so, dass diese ‚Kultur des Helfens‘ noch nicht so wirklich zu diesem Konzept Empowerment übergegangen ist. (Beitrag von Linda Kelmendi und Stefan Schlagowsky-Molkenthin 2021 vom 9. Dezember 2021)

Das Beispiel zeigt, wie aus einem ehrenamtlichen Handeln, das Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse nicht bewusst behandelt, kaum Hilfe zur Selbsthilfe entstehen wird. Die Potenziale zum Empowerment werden hier nicht genutzt, da eigene Vorstellungen einer „Kultur des Helfens“ nicht hinterfragt werden. Eine Bezugnahme oder ein In-Beziehung-Setzen zu Ideen, Konzepten und Diskursen gegenseitiger Unterstützung findet nur bedingt statt.

Abhilfe schafft auch hier der Einsatz des Konzeptes Powersharing. Denn durch Powersharing lassen sich Räume einrichten, in denen rassistisch konnotierte Abhängigkeitsmuster infrage gestellt werden. Im Mittelpunkt steht dann, den eigenen Standpunkt zum Ehrenamt kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, welche historisch gewachsenen Haltungen in der ehrenamtlichen Arbeit zum Ausdruck kommen und wie diese verlernt werden können. Powersharing kann damit auch als Praktik des Verlernens gelesen werden, die Platz schafft für Neues. Über solche Neuerungen können Bündnisse und Beziehungen neu definiert werden. Auch auf diese Weise unterstützt Powersharing das Teil-Sein in einer Gesellschaft.

„Integration als Chefsache“ – Macht und Systeme der Integration

Die letzte Schilderung zeigt, wie sich Empowerment auch im Inneren der Verwaltung aufbauen lässt und welche Strukturänderungen dies mit sich bringen muss:

Die Frage war immer, wenn ich mich irgendwo vorstellte, wenn ich andere Integrationsbeauftragte kennenlernte: ‚Wo bist du angedockt?‘. Und am Anfang habe ich das gar nicht verstanden und ich war total stolz, dass ich beim Fachbereichsleiter Jugend, Soziales, Ordnung angedockt war, […] aber man hat eben keine Macht in diesem Mittelbau, das begriff ich dann zunehmend, worum es dann eigentlich ging, bei dieser Frage. (Beitrag von Linda Kelmendi und Stefan Schlagowsky-Molkenthin 2021 vom 9. Dezember 2021)

Das hier angesprochene Problem ist die Wirksamkeit des Integrationsdiskurses. Hierzu finden sich integrationspolitische Akteur:innen in einer ambivalenten Situation wieder: Als Verantwortliche für den Bereich Integration werden sie durch ihre Arbeit zum einen als Garant für den gesellschaftlichen Zusammenhalt angesprochen. Der Slogan „Integration ist Chefsache“7 zeigt an, welche Dringlichkeit auch die Kommunen der Thematik geben. Dennoch sind integrationspolitische Aufgaben häufig nicht sehr hoch in den jeweiligen Strukturen angesiedelt, um ihren Auftrag verwaltungsintern wirksam gestalten zu können . Auch die verwaltungsinterne Forderung „Integration als Querschnittsaufgabe“, die das Denken in Relationen sehr gut beschreibt, wird damit in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt. Eine Verständigung über das interne Verständnis des jeweiligen Integrationsauftrags sowie eine gemeinsame Erarbeitung der Bedeutung von Integration für den gesellschaftlichen Diskurs in einem empowernden Format kann hier helfen, die eigene (Ver-)Handlungsmacht zurückzugewinnen. Klassischerweise wird Empowerment hier verstanden als eine Praktik des Stärkens – vor allem von rassismuskritischen Positionen, die eine Gesellschaft der Vielen und Bündnisse auch in der Verwaltung erst zulässt.

Ableitungen und Ausblick

Absicht unseres Beitrags ist es, ein Denken in Relationen zu fördern und darzulegen, wie eine macht- und rassismuskritische Perspektive in der Integrationsarbeit die Entwicklungen von Teil-Habe zu einem Teil-Sein unterstützt und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert: Empowernde Konzepte, die im Bereich der Zivilgesellschaft angewendet werden, ermöglichen, wie wir gezeigt haben, ein Sprechen über Macht und Ungleichheit. Ein gleichzeitig umgesetztes Powersharing nach außen in Bezug auf die Verhältnisse zwischen Ehrenamt, als integrationspolitischem Akteur, und neu zugezogenen Menschen, ermöglicht Alternativen zu paternalistischen Sichtweisen auf „Unterstützen und Helfen“ und erweitert damit die Handlungsfähigkeiten des Ehrenamts. Powersharing und Empowerment zeigen auf, welche Möglichkeiten und Ressourcen wir fruchtbar machen können, wenn wir uns in Bezug zu Personen setzen und Strukturen reflektieren: Powersharing nach innen, bezogen auf die Verwaltung, kann das Konzept der interkulturellen Öffnung und Organisationsentwicklung in der Verwaltung unterstützen. Powersharing als gemeinsame Grundlage für den Verwaltungsapparat zu setzen bedeutet dann, eine grundlegende Änderung und Weiterentwicklung hin zu einer offenen Verwaltung ernst zu nehmen. Ein gleichzeitiges Stattfinden von empowernden Formaten nach innen setzt Empowerment als Ressource für ein (neues) Selbstbewusstsein integrationspolitischer Anliegen als Grundlage für gelingende Aufklärungsarbeit sowie Sensibilisierung für das Thema Integration im Verwaltungsapparat ein. Der Auftrag „Integration als Querschnittsaufgabe“ kann über solche Beziehungsarbeiten gestärkt werden. Zur konkreten Entwicklung und Ausarbeitung von intersektionalen, machtsensiblen und relationalen Perspektiven in der Verwaltung schlagen wir folgendes vor:

  • Integrationsbeauftragte als Transformationsakteur:innen ansprechen und Möglichkeiten zur Veränderung in der Verwaltung in Kooperation herausarbeiten,
  • Reflexionsräume zur Frage nach der Reproduktion von Macht und Ungleichheit fördern,
  • Macht- und rassismuskritische Inputs und Formate in (Weiter-)Qualifizierungsangeboten umsetzen,
  • Prozesse für die Thematisierung, Kontextualisierung und für das Verlernen von Machtfragen institutionell verstetigen,
  • machtsensible, partizipatorische Handlungsmöglichkeiten bewusst machen und Verständnisse des Politischen reflektieren.

 

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1    Grundlage für diesen Artikel ist die intensive Kooperationen zwischen der Universität Konstanz und der Stabsstelle Integration der Stadt Singen. Diese Zusammenarbeit besteht im Rahmen des durch das BMBF geförderten Transferprojekts „Bildungsprogramm für Integrationsbeauftragte“ im seit 2020 bestehenden Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt. Das Projekt will die Veränderungen im Bereich Integrationspolitik flankierend unterstützen und ein entsprechendes Qualifizierungsprogramm entwerfen. Mehr Informationen zum Projekt finden sich auch unter: https://www.uni-konstanz.de/fgz/projekte/fortbildungsprogramm-fuer-integrationsbeauftragte/.

2    Eine Untersuchung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung aus dem Jahr 2021 zeigt diese Tendenz in der Integrationsdebatte deutlich auf: https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/cdn.kommunal.de/public/2021-08/Allesollenteilhaben.pdf.

3    Der intensive Bezug auf den Begriff des Zusammenhalts rekurriert auch aus einer auf politischer Ebene diagnostizierten Sorge um eine funktionierende Gesellschaft, die zusammenhält: „Wir erleben zurzeit einen raschen, umfassenden und fundamentalen gesellschaftlichen Wandel – einen Wandel, der in kurzer Zeit in allen Lebensbereichen zu grundsätzlichen Veränderungen führt. Ein Ende dieses Prozesses ist noch nicht abzusehen und hieraus resultiert im Augenblick eine allgemeine Stimmung der Verunsicherung und der Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ (Studie „Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Baden-Württemberg, Bertelsmann Stiftung 2020, 7).

4    Zusammenhalt stellt die fünfte Phase des Nationalen Aktionsplans Integration dar. Die vorherigen vier Phasen sind: Integration vor der Zuwanderung, Erstintegration, Eingliederung sowie Zusammenwachsen, nachzulesen unter: https://www.nationaler-aktionsplan-integration.de/napi-de/aktionsplan.

5    Die für die Fallbeispiele verwendeten Zitate stammen aus dem bisher unveröffentlichten Beitrag von Linda Kelmendi, Kathrin Leipold und Stefan Schlagowsky-Molkenthin am 9. Dezember 2021, der Online-Tagung „Rassismus und Zusammenhalt“ des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena. Wir haben uns dazu entschlossen, die Zitate zu verwenden, da die Doppelrolle von Linda Kelmendi und Stefan Schlagowsky-Molkenthin als Teil der Beschreibungen und als Teil der Deutungen zeigt, welche Potenziale in reflexivem Arbeiten liegen.

6    Mit dem Thema Schweigen ist eine kulturwissenschaftliche Perspektive angesprochen, die vor allem aus den postcolonial studies und gender studies kommt: Sprecher:innenpositionen, Macht und die Frage, was passiert, wenn die Subalternen anfangen zu sprechen, dies alles hat Gayatri Chakravorty Spivak bereits in ihrem Aufsatz „Can the Subaltern Speak?“ beschrieben.

7    Der Slogan „Integration als Chefsache“ findet sich u. a. in dem vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg herausgegebenen Förderaufruf 2020 „Integration vor Ort – Stärkung kommunaler Strukturen“.

Literatur

Butler, Judith (2002). Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend. Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Berlin 50 (2), 249–265.

Büyükmavi, Meltem/Demirtaş, Birgül (2020). Perspektiven auf eine rassismuskritische Praxisentwicklung in Institutionen. Überblick. Zeitschrift des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen 26 (4), 13–15.

Ezli, Özkan

(2020). Die Politik der Geselligkeit. Gegenwart und Geschichte der „Interkulturellen Woche“. Eine vergleichende kulturwissenschaftliche Untersuchung zu den Mittel- und Großstädten Gera, Jena, Konstanz und Offenbach. Expertise im Auftrag des Sachverständigenrats für Integration und Migration für das SVR-Jahresgutachten 2021. Online verfügbar unter www.interkulturellewoche.de/sites/default/files/inline-files/Ezli_Expertise-IKW_fuer-SVR-Jahresgutachten-2021.pdf (abgerufen am 09.06.2022).

Frühauf, Marie (2014). Intersektionalität für alle? Zur Verortung intersektionaler Perspektiven in der neuen Rede von Differenz und Ungleichheit. In: Langsdorff, Nicole von (Hg.). Jugendhilfe und Intersektionalität. Opladen, Budrich UniPress, 15–37.

Liebscher, Doris/Fritzsche, Heike/Pates, Rebecca/Schmidt, Daniel/Karawanskij, Susanna (2010). Antidiskriminierungspädagogik. Konzepte und Methoden für die Bildungsarbeit mit Jugendlichen. 1. Aufl. Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Mecheril, Paul

(2019). Migrationspädagogik. In: SchlaU-Werkstatt für Migrationspädagogik (Hg.). Heterogenität in der fluchtbezogenen Bildungsarbeit - Analytische und praktische Perspektiven. Jahrestagung 2018. München, SchlaU-Werkstatt für Migrationspädagogik, 8–18. Online verfügbar unter www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/erziehungswissenschaft/arbeitsgruppen/ag10/Mecheril-2019_Migrationspadagogik.pdf (abgerufen am 09.06.2022).

Menhard, Ioanna (2020). Solidarität und Mündigkeit selbst-kritisch zusammengedacht. Pädagogische Überlegungen mit Interesse an Empowerment und Powersharing. In: Jagusch, Birgit/Chehata, Yasemine (Hg.). Empowerment und Powersharing. Ankerpunkte, Positionierungen, Arenen. Weinheim/Basel, Beltz Juventa, 72–83.

Rosenstreich, Gabi

(2018). Empowerment und Powersharing – eine Einführung. Überblick. Zeitschrift des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen 24 (2), 7–10. Online verfügbar unter www.ida-nrw.de/fileadmin/user_upload/ueberblick/Ueberblick_022018.pdf (abgerufen am 09.06.2022).

Spivak, Gayatri Chakravorty

(2003). Can the Subaltern Speak?. Die Philosophin - Forum für Feministische Theorie und Philosophie 14 (27), 42–58. doi.org/10.5840/philosophin14274258.

Links

Bundesregierung

(o.J.). Nationaler Aktionsplan Integration (NAP-I) Phase V „Zusammenhalt: Zusammenhalt stärken – Zukunft gestalten“ Erklärung des Bundes. Online verfügbar unter www.integrationsbeauftragte.de/resource/blob/744170/1850580/c3e5a37c2527bb7c328a0d7512306974/erkaerung-des-bundes-phase-v-data.pdf (abgerufen am 09.06.2022).

Carrasco Heiermann, Adrián/Nice, Thomas/Hinz, Catherina

(2021). Alle sollen teilhaben. Wie Kreise und kreisfreie Städte mit Integrationskonzepten ungleichwertige Lebensverhältnisse abbauen wollen. Online verfügbar unter s3.eu-central-1.amazonaws.com/cdn.kommunal.de/public/2021-08/Allesollenteilhaben.pdf (abgerufen am 09.06.2022).

Dragolov, Georgi/Arant, Regina/Boehnke, Klaus/Unzicker, Kai

(2020). Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Baden-Württemberg. Online verfügbar unter www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/gesellschaftlicher-zusammenhalt-in-baden-wuerttemberg/ (abgerufen am 09.06.2022).

Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt

(o.J.). Fortbildungsprogramm für Integrationsbeauftragte. Online verfügbar unter www.uni-konstanz.de/fgz/projekte/fortbildungsprogramm-fuer-integrationsbeauftragte/ (abgerufen am 09.06.2022).

Gunda-Werner-Institut in der Heinrich-Böll-Stiftung/Center for Intersectional Justice

(2019). „Reach Everyone on the Planet ...“ Kimberlé Crenshaw und die Intersektionalität. Texte von und für Kimberlé Crenshaw. Online verfügbar unter www.boell.de/de/2019/04/16/reach-everyone-planet (abgerufen am 09.06.2022).

Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg

(2020). Förderaufruf 2020 „Integration vor Ort – Stärkung kommunaler Strukturen“. Online verfügbar unter sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-sm/intern/downloads/Foerderaufrufe/Integration_vor_Ort-Staerkung_komm_Strukt_Foerderaufruf_2020_.pdf (abgerufen am 09.06.2022).

Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg

(2020). Integrationsbericht des Landes Baden-Württemberg. Bericht zum Stand der Integration und zur Anwendung des Partizipations- und Integrationsgesetzes für Baden-Württemberg (PartIntG BW). Online verfügbar unter www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-sm/intern/downloads/Downloads_PIK/SIM_Landesintegrationsbericht_2020_P14_1.pdf (abgerufen am 09.06.2022).