Diversität im Kontext von gesellschaftlichem Zusammenhalt in deutschen Zeitungsartikeln – ein quasi-migrantisierter Diskurs?

Bisher fehlt es an Studien, die offen danach fragen, wer oder was unter gesellschaftlicher Diversität verstanden wird und welche Rolle Diversität im Diskurs über gesellschaftlichen Zusammenhalt spielt. Die im Beitrag vorgestellte Analyse deutscher Zeitungsartikel zeigt, dass innerhalb des Diskurses über gesellschaftlichen Zusammenhalt vor allem die Vielfaltsdimension der geografischen Herkunft im Zentrum des Verständnisses von Diversität steht. Abstrakt wird der Begriff „Diversität“ im medialen Diskurs vor allem vage sowie reduktionistisch verwendet. Dadurch wird ein quasi-migrantisierender Sammeldiskurs über verschiedene Vielfaltsdimensionen hinweg ermöglicht. Im Kontext des gesellschaftlichen Zusammenhalts wird Diversität in erster Linie als ein Komplex aus Bedrohungen und Herausforderungen dargestellt.

 

Gesellschaftliche Diversität bzw. soziale Vielfalt sind Begriffe, die oft in aller Munde sind. Doch was genau ist damit gemeint? Obwohl sich das Thema „Diversität“ in den Sozialwissenschaften zunächst auf kulturelle Vielfalt und ethnische Zugehörigkeit in unterschiedlichen Regionen der Welt konzentrierte, hat sich seit Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend eine breitere Gesamtbetrachtung über verschiedene Ebenen und Merkmale hinweg durchgesetzt (Allemann-Ghionda 2011). Dieses Verständnis von gesellschaftlicher Diversität umfasst Dimensionen der Ethnizität und kulturellen, geschlechtlichen sowie sexuellen Vielfalt, Hautfarbe und andere körperlich sichtbare Merkmale, Nationalität bzw. Staatsangehörigkeit, Religion, Alter, Behinderung und chronische Krankheit sowie den sozioökonomischen Status.

Studien über die Berichterstattung in den (Schrift-)Medien im Kontext gesellschaftlicher Vielfalt nehmen für gewöhnlich nur einzelne und zuvor festgelegte Vielfaltsdimensionen in den Blick1. Dabei geht es in der Regel um die Frage, wie bestimmte Dimensionen von Vielfalt dargestellt werden. Bisher gibt es keine Studien, die offen danach fragen, welches Verständnis in der deutschen Nachrichtenberichterstattung vorherrscht – d. h. wer oder was unter dem Begriff der „Diversität“ überhaupt thematisiert wird. Auch in der Analyse von Zeitungsartikeln zum Begriff des „gesellschaftlichen Zusammenhalts“ (vgl. Quent et al. 2020) bleibt „Diversität“ als Thema sowie ihr Verhältnis zu gesellschaftlichem Zusammenhalt abwesend.

Um diese beiden offenen Fragen zu beantworten – wer oder was mit dem Begriff der Diversität gemeint ist und welche Rolle Diversität im Diskurs über gesellschaftlichen Zusammenhalt zugeschrieben wird –, wurde eine Analyse von deutschen Zeitungsartikeln durchgeführt, deren Ergebnisse im Folgenden vorgestellt werden.

Methode

Über die Datenbank WISO Presse wurden sämtliche Zeitungsartikel, die sowohl den Begriff „(gesellschaftlicher) Zusammenhalt“ als auch einen Begriff für „(gesellschaftliche) Vielfalt“ (z. B. Pluralität, Heterogenität oder Diversität) verwendeten und bis einschließlich Februar 2021 in Deutschland erschienen sind, erhoben. Nachdem doppelte Artikel sowie alle Artikel, die sich auf denselben Anlass bezogen, und Artikel, die sich nicht auf menschliche Diversität in einer Gesellschaft bezogen (z. B. Biodiversität), aussortiert wurden, verblieben 119 Artikel in der Stichprobe (Zeitraum von 1995 bis Februar 2021, s. Abb. 1).

Abb. 1: Anzahl von Zeitungsartikeln nach Erscheinungsjahr

Die Auswertung und Codierung der gesammelten Artikel erfolgte mithilfe des Programms MAXQDA. Dabei wurde ausgehend von dem oben beschriebenen weiten sozialwissenschaftlichen Verständnis von „Diversität“ (Allemann-Ghionda 2011) zunächst mit einem deduktiven, d. h. zuvor festgelegten Kategoriensystem gearbeitet und dieses im Laufe der Analyse induktiv erweitert.

Vielfalt als Konzept und Begriff

Dimensionen der Vielfalt

Die Analyse der Artikel ergab, dass innerhalb der thematischen Klammer von „gesellschaftlichem Zusammenhalt“ der Begriff in erster Linie – und mit Abstand am häufigsten – auf die geografische Herkunft bezogen wird (vgl. Abb. 2). Von 107 Artikeln, die mindestens eine Dimension von Vielfalt explizit nannten, erwähnten nur 37 Artikel nicht die Dimension der geografischen Herkunft. Das auf diese Weise gezeichnete Bild von Diversität fokussiert also vor allem auf Migrant:innen und Geflüchtete. Mit 34 Erwähnungen landete kulturelle bzw. ethnische Vielfalt als eine thematisch verwandte und sich oft überschneidende Dimension auf dem zweiten Platz. Weitere 33 Artikel nannten die sozioökonomische Diversität.

Abb. 2: Vielfaltsdimensionen, in absoluten Zahlen der sie erwähnenden Artikel (Mehrfachzuordnungen möglich)

Vielfalt – „nicht von hier“?

Fasst man den Eindruck über die Gesamtheit der Artikel zusammen, entsteht das Bild von Diversität als abstraktes Merkmal der „Anderen von woanders“. Die dominante Betonung der Dimension der (geografischen) Herkunft lässt Vielfalt als etwas erscheinen, das in erster Linie nicht ‚heimisch‘ in Deutschland ist und von außerhalb hierherkommt. Diesen Eindruck bestätigt, dass in den Zeitungsartikeln, die der Gesellschaft eine Zunahme gesellschaftlicher Vielfalt attestieren, mit Abstand am häufigsten „Migration“ als Quelle dieser Zunahme ausgemacht wird. Von 28 Artikeln, die eine zunehmende Diversität ausmachten, nannten 18 Artikel zumindest auch Migration als Ursache. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass abseits der Dimension der geografischen Herkunft selbst das Kriterium „Herkunft“ durchaus in anderen Dimensionen wie der ethnischen und kulturellen Vielfalt sowie dem Islam und BIPoC2 eine inhaltlich tragende Rolle spielt. Dies kommt etwa zum Ausdruck, wenn es in einem Artikel über das feierliche Fastenbrechen in einer Moschee heißt: „Die muslimischen Gastgeber stellten sich den Fragen ihrer deutschen Besucher, gaben interessante Einblicke in ihren Tagesablauf ohne Nahrung und Flüssigkeit bei oftmals hochsommerlichen Temperaturen.“ (Rheinische Post 2017, H.d.A.) Durch eine solche Gegenüberstellung von „muslimisch“ und „deutsch“ werden beide implizit als sich gegenseitig ausschließende Kategorien dargestellt. In all diesen Dimensionen, in denen Herkunft eine besondere Rolle spielt, finden Zuschreibungen von (Nicht-)Zugehörigkeit statt, die als Rassismus erlebt werden können. Mit El-Mafaalani gesprochen kann dabei von einer „Migrantisierung“ dieser Gruppen gesprochen werden: „Sie verläuft entlang des Knotenpunkts von Zugehörigkeit (Deutschsein), Abstammung (Herkunft) und sichtbarer beziehungsweise wahrnehmbarer Differenzen (insbesondere sprachlicher Akzent und Hautfarbe)“ (2021, 19) und stellt ein besonderes Merkmal des Rassismus in Deutschland dar. Dabei muss hier klar betont werden, dass die Migrantisierung an dieser Stelle vor dem Hintergrund des Vielfaltsdiskurses, aber auch des Diskurses über gesellschaftlichen Zusammenhalt stattfindet.

Einerseits ließe sich dieses auf die Herkunft konzentrierte Bild gesellschaftlicher Diversität nun durch eine lediglich verzögerte Rezeption wissenschaftlicher Debatten in öffentlichen Diskursen erklären. Schließlich zeigt eine Betrachtung der sozialwissenschaftlichen Debatte, wie auch hier das Verständnis von Diversität sich erst zunehmend für Kategorien jenseits von Ethnie, Kultur und geografischer Herkunft geöffnet hat (Allemann-Ghionda 2011). Jedoch stellte andererseits die US-amerikanische Disability-Forscherin und -Aktivistin Taylor rückblickend für das 19. und 20. Jahrhundert fest: „it was a common sideshow practice to ascribe non-Western origins to intellectually disabled individuals born in Europe or the United States” (2017, 90). Dieses Beispiel zeigt: Bevor sich ein breites Verständnis von Diversität durchgesetzt hat, wurden durchaus auch andere Vielfaltsdimensionen migrantisiert. Vor diesem Hintergrund ist es spannend, die Beobachtung der (dominant) genannten Vielfaltsdimensionen mit der Art und Weise zu vergleichen, wie der Begriff „Diversität“ an sich in den Zeitungsartikeln verwendet wird. Dazu wurden die Instanzen genauer betrachtet, in denen „Diversität“ in den Zeitungsartikeln als abstrakter Begriff verwendet wird, d. h. auf eine Art und Weise, die entweder (zumindest potenziell) eine Bandbreite an Vielfaltsdimensionen gleichzeitig betrifft oder aber ein abstraktes Verständnis von Diversität formuliert.

„Diversität“ abstrakt

12 der 119 untersuchten Artikel gebrauchten den Begriff und das Konzept „Vielfalt“ ausschließlich und weitere 101 Artikel zumindest auch in einer abstrakten Weise. Lediglich in 6 Artikeln ließ sich keine abstrakte Verwendung des Begriffs finden. In den 113 Artikeln, die den Begriff abstrakt verwendeten, lassen sich fünf verschiedene, sich allerdings nicht gegenseitig ausschließende Verwendungsweisen identifizieren (vgl. Abb. 3).

In einem Großteil der Artikel (82) blieb der Begriff selbst unklar und vage. Ein Artikel bspw. beschrieb, dass der Spielplan eines Theaterhauses „mit Vielfalt, Diversität und Internationalität“ (Badische Zeitung 2018) auf die Herausforderung des mangelnden gesellschaftlichen Zusammenhalts reagieren wolle. Weder der Begriff der Vielfalt noch der Diversität – und ob sich diese beiden möglicherweise voneinander unterscheiden – wurden explizit erklärt. Eine derart vage Begriffsverwendung verwischt die Unterschiede zwischen den einzelnen Vielfaltsdimensionen und ermöglicht einen Sammeldiskurs über die Dimensionen hinweg: Was auch immer über Vielfalt gesagt wird, welche Probleme diagnostiziert und welche Lösungsvorschläge gemacht werden – alles bezieht sich potenziell auf alle möglicherweise (mit)gemeinten Dimensionen.

Abb. 3: Abstrakte Verwendung des Diversitätsbegriffs, in absoluten Zahlen von Artikeln (Mehrfachzuordnungen möglich)

Darüber hinaus verwendeten 58 Artikel den Begriff gewissermaßen beschwörend. Ein Zeitungsartikel etwa zitierte den Wunsch des Katholischen Forums, „in einer offenen Gesellschaft [zu] leben, in der die Vielfalt und verschiedenen Lebensmodelle respektiert und geschätzt werden“ (Rheinische Post 2018). Vor allem Politiker:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft bedienten sich des Begriffes in diesem Sinne, um einerseits den Leser:innen einen bestimmten Umgang und Verständnis gesellschaftlicher Vielfalt nahe zu legen und um andererseits ein – zumeist – offenes Gesellschaftsideal zu fordern.

In 49 Artikeln wurde der Begriff bzw. das Konzept „Diversität“ reduktionistisch oder in einer Weise verwendet, die eine oder wenige Vielfaltsdimension(en) besonders hervorhebt. Wichtig ist dabei zu betonen, dass es bei dieser Verwendung einen Interpretationsspielraum gibt. Wenn Sarah Wagenknecht etwa 2015 in einem Interview in der Berliner Zeitung sagt, wer seine Kinder in einer Schule mit einem hohen Prozentsatz an Erstklässler:innen wisse, die „kein Deutsch sprechen“, empfinde „Vielfalt vielleicht nicht in jeder Hinsicht als Bereicherung“, wird ein Fokus auf die geografische Herkunft oder vermeintlich kulturelle Unterschiede gelegt. Vor allem die Herkunft wird in der untersuchten Stichprobe bei dieser reduktionistischen Verwendungsweise auffällig häufig betont. Deshalb kann u. a. anhand des zitierten Beispiels eine Migrantisierung von abstrakter Vielfalt beobachtet werden. Andererseits wird jedoch nicht weiter darauf eingegangen, ob vielleicht nicht doch mehr Dimensionen mit Vielfalt gemeint sein könnten, denn zumindest wird implizit angedeutet, dass es sie in „mehrerer Hinsicht“ gebe. Wie bei der unklaren/vagen Begriffsverwendung kann diese Reduktion einen undifferenzierten Sammeldiskurs über die verschiedenen Vielfaltsdimensionen hinweg befördern.

Auffällig weniger häufig wurde Diversität dezidiert inklusiv verwendet (13 Artikel), d. h. auf eine Art und Weise, die entweder durch eine explizite Aufzählung („Mit diesem Fachbegriff [Diversität] sind unterschiedliche Herkunft, Religion, Kultur, Gesundheit und Behinderung, Geschlecht und sexuelle Orientierung und allgemein Lebensstile gemeint“; Westfalen Blatt 2013) oder eine implizite Andeutung und unvollständige Nennung von Dimensionen („Wir Grünen verteidigen die Vielfalt Nordrhein-Westfalens gegen die Rechtspopulisten. Wir treten offensiv für gleiche Rechte für alle ein – von der Religionsfreiheit bis zur Ehe für alle“; Höxtersche Zeitung 2017) ein erkennbar breites Verständnis von Diversität kommuniziert.

Am seltensten wurde ein abstraktes Verständnis von Diversität formuliert (8 Artikel), indem das Gemeinte in eigenen Worten und ohne auf konkrete Vielfaltsdimensionen einzugehen beschrieben wird. So wurde Vielfalt als „Andersdenkende“ und „alle“ (Der Tagesspiegel 2016 bzw. „verschiedene gesellschaftliche Gruppen“ und „Menschen […], die anders sind als sie selbst“ (Nordwest-Zeitung 2020), aber auch als „Angehörige von Minderheiten“ (Die Zeit 2016) oder „Personen mit anderen Wertvorstellungen und Lebensweisen“ (Rundschau für den Schwäbischen Wald 2016) verstanden. Auffällig häufig kommt die Bezeichnung als „anders“ und damit als Abweichung zum Tragen – eine Bezeichnung, die im Sinne des Otherings immer auch eine unsichtbare Norm als Maßstab der Unterscheidung impliziert.

Wer ist sichtbar und wer spricht im Diskurs über Vielfalt und Zusammenhalt?

Hinsichtlich der Unterscheidung von dominanzgesellschaftlichen und marginalisierten Diskurspositionen lässt sich zunächst beobachten, dass das Verständnis von Diversität, wie es in den vorangegangenen Abschnitten aus den Zeitungsartikeln rekonstruiert wurde, bereits bestimmte Asymmetrien in der Beteiligung am Diskurs impliziert. Wenn Vielfalt als ‚die Anderen‘ verstanden sowie (implizit) im gesellschaftlichen Außenbereich verortet und der Begriff in einer abstrakt verallgemeinernden und reduzierenden, d. h. im Falle dieser Analyse in einer migrantisierenden Weise verwendet wird, liegt die Annahme nahe, dass es sich um einen Diskurs für und von der Dominanzgesellschaft (vgl. Rommelspacher 1998) über diese vielfältigen ‚Anderen‘ handelt. Ein Blick auf die Sichtbarkeiten und Sprecher:innenpositionen in der Stichprobe erlaubt es, diese Annahme zu überprüfen: Betrachtet man die Ebene der Individuen (s. Abb. 4), so lassen sich 546 Personen ausmachen, von denen insgesamt 258 sprechen – wovon jeweils 222 der Mehrheitsgesellschaft (86 %) und 36 gesellschaftlich marginalisierten Gruppen (gmG; 14 %) zugeordnet werden können3. 288 sind lediglich sichtbar – hier sind es 246 Personen der Mehrheitsgesellschaft (85 %) und 42 aus gmG (15 %). In beiden Gruppen – den sprechenden sowie den lediglich sichtbaren Individuen – besteht damit ein Verhältnis von ca. 1 zu 6. Im Vergleich dazu ist hervorzuheben, dass 2020 in Deutschland jede 4. Person einen sogenannten Migrationshintergrund hatte (Bpb 2021), der Anteil aller gesellschaftlich marginalisierten Personen an der Gesellschaft liegt damit noch um ein Vielfaches höher.

Abbildung 4: Sprechende und sichtbare Individuen in Zeitungsartikeln (N = 119)

Damit lässt sich für den Diskurs über Diversität festhalten, was bereits zur Berichterstattung über einzelne Vielfaltsdimensionen (vgl. bspw. Fengler/Kreutler 2020; Hestermann 2020) oder den Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhalts (Quent et al. 2020) festgestellt wurde: In all diesen Diskursen sind Angehörige von gmG nach wie vor unterrepräsentiert und stellen eher (abwesende) Objekte dar, über die gesprochen wird, als aktive Subjekte, die selbst sprechen. Von einer gleichberechtigten Mitgestaltung des Diskurses kann unter diesen Bedingungen keine Rede sein.

Diversität im Kontext des gesellschaftlichen Zusammenhalts

In den analysierten Zeitungsartikeln fällt auf, dass die Bewertung des gesellschaftlichen Zusammenhalts je nach Bezugsrahmen unterschiedlich ausfällt: Während in Berichterstattungen über den Zusammenhalt in einzelnen Städten oder Bundesländern der gesellschaftliche Zusammenhalt tendenziell als gut und funktionierend beschrieben wird, ist dies für die Berichterstattung über den Zusammenhalt in größeren Entitäten – bspw. Gesamtdeutschland, der EU oder auch international – nicht der Fall. Stattdessen wird er hier deutlich häufiger als brüchig, im Niedergang begriffen oder generell ausbaufähig beschrieben. In diesem Kontext wurden in den Zeitungsartikel auch Quellen der Bedrohung von gesellschaftlichem Zusammenhalt genannt. Dabei lassen sich drei Hauptcluster identifizieren: (1) Zum einen ging es um gesellschaftliche Vielfalt an sich – insbesondere verstanden im Sinne der Migration, Integration und Multikulturalität; andererseits aber auch um (2) einen Mangel von Akzeptanz einer – und das ist durchaus auffällig – hier breiter verstandenen Vielfalt sowie um existierende soziale Ungleichheiten und das Festhalten am Status quo. Schließlich wurden (3) der gesellschaftliche Rechtsruck (u. a. Pegida, AfD, Rechtsextremismus) sowie rechtsextreme Gewalt gegen Minderheiten und Politiker:innen als Probleme für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ausgemacht.

Betrachtet man die Rolle, die gesellschaftlicher Diversität im Kontext des als brüchig wahrgenommenen gesellschaftlichen Zusammenhalts zugewiesen wird, zeichnet sich ab, dass sie in erster Linie, direkt oder indirekt, als ein Komplex aus Bedrohungen und Herausforderungen für den Zusammenhalt einer Gesellschaft adressiert wird: Vielfalt an sich erscheint entweder als Bedrohung von außen bzw. Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – hier ist zu bemerken, dass an dieser Stelle eindeutig ein reduziertes Verständnis gesellschaftlicher Diversität überwiegt, – oder sie wird selbst bedroht, wobei hier Vielfalt wieder weiter verstanden wird. Die Bedrohung von Vielfalt kann dabei passiv (ein Mangel an Akzeptanz, ein gesellschaftlicher Unwille sich zu wandeln) oder aktiv (Gewalt gegen Minderheiten, der gesellschaftliche Rechtsruck) beschrieben werden. Im letzteren Fall wird die Bedrohung oftmals auf einzelne gesellschaftliche Gruppen, bspw. Rechtsradikale, aber auch ‚den‘ Islam, reduziert und externalisiert.

Fazit und Diskussion

In den analysierten Zeitungsartikeln ist deutlich erkennbar, dass im medialen Diskurs über gesellschaftlichen Zusammenhalt die inklusive Verwendung des Begriffs „Diversität“ wie auch die Formulierung eines abstrakten Verständnisses empirisch eine eher untergeordnete Rolle spielen. Deutlich häufiger ist die unklar und vage, beschwörende und reduktionistische Verwendung des Diversitätsbegriffs. Der Fokus auf diese drei Verwendungsweisen – vor allem aber die Unklarheit und Reduzierung von Diversität – erlaubt einen über alle Vielfaltsdimensionen hinweg generalisierenden Diskurs, in dem am Beispiel einer Dimension Sicht- und Umgangsweisen für alle diskutiert werden. Wird nun zusätzlich der Befund berücksichtigt, dass die geografische Herkunft die mit Abstand am häufigsten genannte Dimension gesellschaftlicher Diversität darstellt, welche eng mit der zweit- und viertgrößten Dimension (ethnische und kulturelle Vielfalt sowie Islam) zusammenhängt, und gleichzeitig Migration am häufigsten als Ursache einer wachsenden Vielfalt ausgemacht wird, erhärtet sich der Verdacht, dass Diversität im gesellschaftlichen Außenbereich verortet wird; mit anderen Worten, dass sie quasi-migrantisiert wird. Darüber hinaus wurde in den Zeitungsartikeln nicht mit oder aus einer Perspektive der Diversität gesprochen, sondern über Diversität: Diejenigen, um die es ging, wurden zu Objekten, über die gesprochen wurde, statt als Subjekte selbst zu Wort zu kommen. Das wurde besonders im Kontext der Diskussion über gesellschaftlichen Zusammenhalt deutlich. Hier kann in den Artikeln zwischen einer ‚bedrohenden‘ und einer ‚bedrohten‘ Vielfalt unterschieden werden: Als ‚bedrohlich‘ erscheinen vor allem Migrant:innen und Multikulturalität, aber auch ‚der‘ Islam, während die anderen Dimensionen von Vielfalt von verschiedenen Seiten bedroht werden. Diese Beobachtung stimmt mit Hestermann überein, der feststellte, dass es besonders oft um Eingewanderte und Geflüchtete gehe, „wenn ihnen eine Gewalttat angelastet wird. Die übrige Berichterstattung stellt Risiken (36,4 %), vor allem Rechtsverstöße, Kosten und Überfremdung, und seltener Chancen (15,1 %) in den Vordergrund.“ (2020, 2) Seltener gehe es dagegen um „ausländische Gewaltopfer“ (ebd.). Dies kann als weiteres Indiz gesehen werden, dass hier gewissermaßen die Dynamiken des Diskurses über Flucht und Migration zumindest im Kontext des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Teilen auf die Darstellung von Vielfalt übertragen und diese somit migrantisiert wird.

Wie bereits im gesellschaftlichen Rassismusdiskurs beobachtet werden kann, erfüllt die Migrantisierung und die damit verbundene Exklusion aus dem gesellschaftlichen ‚Wir‘ die Funktion der Abwehr von Verantwortung und Anerkennung. Wenn Diversität nicht als natürlicher und völlig selbstverständlich zugehöriger Bestandteil des gesellschaftlichen ‚Wir‘ gilt, kann die Frage, wie mit ihr umgegangen werden soll, auf eine völlig andere Weise diskutiert werden. Diversität, die nicht selbstverständlich dazugehört, könnte potenziell auch abgeschafft oder verhindert werden. Ein inklusives Verständnis von gesellschaftlichem Zusammenhalt dagegen, das Diversität (auch nicht einzelne Dimensionen davon) nicht gegen Zusammenhalt ausspielt oder exkludiert, muss auf der Einsicht fußen, dass ‚Wir‘ vielfältig sind, dass also Vielfalt dazugehört und im Diskurs repräsentiert sein muss.

 

***********

1    Bspw. zu den Themen Migration und Behinderung: Fengler/Kreutler 2020, Hestermann 2020, Renggli 2004, Radtke 2006, Masuhr 2016. Eine ausnahmsweise breiter angelegte Studie zur audiovisuellen Darstellung von Vielfalt in Film und Fernsehen legten Prommer et al. (2021) vor.

2    Die Abkürzung steht für Black, Indigenous, People of Color. In dieser Kategorie wurden körperliche Merkmale wie Haar- oder Hautfarbe sowie indigene Bevölkerungsgruppen bezogene Nennungen von Vielfalt vereint.

3    In dieser Analyse wurden all jene Personen, die in den Zeitungsartikeln auffällig als „anders“ markiert und beschrieben wurden oder etwa durch einen ‚ausländischen‘ Namen zu ‚erkennen‘ waren, als Mitglieder einer gesellschaftlich marginalisierten Gruppe gezählt. Damit wird eine gesellschaftlich sehr problematische Praxis der Zuschreibung reproduziert, denn der methodische Zugriff über Zeitungsartikel erlaubt keinen Zugang zur Selbstidentifikation der dargestellten Personen. Es soll an dieser Stelle jedoch betont werden, dass der Rückgriff auf die beobachtete Markierungspraxis hier explizit der Sichtbarmachung der Teilhabeasymmetrien im gesellschaftlichen Diskurs über Diversität und Zusammenhalt dient; wo es möglich ist, sollte der Zugang über die Selbstidentifikation vorgezogen werden.

Literaturverzeichnis

Allemann-Ghionda, Cristina (2011). Orte und Worte der Diversität – gestern und heute. In: Cristina Allemann-Ghionda/Wolf-Dietrich Bukow (Hg.). Orte der Diversität. Wiesbaden, Springer, 15–34.

Bpb

(2021). Bevölkerung mit Migrationshintergrund. In absoluten Zahlen, Anteile an der Gesamtbevölkerung in Prozent, 2020. Online verfügbar unter www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61646/migrationshintergrund (abgerufen am 08.12.2021).

El-Mafaalani, Aladin (2021). Wozu Rassismus? Von der Erfindung der Menschenrassen bis zum rassismuskritischen Widerstand. Köln, Kiepenheuer & Witsch.

Fengler, Susanne/Kreutler, Marcus (2020). Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien. Die Berichterstattung über Flucht und Migration in 17 Ländern. Frankfurt a.M., Otto-Brenner-Stiftung.

Hestermann, Thomas

(2020). Die Unsichtbaren. Online verfügbar unter mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Expertise_Hestermann_Die_Unsichtbaren.pdf (abgerufen am 08.12.2021).

Masuhr, Lilian

(2016). Behinderung und Medien – ein Perspektivwechsel. Online verfügbar unter www.bpb.de/apuz/221581/behinderung-und-medien-ein-perspektivwechsel (abgerufen am 26.01.2022).

Prommer, Elizabeth/Stüwe, Julia/Wegner, Juliane

(2021). Sichtbarkeit und Vielfalt. Fortschrittstudie zur audiovisuellen Diversität. Online verfügbar unter malisastiftung.org/wp-content/uploads/SICHTBARKEIT_UND_VIELFALT_Prommer_Stuewe_Wegner_2021.pdf (abgerufen am 08.12.2021).

Quent, Matthias/Salheiser, Axel/Weber, Dagmar (2020). Gesellschaftlicher Zusammenhalt im Blätterwald. Auswertungen und kritische Einordnung der Begriffsverwendung in Zeitungsartikeln (2014-2019). In: Nicole Deitelhoff/Olaf Groh-Samberg/Matthias Middell (Hg.). Gesellschaftlicher Zusammenhalt. Ein interdisziplinärer Dialog. Frankfurt a.M., Campus, 73–88.

Radtke, Peter (2006). Das Bild behinderter Menschen in den Medien. Spektrum Freizeit 30 (2), 120–131.

Renggli, Cornelia

(2004). Behinderung in den Medien – sichtbar und unsichtbar zugleich. Online verfügbar unter www.medienheft.ch/kritik/bibliothek/k23_RenggliCornelia.html (abgerufen am 26.01.2022).

Rommelspacher, Birgit (1998[1995]). Dominanzkultur – Texte zu Fremdheit und Macht. Berlin, Orlanda-Frauenverlag.

Taylor, Sunaura (2017). Beasts of Burden - Animal and Disability Liberation. New York/London, The New Press.

Zitierte Zeitungsartikel aus der Studie

Nordwest-Zeitung Ausgabe Oldenburger Nachrichten vom 30.10.2020, S. 33: Bei Religion stößt Akzeptanz an Grenzen. Studie – Besonders offen sind Menschen im Norden und Süden der Republik.

Rundschau für den Schwäbischen Wald vom 29.07.2016, S. 4: „Verunsicherung wird weiter zunehmen“.

Rheinische Post vom 07.12.2018, S. 20: Katholisches Zentrum stellt Programm für 2019 vor.

Badische Zeitung vom 18.05.2018, S. 11: Saison mit Selbstporträts – Peter Carp und sein Team setzen in ihrer zweiten Freiburger Theaterspielzeit weiter auf Vielfalt, Diversität und Internationalität.

Rheinische Post vom 27.06.2017, S. 13: Fastenbrechen – neuer Imam stellt sich vor.

Westfalen-Blatt vom 16.07.2013: Der Zusammenhalt der Gesellschaft könnte besser sein. Bertelsmann-Studie – Skandinavier und Angelsachsen rangieren klar vor Deutschland.

Die Zeit vom 21.01.2016, S. 27: Der unbemerkte Wandel.

Der Tagesspiegel vom 04.11.2016, S. 6: Porträit Malu Dreyer. Die rheinland-pfälzische Regierungschefin wird neue Bundesratspräsidentin.

Berliner Zeitung vom 23.01.2015, Feuillet: Wir werden das Volk!

Welt online vom 01.11.2018: „Und dann spielt Rassismus wieder stärker eine Rolle“.

Höxtersche Zeitung vom 26.04.2017, S. 5: „Seit Mitte Januar haben wir eine Delle“. NRW-Wahl – Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann kämpft gegen schwache Umfragewerte.