Von Halle bis Buffalo: Rechtsterrorismus und die Gaming-Welt

Empfohlene Zitierung:

Prinz, Mick (2023). Von Halle bis Buffalo: Rechtsterrorismus und die Gaming-Welt. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Netzkulturen und Plattformpolitiken, Band 14. Jena, 90–103.

Schlagwörter:

Rechtsterrorismus, Videospielplattformen, Gamifizierung, Gaming-Kultur

 


Videospielwelten und die Gaming-Kultur sind aus dem gesellschaftlichen Alltag nicht mehr weg zu denken. 58 Prozent der 6- bis 69-jährigen Deutschen nutzen das Kulturgut Games. Auch die extreme Rechte und Rechtsterroristen instrumentalisieren Teile von Gaming-Welten. Der Beitrag blickt vor allem auf die Anschläge von Buffalo, Halle und München und skizziert, wo sich Verbindungslinien in die Gaming-Kultur abzeichnen. Auch Gaming-Plattformen, wie der Spiele-Baukasten Roblox, werden einer inhaltlichen Analyse unterzogen. Durch die Möglichkeit, usergenerierte Inhalte anzubieten, sind diese Videospiel-Welten besonders beliebt bei extrem rechten Akteur*innen. Abschließend formuliert der Beitrag Forderungen, welche der extremen Rechten Partizipation auf Plattformen wie Steam oder Roblox erschweren.


 

 

Nach Amokläufen, terroristischen Anschlägen oder gewaltvollen Ausschreitungen sind es stets zwei Fragen, die Debatten in Talkshows, Presseklubs und Zeitungskolumnen dominieren: Wer sind die Täter und warum haben sie so gehandelt? Vor allem in den letzten Jahren hat dabei eine Erklärung eine kleine Renaissance erlebt. Ein vermeintlich einfaches Erklärungsmuster, das zwischenzeitlich als überwunden galt. Die Rede ist von der Diskussion über gewaltvolle Videospiele und ihre Wirkungen – die „Killerspiel-Debatte“. So sprach etwa die Journalistin Eva Quadbeck nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht 22/23 davon, dass nicht außer Acht gelassen werden dürfe, „welche Videospiele gespielt werden […] und dass da auch dann teilweise nicht mehr die Realität gesehen wird, wenn man auf der Straße steht, und dann wahlweise gegen Polizisten oder Rettungskräfte vorgeht“ (vgl. WDR Presseclub Januar 2023).

Auch der ehemalige Innenminister Horst Seehofer griff auf eine ähnliche Argumentation zurück, nachdem der Rechtsterrorist B. am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf eine Synagoge in Halle verübte und zwei Menschen tötete. So postulierte Seehofer in einem ARD-Interview:

„Das Problem ist sehr hoch. Viele von den Tätern oder potenziellen Tätern kommen aus der Gamer-Szene. Manche nehmen sich Simulationen geradezu zum Vorbild. Man muss genau hinschauen, ob es noch ein Computerspiel ist, eine Simulation oder eine verdeckte Planung für einen Anschlag, und deshalb müssen wir die Gamerszene stärker in den Blick nehmen.“ (Golem.de 2019).

Seehofers pauschalisierende Aussage stieß auf viel Kritik. So formulierten Kulturschaffende und Spielende, dass es keine homogene „Gamerszene“ gebe, sondern eher vielschichtige und unterschiedliche Gaming-Communitys, die genauso heterogen sind wie der Rest der Gesellschaft. Dabei darf es nicht überraschen, dass es in diesem Kulturbereich auch rechtsextreme Agitationen gibt, welche weder bagatellisiert noch stellvertretend für die Gaming-Kultur verstanden werden sollten. Dieser Text möchte daher weder die alte Killerspielkeule entstauben noch abseits von Langzeitstudien über mögliche Folgen expliziter Gewaltdarstellungen in Videospielen diskutieren. In diesem Beitrag soll viel eher auf ein Problem eingegangen werden, welches eben nicht nur in, aber eben auch in der Gaming-Kultur eine Rolle spielt: die Instrumentalisierung digitaler Medien durch die extreme Rechte. Dabei wird den Fragen nachgegangen, warum Videospiele und ihre Plattformen für Rechtsextreme eine starke Sogkraft haben, was diese Entwicklung begünstigt und wie Rechtsterroristen diese Räume für menschenverachtenden Aktionismus nutzen. Vor allem dieser letzte Punkt bildet den Schwerpunkt des Beitrags.

Der antisemitische Anschlag von Halle und Bezüge in die Gaming-Kultur

Auch wenn die eben rezitierte Aussage von Horst Seehofer bei vielen Gamer*innen und Beobachter*innen des Themenfelds zu Kopfschütteln führte, zeigt eine Aufarbeitung der Online-Profile und Terrorschriften des Rechtsterroristen B., dass er tatsächlich Bezüge zu verschiedenen Teilen der Gaming-Kultur herstellte. Das offensichtlichste zuerst: Der Täter B. streamte seinen Anschlag auf der vor allem von Gamer*innen genutzten Plattform Twitch. Auf der Plattform wird primär Live-Content ins Netz gestreamt. Viele Influencer*innen erstellen auf Twitch Videospiel-Inhalte und auch das Thema E-Sport ist sehr präsent auf der Plattform. Der Täter von Halle übertrug mit einer Helmkamera 35 Minuten lang seinen Anschlag auf die Synagoge. Sein Ziel war es, möglichst viele Jüd*innen am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur zu töten. Bevor Twitch die Aufnahme entfernte, war sie noch etwa 30 weitere Minuten online und wurde von 2.200 Menschen angesehen (Twitch 2019).

Wie viele Millionen andere Deutsche hatte B. ein Profil auf der Videospiel-Plattform Steam. Neben Rollenspielklassikern wie „The Elder Scrolls V: Skyrim“ finden sich in seiner Spielebibliothek auch etablierte Titel, die als Schauplatz den Zweiten Weltkrieg wählen und in denen er mit oder ohne weitere Modifikationen (also von User*innen erstellte Inhalte) die „deutsche“ Perspektive spielen konnte. Ein Trend, der sich auch bei vielen weiteren rechtsextremen Profilen auf Videospielplattformen beobachten lässt: Neonazis fühlen sich vor allem zu Spielen hingezogen, in denen beispielsweise im Multiplayer die Rolle der Wehrmacht eingenommen werden kann. Für viele Weltkriegsspiele gibt es zudem Modifikationen, welche beispielsweise verfassungsfeindliche Symbolik oder zusätzliche nationalsozialistische Fraktionen hinzufügen. So auch für das Strategiespiel „Company of Heros“, in welchem die Waffen-SS als vermeintlich legitime Fraktion durch eine Fanerweiterung hinzugefügt wird. Diese extrem rechten Inhalte können dann auf Steam frei heruntergeladen und in bestehende Spiele integriert werden. Ein Game aus der Spielebibliothek des Halle-Täters stach besonders heraus: das Waffenbau-Spiel „World of Guns“. In diesem müssen Spieler*innen Waffen aus verschiedenen Einzelteilen zusammen- und wieder auseinanderbauen. Der Rechtsterrorist von Halle nutze einen 3D-Drucker, um eine seiner Waffen herzustellen. Duzend gespielte Stunden von „World of Guns“ unterstreichen dabei die Waffenbegeisterung von B., dienen aber nicht als monokausales Erklärungsmuster für sein Verständnis zum Waffenbau (Steam 2023).

Neben seinem Steam-Profil und dem Twitch-Live-Stream gab es weitere Bezüge in die Gaming-Welt. So wurde im „Manifest“ des Täters eine Art Achievement-Liste angeführt, die Spieler*innen so eher aus Videospielen bzw. von Plattformen wie der Xbox oder von Steam kennen. Achievements sind eine Art Erfolgs- und Checkliste für Videospieler*innen, um die eigene Spielweise mit anderen Gamer*innen abzugleichen. Die zutiefst rassistischen und antisemitischen Achievements werden in diesem Beitrag lediglich umschrieben, da eine Reproduktion dieser extremistischen Checklisten Teil der „metapolitischen“ Strategie von Rechtsterroristen ist. Im „Manifest“ werden Ziele benannt, die Gewaltaufrufe gegen Jüd*innen und Muslime sowie explizite Tötungsszenarien formulieren. In den hinterlassenen Dokumenten des Täters von Halle gibt es noch zahlreiche weitere rechtsextreme Dogwhistles, gepaart mit Begriffen aus der Imageboard- und Gaming-Kultur. Diese Codes sollen für Außenstehende unverdächtig erscheinen, für Involvierte aber eine deutliche Nachricht transportieren. So wird beispielsweise das Kürzel „ZOG“ („Zionist Occupied Government“) verwendet und damit die antisemitische Verschwörungserzählung einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung platziert.

Vor allem die Achievement-Liste ist ein Beispiel für eine klassische Gamifizierung von Rechtsterrorismus. Gamifizierung oder Gamification hat dabei nicht unmittelbar etwas mit Videospielen zu tun. Viel eher werden dabei nicht-spielerische Prozesse, in diesem Fall ein Terroranschlag, durch spielerische Elemente wie diese Erfolgsliste vergleichbar gemacht. Gamification dient der Motivationssteigerung und dafür, sich mit anderen Menschen zu messen. Das kennt man eigentlich von Sprachlern- oder Sport-Apps. Dass der Rechtsterrorist B. diese Art der Inszenierung wählte, muss dabei also nicht mit einer Leidenschaft für Videospiele zusammenhängen, sondern mit der rechtsextremen Intention, auch andere Menschen zu potenziellen Nachahmer*innen werden zu lassen. Anders als die Rechtsterroristen von Christchurch oder Utoya wird B. innerhalb der extremen Rechten weitestgehend belächelt. Da er seine selbst gesteckten Ziele nicht erreichen konnte, gilt sein Anschlag als fehlgeschlagener Versuch, sein Vorgehen als stümperhaft. Während beispielsweise nach dem Anschlag von Christchurch (März 2019) zahlreiche Rechtsextreme auf der Videospielplattform Steam den Täter glorifizierten, passierte das bei B. hier nur vereinzelt.

Rechtsterrorismus und Videospielwelten – weitere Verbindungen

Hunderte Profile feierten auf Steam nämlich den Mann, der 51 Menschen aus rassistischer Motivation in Neuseeland ermordete. Sein Bild und auch sein Name wurden als Profilavatar gewählt. Auch andere Bilder des Anschlags wurden so über die Gaming-Plattform verbreitet. Steam ist vor allem als Distributionsplattform bekannt, weist aber auch Merkmale eines klassischen sozialen Netzwerkes auf. So wurde der Terrorist von Christchurch in unterschiedlichen Kommentarspalten als Held gefeiert, während der Halle-Täter B. kaum hervorgehoben wurde.

Abb. 1: Screenshot von der Plattform Steam vom 26. März 2019: nach dem Anschlag von Christchurch wurde der Rechtsterrorist auf Steam als Held gefeiert

 

Trotzdem gab es in der Vergangenheit immer wieder Bezüge auf B. So bei einem Anschlag an einer Schule in Schweden 2021. Ein 15-Jähriger wollte an seiner Schule in Eslöv ein Blutbad anrichten. Seine Vorbilder waren u. a. die Rechtsterroristen von Halle und Christchurch. Neben zahlreichen Datenträgern mit NS-Propaganda und detaillierteren Ablaufplänen für seinen geplanten Anschlag fand sich auf der Tapete im Kinderzimmer seiner Eltern der Name des Täters von Halle. Der Rechtsterrorist verletzte mehrere Menschen und streamte seinen Anschlag ebenfalls auf Twitch (Belltower.News 2022).

Immer mehr rechtsextreme Täter greifen auf Livestream-Plattformen zurück – in der Hoffnung, ihre rassistische und antisemitische Gewalt mit nur wenigen Klicks Tausenden von User*innen zeigen zu können. Auch der Täter von Buffalo, der zehn Menschen in einem Supermarkt erschoss, streamte am 14. Mai 2022 seinen rassistisch motivierten Anschlag live auf Twitch. Anders als bei Terrorakten der Vergangenheit wirkten hier die erweiterten Sicherheitsmaßnahmen der Plattform. Nach nur 2 Minuten wurde die Übertragung unterbrochen, der neu erstellte Account konnte vom Netz genommen werden. Auch bei diesem Anschlag nutzte der Täter neben Twitch die bei Gamer*innen beliebte Plattform Discord, um seine Terrorschriften zu verbreiten. Es fällt auf: Rechtsterroristen nutzen Plattformen, die bei Gamer*innen beliebt sind, unabhängig von der eigenen Affinität für das Medium Videospiele. Es gibt aber einige Gründe dafür, warum für die extreme Rechte vor allem diese digitalen Orte attraktiv erscheinen.

Niedrigen Hürden für Menschenfeindlichkeit auf Videospielplattformen

Vor allem die Moderation von hasserfüllten und toxischen Inhalten bleibt auf einigen Gaming-Plattformen weit hinter den Standards zurück, die von eher klassischen sozialen Medien gesetzt werden. So finden sich zwar auf Plattformen wie Twitch, Steam oder Discord sogenannte Guidelines, welche beispielsweise die Verbreitung von terroristischen Inhalten oder extremistischen Verschwörungsnarrativen untersagen. An der konkreten Umsetzung dieser Terms of Service hapert es aber und auch bestehende Gesetze gegen Hass im Gaming, wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), greifen auf den meisten Gaming-Plattformen nicht. So gibt es nach wie vor auf Steam Wehrmachtsfangruppen oder Profile mit verfassungsfeindlicher Symbolik, z. B. Hakenkreuz oder SS-Runen, in der Profilbeschreibung oder Profile, die rechtsterroristische Täter glorifizieren.

Dass auf Steam rechtsextreme Inhalte kaum moderiert werden, zeigt eine Erhebung der Amadeu Antonio Stiftung. Hierbei wurden Profile gemeldet, die rechtsextreme Inhalte im Profilfoto oder Profilnamen beinhalteten oder durch rassistische und antisemitische Kurzbeschreibungen gegen die Terms of Service der Plattform verstoßen. Während in den meisten Fällen die Plattform nicht reagierte, wurde selten das Profilfoto gelöscht (14%), der Profilname geändert (5,3%), Foto und Name gelöscht (8,7%) und in den wenigsten Fällen wurde das Profil vollständig entfernt (0,7%) (Amadeu Antonio Stiftung 2021).

Abb. 2: Ein Steam-Profil, das den Buffalo-Täter glorifiziert, sein Profilbild wählt und auf seine Terrorschriften verlinkt

 

Nachdem Steam vor einigen Jahren auf der Plattform selbst auswies, dass lediglich 26 Personen den Communitybereich moderieren würden (davon 13 Angestellte und 13 Ehrenamtliche), hält sich die Plattform aktuell mit Einblicken in die eigene Moderationsarbeit bedeckt. Sowohl Steam als auch Twitch legen die Moderation dabei teilweise in die Hände ihrer Communitys.

Contentcreator*innen sind für die Moderation ihrer Kommentarspalten verantwortlich und müssen diese umsetzen. Übergeordnete Standards geben dabei die groben Regeln vor, die von einzelnen Streamer*innen verschärft werden können. Obwohl die Terms of Service von Twitch hasserfülltes Verhalten wie Rassismus, Transfeindlichkeit oder Misogynie untersagt, finden sich diese Formen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in vielen Streams und Live-Chats. Auch rechte Meinungsblogger*innen werden regelmäßig in reaktionären Talkformaten als vermeintlich legitime Gesprächspartner*innen dargestellt.

Ein weiterer Grund dafür, dass sich Rechtsextreme in Gaming-Kontexten wohlfühlen, ist eine eher verhaltene Gegenwehr bei diskriminierenden Äußerungen vonseiten der Community. Vor allem Betroffene berichten immer wieder, dass viele Gamer*innen die Finger still halten oder sich nicht im Voice-Chat zu Wort melden, wenn misogyne oder rassistische Kommentare getätigt werden. Für viele gehören Beleidigungen oder Diskriminierung sogar zum Spiel dazu. Natürlich gilt das nicht für alle Videospieler*innen und es gibt auch immer wieder Initiativen und Einzelpersonen, die Haltung beweisen und mit Gegenrede antworten. Aber ein an vielen Stellen eher toxisches Klima begünstigt die Festigung und Verbreitung von menschenfeindlichen Positionen in Gaming-Kontexten.

Fallbeispiel Roblox: Rechtsterrorismus zwischen Fortnite und Lebenssimulationen

Vor allem da, wo user*innengenerierte Inhalte entstehen, also Videospieler*innen ihre eigenen Inhalte auf Plattformen erstellen können, ist die extreme Rechte nicht weit. So auch bei dem vor allem bei 9- bis 12-jährigen Kindern beliebten Gaming-Sandkasten Roblox. Diese Videospielplattform ist seit 2006 online und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Über 200 Millionen aktive Nutzer*innen greifen monatlichen auf Roblox zurück. Der größte Teil davon kommt aus Kanada und den USA. Aber auch in Deutschland steigen die Zugriffszahlen. Auf den ersten Blick erinnert Roblox an Spiele wie „Fortnite“ oder „Minecraft“ – also an bunte Comicwelten, in denen sich Spielende mit einem eigenen Avatar durch verschiedene Szenarien bewegen, Aufgaben lösen und sich in Gruppen zusammenschließen. Das Spielgerüst ist ein Werkzeugkasten, mit dem User*innen eigene Spiele programmieren und bauen können und diese dann auf der Plattform anderen Spielenden zur Verfügung stellen. Dabei werden die meisten gängigen Spielegenres wie Plattformer, Shooter oder Rollenspiele abgedeckt, aber auch populäre Spiele wie „Call of Duty“, „Fortnite“ oder „Among Us“ sind auf Roblox nachgebaut. In einer anderen Kreation wird die Rolle von Sicherheitskräften oder Feuerwehrleuten eingenommen, die Hausbrände am Bodensee löschen oder Kriminelle in Hamburg verfolgen. Unter die ca. 24 Millionen spielbaren „Erlebnisse“ (eigenes erstellte Karten werden in Roblox als „Erlebnis“ bezeichnet) mischen sich auch frauenverachtende, rassistische und rechtsterroristische Kreationen. Beispielsweise zum Anschlag in Buffalo auf den Tops-Supermarkt (s. Abb. 3). Dieser lässt sich in Roblox aus der Perspektive des Rechtsextremisten erleben. Teil der Spielemap ist die Abbildung eindeutig nationalsozialistischer Symbolik, etwa der Schwarzen Sonne. Auch die zehn rassistischen Morde des Täters lassen sich nachspielen.

Abb. 3: Auf der Videospielplattform Roblox lassen sich verschiedene rechtsterroristische Anschläge nachspielen – hier der rassistisch motivierte Anschlag von Buffalo

 

Solche Inhalte auf Roblox sind keine Einzelfälle. Auch andere Anschläge wie Christchurch oder Halle sind auf der Plattform auffindbar. Bei einem „Erlebnis“ zum Halle-Anschlag sind viele Details aus dem 35-minütigen Livestream implementiert. Der Eingang der Synagoge ist klar zu erkennen, ebenso Waffen und Brandsätze, die während des Anschlags verwendet wurden. Selbst Betroffene des rechtsterroristischen Anschlags werden verhöhnt und sind im Spiel abgebildet.

Rechtsextremismus in diesem Gam­ing-Sand­kasten umfasst neben der Glorifizierung von Rechtsterrorismus weitere Themen, die auf das breite Repertoire extrem rechter Ideologiebausteine aufbauen. So gibt es „Erlebnisse“, in denen der eigene Avatar durch Vernichtungslager bewegt wird und dabei Gaskammern betreten werden können. Kritische Einordung? Fehlanzeige. Dafür wird in vielen Kreationen der Nationalsozialismus mit abgebildeten Siegrunen und Reichsflaggen glorifiziert. Auch misogyne und antifeministische Narrative finden sich in Roblox wieder. Zum Beispiel dann, wenn der eigene Avatar vor wütenden „Feministinnen“ fliehen muss, indem er über die Leichen von männlichen Figuren hüpft.
Die Namen der entsprechenden „Erlebnisse“ werden meist so benannt, dass sie von Moderations- und Rechercheteams nicht leicht zu finden sind. Durch Leetspeak, also das Ersetzen von Buchstaben durch ähnlich aussehende Ziffern und Sonderzeichen, werden Wortfilter umgegangen und rechtsterroristische Inhalte bleiben auf der Plattform bestehen. Die Ersteller*innen scheinen dabei bewusst kein großes Publikum erreichen zu wollen und diese Inhalte primär für die eigene rechte Blase zu produzieren. Das unterstreicht auch eine häufig aktivierte Funktion, welche nur Profilen, die schon älter als zwei Monate sind, den Zugriff zu diesen „Erlebnissen“ erlaubt.

Abb. 4: Der Eingang der Synagoge in Halle in einer rechtsterroristischen Modifikation auf Roblox

 

Solche Inhalte lassen sich auf der Plattform melden und werden im Anschluss temporär von der Plattform gesperrt. Erst nach einer Überprüfung sind sie erneut zugänglich. In der Vergangenheit wurden dabei einige eindeutig rechtsextremem „Erlebnisse“ auf Roblox gesperrt, andere dagegen bleiben abrufbar. Auch hier wird deutlich: Gaming-Plattformen müssen proaktiver moderiert werden und sollten nicht nur auf Zurufe aus der Community reagieren. Vor allem die noch sehr junge Roblox-Zielgruppe nutzt Report- und Meldefunktionen selten, da rechtsextreme Inhalte häufig nicht als solche erkannt werden. Der OEZ-Anschlag in München und die Videospielplattform Steam Dass Rechtsterroristen auch Gaming-Plattformen nutzen, um sich zu vernetzen oder ihre Ideologie zu verbreiten, verdeutlicht ein letztes Beispiel. Beim Anschlag am und im Münchener Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) 2016 erschoss ein Rechtsterrorist neun Menschen. Die Tat wurde dabei akribisch geplant und Ziele benannt, die in das rassistische Weltbild des Täters passten. Mit dem 22. Juli waren selbst Datum und Uhrzeit nicht zufällig gewählt. Zur selben Zeit fand 5 Jahre zuvor der rechtsterroristische Anschlag von Norwegen statt. Der Täter in München hatte sich auf „Steam“ in einer Gruppe mit dem Namen „Anti-Refugee-Club“ mit anderen Rechtsextremen vernetzt. Unter anderem kam er ins Gespräch mit einem 21-jährigen Schüler aus Aztec – New Mexico. Mit ihm tauschte er sich über Pläne zur Waffenbeschaffung und rassistische Mordfantasien aus. Wenige Monate später wurde der Amerikaner selbst zum Mörder und erschoss an einer Schule zwei Menschen und sich selbst. Die Steam-Gruppe, in der sich die beiden Täter vernetzten, wurde im Sommer 2017 von Valve, der Firma hinter Steam, gelöscht (Belltower.News 2018).

Level Up: Counterterrorismus

Über 58% der 6 bis 69-Jährigen Bundesbürger*innen spielen Videospiele (game 2023). Das Kulturgut Games ist mitten in der Gesellschaft verankert und wird sich hier nicht wegbewegen. Es wird deutlich, dass dies auch die extreme Rechte erkannt hat und Gaming-Plattformen in der Vergangenheit intensiv von Rechtsterroristen wie den Tätern von München, Buffalo oder Halle genutzt wurden. Gerade weil Moderation zu zaghaft ausfällt und Sicherheitsbehörden viele Bereiche der Gaming-Welt noch nicht überblicken, dienen diese Orte der Vernetzung, der Verbreitung von Terrormanifesten oder dem Livestreamen von Anschlägen. Zusätzlich werden menschenverachtende Handlungen von Rechtsterroristen in Gaming-Kontexten immer wieder glorifiziert und erlebbar gemacht. Plattformen sind sich der Problemlage zwar zum Teil bewusst und gehen gegen Modifikationen und verherrlichende Profile vor – allerdings noch nicht kontinuierlich. Gaming-Orte wie Steam und Roblox müssen ihre Guidelines proaktiver verfolgen, um Rassismus, Misogynie und Antisemitismus auf ihren Plattformen stärker zu unterbinden. Aber auch Sicherheitsbehörden und Spielende sollten sich der Problemlage bewusster sein und entsprechende Inhalte melden oder ausgehend von der Rechtslage ahnden. Das 2024 in Kraft tretende EU-Gesetz zur Bekämpfung von Hass im Netz, der Digital Service Act, wird auch Gaming-Plattformen mitdenken. Es bleibt abzuwarten, inwiefern der extremen Rechten damit der Spaß am Spiel genommen wird.

Letztlich bleibt wichtig zu betonen, dass viele Videospiele und große Teile der Gaming-Kultur für eine diverse Haltung einstehen und Diskriminierung ablehnen. Diese Positionen zu verteidigen, ist zentraler Bestandteil einer digitalen Zivilgesellschaft und muss letztlich auch im Gaming hör- und spürbarer werden.

 


Mick Prinz, B.A. Sozialwissenschaften, ist Leiter des Modellprojektes „Good Gaming – Well Played Democracy“ der Amadeu Antonio Stiftung. Gemeinsam mit Spieleentwickler*innen, E-Sportler*innen und Influencer*innen setzt er sich für eine stärkere digitale Zivilgesellschaft in der Gaming-Kultur ein. Forschungsschwerpunkt: toxische und rechtsextreme Gaming-Communitys, user*innengenerierter Content auf Gaming-Plattformen und Propagandavideospiele.


 

Literatur

Amadeu Antonio Stiftung (2021). Unverpixelter Hass. Toxische und rechtsextreme Gaming-Communitys. Online verfügbar unter www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2022/02/unverpixelter-hass-netz-final.pdf (abgerufen am 20.10.2023).

Belltower.News (2018). Das OEZ-Attentat und der international vernetzte virtuelle Rechtsextremismus. Online verfügbar unter www.belltower.news/das-oez-attentat-und-der-international-vernetzte-virtuelle-rechtsextremismus-48668/ (abgerufen am 20.10.2023).

Belltower.News (2022). Anschlagserie – Rechtsterrorismus in der Schule. Online verfügbar unter www.belltower.news/schweden-anschlagserie-rechtsterrorismus-in-der-schule-127815/ (abgerufen am 20.10.2023).

game – Verband der deutschen Games-Branche e.V. (2023). Online verfügbar unter www.game.de/publikationen/jahresreport-2023/ (abgerufen am 20.10.2023).

golem.de (2019.) Seehofer möchte „Gamerszene“ stärker kontrollieren. Online verfügbar unter www.golem.de/news/nach-attentat-in-halle-seehofer-moechte-gamer-szene-staerker-kontollieren-1910-144401.html (abgerufen am 20.10.2023).

Steam (2023). World of Guns: Gun Disassembly. Online verfügbar unter store.steampowered.com/app/262410/World_of_Guns_Gun_Disassembly/ (abgerufen am 20.10.2023).

Twitch (2019). Twitch auf Twitter vom 09.10.2019. Online verfügbar unter twitter.com/Twitch/status/1182036268202381313 (abgerufen am 20.10.2023).