Entgegen aller Erkenntnisse zu rechten Strukturen und Netzwerken und staatlichem Wissen zum Oktoberfestattentat im Jahr 1980 sowie zum NSU-Komplex, vertreten zuständige Ermittlungsbehörden beharrlich reduktionistische Narrative rechtsterroristischer Gewalt. Nach den Ermittlungen des Bayerischen Landeskriminalamtes habe ein „sexuell frustrierter Einzeltäter“ das Oktoberfestattentat verübt. Hinweise auf Unterstützer_innen sowie Verbindungen in die rechte Szene wurden übergangen. Nach 35 Jahren sind die Ermittlungen im Jahr 2015 durch den Generalbundesanwalt (GBA) wieder aufgenommen worden. Im Falle des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) geht das Gericht, der Anklage der Bundesanwaltschaft folgend, von einer „aus drei Personen bestehenden Gruppe“ aus (Bayerisches Staatsministerium der Justiz 2018), was den Erkenntnissen über das Netzwerk des NSU entgegensteht (vgl. von der Behrens 2018). In beiden Komplexen setzte der Verfassungsschutz V-Personen teilweise im unmittelbaren Umfeld der Täter_innen ein (vgl. Scharmer 2018).
Am Beispiel der Ermittlungen zum Oktoberfestattentat in den 1980ern und ihrer Wiederaufnahme im Jahr 2015 sowie der Ermittlungen zum NSU-Komplex untersucht der Beitrag historische Entwicklungen und Kontinuitäten der Strafverfolgung von Rechtsterrorismus. Welche strukturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflussen Ermittlungen zu rechtsterroristischen Aktivitäten? Welche Deutungs- und Ermessensspielräume ergeben sich für Strafverfolgungsbehörden? Welche Möglichkeiten haben Sicherheitsbehörden, insbesondere bei einem Einsatz von V-Personen in den betreffenden Strukturen, um Ermittlungen zu beeinflussen?
Komplex Oktoberfestattentat
Am Abend des 26. Septembers 1980 explodierte auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe. Das größte rechtsterroristische Attentat der deutschen Nachkriegsgeschichte forderte 13 Tote und mehr als 200 Verletzte. Für die Bundesanwaltschaft galt Gundolf Köhler, der die Bombe gelegt hatte und ebenfalls ums Leben kam, als Einzeltäter. Seit Einstellung der Ermittlungen 1982 wird von Überlebenden Kritik an der damaligen Ermittlungsführung geäußert, da Köhler Kontakte zur rechtsterroristischen Wehrsportgruppe Hoffmann hatte, in deren Umfeld V-Personen eingesetzt waren und Beweismittel verschwanden (vgl. Chaussy 2015: 46ff., 234ff.; Köhler 2016: 210). Ende 2014 wurden auf einen dritten Wiederaufnahmeantrag von Rechtsanwalt Werner Dietrich hin, der seit 35 Jahren Geschädigte des Attentats vertritt, die Ermittlungen durch den GBA wieder aufgenommen. Eine Sonderkommission überprüft erstmals unter Einbezug nachrichtendienstlicher Dokumente, ob es „mögliche Mittäter oder Hintermänner“ gegeben und die Bundesanwaltschaft „in alle Richtungen“ bezüglich Mittäter_innen aus der rechten Szene ermittelte (Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof 2014). Im Mai 2019 wurde bekannt, dass der GBA die Ermittlungen erneut einstellen und es „keine letztliche Klärung“ geben wird, so ein Ermittler (Ramelsberger 2019).
In den Ermittlungen von 1980 bis 1982 kam das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) zu dem Schluss, Köhler habe aus einem privaten Motiv gehandelt. Im Schlussvermerk heißt es, „dass Gundolf Köhler als Alleintäter gehandelt hat“ (zitiert nach Chaussy 2015: 23). Der GBA hält hingegen fest: „Für eine Tatbeteiligung Dritter sprechen nur einige unterschiedliche Beweiserkenntnisse, die einen abschließenden Nachweis […] jedoch nicht zulassen“ (zitiert nach ebd.: 39) und weicht damit in einem zentralen Punkt vom LKA ab. Mit der Darstellung der Einzeltäterthese wurde der politische Hintergrund Köhlers wie seine Verbindungen zur Wehrsportgruppe Hoffmann verneint und entpolitisiert. Die heutige Aktenlage bestätigt, dass die Bundesanwaltschaft in den damaligen Ermittlungen und ihrer Kooperationen mit den Verfassungsschutzämtern keine umfassenden Ermittlungen und Befragungen von V-Personen durchführte.
Heinz Lembke, einer von sieben mittlerweile bekannten V-Personen in Verbindung mit dem Attentat, hatte acht Wochen zuvor Mitgliedern der Deutschen Aktionsgruppen militärischen Sprengstoff der gleichen Kategorie angeboten. Aufgrund eines Zufallsfunds einer Kiste mit Sprengstoff im Oktober 1981 wurde Lembke in Untersuchungshaft genommen. Er war im Umgang mit Sprengstoff ausgebildet und seit 1959 in der rechten Szene aktiv (vgl. ebd.: 214). Er führte die Behörden zum größten Waffenlager seit 1945 (Maegerle et al. 2013: 54). Lembke erhängte sich in der Untersuchungshaft und schrieb in seinem Abschiedsbrief: „Genossen! Ihr wisst, weshalb ich nicht mehr leben darf. Wolfszeit! Heil Euch, Heinz […] Lembke.“ (Chaussy 2015: 214) In dem Ermittlungsverfahren des GBA kam man zu dem Schluss, Lembke habe die Waffenlager allein angelegt und sei Einzeltäter gewesen (vgl. Maegerle et al. 2013: 54). Lembkes Kontakte in die Wehrsportszene, zu der Köhler Kontakte hatte, und der Einsatz von V-Personen sind nicht überprüft worden. Die ihm zugeschriebenen Waffendepots waren nie Gegenstand der Ermittlungen zum Oktoberfestattentat.
Der NSU-Komplex als Trio
Im November 2011 wurde bekannt, dass der NSU zwischen 2000 und 2007 neun Menschen aus rassistischen Motiven sowie eine Polizistin ermordete, zwei Sprengstoffanschläge und 15 bewaffnete Raubüberfälle verübte. Im Laufe des NSU-Prozesses wurde ein dritter Sprengstoffanschlag bekannt, der dem NSU zugeschrieben wird (Aust/Laabs 2014: 391ff.). Von 1998 bis 2011 galt das Kerntrio als flüchtig und lebte unbehelligt von Ermittlungsbehörden in Chemnitz und Zwickau. In all den Jahren lebten sie mithilfe eines Unterstützungsnetzwerks unter falschen Identitäten in Sachsen. Alle drei waren in den 1990er Jahren in der rechten Szene in Thüringen aktiv und durch rechte und antisemitische Straftaten polizeibekannt. Bis 2011 berichtete das Bundesamt für Verfassungsschutz Jahr für Jahr, dass keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar seien.1 Vielmehr lehne „der überwiegende Teil“ der rechten Szene „Gewaltanwendung ab“ (Bundesministerium des Inneren 2005: 58). Rechtsterroristische Gewalt und Angriffe auf Personen wurden nicht als solche begriffen.
Am 4. November 2011 töteten sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem Banküberfall selbst. Beate Zschäpe versandte DVDs mit einem Video, in dem sich der NSU zu den Taten bekannte, und stellte sich wenig später der Polizei. Die Ermittlungen richteten sich bis 2011 fast ausschließlich gegen das Umfeld der Ermordeten und Betroffenen. Eine operative Fallanalyse des Bayerischen LKAs von 2006 mit dem Ergebnis, dass es sich um „Einzeltäter“ aus der rechten Szene handeln könnte, wurde nicht weiterverfolgt (Deutscher Bundestag 2013: 560f.). Eine weitere, kurz darauf angeforderte Fallanalyse des LKA Baden-Württemberg verwarf die vorhergehende Analyse. Mit rassistischen Vorstellungen über die vermeintliche Herkunft der Täter_innen wurde argumentiert: „Auch spricht der die Gruppe prägende rigide Ehrenkodex eher für eine Gruppierung im ost- bzw. südosteuropäischen Raum (nicht europäisch westlicher Hintergrund)“ (ebd.: 576f.). Entgegen wiederholter Hinweise von Angehörigen, es könne sich um Nazis handeln, wurde an der These von Organisierter Kriminalität festgehalten. Dass die Angehörigen keine Angaben zu Verbindungen zu Organisierter Kriminalität machen konnten, weil es diese schlichtweg nicht gab, wurde als „Mauer des Schweigens“ gedeutet (Aust/Laabs 2014: 509). In dem Zusammenhang wird in diversen Arbeiten (vgl. Bozay et al. 2016; Friedrich et al. 2016; Liebscher 2017; Ilius 2018) sowie durch den UN-Anti-Rassismus-Ausschuss CERD (UN-Committee on the Elimination of Racial Discrimination 2015: 5) und das zivilgesellschaftliche Bündnis „Tribunal NSU-Komplex auflösen“ (2017), in dem die Perspektiven der Betroffenen im Mittelpunkt stehen, von institutionellem Rassismus gesprochen. Der US-amerikanische Rechtswissenschaftler Ian Haney-López fasst Handeln von gesellschaftlichen Organisationen darunter, wenn dieses „in habitualisierten typologisierten Routinen rassistische Stratifizierungen stützt“ (zitiert nach Liebscher 2017: 100). Somit kommt es bei institutionellem Rassismus auf die diskriminierenden oder benachteiligten Effekte einer Handlung und nicht auf die Intention des oder der Handelnden an. Die rassistische Kriminalisierung der Betroffenen und die Vehemenz, mit der trotz ausbleibender Ermittlungserfolge an diesem Ansatz festgehalten wurde, können damit als institutioneller Rassismus gefasst werden.
Knapp ein Jahr nach Bekanntwerden des NSU erhob der GBA 2012 Anklage gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, André Eminger, Holger Gerlach und Carsten S. Als oberste Strafverfolgungsbehörde der Bundesrepublik leitete die Bundesanwaltschaft unter Führung des GBA die Ermittlungen, verfasste die Anklage und vertrat die Bundesrepublik als Geschädigte. Laut Anklage war der NSU ein „isoliertes Trio“, das die rechtsterroristische Mord-, Anschlags- und Raubserie ohne Unterstützungsnetzwerk begangen haben soll (Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof 2012). Die „singuläre Vereinigung aus drei Personen“ sei im Jahr 1998 untergetaucht, habe 13 Jahre allenfalls mit einem „eng begrenzten Kreis an Unterstützern“ im Untergrund verbracht und mit dem Tod von Mundlos und Böhnhardt aufgehört zu existieren (ebd.). Mit dieser Darstellung verneinte die Ermittlungsbehörde auch, dass V-Personen überhaupt Informationen über den NSU hätten erlangen können. Heute ist bekannt, dass mindestens 40 V-Personen der Verfassungsschutzämter und der Landeskriminalämter im Umfeld des Kerntrios eingesetzt waren (Scharmer 2018). Parallel zum ersten NSU-Prozess führte und führt die Bundesanwaltschaft neun weitere Ermittlungsverfahren gegen als „Unterstützer des ‚NSUʻ verdächtigte Beschuldigte“ sowie eines gegen unbekannt, um mögliche Unterstützungsstrukturen zu ermitteln (Deutscher Bundestag 2017: 619f.). Damit stehen diese Ermittlungen potenziell im Widerspruch zur Darstellung des NSU als isoliertes Trio. Die parallelen Verfahren sind formal wie inhaltlich vom NSU-Prozess abgetrennt. Die Bundesanwaltschaft konnte nach eigenem Ermessen Ermittlungserkenntnisse dem NSU-Prozess zuordnen oder vorenthalten. Nebenklagevertreter_innen kritisieren, dass „die Handhabung der Zuordnung von Ermittlungen zu einzelnen Verfahren offenbar eher zufällig erfolgt[e]“2.
Durch die eng geführte Anklage und die parallelen Ermittlungen wurde auch festgelegt, was nicht aufgeklärt werden sollte. Gericht und Bundesanwaltschaft klammerten immer wieder die rassistisch geführten Ermittlungen als Tatfolgen sowie ihre Auswirkungen, das Netzwerk des NSU mit möglichen Helfer_innen und die Frage, ob die Taten mit dem Wissen der Verfassungsschutzämter hätten verhindert werden können, aus dem Prozess aus. Im Juli 2018 wurde das Urteil gesprochen. Beate Zschäpe ist wegen gemeinschaftlicher Begehung der angeklagten Taten zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Urteile gegen die vier Mitangeklagten blieben, zum Teil sogar deutlich, hinter den Forderungen der Bundesanwaltschaft zurück.3 Das Vorgehen der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden in der Strafverfolgung des NSU-Komplexes folgt dem Credo eines staatlichen Selbstschutzes, der durch verschiedene Konstellationen ermöglicht wird.
Spielräume der Strafverfolgung
Die Zuordnung der Staatsanwaltschaft zur Exekutive oder Judikative ist umstritten. Als politische_r Beamt_in ist der_die GBA dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz gegenüber weisungsgebunden. Anstelle von Neutralität besteht ein Einfallstor (partei-)politischer Einflussnahmen auf die Justiz.4 Der_die GBA ist u. a. bei schwerwiegenden Straftaten gegen die „Innere Sicherheit“ zuständig, worunter rechtsterroristische Aktivitäten gemäß § 129a StGB als Bildung terroristischer Vereinigungen im Inland fallen. Im Jahr 2006 wurden die Ermittlungen zu der damals als „Česká-Mordserie“ bekannten Verbrechen des NSU durch den GBA noch abgelehnt (Deutscher Bundestag 2013: 838). Bereits 1999 wurde beim GBA eine Verfahrensakte, die nach dem „Untertauchen“ des Kerntrios angelegt wurde, bis November 2011 weggelegt (ebd.: 853).
Wie die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat und zum NSU-Komplex zeigen, können sie durch den Verfassungsschutz blockiert werden. Insbesondere die rechte Szene ist von einer Vielzahl von V-Personen durchsetzt. Informationen, die der Verfassungsschutz so erlangt, können für die Strafverfolgung verwendet werden. In der Praxis unterliegt dies jedoch Einschränkungen. Bei Ermittlungen des_der GBA zu rechten Organisationsdelikten ergeben sich Konflikte zwischen der staatlichen Ermittlungspflicht schwerer Straftaten einerseits und dem Interesse des Bundesamts für Verfassungsschutz am Quellenschutz andererseits (Greif/Schmidt 2018: 93ff.). Es untersteht der Fachaufsicht des Bundesinnenministeriums, ist dem_der GBA gegenüber keinerlei Rechenschaft oder Transparenz bezüglich des Umgangs mit V-Personen schuldig und kann auf Grundlage einer Geheimhaltungsrichtlinie nach eigenem Ermessen Ermittlungen mit dem Argument des Quellenschutzes von V-Personen „aufschieben“ sowie Informationen oder Beweismittel zurückhalten.5 Darüber hinaus können Sperrerklärungen (§ 96 StPO) zu Personen oder Beweisstücken durch das Innenministerium erlassen werden. Ein bekanntes Beispiel ist die Sperrerklärung Volker Bouffiers, damals hessischer Innenminister, zum Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme, der während des Mordes an Halit Yozgat im April 2006 in dessen Internetcafé anwesend war. Zusätzlich wurde mit der Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes im Jahr 2015 eine Neuregelung geschaffen, wonach bei szenetypischen Straftaten von V-Personen, wie das Zeigen des Hitlergrußes oder das Tragen verfassungsfeindlicher Kennzeichen, von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen werden kann (§ 9a Abs. 3 BVerfSchG).
Es besteht ein systeminhärenter Widerspruch, wenn die Unabhängigkeit der Rechtspflege einem staatlichen Selbstschutz gegenübersteht. Entgegen oftmals postulierter „Lehren aus dem NSU-Komplex“ wird deutlich, dass eine konsequente Strafverfolgung rechtsterroristischer Strukturen und Gewalt in Deutschland weiterhin durch strukturelle Defizite beschränkt wird. Diese liegen ebenso wie bei rechten Straftaten generell im Erkennen und Benennen von rechtsterroristischen Taten. Darunter fallen u. a. eine mangelnde bis ausbleibende Einbeziehung des Wissens der Betroffenen sowie die strukturelle Vernachlässigung der ideologischen Sozialisation oder Einstellung der Täter_innen, gerade wenn keine expliziten Tatbekenntnisse vorliegen (Greif/Schmidt 2018: 149). Dabei ist gerade das „Fehlen“ von Tatbekenntnissen ein strategischer Bestandteil rechter und rechtsterroristischer Taten und die Tat selbst ist die Botschaft. Das Ausbleiben einer effektiven Überprüfung der Ermittlungsarbeiten von Polizei und Staatsanwaltschaften erschwert zudem das Aufdecken von möglichen Ermittlungsfehlern oder -versäumnissen (ebd.).
Fazit
Staatlichen Narrativen folgend sind beide Komplexe „ausermittelt“. Unabhängige Recherchen und parlamentarische Aufklärungsinstrumente zeigen hingegen, dass zentrale Fragen außen vorgelassen wurden. Strukturelle Defizite verstetigen sich. Möglichkeiten der Strafverfolgung und Aufklärung sowie die Kontrolle der Sicherheitsbehörden, insbesondere des V-Personensystems, wurden weiter limitiert. Dies gilt nicht nur für den Bereich der Strafverfolgung, sondern auch für die parlamentarische Aufklärung. Dazu trägt ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG Beschl. v. 13.06.2017 – 2BvE 1/15) bei, in dem die Informationsrechte des Parlaments gegenüber der Bundesregierung zum Umgang mit V-Personen verhandelt wurden. Die Bundesregierung hatte sich geweigert, eine Kleine Anfrage zu beantworten, in der gefragt wurde, ob Heinz Lembke V-Person war und „Erkenntnisse […] der Nachrichtendienste über das Attentat auf das Münchner Oktoberfest“ vorlagen. Das BVerfG entschied, dass Auskünfte zu V-Personen nur noch in „eng begrenzten, besonders gelagerten Ausnahmekonstellationen“ gegeben werden müssen (von Achenbach 2019: 159) und somit das exekutive Geheimhaltungsinteresse eine parlamentarische Aufklärung überwiege. Das Gericht nahm an, dass „eine wirksame Tätigkeit der Nachrichtendienste“ Teil der zum Verfassungsgut heraufgehobenen Sicherheit sei (ebd.: 160). Das Wirken von Sicherheitsbehörden und damit das V-Personensystem werden mit diesem Beschluss höher bewertet als die rechtsstaatliche und demokratische Kontrolle nachrichtendienstlichen Handelns. Dazu konstruiert das BVerfG „einen Begriff des Staatswohls als Staatssicherheit, der allein in den Händen der unter Umständen geheim handelnden Bundesregierung liegt“ (ebd.: 168). Indem Nachrichtendiensten die Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit der BRD zugeschrieben wird, wird die „exekutive Effektivität“ Teil des Staatswohls (ebd.: 160). Damit wird die lückenlose Aufklärung rechtsterroristischer Straftaten behindert.
Die oberste Strafverfolgungsbehörde verfolgt nicht das Ziel einer historischen Aufarbeitung, sondern hat die Aufgabe, in den aktuellen Verfahren mögliche Tatbeteiligte zu ermitteln. Dabei ist sie als politisch weisungsgebundene Behörde dem Staatswohl verpflichtet. Dieser Umstand wird unterstrichen, indem trotz einer Thematisierung möglicher V-Personen im Umfeld Köhlers und des Oktoberfestattentats in einem Zeitraum von mehr als 30 Jahren bisher keine Behörde Konsequenzen zu fürchten hatte und staatliches Wissen im NSU-Komplex, das durch V-Personen erlangt wurde, geheim gehalten werden kann. Eine Auseinandersetzung mit staatlichen Narrativen von Rechtsterrorismus muss jedoch eine Infragestellung des Agierens der Sicherheitsbehörden umfassen. Dazu bedarf es einer kritischen Analyse der limitierenden Wirkungen der Beschlüsse des BVerfG und der exekutiven Effektivität, gerade auch als Ermöglichungsbedingungen rechter Strukturen.
Voraussichtlich werden die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat in diesem Jahr eingestellt. Nach Ende des ersten NSU-Prozesses bleibt fraglich, ob aus den parallelen Ermittlungen weitere Anklagen folgen oder ein deutlicher Schlussstrich gezogen wird. Ein Schlussstrich wäre ein fatales Signal an rechte Strukturen, wie sie vermutlich auch in der hessischen Polizei unter dem Namen NSU 2.0 agieren. Aufklärung kann nur dann vollständig stattfinden, wenn staatliche Behörden sich nicht von der Aufklärung ausnehmen können und dürfen.
1 Vgl. Verfassungsschutzberichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz von 1999 bis 2010.
2 Başay-Yıldız, Seda et al. (2016): Beweisantrag vom 25.02.2016 an das Oberlandesgericht München.
3 Bislang ist nur das Urteil gegen Carsten S. rechtskräftig.
4 Jüngst befand der Europäische Gerichtshof, deutsche Staatsanwaltschaften bieten „keine hinreichende Gewähr für Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive“ (Urt. v. 27.05.2019, Az. C-508/18) (vgl. Kaufmann/Sehl 2019).
5 Richtlinien für die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden, des Bundesnachrichtendienstes, des Militärischen Abschirmdienstes, der Polizei und Strafverfolgungsbehörden in Staatsschutzangelegenheiten vom 26.07.1973 aus dem Handbuch des Verfassungsschutzrechtes, zitiert nach Biermann 2016.
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