Antifeminismus und Antisemitismus als Bestandteile
rechtsextremer Ideologie
Es sei vorangestellt, dass weder antifeministische noch antisemitische Ressentiments der rechtsextremen Szene vorbehalten sind. Beide finden sich, in verschiedenen Ausprägungen und Ausdrucksweisen, bis in die Mitte der modernen Gesellschaften hinein. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es sich sowohl beim Antisemitismus als auch beim Antifeminismus um integrale Bestandteile bürgerlicher Vergesellschaftung handelt. Der Kritischen Theorie Horkheimers und Adornos (1969: 199) zufolge entstehen sie aus dem unbewussten Drang bürgerlicher Subjekte, sich der verunsichernden, unangenehmen Begleiterscheinungen moderner Gesellschaften zu entledigen, indem sie diese auf ein Anderes projizieren, um sie dort bekämpfen und vernichten zu können. Damit werden persönliches Leid und gesellschaftliche Missstände nicht reflektiert, sondern in Form eines imaginierten Feindbildes versucht, zu bekämpfen (vgl. Haury 2002: 106). Antisemitische und antifeministische Ressentiments treten, insbesondere in einer rechten oder rechtsextremen Weltsicht, häufig gemeinsam oder ineinander verschränkt auf. Sie können jeweils als Vehikel (Fedders 2018: 228) des anderen fungieren, sich ergänzen und aufeinander beziehen. Rechte Gruppen verlautbaren, Feminismus „verweibliche“ die Männer, verwehre den Frauen ihre natürliche Bestimmung und gefährde dadurch das Wohl des eigenen „Volkes“. Im digitalen Raum beschreiben verschwörungsideologische Blogs und Websites den Feminismus als Herrschaftsinstrument der „mächtigen Elite“, das zur Schwächung und letztlich zur Vernichtung des „deutschen Volkes“ eingesetzt werde.
Die Verschwörungsideologie des „Großen Austauschs“
Am 09. Oktober 2019, am jüdischen Feiertag Jom Kippur, versuchte der rechtsextreme Attentäter Stephan Balliet, sich mit selbst gebauten Waffen und Sprengsätzen Zugang zur Synagoge in Halle zu verschaffen. Nachdem er feststellen musste, dass die Tür standhielt, suchte er sich ein neues Ziel, erschoss eine Passantin und schließlich den Gast eines Dönerimbisses – ein Lokal, das er aus rassistischer Motivation auswählte, wie sich dem Livestream, durch den er seine Tat publizierte, entnehmen lässt. Mit folgenden Worten eröffnete Balliet seinen Terroranschlag: „Mein Name ist Anon und ich glaube, der Holocaust hat nie stattgefunden, der Feminismus ist an der sinkenden Geburtenrate im Westen schuld, die die Ursache für die Massenimmigration ist, und die Wurzel dieser Probleme ist der Jude.“ (aus dem Englischen, Olsen 2019)
Damit bietet er zugleich einen Einblick in sein Weltbild, die Legitimationsgrundlage seines Handelns. Was er beschreibt, ist die Verschwörungsideologie des „Großen Austauschs“. Balliet folgt sowohl ideologisch als auch praktisch einer Generation von Rechtsterroristen, die sich online radikalisiert haben. Der erste prominente Attentäter dieser Kategorie ist Anders Breivik. Am 22. Juni 2011 tötete er bei zwei aufeinanderfolgenden Anschlägen in Oslo und Utøya insgesamt 77 Menschen, überwiegend Kinder und Jugendliche, um ein Zeichen im Kampf gegen den „Kulturmarxismus“ und die damit verbundene Bedrohung der „weißen, europäischen Völker“ zu setzen – wie er behauptet. Zwischen Breivik und Balliet liegen acht Jahre und weitere terroristische Akte, die sich sowohl auf die Verschwörungsideologie des „Großen Austauschs“, auf Anders Breivik als auch aufeinander als politische Vorbilder beziehen.1 Der Vordenker dieser Ideologie ist Renault Camus, der in seinem Buch „Le Grand Remplacement“ den wahnhaften Vorstellungen eines „Bevölkerungsaustauschs“, also der Fantasie, die „weiße“ Mehrheitsgesellschaft werde durch muslimische bzw. nicht-„weiße“ Einwanderer und Geflüchtete verdrängt, einen intellektuellen Anstrich verlieh. Die deutsche Übersetzung erschien 2016 im rechten Antaios Verlag von Götz Kubitschek und wurde u. a. von der Identitären Bewegung rezipiert (vgl. Antaios; Identitäre Bewegung).
Im verschwörungsideologischen Narrativ des „Großen Austauschs“ verbinden sich antisemitische mit rassistischen und antifeministischen Ressentiments. Die paranoide Furcht vor einem „Volkstod“ sieht zwar rassistisch Markierte als direkte Bedrohung, wähnt jedoch hinter diesen die eigentliche Verschwörung durch eine mächtige, jüdisch konnotierte Elite. Diese nutze wiederum den Feminismus, um „Frauen gegen die Männer auf[zu]hetzen und die Partnerschaft und Gemeinschaft der Familie [zu] zerstören“. So schüfen sie letztlich „eine kaputte Gesellschaft aus Egoisten [...], die arbeiten (für die angebliche Karriere), konsumieren (Mode, Schönheit, Marken), dadurch unsere [die des ‚Großkapitalsʻ, Anmerkung der Autorin] Sklaven sind und es dann auch noch gut finden“ (skywatchbretten 2014). Das Zitat stammt nicht aus einem rechtsterroristischen Bekennerschreiben, sondern findet sich auf zahlreichen verschwörungsideologischen rechten Blogs. Es wird der fiktiven Person Nicolas Rockefeller zugeschrieben. Es sei hier angeführt als Hinweis auf die Popularität und Wirkmacht der Vermischung antifeministischer und antisemitischer Ressentiments zu einer gemeinsamen Verschwörungsideologie. Dieses Narrativ ist zwar modern, jedoch nicht neu. Bereits seit dem 19. Jahrhundert behaupten deutsche Antisemit*innen und Antifeminist*innen, es gebe einen geheimen Bund zwischen Feminist*innen respektive emanzipierten Frauen und „der jüdischen Elite“ (Klammer/Bechter 2019: 262; vgl. Beitrag von Streichhahn in diesem Band). Dieses Ressentiment entwickelte sich im reaktionären Kampf gegen moderne Emanzipationsbewegungen, insbesondere der jüdischen und weiblichen Bevölkerung. Beispielhaft lässt sich dieser Affekt an den Forderungen Ludwig Langemanns ablesen. Als radikaler Gegner des Frauenwahlrechts und bekennender Antisemit schrieb er im Jahr 1919 über „Zusammenhänge zwischen Semitismus, Demokratismus, Sozialismus und Feminismus“: „Wo der jüdisch-demokratisch-feministische Mammongeist den nationalen Heldengeist erst völlig vernichtet hat, ist eine Wiedergeburt ausgeschlossen, da steht der Untergang vor der Tür“ (zitiert nach Stögner 2019: 24). Auch der Rechtsterrorist Breivik kommt, gut 100 Jahre später, zu einem ähnlichen Schluss: „Western women have been subjected to systematic Marxist indoctrination meant to turn you into a weapon of mass destruction against your own civilisation, a strategy that has been remarkably successful.“ (Berwick2 2011: 344) In dieser Vorstellung implizit enthalten ist der antifeministische Vorwurf gegenüber westlichen Frauen, keine Kinder mehr bekommen zu wollen, sowie die Ablehnung gesellschaftlicher Emanzipationsbestrebungen in Form des Liberalismus. Die Attentäter gehen von einem Identitätsverlust der „weißen Rasse“ im Ganzen sowie ihres „Volkes“ im Speziellen aus. Ein zentrales Moment dieses Identitätsverlustes sei ein Verlust an Eindeutigkeit im Geschlechterverhältnis – zuvorderst ein Mangel an „richtigen Männern“. Dadurch werde nicht nur die Institution der Familie, sondern die völkisch-nationalistische Gemeinschaft als Ganzes bedroht.
Die völkische Sehnsucht nach Eindeutigkeit und „natürlicher Ordnung“
Antisemitismus und Antifeminismus berufen sich auf eine „natürliche Ordnung“ der Dinge bzw. der Gesellschaft. Diese Vorstellung einer naturalisierten Gesellschaftsordnung ist zwar strukturell in modernen Gesellschaften angelegt, darf im Spannungsfeld gesellschaftlicher Entwicklung jedoch Brüche erleben, sich entwickeln und sich (wenigstens bedingt) verändern. Die völkische Gemeinschaft hingegen behauptet die Abwesenheit von Brüchen und bezieht ihre vermeintliche Stärke aus absoluter Eindeutigkeit. Die Individuen sollen in der Gemeinschaft aufgehen. Dazu müssen sie wiederum eine widerspruchsfreie geschlechtliche wie „ethnische“ Identität (re-)produzieren. Jede Störung dieser Identitätskonstruktionen bedroht dementsprechend nicht nur das Individuum, sondern das „Volk“ als Ganzes (vgl. Schiedel 2019: 290f.).
„Die Juden“3, ähnlich wie emanzipierte Frauen, weichen aus Sicht der völkischen Ideolog*innen von der völkischen Gemeinschaft nicht nur ab, sie stellen das Konzept natürlicher Identität an sich infrage und gelten daher als „Repräsentantinnen und Repräsentanten des Nichtidentischen, Uneindeutigen, Unzuordenbaren“ (Stögner 2019: 29). Als solche manifestiert sich in ihnen die Angst vor der vollständigen Auflösung gesellschaftlicher Identitätskategorien und damit die Angst vor der Erosion der gesellschaftlichen Ordnung, die innerhalb rechtsextremer Ideologie stets als natürliche Ordnung stilisiert wird.
If you break down men’s masculinity, their willingness and ability to defend themselves and their families, you destroy the country. That’s exactly what Western women have done for the last forty years. So why are you surprised about the results? As you said, you can’t fool Mother Nature. Well, you have tried to fool her for a long time, and you are now paying the price for this. (Berwick 2011: 343)
Der „Natur“ wird die moderne Gesellschaft als dekadente, künstliche und abstrakte Antagonistin (bei Breivik gebündelt im Begriff des „Kulturmarxismus) gegenübergestellt, gegen die es sich zu verteidigen gilt (vgl. Stögner 2019: 17). Die Verschränkung antisemitischer und antifeministischer Ressentiments basiert auf der Assoziation „des Juden“ sowie „der emanzipierten Frau“ mit der Moderne, dem Kapitalismus (vor allem als Zirkulationssphäre und „Zinsknechtschaft“), der Emanzipation und dem Sozialismus.4 In dieser Vermischung diverser moderner Phänomene zu einem allumfassenden antimodernen Feindbild zeigt sich sowohl die strukturelle Ähnlichkeit von Antisemitismus und Antifeminismus als auch die Spezifik ihrer Verschränkung.
Antifeminismus in männerbündischen Online-Communitys
„Diversity is weakness, unity is strength“, schreibt Brenton Tarrant, der Rechtsterrorist, der im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen in zwei Moscheen erschoss, in seinem „Manifest“, das er über das Imageboard 4-Chan veröffentlichte. Auf diesen Imageboards, Internetforen, in denen vor allem Bilder ausgetauscht werden und zu denen auch 8Chan sowie diverse andere Chan-Ableger gehören, sowie in themenspezifischen Subreddits (Unterkanäle auf der Plattform Reddit) oder auf Gaming-Plattformen wie Twitch oder Steam treffen sich Gleichgesinnte. Hier bilden sich u. a. Gemeinschaften, deren zentrales Verbindungselement ein vermeintlich geteiltes Schicksal respektive eine gemeinsame Identitätskonstruktion ist. Dies ist zunächst kein Alleinstellungsmerkmal männerbündischer, antifeministischer Communitys, sondern vielmehr ein zentrales Element digitaler Vernetzung, das diese so attraktiv macht. Zu zweifelhafter Berühmtheit sind besagte Boards und Plattformen jedoch dadurch gelangt, dass diverse Attentate (u. a. Christchurch, Poway, El Paso und Halle) auf ihnen angekündigt wurden. Die Attentäter scheinen sich darüber hinaus innerhalb dieser Communitys radikalisiert zu haben.
Eingangs wurde bereits auf ihre ideologische Schnittmenge verwiesen – die Verschwörungsideologie des „Großen Austauschs“. Ein Bestandteil dieser Ideologie ist ein autoritäres, soldatisches Konstrukt von Männlichkeit. Dieses drückt teilweise explizit seine Abwertung von Frauen und seinen Hass auf den Feminismus aus – wie es am Manifest des norwegischen Attentäters Anders Breivik deutlich zu sehen ist. Männlichkeit wird idealtypisch als herrschend, aggressiv, stark und überlegen begriffen. Demgegenüber wird Weiblichkeit dichotom als rein, liebevoll, fürsorglich, begehrenswert oder verführerisch, verschlingend und gierig stilisiert. Grundsätzlich bergen auch konventionelle moderne Weiblichkeitsbilder Aspekte all dieser Attribute, was sie besonders defizitär macht. Männerbünde beziehen einen wesentlichen Teil ihrer Selbstbehauptung aus der Abwertung bestimmter oder aller Formen von Weiblichkeit, also von Frauen an sich. Der Sozialpsychologe Rolf Pohl weist darauf hin, dass heranwachsende (adoleszente) junge Männer innerhalb ihrer homosozialen Peer-Groups der Verunsicherung ob ihrer „Mann-Werdung“ beikommen, indem sie Frauen abwerten, erniedrigen oder bisweilen sogar körperlich angreifen. Gewaltsame, häufig sexualisierte Formen der Unterdrückung sind in rigider Männlichkeit angelegt und helfen, diese und die mit ihr verbundene gesellschaftliche Vormachtstellung zu (re-)produzieren (Pohl 2004: 387). Eigentlich sollen durch diese unbewussten Strategien Vernichtungswünsche abgewehrt werden, da die Frau auch Objekt der Begierde sowie potenzielle Mutter der Nachkommen (des „Volkes“) ist. Diese Zwiespältigkeit findet sich in ähnlicher Weise auch in modernen Spielarten des Antisemitismus, wie sie sich vor allem in Form des Antizionismus zeigt. Der Konflikt zwischen antisemitischen Affekten und einem linken oder humanistischen Selbstbild wird beispielsweise aufgelöst durch die Parteinahme mit dem vermeintlich unterdrückten „palästinensischen Volk“. Auch der „gute Jude“ zeigt sich solidarisch und antizionistisch – so wie „die gute Frau“ ihre reproduktiven Kräfte in den Dienst der patriarchalen Volksgemeinschaft stellt. Der rechte Antisemitismus hingegen kann gänzlich ohne Vorstellungen „des guten Juden“ auskommen.
Die (un-)freiwillig Zölibatären und ihr Hass auf Frauen
Das Milieu der Incels5 (Involuntary Celibates) und MGTOWs (Men Going Their Own Way) stechen aus der Fülle an verschwörungsideologischen Männerbünden heraus, da sie „die Frauen“ für ihr persönliches Unglück und dazu analog das Übel der Welt verantwortlich machen. Die Konstruktion „der Frau“ in dieser spezifischen Form des Antifeminismus ähnelt der Konstruktion „des Juden“ im Antisemitismus. Frauen werden von Teilen dieses Milieus als „degenerierte“, triebgesteuerte „Untermenschen“ wahrgenommen, die, der natürlichen Ordnung zufolge, von den überlegenen Männern beherrscht werden sollten. Zugleich sprechen sie Frauen enorme Macht über die Geschicke der Welt zu, da sie, vermittelt über männliches Begehren und mit Sex als Triebkraft, über Glück und Unglück der einzelnen Männer und damit der Gesellschaft entscheiden würden. Frauen seien aufgrund ihrer Minderwertigkeit nicht dazu in der Lage, rationale Entscheidungen zu treffen. Anstatt die Mitglieder des Milieus mit Liebe und sexuellen Dienstleistungen zu umsorgen, ließen sie ausschließlich (reiche) Erfolgstypen, die sogenannten Chads6, von diesen weiblichen Vorzügen profitieren.
Ihre Konstruktion von Weiblichkeit verbindet ein Bild von Frauen als kaum noch menschliche Triebwesen mit der Vorstellung einer inoffiziellen weiblichen Herrschaft über die Welt, die dadurch wiederum verkomme. Aus dieser wahnhaften Imagination leitet ein Teil des Milieus, z. B. die MGTOWs, ab, dass ein glückliches Leben nur ohne Frauen stattfinden könne. Die Utopie einer Welt ohne Frauen ist nicht umsetzbar – der in ihr mitschwingende Vernichtungswunsch somit zum Scheitern verurteilt. Dennoch oder gerade deswegen wird Gewalt gegen Frauen (und gegen jene, die von Frauen begehrt werden) in Teilen dieser Milieus zu einem revolutionären Akt stilisiert, einem Aufbäumen gegen den unbesiegbaren Gegner. Immer wieder werden Attentate aus diesem Milieu heraus verübt. Als Vorreiter und „Märtyrer“ dieser speziellen Form des Terrorismus gilt Elliot Rodger, der im Jahr 2014 in Isla Vista (Kalifornien) sechs Menschen und dann sich selbst tötete. Nachdem Rodgers glaubte, daran gescheitert zu sein, eine attraktive Partnerin zu finden, verstieg er sich zunehmend in die Fantasie einer Welt ohne Frauen und ohne Sexualität: „Women`s rejection of me is a declaration of war, and if it’s war they want, then war they shall have. It will be war that will result in their complete and utter annihilation“ (Rodger 2014: 131). Er beschreibt in seinem Manifest seine Utopie einer Welt, in der Sexualität nicht existiert und alle Frauen „like the plague they are“ in „concentration camps“ unter Quarantäne gestellt werden, um – sekludiert von der übrigen rein männlichen Gesellschaft – lediglich für das Gebären von Nachwuchs zuständig zu sein. „It is the only way to purify the world.“ (Ebd.: 135) Dieser eliminatorische Antifeminismus, den man in diversen männerbündischen Internetforen findet, artikuliert sich nicht nur in Worten, sondern längst auch in mörderischen Taten. Im April 2018 tötete der sich selbst als Incel beschreibende Alek Minassian in Toronto 10 Menschen mit einem geliehenen Van. Während des Verhörs mit der Polizei gab er als Motivation für seine Tat an, Teil eines „Beta Uprising“ zu sein, deren „founding father“ Eliot Rodgers sei (vgl. National Post 2019). „Beta Males“ sind Männer, die sich als gesellschaftlich minderwertig geächtet fühlen, weil sie zwar „good guys“ seien, aber nicht die Physiognomie von „Alpha Males“ aufwiesen. Gegen diese vermeintliche Ungerechtigkeit, die letztlich durch Frauen realisiert werde, setzten sie sich nun zur Wehr.
Fazit
Die zentrale Gemeinsamkeit zwischen Antisemitismus und insbesondere rechtsextremem Antifeminismus ist, dass beide sich als antimoderner Abwehrkampf stilisieren, bei dem es um nichts weniger geht als den Fortbestand der eigenen Schicksalsgemeinschaft. Sowohl „der Jude“ als auch „die emanzipierte Frau“ werden assoziiert mit Abstraktheit, Uneindeutigkeit, Künstlichkeit und „Degeneration“. Ihnen wird unterstellt, die „natürliche Ordnung“ infrage zu stellen und dadurch eine zentrale Bedrohung für „das Volk“ zu sein. Im Gegensatz zu äußeren Aggressoren kommt hier die Gefahr aus dem Inneren der Gemeinschaft, was sie wiederum besonders beängstigend macht. Dennoch existiert innerhalb rechtsextremer Ideologie ein, wenn auch in sich defizitäres, Bild der „guten Frau“, die ihre Geschlechterrolle und damit „natürliche“ Bestimmung erfüllt. Der eliminatorische Antifeminismus fantasiert hingegen, ähnlich wie der eliminatorische Antisemitismus, Frauen zu einer Mischung aus „Untermenschen“ („There is no creature more evil and depraved than the human female (Rodger 2014: 136)) und übermächtigen Gegner*innen, die demzufolge nicht einfach nur verdrängt oder bekämpft werden können, da sie als innere Feind*innen agieren. Antifeminist*innen und Antisemit*innen sehen sich im Kern ihres Seins, in den Grundfesten ihrer Identität angegriffen. Ihrer Auffassung nach werde ein Krieg gegen sie und ihre Gemeinschaft geführt. Diese Bedrohung legitimiert nicht nur drastische Maßnahmen, sie fordert sie sogar ein. Der Konflikt zwischen Begehren, Sehnsucht und Neid versus Angst und Hass führt zu einer besonders destruktiven Haltung. Zerstörung gerinnt in diesem Weltbild zur Utopie. In quasi kindlichem Narzissmus sehnen sich die leidenden Männer nach Vergeltung. Sie legitimieren ihre Mordlust durch ihre unerwiderte autoritäre Sehnsucht nach Selbstbestätigung und Unterwerfung (vgl. Stögner 2014: 52).
1 Im neuseeländischen Christchurch verübte Brenton Tarrant am 15. März 2019 einen Anschlag auf zwei Moscheen. Kurz darauf, am 27. April 2019 erschoss John Earnest eine Besucherin der Poway Synagoge in Kalifornien und verletzte weitere Menschen schwer.
2 Anders Breivik verwendet Andrew Berwick als Pseudonym.
3 „Die Juden“ bezeichnet hier sowie im Folgenden die Projektion der Antisemit*innen.
4 Die im Antisemitismus als „jüdisch“ identifizierten Charakteristika beschreiben unbewusst auch das Verhältnis der Subjekte im Kapitalismus miteinander. „Abstraktheit, Unfassbarkeit, Universalität, Mobilität“ werden „dem Juden“ zugeschrieben, sind aber ebenfalls bezeichnend für den Wert als gesellschaftliches Verhältnis (Salzborn 2010: 157–168).
5 Es handelt sich dabei um einen Oberbegriff, unter dem unterschiedliche Strömungen dieser Community zusammengefasst werden. So gibt es innerhalb dieser Gruppe auch Volcels (voluntary celibats – freiwillig Zölibatäre) oder Truecels (Personen ohne jegliche Intimität).
6 Chads sind Männer, die aus der Perspektive des Milieus über ein gutes Einkommen, attraktive Männlichkeit und einen daraus folgenden hohen sozialen Status verfügen. Die Zölibatären fühlen sich von den Chads gesellschaftlich abgehängt, denken jedoch, ihnen moralisch und intellektuell überlegen zu sein. Sie empfinden es daher als enorme, von Frauen verschuldete Ungerechtigkeit, dass diese Männer über mehr Partizipationsmöglichkeiten zu verfügen scheinen.
Literatur
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