Klimadiktatur? Rechte Ideologie und Verschwörungsnarrative zur Klimapolitik in den sozialen Netzwerken

Seit Jahrzehnten attackiert eine Allianz aus rechtskonservativen, rechtslibertären bis hin zu radikal rechten und verschwörungsideologischen Gruppen die Befunde zum menschengemachten Klimawandel. Das Regime der ungleichen Verteilung von Klimawandelfolgen und Umweltbelastungen zu Lasten rassistisch diskriminierter und marginalisierter Gruppen, wird als „Klimarassismus“ bezeichnet. Dieser ist eng verknüpft mit der Geschichte kolonialer und neokolonialer Ausbeutung sowie der Externalisierung der negativen Effekte des „Wohlstandswunders“ der westlichen Industrienationen in den globalen Süden. Rechte Klimaskeptizismus-Diskurse erfüllen in dem Kontext eine wichtige Brückenfunktion. Sie legitimieren soziale Ungleichheit und negieren gleichzeitig die Notwendigkeiten ökologischer Veränderungen. Im Spannungsfeld zwischen dem rasant steigenden Transformationsdruck und dem Bedürfnis zur Aufrechterhaltung des Status Quo vertiefen sich gesellschaftliche Polarisierungstendenzen. Die Gefahr der erhöhten Anschlussfähigkeit derartiger Positionen wächst. Im folgenden Beitrag diskutieren wir die rechte Ideologieproduktion im Kontext der globalen Klimakrise.

Klimawandel, Klimarassismus und Klimadiskurs

Die globale Klimakrise und die daraus entstehenden Herausforderungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind wesentlich durch ein Strukturprinzip gekennzeichnet, dass als Klimarassismus (vgl. Williams 2021) thematisiert werden muss. So provokant dieser Begriff auf den ersten Blick wirken mag, so wichtig ist er doch für die kritische Analyse der komplexen Ungleichheitsordnung, welche die unterschiedlichen Betroffenheiten durch Folgen des Klimawandels, seiner kollektiven Deutung und politischen Bearbeitung grundiert. Albert Memmi (1987) beschrieb Rassismus als Mechanismus der Aufrechterhaltung und Verteidigung von Macht, Status und Privilegien. Es ist naheliegend, auf der Basis dieser Definition auch das gesellschaftliche Konfliktpotenzial zu fokussieren, das mit der Kulmination ökologischer Risiken, Gefahren und divergierender Interessen verknüpft ist. In den Ländern des globalen Südens hat der Klimawandel schon lange katastrophale Folgen für die Umwelt und die Menschen. Die Lage spitzt sich immer weiter zu. Die Länder des globalen Nordens – bzw. die sogenannten westlichen Industrienationen – sind mit ihren historisch gewachsenen Produktions- und Konsumregimes hauptverantwortlich für die Zerstörung der weltweiten natürlichen Lebensgrundlagen (Abimbola et al. 2021). Die Lasten und Kosten wurden aus den eigenen Ländern exportiert, im Stile einer „imperialen Lebensweise“ (siehe Beitrag von Eversberg in diesem Band), durch den sich globale Ungleichheit beständig fortschreibt und verschärft. Auf Druck der internationalen Klimagerechtigkeitsbewegung ist zwar der Impuls gesetzt, eine ökologische, wirtschaftliche und soziale Transformation der (Welt-)Gesellschaft einzuleiten.

Die Frage, wie diese Transformation konkret gestaltet werden soll, stellt jedoch den gesellschaftlichen Zusammenhalt auch hierzulande auf die Probe. Forderungen nach schnellerem, konsequenteren Klimaschutz kollidieren u. a. mit Maßstäben sozialer Verträglichkeit, des Schutzes von Arbeitsplätzen und normativen Erwartungen an die Stabilität von Produktions- und Konsumweisen bzw. Stilen der Lebensführung. Entsprechend steigt die Angst vor Veränderungen sowie individuellem und kollektivem Statusverlust in bestimmten Bevölkerungsteilen und Sozialmilieus; auf Ebene der politischen Kommunikation wird die „Bewahrung unseres Wohlstands“ beschworen. Klimawandelskeptizismus (Rensburg 2015), das heißt die Leugnung des „menschengemachten“ Klimawandels, hat dabei die Funktion eines Brückennarrativs zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus, da dadurch die Abwehr einer ökologisch-sozialen Transformation und die Verteidigung kollektiver Privilegien rationalisiert und legitimiert wird. Diese Leugnung bzw. Bagatellisierung wird durch Lobbyist:innen der fossilen Energiewirtschaft und der Industrie sowie durch rechte Populist:innen seit vielen Jahren systematisch und kampagnenhaft vorangetrieben (Forchtner 2019, 2020). Sie dämonisieren die längst überfällige Politikwende als Vorbotin einer „sozialistischen Klimadiktatur“. Appelle an universalistische Solidarität denunzieren sie als „Ideologie“ von „Globalisten“. Dabei wird auf die ethnozentrische Verteidigung von Privilegien abgezielt, die angesichts der Klimakrise immer illegitimer erscheinen.

Autoritäre und rechtspopulistische Praxen der Diskursaneignung in der Klimafrage zielen auf die Abwehr universalistischer Solidarität und die Aufrechterhaltung von Privilegien und der fossilen Produktions- und Konsumregimes ab. Sie nehmen besonders im globalen Maßstab die extreme Ungleichheit der Verfügung über natürliche Ressourcen – oder deren Vernichtung – blindlinks in Kauf oder treiben diese sogar vorsätzlich voran. De facto trifft der Klimawandel zuerst nicht die Wohlstandsgesellschaften des sogenannten globalen Nordens, sondern besonders hart jene Regionen der Welt, die meist nur dann ins Bewusstsein rücken, wenn es darum geht, Flucht- und Armutsmigration aus ihnen abzuwehren. Die Bewahrung des Eigenen, der „Festung Europa“ – in Bezug auf den Klimawandel heißt dies: „Neben uns die Sintflut“ (Lessenich 2016). Je klarer sich konkrete politische Schritte in Richtung einer ökologisch-ökonomisch-sozialen Gesellschaftstransformation abzeichnen – in Deutschland ruhen große, durchaus ambivalente Erwartungen auf der neuen sozialdemokratisch-grün-liberalen Bundesregierung –, desto größer wird der Widerstand, desto größer wird das Potenzial für rechtspopulistische Versuche der Polarisierung und Spaltung sowie für antidemokratische Mobilisierung und Radikalisierung.

Wie die aktuelle Mitte-Studie der FES (Reusswig et al. 2021a, 269ff.) zeigt, haben ca. 9 % der Deutschen Zweifel am „menschengemachten“ Klimawandel, ungefähr genauso viele halten wissenschaftliche Studien, die einen Klimawandel belegen, für „meist gefälscht“ und lehnen eine Energiewende ab. Verschwörungsmentalität sowie populistische Einstellungen erhöhen hierbei die Zustimmungstendenz signifikant, rechtsextreme Einstellungen tun es noch stärker. Eine mögliche, plausible Erklärung dafür sind autoritäre Abwehrreflexe gegenüber einer Politik bzw. einer gesellschaftlichen Entwicklung, die als bedrohlich wahrgenommen und mit wachsender Unsicherheit und Kontrollverlust assoziiert wird. Nicht zuletzt auch, da sie von Eliten und Institutionen ausgeht, denen man wenig vertraut. Dass die rassistische Abwehr gegenüber „Fremden“ als ein Reaktionsmechanismus auf die erhöhte Wahrnehmung von Gefahren des Klimawandels folgen kann, zeigen auch Uenal et al. (2021) in einer experimentellen sozialpsychologischen Studie. Einige Menschen identifizieren sich bei wahrgenommener Bedrohung durch den Klimawandel besonders stark mit ihrer sozialen Eigengruppe, z. B. ihrer Nation. Sie tun dies zur Abwehr der eigenen Unsicherheit und Angst sowie zur Wiederherstellung von Kontrolle. Mit anderen Worten: Die erhöhte Relevanz des Klimawandels kann rassistische Einstellungen bei jenen verstärken, die Solidarität mit der Eigengruppe favorisieren und „Fremde“ vornehmlich als Konkurrenz betrachten.

Es gibt also allen Grund zur Annahme, dass rechte Ideologieproduktion und -dissemination nicht nur darauf abzielen, sondern auch dazu geeignet sind, diese Abwehrreflexe und politischen Einstellungen aufzugreifen und gegen eine ökologische Transformation zu verstärken. Die Agitation und Propaganda dazu findet vor allem über die Publikationskanäle der neurechten Medienlandschaft, maßgeblich jedoch in den sozialen Netzwerken statt (Matlach und Janulewicz 2021). Wie bereits in der Corona-Pandemie sind damit erhebliche Mobilisierungs- und Radikalisierungspotenziale verbunden. Genauso wie nach Darstellung der radikal rechten Verschwörungsideolog:innen die Coronakrise eine „Generalprobe“ der „globalistischen Eliten“ für die zukünftige Klimadiktatur darstellt, konstruieren eben diese radikal rechten Ideolog:innen schon seit längerer Zeit mit der Klimafrage einen weiteren, möglicherweise noch weitreichenderen Mobilisierungsanlass, wozu sie möglichst breit und zahlreich Desinformationen streuen, um Statusverlustangst zu schüren und die Systemdistanz zu erhöhen. Das Politikfeld, der gesellschaftliche Diskurs über den Klimawandel und die Klimapolitik sollen gekapert und besetzt werden, indem eigene Erzählungen und Deutungen möglichst breit gestreut werden. Ökologische Klimapolitik, vor allem die Energiewende, wird als unsinniges, „Ideologieprojekt“ attackiert (Reusswig et al. 2021b; Radtke et al. 2019; Forchtner und Özvatan 2022). Oder sie wird gar zum „teuflischen Plan” stilisiert, zur Weltverschwörung der Eliten und dem „Great Reset“ (vgl. Bals 2021), denen man Widerstand entgegenbringen müsse – wie immer in der radikal rechten Ideologietradition: um Volk und Nation zu retten sowie aus Notwehr, mit der letztlich auch Gewalt als legitimes Mittel erscheint, also Pfade antidemokratischer Mobilisierung und Radikalisierung vorgezeichnet werden.

„Great Reset“ – von der Corona- in die Klimadiktatur

Die Phrasen vom „Klimasozialismus“, der „grünen Diktatur“ und dem „Klimaschwindel“, mit denen verschwörungsideologische und radikal rechte Gruppen aktuell die Klimapolitik attackieren, sind keineswegs neu. Die rechte Mobilisierung gegen Klimaschutz und -gerechtigkeit ist daher nicht „nur“ ein aktueller populistischer Abwehrreflex gegen die verachteten politischen Eliten und Institutionen, sondern eine seit Jahrzehnten andauernde rechte Gegenbewegung, die sich vor dem Eindruck transformativer Großereignisse im Kampf um materielle und ideelle Vormachtstellung formiert hat. Bereits seit den 1970er-Jahren kämpft diese Allianz aus konservativen und radikalen Rechten, Rechtslibertären, finanzstarken Unternehmen sowie marktradikalen und rechtskonservativen Thinktanks erfolgreich gegen den breiten wissenschaftlichen, faktenbasierten Konsens zur globalen Erwärmung und zu den anthropogenen1, industriellen Ursachen der Klimakatastrophe (Oreskes und Conway 2012; Mayer 2016; Mann 2021). Die Narrative und Strategien haben sich dabei bis heute kaum geändert. Halbwahrheiten, Manipulationen, gezielte Lügen, das Verwenden pseudowissenschaftlicher Methoden, gekaufte „Expert:innen“ und Attacken auf Klimaforschende und Aktivist:innen gehören seither fest ins Standardrepertoire der globalen „Skeptiker“-Allianz. Mit dem rapiden Bedeutungszuwachs sozialer Medienplattformen im vergangenen Jahrzehnt haben sich die Ausspielwege und Reichweiten der Bewegung allerdings beträchtlich erweitert.

Analyse von Klimadiskursen in „coronakritischen“ Telegram-Netzwerken

Um zu untersuchen, inwiefern Erzählungen wie die vom „Great Reset“ in sozialen Medien verfangen, haben wir einen umfangreichen Datensatz der Messenger- und Social-Media-Plattform Telegram analysiert. Der Datensatz wurde erhoben, um eine Bestandsaufnahme des deutschsprachigen „coronakritischen Netzwerkes“ durchzuführen. Ausgehend von zentralen Gruppen bekannter „coronakritischer“ Akteur:innen haben wir im Schneeballverfahren deren Verbindungen (Telegram-interne Links) zu weiteren Gruppen herausgefiltert und weiterverfolgt. Auf diesem Weg wurden rund 7 Mio. Nachrichten analysiert, die wir seit Anfang des Jahres 2021 erhoben haben. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse einer Stichwortsuche im Zeitverlauf. Wie oben bereits ausgeführt, besteht eine deutliche Evidenz dafür, dass sich zentrale politische Haltungen entlang ähnlicher gesellschaftlicher Konfliktthemen polarisieren. Zahlreiche Gruppen und Akteur:innen, die in der Vergangenheit bereits zu gesellschaftlichen Konfliktereignissen mobilisierten (z. B. „Friedensmahnwachen“ im Zuge der Krimkrise, geflüchtetenfeindliche Mobilisierung und Adaptionsversuche der Gelbwestenproteste in Deutschland), treten im Zuge der Coronakrise on- wie auch offline wieder in Erscheinung. Auffällig Viele vertreten auch klimaskeptische Positionen. In der Verschwörungsgroßerzählung des „Great Reset“ greifen zahlreiche Erzählstränge existierender rechtsextremer und verschwörungsideologischer Narrative ineinander. Besonders die Klimafrage hat hier großen Stellenwert, weil Klaus Schwab, Chef des Weltwirtschaftsforums und Stichwortgeber des „Great Reset“, forderte, dass zukünftige ökonomische und soziale Transformationsprozesse auch im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit gestaltet werden müssen. Weitere zentrale Akteur:innen, die in diesem Zusammenhang aus der klimaskeptischen Community attackiert werden, sind u. a. die Klimakativist:innen Greta Thunberg, Luisa Neubauer, die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock, der Microsoft-Gründer Bill Gates und der Investor George Soros. In der Vorstellung der Anhänger:innen der Verschwörungserzählung vom „Great Reset“ dienen die Coronamaßnahmen als eine Art Vorübung zum totalitären Umbau der Weltgesellschaft zu einer neuen Weltordnung, die sich auch durch den inszenierten „Klimanotstand“ rechtfertigt. In vielen „klimakritischen“ Diskursen werden die Vorstellungen des „Great Reset“ mit denen eines rassistischen Bevölkerungsaustausches (d. h. angebliche Vernichtung der Europäer:innen durch Migration), mit sozialistischen Klimaherrschaftsfantasien, Transhumanoiden (d. h. Digitalkonzerne wollen neue humandigitale Mischwesen etablieren), Impfverschwörungen (u. a. mit angeblichem Ziel einer Bevölkerungsreduktion) und teils antisemitischen Thesen zu den Profiteur:innen des Reset (u. a. Rothschild, Soros, die „Globalisten“, das „internationale Finanzkapital“, oder ganz offen: „Juden“) verbunden. Derzeit findet dieser Bezug auch zur Corona-Pandemie statt bzw. werden bisherige und derzeitige Krisen als „Vorübung“ zu einer sogenannten „Diktatur“ bezeichnet.

In der Analyse der Telegram-Daten verglichen wir die Häufigkeiten von Suchbegriffen2 von Beginn 2018 bis Oktober 2021, die mit „skeptischen“ Positionen zum Klimawandel und zur Klimabewegung assoziiert sind, gegenüber der Auftrittshäufigkeit von Suchbegriffen der populären QAnon-Verschwörungsgroßerzählungen, die im Rahmen der Coronapandemie Hochkonjunktur hatte. Die QAnon-Verschwörungserzählung behauptet eine globale Verschwörung der Eliten gegen die Bevölkerungen und verbindet strukturell antisemitische Narrative mit der Unterstellung okkulter Riten (z. B. Trinken von Kinderblut zur Verjüngung). Seit Anfang 2020, als die Anzahl „coronakritischer“ Gruppen auf Telegram explosionsartig anstieg, erfuhr diese ursprünglich in den USA entstandene Verschwörungserzählung auch im deutschsprachigen Raum einen enormen Bedeutungszuwachs und beeinflusste für längere Zeit die hiesigen „coronakritischen“ Diskurse.

Abb. 1: Klimadiskurse im „coronakritischen Telegram-Netzwerk“

Im Ergebnis sehen wir zunächst, wie das QAnon-Narrativ (Abb. 1, rote Linie) im deutschsprachigen Telegram-Netzwerk Einzug hielt und sich zu einer weitreichenstarken Großerzählung entwickeln konnte. Mit der Abwahl Trumps und der Inauguration Bidens verlor das Thema, zumindest vorläufig, an Aktualität. Klimaskeptische Narrative zum „menschengemachten“ Klimawandel, zu den Grünen und den Fridays for Future-Aktivist:innen gewannen dagegen sichtbar an Bedeutung (Abb. 1, grüne Linie).

In dem Maß, wie die Folgen der Klimakrise auch hierzulande stärker in den Fokus drängten, stieg die Relevanz des Klimadiskurses deutlich (z. B. im Kontext der Flutkatastrophe im Sommer 2021). Zahlreiche Verschwörungsmythen und rechte Mobilisierungen bestimmten in den Telegram-Kanälen die Nachrichten. Die Rede war von kompletten Regierungsversagen, dem Ausnutzen der Katastrophe für die Klimaagenda bis hin zum Vorwurf der gezielten Inszenierung (bspw. durch Wetterwaffen). Zahlreiche rechte und coronakritische Gruppen mobilisierten in „Fluthilfegruppen“ in betroffene Flutgebiete und verbreiteten von dort aus populistische Propaganda unter dem Deckmantel der „Fluthilfe“. Gleichzeitig zeigt sich die hohe Variabilität gesellschaftlicher Themen mit hohem Polarisierungspotenzial, die stark von zentralen Events bestimmt werden (u. a. Klimagipfel, US-amerikanischen Wahlen, Flutkatastrophe in Deutschland), die sich in radikal rechte und verschwörungsideologische Erzählstrukturen integrieren lassen.

Klimadiskurse auf anderen zentralen Social-Media-Plattformen

Die beschriebenen Radikalisierungs- und Mobilisierungsdynamiken im Kontext des Klimadiskurses beschränken sich jedoch nicht auf Telegram. Das antidemokratische Potenzial rechter und verschwörungsideologischer Milieus entfaltet sich vielmehr multimedial und plattformübergreifend. Aufgrund der verstärkten Durchsetzung von Deplatforming und der Löschung desinformativer Inhalte auf den sozialen Medien der großen Tech-Unternehmen musste ein Teil der Szene zwar auf Alternativen zu Facebook, Twitter und Instagram ausweichen (vgl. Fielitz et al. 2021), dennoch spielen diese Plattformen in der Vernetzung und Ideologieverbreitung nach wie vor eine wichtige Rolle. Die unterschiedlichen Kanäle bringen jeweils eigene Angebotsformen (vgl. Zillien 2008), ein eigenes Mediennutzungsverhalten und eine spezifische Online-Community mit sich. Sie erfüllen somit unterschiedliche Funktionen im Kommunikationsverhalten rechtspopulistischer und -extremer Akteur:innen. So hat sich der offen rassistische, antisemitische, neonazistische und auch strafrechtlich relevante Diskurs tendenziell auf kaum moderierte Messenger-Dienste und Kanäle wie Telegram verlagert. Desinformationsmedien, politisch etablierte rechtsradikale Kräfte wie die AfD und rechte Influencer:innen nutzen die offene Struktur und den vermeintlich gemäßigteren Kommunikationsraum auf Facebook, Twitter und Instagram jedoch, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und ein breites Publikum zu erreichen.

Abb. 2: Zeitlicher Verlauf und Plattformverteilung klimaskeptischer Posts und Online-Beiträge

Abbildung 2 zeigt die Beiträge der Datengrundlage sowie die Plattformdistribution im zeitlichen Verlauf. Neben Telegram haben wir daher auch andere Social-Media-Plattformen auf klimaskeptische Positionen, Narrative und die Strategien radikal rechter Akteur:innen untersucht. Dazu haben wir über eine entsprechende Suchanfrage3 mittels des Social-Listening-Tools Linkfluence4 im Zeitraum vom 28. Dezember 2020 bis zum 27. Februar 2022 Daten von Facebook, Twitter, Instagram, verschiedenen Online-Blogs und Nachrichtenportalen erhoben. Insgesamt haben wir ca. 158.000 Posts und Reposts mit einer geschätzten Reichweite5 von ca. 100 Millionen Personen und einer Gesamtanzahl von ca. 2 Millionen Social Interactions6 analysiert.

Auch auf diesen Plattformen zeigt sich ein starker Zusammenhang zwischen dem Mobilisierungsaufkommen zum Klimathema und dafür anschlussfähigen politischen Ereignissen bzw. Krisensituationen. Die erste Hochphase erstreckt sich von Kalenderwoche (KW)17/21–KW19/21 und ist maßgeblich auf den Vorschlag des Bundesvorstands der Grünen (19. April 2021), Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin aufzustellen und einen Talkshowauftritt der Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer bei Anne Will (9. Mai 2021) zurückzuführen. Beide Frauen wurden von rechten Akteur:innen besonders heftig für ihr Engagement in der Klimapolitik unter Hashtags wie #baerbockverhindern, #luissa und #langstreckenluisa angefeindet. Einen Höhepunkt fanden die sexistischen Anfeindungen in Bezug auf Annalena Baerbock insbesondere nach den Plagiatsvorwürfen unter #baerplag. Das größte Aufkommen klimaskeptischer Posts 2021 war jedoch im Kontext der Flutkatastrophe zu verzeichnen (KW28/21–KW32/21), die seitens der AfD auch massiv für den eigenen Bundestagswahlkampf und die Beschwörungen der rot-grünen #klimadiktatur ausgenutzt wurde. Ebenfalls kam es zur systematischen Relativierung und Leugnung des menschengemachten Klimawandels und es kursierten Verschwörungserzählungen (#haarp), nach der die Starkregenereignisse gezielt seitens der Regierung durch Wettermanipulation mittels Radaranalagen verursacht worden seien. Die Metaerzählung des #greatreset vereint dabei die unterschiedlichen Momente der Corona- wie der Klimakrise als Planspiel „globalistischer Eliten“, die damit die Agenda eines internationalen „Öko-Sozialismus“ verfolgten, und verbreitet so ein nationalistisches, strukturell antisemitisches und antidemokratisches Angstszenario. In der Woche zur Bundestagswahl (KW38/21) und zur UN-Klimakonferenz (KW44/21) sind nochmal vermehrt klimaskeptische Posts festzustellen, gegen Jahresende verflacht das Thema und wird vor allem von der Mobilisierung gegen die Impfkampagne während der Omikron-Welle abgelöst.

Um einen Überblick über die Hauptakteur:innen dieses Diskurses zu erlangen, haben wir alle Posts der Datengrundlage mit unseren Quellensets – also Listen mit besonders reichweitenstarken Accounts unterschiedlicher Gruppen – abgeglichen und quantitativ gegenübergestellt. Die in Abbildung 3 gezeigte Konstellation bezieht sich dementsprechend nicht auf die gesamte Datengrundlage, sondern lediglich auf einen kleinen Ausschnitt der Daten auf Basis der von uns gelisteten und eindeutig zu kategorisierenden Accounts. Ein Großteil der reichweitenstarken Posts entfällt demnach auf die Gruppe der „rechtsalternativen Medien“ (z. B. Compact, reitschuster.de). Diese veröffentlichten ihre Beiträge vor allem auf Internet-Blogs und Webseiten im Stile von Nachrichtenportalen. Da hier umfangreichere Artikel als auf sozialen Medien publiziert und so Desinformation und Verschwörungserzählungen stärker ausformuliert und kontextualisiert werden können, spielen diese Akteur:innen in der rechtslibertären bis rechtsextremen Ideologieproduktion eine wichtige Rolle.

Abb. 3: Akteur:innengruppen

Die Gruppe der „rechten Akteur:innen“ war vor allem auf Twitter aktiv und fungierte hier als reichweitenstarke Multiplikatorin klimaskeptischer Positionen und Narrative. Vor allem unabhängig agierende Influencer:innen, die rechte Ideologie als Lifestyle verkörpern, sind besonders erfolgreich. Die AfD als dritte wesentliche Akteursgruppe der radikalen Rechten nutzte insbesondere Facebook, um ihre Inhalte online zu verbreiten. Auf dieser Plattform hat sie sich sehr stark etabliert und erzielt hier bei all ihren Themen auch im Vergleich mit den demokratischen Parteien sehr gute Reichweiten- und Interaktionswerte. Die Gruppe der Medien, die sich mehrheitlich aus Öffentlich-Rechtlichen, der Lokalpresse und demokratischen Nachrichtensendern zusammensetzt, ist hier vor allem deshalb so stark vertreten, da sie über die rechte Mobilisierung im Zuge der Klimakrise berichtete. Die übrigen Gruppen sind aufgrund der spezifischen Suchabfrage, die zur Datenerhebung genutzt wurde, erwartbar wenig vertreten und daher vernachlässigbar.

Ausblick

Das Klimathema hat demnach in jüngster Zeit sichtbar an Bedeutung in den sozialen Medien gewonnen. Es ist davon auszugehen, dass diese Relevanz noch anwachsen wird, da drastische krisenhafte Ereignisse in Folge des Klimawandels wahrscheinlicher werden – und Klimaschutzpolitik und Energiewende in aller Munde sind. Weltweit, auch Deutschland, muss von einer Zunahme an Extremwetterereignissen ausgegangen werden, die dann analog zur Hochwasserkatastrophe kontextualisiert und mobilisiert werden können. Die Relevanz klimaskeptischer Diskurse zeigt die hohe Anschlussfähigkeit und Attraktivität zu impfkritischen, verschwörungsideologischen, corona-maßnahmenkritischen und rechtslibertären bis zu rechtsextremen Gruppen und Personen auf Messenger- und Social-Media-Diensten auf. Radikal rechte Ideologieproduktion und Online-Kommunikation zur Klimathematik breitet sich in sozialen Netzwerken im Kontext klimarelevanter Ereignisse rasant aus und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit große Teile der „Protestbewegung“ auch nach Corona mobilisieren. Damit werden sich klimaskeptische und -rassistische Diskursbeiträge in kommenden Jahren intensivieren und eine hohe Anschlussfähigkeit in die sogenannte „gesellschaftliche Mitte“ erzeugen – insbesondere in dem Umfang, wie sich auch hier Verteilungskonflikte und Klimakatastrophen sowie Gegenmaßnahmen verschärfen. Gleichzeitig offenbaren unsere Analysen die Notwendigkeit einer stärkeren Verankerung der digitalen Zivilgesellschaft im Diskurs um die ökologische Transformation und ihre demokratischen Ausgestaltungsmöglichkeiten auf den entsprechenden Plattformen. Die Frage, ob es gelingen kann, die Klimaschutzziele umzusetzen, wird stark davon abhängen, inwiefern die Rechte mit ihren Narrativen Anschluss an die „gesellschaftliche Mitte“ erreichen kann bzw. wie effektiv dem begegnet werden wird: mit einer sozial gerechten und integrativen Transformationspolitik und mit aktivierenden, solidaritätsstiftenden Identifikations- und Kommunikationsangeboten.

 

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1    D. h. auf den Einfluss des Menschen zurückführbar.

2    Suchbegriffe „Klima“: „klima[^\\s]*|greta| [\\s]fff[^\\s]*|ökosozioalismus|wettermanipulation| ökofaschismus|ökoterror|ökodiktatur|fridays for future|carla reemtsma|luisa neubauer“; Suchbegriffe „Qanon“: "\\bqanon\\b|pizzagate|pädolite |pedolite|adrenochr[^\\s]*|kinderblut| adrenocrime|\\bq\\b". In Stichproben wurde mittels Konkordanzanalysen sichergestellt, dass die einzelnen Suchbegriffe die entsprechenden „klimaskeptischen“ bzw. Qanon-spezifischen Inhalte abbilden.

3    Suchanfrage: klimalüge OR klimawahns* OR HAARP OR klimaluege OR klimalockdown OR klimawahn OR klimahysterie OR klimadiktatur OR langstreckenluisa OR luissa OR baerplag OR kerosinkatha OR ökodiktatur OR oekodiktatur OR baerbockverhindern OR grüneversenken OR grueneversenken OR ökofaschismus OR oekofaschismus OR ökosozialismus OR oekosozialismus OR niewiedergruen OR niewiedergrün OR vielfahrervettel OR ((grün OR gruen) AND (heuchelei OR lüge OR luege OR doppelmoral)) OR ((neubauer OR luisa) AND göre) OR ((sozialismus OR niewiederfaschismus OR freiheitstattsozialismus) AND (öko* OR klima* OR umwelt*)) OR ((*greatreset OR "great reset" OR "great-reset" OR nwo OR weltwirtschaftsforum OR #wef OR schwab OR greattransformation OR großeraustausch OR "großer Austausch") AND (klima* OR öko* OR umwelt*)).

4    Online: https://www.linkfluence.com/.

5    Über einen von Linkfluence erstellten Koeffizienten ermittelte geschätzte Zahl der User:innen, die die Posts zum Veröffentlichungszeitpunkt gesehen haben könnten.

6    Summe an sozialen Interaktionen mit den Posts – also Likes, Retweets, Kommentare, Shares, Favoriten etc.

7    Die grafische Darstellung bezieht also nur die Posts der in unseren Quellensets hinterlegten Accounts mit ein. Dies entspricht nur ca. 7.000 Posts im Untersuchungszeitraum. Diese Posts erreichten jedoch eine geschätzte Reichweite von ca. 40 Millionen Personen und erzielten ca. 1 Millionen Social Interactions (jeweils knapp die Hälfte der gesamten Datengrundlage) und geben damit dennoch einen guten Eindruck über die relevanten, meinungsprägenden Akteursgruppen.

Literatur

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