Klimarassismus – neue Polarisierung oder ‚innerimperiale Kämpfe reloaded‘?

Der Beitrag schlägt vor, den Begriff des Klimarassismus systematischer zu nutzen, um die Verquickung von Klimawandel und Klimapolitik mit rassistischen Ideologien und Herrschaftsverhältnissen genauer zu verstehen. Dabei sind drei Ebenen der Verwendung des Begriffs zu unterscheiden: „Klimarassismus“ kann sich beziehen auf a) eine offen vertretene Ideologie, b) auf sozial geteilte Grundhaltungen oder Mentalitäten oder c) auf ein strukturelles Herrschaftsverhältnis. Während die ersten beiden Ebenen diskriminierende Haltungen und Handlungen bestimmter politischer Akteur:innen und Bevölkerungsteile beschreiben, verweist die dritte auf die gemeinsame tiefe Verankerung von Klimazerstörung und rassisierten globalen Ungleichheiten in der Logik moderner kapitalistischer Vergesellschaftung und der von ihr ermöglichten „Imperialen Lebensweise“ selbst.

Ich möchte in diesem Beitrag ein paar Überlegungen zur Eignung des Begriffs „Klimarassismus“ als Instrument zum Verständnis des inneren Zusammenhangs zwischen Rassismus, den Ursachen der Klimakrise und dem politischen Umgang mit ihr anstellen. In der wissenschaftlichen Literatur kommt dieser Begriff bislang kaum vor. Wenn doch, wird er – parallel zum Begriff des „environmental racism“ – meist verwendet, um zu betonen, dass von negativen Auswirkungen der Klimakrise wie auch von Klimapolitik vor allem bereits marginalisierte und rassistisch diskriminierte Gruppen betroffen sind, und dass wirtschaftliche und politische Entscheidungen auch von rassistischen Ideologien und Einstellungen angeleitet und legitimiert sind (z. B. Liedholz 2020, 50ff.).

Klimawandel und Klimapolitik sind – wie andere Formen des Eingreifens in die Naturverhältnisse auch – mit rassistischen Ideologien und Herrschaftsverhältnissen verquickt. Weil diese Verhältnisse mit Bezug auf das Klima aber auf einer abstrakt-globalen Ebene angesiedelt sind, ist es nicht so einfach, ihren rassistischen Charakter aufzuzeigen und politisch zum Thema zu machen. Dies aber ist heute umso wichtiger, weil sich gerade aggressiv rassistische gesellschaftlich-politische Kräfte zunehmend auf das Thema Klima beziehen.

Um auszuloten, wofür der Begriff des Klimarassismus analytisch brauchbar sein kann, formuliere ich drei Thesen, die Klimarassismus als (1) politische Ideologie, (2) als Mentalität und (3) als strukturelles Herrschaftsverhältnis thematisieren.

Klimarassismus als Ideologie

These 1: Als offen vertretene politische Ideologie zielt Klimarassismus auf die Verteidigung des materiellen und symbolischen Status einer v.a. ländlich-traditionalistischen sozialen Mitte. Er ist keine Ideologie der „Abgehängten“.

Klimarassismus als politische Ideologie lässt sich gut am Beispiel der Programmatik der Thüringer AfD studieren1. Der Kern ihres Versprechens an die Wähler:innen besteht in der ideologisch begründeten Ablehnung und Abwehr jeder Veränderung in deren alltäglichem Leben. Die Deutschen, so die Erzählung, hätten sich ihren Wohlstand hart erarbeitet, doch sei dieser nun in Gefahr, weil eine Allianz aus „linksgrünen“ Klima- und Genderideolog:innen, ausländischen „Finanzinvestoren“ und angeblich faulen, neidischen Migrant:innen ihnen diesen wegnehmen wolle. All diese Gruppen stehen in dieser Weltsicht für einen „ideologischen“ kosmopolitischen Universalismus. Dieser wird als widernatürlich bekämpft, weil er der imaginierten ‚natürlichen‘ Einheit zwischen Menschen und Land, Blut und Boden und dem darauf gebauten „gesunden Menschenverstand“ widerspricht (Eversberg 2019, 11–13). Mit dem Thema „Klima“ sind nun Veränderungen angesprochen, die auf der gleichen abstrakt-gesellschaftlichen Ebene liegen, gegen die sich diese Abwehr richtet: Weil sie nicht umhin kommt, das Allgemeine, die unhintergehbare globale Abhängigkeit aller von allen, zu thematisieren, kann Klimapolitik aus der völkisch-identitären Weltanschauung Björn Höckes und der von ihm geführten AfD heraus ganz grundsätzlich nicht akzeptiert werden. Die Klimaverweigerung war daher neben dem Rassismus eine zweite zentrale ideologische Säule des Wahlprogramms der AfD zur Landtagswahl 2019 (Eversberg 2019, 9–11).

Ein zugkräftiges Thema sind hierbei die in Thüringen starken Widerstände gegen den Ausbau der Windkraft. In Kooperation mit der Jenaer Klimaleugnungsvereinigung EIKE (Europäisches Institut für Klima und Energie e.V.) unterstützt die AfD lokale Anti-Windkraft-Initiativen und betreibt dabei gezielt die Verknüpfung von Energiewendeablehnung und Rassismus: Der Ausbau „hochprofitable[r] Windkraftanlagen wohlhabender Investoren und Ökoindustrieller“ (Eversberg 2019, 66f.) schade den Interessen der lokalen Bevölkerung am unveränderten Erhalt des Landschaftsbilds und an der Vermeidung zu hoher Steuern und diene nur reichen und mächtigen Fremden sowie einer angeblich vom Pariser Abkommen geforderten „Deindustrialisierung westlicher Industrienationen zugunsten junger Industrienationen wie Indien und China“ (AfD-Wahlprogramm 2019, 66). Dagegen solle Energie besser weiter vermeintlich unproblematisch aus russischem Gas bezogen werden. Hinzu kommen in solchen klimarassistischen Programmatiken oft auch pseudoargumentative Verbindungen klassisch-rassistischer Denkmuster mit Klimapolitik, etwa die Behauptung, eine angebliche „Überbevölkerung“ in armen Ländern sei das Problem – anstatt der Lebensweise der reichen Länder.

Klimarassismus als Ideologie verknüpft also Klimapolitik und Migration, indem er beide gleichermaßen als Angriff auf die eigene gewohnte Lebensweise darstellt, die ihrerseits als legitim gilt, weil ihre Abhängigkeit von den global-gesellschaftlichen Verhältnissen, auf die beide verweisen, mit dem Beharren auf die eigene „harte Arbeit“ und die überlegene Leistungsbereitschaft des eigenen „Volks“ abgestritten wird.

Diese Ideologie bietet Menschen, die sich von gesellschaftlicher Veränderung überfordert und bedroht fühlen, eine Selbstlegitimationsstrategie an. Auch wenn sie an Gefühle von Benachteiligung und „Abgehängtsein“ appelliert, ist sie aber eben keine Ideologie der Benachteiligten, sondern vor allem von bestimmten Teile der sozialen Mitte: Wie andere ähnlich positionierte Gruppierungen wird die Höcke-AfD vor allem von kleinen Selbstständigen, Freiberufler:innen und Beamt:innen getragen, und Analysen der AfD-Wähler:innenschaft zeigen, dass diese in absoluten Zahlen deutlich häufiger von Angestellten und Rentner:innen gewählt wird als von Arbeiter:innen und Arbeitslosen (Eversberg 2017). Darauf, um welche Teile der sozialen Mitte es sich handelt, gibt die geografische Verteilung der AfD-Hochburgen Hinweise: So ist sie im Osten generell stärker als im Westen, wird sowohl innerhalb des Ostens als auch des Westens im Süden häufiger gewählt als im Norden, und vor allem weit öfter in ländlichen Regionen als in großen Städten. Tatsächlich setzt der Klimarassismus als Ideologie an Unterschieden und Ungleichheiten zwischen Stadt und Land, Ost und West an und politisiert diese, indem er Menschen, die mit ihrem Leben materiell weitgehend zufrieden sind, eine Selbstdeutung als Opfer von „linksgrüner“ Klima- und Migrationspolitik anbietet und ihnen Schutz vor einem Komplex gesellschaftlicher Veränderungen verspricht, die an beiden Themen festgemacht und als umfassende Bedrohung dargestellt werden.

Klimarassismus als Mentalität

These 2: Der klimarassistische Autoritarismus wird getragen von einer klassenübergreifenden Allianz, deren gemeinsamer Nenner in der Abwehr gegen die Veränderungsanforderungen laufender flexibel-kapitalistischer Vergesellschaftungsprozesse besteht.

‚Unterhalb‘ seiner offen vertretenen ideologischen Formen spielt Klimarassismus auch als zu verfestigten Haltungen geronnene vorpolitische Erfahrung, also als Mentalität eine Rolle. Der gemeinsame Nenner, der es offen klimarassistischen Kräften ermöglicht, eine Koalition von ganz oben bis ganz unten in der sozialen Hierarchie anzustreben, besteht auch auf dieser Ebene in der Abwehr von Veränderungen, die eine Verschlechterung des eigenen Status erwarten lassen – je individuell innerhalb der Gesellschaft, aber auch kollektiv in der Konkurrenz mit anderen Nationen. Klimarassistische Mentalitäten in diesem Sinne sind solche, aus denen heraus eigene Statusvorteile gegenüber Anderen als rein individueller eigener Verdienst oder sogar als Ausdruck ‚natürlicher‘ Überlegenheit und größerer Leistungsfähigkeit der eigenen Gruppe oder Nation gedeutet werden. Aus dieser Fehldeutung von Ungleichheiten als „natürlich“ heraus wird jede Infragestellung gegebener Lebensweisen und Verteilungsverhältnisse – sei es mit Verweis auf das Klima und/oder auf globale Ungerechtigkeiten – als direkter Angriff auf die eigene Person und das eigene scheinbar auf Leistung gegründete „gute Recht“ erlebt und entsprechend bekämpft.

Es gibt unterschiedliche Varianten oder „Syndrome“ solcher Mentalitäten, die für unterschiedliche soziale Statuspositionen typisch sind und die weiter verbreitet sind als die offene Unterstützung von klimarassistischer Ideologie. Näher unterscheiden lassen sich diese anhand der Typen sozial-ökologischer Mentalitäten, die ich in einer Analyse der Befragung „Umweltbewusstsein in Deutschland 2018“ des Umweltbundesamts identifiziert habe2. Die elf dabei gefundenen Typen (Abb. 1) lassen sich in drei übergeordnete Lager gruppieren – ein ökosoziales Lager (ca. 1/3 der Bevölkerung), das umfassende sozial-ökologische Transformationsvorstellungen vertritt oder unterstützt, ein regressiv-autoritäres Lager (ca. 25%), das sich durch die Abgrenzung von ökosozialen Anliegen und Klimapolitik definiert, sowie ein liberal-steigerungsorientiertes Lager (rd. 40%), in dem die für den flexiblen Kapitalismus prägenden marktzentriert-individualistischen Vorstellungen von Wohlstand und gesellschaftlicher Liberalisierung sowie das Versprechen marktbasierter Lösungen für ökologische Probleme noch Bindekraft entfalten (Abb. 2).

Abb. 1: Sozial-ökologische Mentalitäten in Deutschland: Elf Typen (aus Eversberg 2020)

Als klimarassistische Mentalitäten können dabei recht offensichtlich die des regressiv-autoritären Lagers („antiökologisch“, „pseudoaffirmativ-beharrlich“ und „prekär-defensiv“) gelten, denen Klimapolitik und Antirassismus gleichermaßen als Angriffe auf ihre „natürlichen“, insbesondere durch nationale Zugehörigkeit begründeten Statusansprüche erscheinen. In stärker individualistischer, auf die eigene scheinbar größere Leistungsfähigkeit oder schlicht den eigenen größeren Erfolg in der Konkurrenz am – seinerseits als „natürlich“ wahrgenommenen – Markt begründeter Form finden sich ähnliche Muster; aber auch in Teilen des liberal-steigerungsorientierten Lagers, also jener abgesicherten bis privilegierten sozialen Mitte, die als soziale Träger:innenschaft des exportorientierten deutschen Wachstumsmodells der letzten rund zwei Jahrzehnte gelten kann. Am deutlichsten ist es beim dem antitransformatorisch-aktivbürgerlichen Mentalitätstyp: Diesen kennzeichnen ein elitäres Selbstbewusstsein, markt- und technologiegläubige Modernisierungsvorstellungen sowie die bewusste Fixierung auf Sicherung der eigenen Privilegien gegen sozial und ökologisch begründete Ansprüche, aber auch gegen Liberalität und Gleichbehandlung. Jede Veränderung in der Politik wie auch im eigenen Leben wird deshalb gleichermaßen abgelehnt; entschlossen festgehalten wird an einem auf Externalisierung und Indifferenz beruhenden, stark ressourcen- und emissionsintensiven Lebensstil.

Klimarassismus als strukturelles Herrschaftsverhältnis

These 3: Diese flexibel-kapitalistische „Modernisierung“ ist selbst Ausdruck von Strategien der Verteidigung einer strukturell klimarassistischen imperialen Produktions- und Lebensweise. Der Konflikt zwischen autoritärem Nationalismus und individualistisch-globalistischem „progressivem Neoliberalismus“ ist damit als Konflikt zwischen aggressiv-chauvinistischem und strukturellem Klimarassismus, zwischen Abwehr jeder Klimapolitik und technozentrischen, Ungleichheiten reproduzierenden Modellen derselben zu verstehen.

Gehen wir davon aus, dass an den Diagnosen der „Imperialen Lebensweise“ (Brand/Wissen 2017) und der „Externalisierungsgesellschaft“ (Lessenich 2016) etwas dran ist – und gerade der zuletzt beschriebene Typ scheint dies ja eindrucksvoll zu bestätigen –, dann sind zunächst jene Voraussetzungen anzuerkennen, auf denen der Wohlstand und die Stabilität der (nordwest-)europäischen Staaten beruhen, ohne dass sie diese aus sich heraus gewährleisten könnten: globale Ungleichheiten, Ausschlüsse und Gewaltverhältnisse, die historisch durch koloniale Expansion von Europa aus geschaffen wurden, dessen heutigen Status ermöglicht haben und politisch bewusst und gezielt aufrechterhalten werden. Hierzu gehören aufgerüstete und militarisierte Grenzregimes, die Ausnutzung von Wohlstandsgefällen zur Ausbeutung von Wanderarbeiter:innen und zur Aneignung von unbezahlter (Sorge-)Arbeit, der von wirtschaftlicher Macht gestützte ökologisch ungleiche Tausch zwischen Zentren und Peripherien der Weltwirtschaft usw. als mehrheitlich akzeptierte Normalitäten. Ohne all das wäre hier das für Mehrheiten als üblich geltende bequeme und billige Leben nicht möglich.

Diese Ordnung ist als solche klimarassistisch, weil in den Expansions- und Wachstumszwängen, die sie hervorgebracht haben, die Ursachen von Klimazerstörung und rassistisch begründeter Gewalt, Ausbeutung und Enteignung zusammenfallen, und weil durch ihre Aufrechterhaltung beides immer weiter vorangetrieben wird. Um an diesem strukturellen Klimarassismus beteiligt zu sein, bedarf es keiner aktiv-diskriminierenden Einstellungen, sondern lediglich der Unterstützung oder Akzeptanz der bestehenden Verhältnisse. Dass diese nicht nur von Minderheiten mit aktiv klimarassistischen Mentalitäten, sondern von gesellschaftlichen Mehrheiten getragen wird, illustriert ein Zitat aus der Präambel des Koalitionsvertrags der Ende 2021 ins Amt gekommenen Ampelkoalition: „Die Klimakrise gefährdet unsere Lebensgrundlagen und bedroht Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Deutschland und Europa müssen angesichts eines verschärften globalen Wettbewerbs ihre ökonomische Stärke neu begründen.“ Es sind also nicht etwa der Erhalt von Ökosystemen und menschlichen Lebensgrundlagen in besonders betroffenen Regionen oder in der Zukunft, sondern „Freiheit, Wohlstand und Sicherheit“ – als Chiffre für den eigenen auf Kosten anderer erlangten Reichtum –, mit denen Klimapolitik begründet wird, und diese soll dazu dienen, diesen Reichtum in der Konkurrenz gegen den Rest der Welt zu behaupten. Kurz: ‚Wir müssen unsere Macht verteidigen‘ – und sei es um den Preis immer weiterer Verschärfung der Konsequenzen. Wenn vor diesem Hintergrund im gleichen Koalitionsvertrag immer wieder eine „Transformation“ hin zu „grünem Wachstum“ beschworen wird, dann wird diese offenkundig nicht als Weg zur Überwindung des strukturellen Klimarassismus gedacht, sondern soll diese Überwindung gerade verhüten.

Abb. 2: Sozial-ökologische Mentalitäten in Deutschland 2018 – drei übergeordnete Lager

In Abbildung 2 sind als Farbintensität die grob berechneten mittleren CO2-Fußabdrücke3 eingezeichnet, die mit den verschiedenen Mentalitäten korrespondieren. Daran ist zum einen sehr gut sichtbar, dass sich der imperialen Lebensweise hierzulande niemand entziehen kann (kein Mentalitätstyp weist mittlere Emissionen auf, die auch nur annähernd global verallgemeinerungsfähig wären) – es ist aber auch zu sehen, welche Teile der Gesellschaft am meisten von ihr profitieren und am meisten zu verlieren hätten, wenn sie infrage gestellt würde.

Am engsten in die imperiale Lebensweise eingebunden ist demnach die produktiv-konsumtive Mitte des flexiblen Kapitalismus, die sich vor allem im liberal-steigerungsorientierten Lager konzentriert. Die ‚innerimperialen Kämpfe‘ zwischen offen-aggressivem und strukturellem Klimarassismus spielen sich wesentlich zwischen diesem und dem regressiv-autoritären Lager, auf jeden Fall aber auf dem Boden eines Konsenses darüber ab, dass die imperiale Lebensweise verteidigt werden soll (Eversberg 2017). Wenn in dieser Konstellation von irgendwoher Widerstand oder eine Gegenbewegung gegen die klimarassistische Normalität erwartet werden kann, dann wohl am ehesten von den ‚inneren Peripherien‘ der hiesigen Lebensweise (marginalisierte und diskriminierte Gruppen, Beschäftigte in Sorge- und Bildungsbereichen, alternative Lebensmodelle etc.), die im dritten ökosozialen Lager überrepräsentiert sind – und das Handeln von Teilen der gegenwärtigen Klimabewegungen lässt sich wohl durchaus als Bemühen um eine Politisierung sozial-ökologischer Transformationsfragen entlang dieser Innen-Außen-Achse der imperialen Lebensweise verstehen.

Das politische Projekt der Ampel hingegen scheint solchen Bemühungen klar entgegengesetzt. Statt auf die Infragestellung des Wachstums- und Expansionzwangs mit seinen klimarassistischen Konsequenzen zielt es auf eine Neukonstituierung der Wachstumskoalition im oberen mittleren Bereich als ‚ergrüntes‘ progressiv-neoliberales Lager. An die Stelle der liberal-steigerungsorientierten soll, etwas weiter links im Raum, eine ‚Green Growth‘-Koalition treten, unter Einbindung jener Teile des ökosozialen Lagers, die am meisten von der imperialen Lebensweise profitieren und für das Versprechen, ihren „Wohlstand“ behalten zu können, anfällig sind. Der Kompromiss: Eine entschlossenere Klimapolitik wird erkauft mit der Beschränkung auf technologische und marktliche Mittel und mit dem Verzicht auf jeden Schritt in Richtung von Umverteilung und Abbau globaler Herrschaftsbeziehungen, ein demonstrativer Antirassismus nach innen mit verschärfter struktureller Ausgrenzung und Abschottung, also kurz gesagt: eine ‚Begrünung‘ und Liberalisierung des Status quo mit der Fortschreibung seiner klimarassistischen Konsequenzen. Dabei ist zu erwarten, dass Teile des liberal-steigerungsorientierten Lagers (antitransformatorisch-aktivbürgerliche Mentalitäten) ‚wegbrechen‘, diesen Modernisierungskurs nicht mitmachen und zusammen mit dem bisherigen regressiv-autoritären Lager ein größeres offen klimarassistisches Lager bilden könnten.

Die globalen und intergenerationalen Gerechtigkeitsforderungen der Klimabewegung werden damit aus dem Spektrum des politisch Legitimen und Anerkannten ausgeschlossen bzw. an den Rand gedrängt. Das ökosoziale Lager könnte sich damit vor der Herausforderung sehen, sich ein Stück weiter ‚unten‘ im sozialen Raum neu zu erfinden – entlang vielfältiger Erfahrungen von Marginalisierung, entwerteter Arbeit, Internalisierung der Lasten des Lebens Anderer und dem Wissen um die Schädlichkeit der diese Erfahrungen bedingenden Prozesse für andere in anderen Weltregionen, für spätere Generationen und für die außermenschliche Natur. Damit ginge ein gegenüber hergebrachten politisch linken Konzeptionen von „Klasse“ verschobenes Selbstverständnis einher, das sich weniger nach einer ‚oben-unten‘- als nach einer ‚innen-außen‘-Achse gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse definiert und für das daher dem Antirassismus eine umso zentralere Bedeutung zukommen muss.

 

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1    Dies kann hier aus Platzgründen nur skizziert werden. Für eine detaillierte Analyse des AfD-Programms zur Landtagswahl 2019: Eversberg (2019).

2    Für eine nähere Beschreibung von Vorgehen und Ergebnissen dieser Analyse ist hier kein Platz. Im Detail dokumentiert ist sie in Eversberg (2020).

3    Aufgrund der Art, wie diese (sehr groben) Werte berechnet wurden, liegen die Durchschnittswerte hier deutlich niedriger als die rund zehn Tonnen pro Kopf, die in Deutschland 2018 ausgestoßen wurden. Entscheidend sind aber die Unterschiede zwischen den ‚mentalitätstypischen‘ Emissionsniveaus.

Literatur

Brand, Ulrich/Wissen, Markus (2017). Imperiale Lebensweise: zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus. München, oekom verlag.

Eversberg, Dennis (2020). Bioökonomie als Einsatz polarisierter sozialer Konflikte? Zur Verteilung sozial-ökologischer Mentalitäten in der deutschen Bevölkerung 2018 und ihren Unterstützungs- und Widerstandspotentialen gegenüber Bioökonomie als gesellschaftlichem Wandel (Working Paper der BMBF-Nachwuchsgruppe „flumen“). Jena, Friedrich-Schiller-Universität.

Eversberg, Dennis (2019).: Die kohärente völkisch-identitäre Strategie des B. Höcke: Eine Analyse des Wahlprogramms der AfD zur Thüringer Landtagswahl 2019. Jena, Friedrich-Schiller-Universität.

Eversberg, Dennis (2017). Innerimperiale Kämpfe: Der autoritäre Nationalismus der AfD und die imperiale Lebensweise (Working Paper Nr. 7/2017). Working Paper der DFG - KollegforscherInnengruppe Postwachstumsgesellschaften Jena, DFG-Kollegforschergruppe Postwachstumsgesellschaften.

Lessenich, Stephan (2016). Neben uns die Sintflut: Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. München, Hanser Berlin.

Liedholz, Yannick (2020). Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel: Perspektiven und Handlungsspielräume. Opladen, Verlag Barbara Budrich.