„Aber das war eigentlich nach der Wende …“ – von Brüchen und Kontinuitäten rassistischer Erfahrungen mosambikanischer Arbeitsmigrant:innen in der DDR bis in die Gegenwart

Auf Grundlage biografisch-narrativer Interviews rekonstruiert der Beitrag Rassismuserfahrungen in Lebensgeschichten ehemaliger Vertragsarbeiter:innen aus Mosambik, die bis heute in Deutschland leben. Im Rahmen des 1979 zwischen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der Volksrepublik Mosambik geschlossenen Arbeitsmigrationsabkommens reisten bis 1990 über 22.000 mosambikanische Arbeiter:innen ins sozialistische Deutschland. Die Erzählperspektive der Interviewpartner:innen ist in diesem zeitgeschichtlichen Kontext verankert. Als Rassismusbetroffene wird ihr subjektiver Erfahrungshorizont auf die letzten vier Jahrzehnte deutscher Gesellschaftsgeschichte sicht- und hörbar gemacht.

Kontinuitäten rassistischer Wissensbestände in der DDR und im wiedervereinigten Deutschland

Rassismus, verstanden „als ein System von Diskursen und Praxen, die historisch entwickelte und aktuelle Machtverhältnisse legitimieren und reproduzieren“ (Rommelspacher 2009, 29), stützt sich auf an physische Merkmale gekoppelte Wissensbestände. Seit dem 18. Jahrhundert wurden rassistische Wissensbestände aktiv von Gesellschaft und Wissenschaft hervorgebracht und haben sich seitdem kontinuierlich verändert. Als am Ende des Zweiten Weltkrieges das Ausmaß des nationalsozialistischen Massenmordes an den europäischen Jüdinnen und Juden nicht mehr verleugnet werden konnte, trugen „[d]er Schock und die Beschämung darüber […] mehr als jedes frühere historische Ereignis dazu bei, den Rassismus – wenigstens in seinen unverhohlenen ideologischen Formen – in Misskredit zu bringen“ (Fredrickson 2002, 130). Insbesondere in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten wurde die Auseinandersetzung mit Rassismus jahrzehntelang quasi gleichgesetzt mit der Bearbeitung von Nationalsozialismus und Shoa. Dies hatte zur Folge, dass trotz der unterschiedlichen Entwicklung von DDR und BRD im Kontext des Kalten Krieges die weiterhin bestehenden kolonialen rassistischen Wissensbestände, in denen Hautfarbe als körperliches Merkmal relevant blieb, „diskursiv dethematisiert und durch Vorstellungen von Differenz und Unvereinbarkeit ersetzt“ wurden (Ransiek 2019, 110). Die DDR, die sich in Abgrenzung zur BRD als alleinigen antifaschistischen deutschen Staat definierte, war schon auf dieser Grundlage über jede Kontinuität zum NS-Staat erhaben (Völter und Dasberg 1999, 29). Leitprinzipien der marxistischen Ideologie des „Ostblocks“ waren Solidarität, Gleichheit und Antirassismus (vgl. Fredrickson 2004, 133). Rassismus, der in der DDR als Straftatbestand galt (vgl. Möring 2015, 388), wurde wie Antisemitismus und Faschismus als Teil des Klassenkampfes inszeniert und als quasi überwunden angesehen. Dies hatte zur Folge, dass weiterhin vorhandene rassistische und antisemitische Wissensbestände und ebenso neonazistische, rassistische und antisemitische Propaganda- und Gewalttaten1 im öffentlichen Diskurs weitgehend beschwiegen wurden (vgl. Richarz 2021)2.

Im Zuge des politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs der DDR 1989/90 und der sich daraus ergebenden sozialen Krisensituation explodierte, vor allem in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre, rassistische Gewalt in Ostdeutschland, aber nicht nur dort (vgl. Poutrus 2019, 168–171). Vor allem (ehemalige) Vertragsarbeiter:innen, die zu DDR-Zeiten eingereist waren, wurden als sichtbare Minderheiten in Pogromen wie in Hoyerswerda (1991) oder Rostock-Lichtenhagen (1992) zur Zielscheibe rassistischer Angriffe.3

Zum Einsatz ausländischer Werktätiger in der DDR

Ende 1989 befanden sich knapp 94.000 sogenannte ausländische Werktätige in der DDR (ca. 0,5% der Wohnbevölkerung, vgl. Möring 2015, 387). Im Zeichen internationaler Solidarität waren sie auf Grundlage bilateraler staatlicher Arbeitsmigrationsabkommen im ganzen Land in der Produktion beschäftigt. Seit den 1970er-Jahren waren knapp 130.000 Arbeiter:innen aus außereuropäischen sozialistisch orientierten Partnerländern für einen befristeten mehrjährigen Arbeitsaufenthalt in die DDR eingereist. Die wichtigsten Herkunftsländer waren Vietnam (69.000 Vertragsunterzeichnungen), Kuba (25.000) und Mosambik (22.200) (vgl. Zwengel 2011, 4). Die DDR versuchte damit, dem Arbeitskräftemangel in Schwerpunktbetrieben zu begegnen. Im Fall der Volksrepublik Mosambik stand im Vordergrund, junge Arbeiter:innen für die geplante Industrialisierung des Landes in der DDR ausbilden zu lassen, den eigenen Arbeitsmarkt zu entlasten und Schulden abzubauen.

Die Aufenthaltsbedingungen in der DDR wurden in den zwischenstaatlichen Verträgen geregelt. Nach dem Rotationsprinzip und in Gruppen von mindestens 50 wurden die mehrheitlich männlichen Arbeiter:innen im Mehrschichtsystem in den Betrieben eingesetzt. Sie waren in von den Betrieben finanzierten Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, für die sie einen geringen Mietbeitrag zahlten. Tarif- und sozialrechtlich waren sie den einheimischen Arbeiter:innen de facto gleichgestellt. Eine langfristige Bleibeperspektive war jedoch nicht vorgesehen. Der Aufenthalt diente einzig und allein Arbeits- und Ausbildungszwecken. Familiengründungen in der DDR waren den Arbeiter:innen bis 1989 untersagt, Familiennachzug ausgeschlossen. Im Kontext von Mauerfall und Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft waren Vertragsarbeiter:innen als Erste von Entlassungen betroffen (vgl. Sextro 1996). Dies hatte für sie eine völlige Rechtsunsicherheit zur Folge, denn der Aufenthalt in der DDR war an ihren Arbeitsvertrag gebunden. Obwohl im Mai 1990 ausgehandelt wurde, dass die mosambikanischen Arbeitsmigrant:innen auch bei Verlust ihres Arbeitsplatzes bis zum Ende der ursprünglich vereinbarten Vertragszeit in Deutschland bleiben konnten, erreichte diese Information nicht alle. Die Rückkehrbereitschaft der Arbeiter:innen wurde zudem mit finanziellen Anreizen gefördert (vgl. Berger 2005). Folglich war die Mehrheit bis 1991 nach Mosambik zurückgekehrt. Eine Minderheit von knapp 3.000 Mosambikaner:innen blieb im Land. Deren Perspektive steht im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen.

„Wir kamen von einem anderen Kontinent“

Das analysierte empirische Material entstammt einer 2020 begonnenen biografisch-narrativen Studie zu Lebensgeschichten ehemaliger Vertragsarbeiter:innen aus Mosambik, mit der leitenden Fragestellung, wie die staatlich organisierte Arbeitsmigration in die DDR deren transnationale Biografien beeinflusst hat. Mithilfe des biografisch-narrativen Interviews, angelehnt an Rosenthal (1995), wurden die Interviewpartner:innen dazu aufgefordert, ihre gesamte Lebensgeschichte zu erzählen, so dass Sozialisationserfahrungen in Mosambik, Vertragsarbeit in der DDR, Postwende-Erfahrungen wie berufliche Um- und Neuorientierung, transnationale Familienkonstellationen und der gegenwärtige Lebenszusammenhang zur Sprache kommen. Das empirische Material wurde, angelehnt an Rosenthal, als biografische Fallrekonstruktion aufgearbeitet (vgl. Rosenthal, 1995). Weil eine umfassende Darlegung der biografisch-individuellen Analysen den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde, wird der Augenmerk auf Erzählpassagen aus mehreren Interviews gelegt, die (alltags-)rassistische Erfahrungen in der DDR und im wiedervereinigten Deutschland thematisieren.

Alle Interviewpartner:innen hatten zum Zeitpunkt des Interviews (2020 bis 2022) ihren Lebensmittelpunkt seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland (Ost wie West) und waren als z. T. sehr junge Erwachsene im Laufe der 1980er-Jahre in die DDR eingereist. Bei ihrer Ankunft in Europa brachten sie ihre Sozialisationserfahrungen aus ihrem Herkunftsland mit, wo sie als Kinder und Heranwachsende das letzte Jahrzehnt der portugiesischen Kolonialherrschaft, die Gründung der mosambikanischen Volksrepublik sowie den darauffolgenden Bürgerkrieg, der den postkolonialen sozialistischen Aufbau des Landes konterkarierte, miterlebt hatten4. Dass diese Erfahrungsaufschichtungen ihre Erzählperspektive beeinflussen, steht außer Frage, auch wenn sich die folgenden Betrachtungen auf die Erfahrungen in der DDR und BRD beschränken.

„Vieles haben wir nicht mitgekriegt“

Anhand der Lebenserzählungen wird sichtbar, dass die jungen Mosambikaner:innen, neben der Sprachbarriere, nur über bruchstückhafte Kenntnisse hinsichtlich der zwischenstaatlichen Vereinbarungen, die ihren Aufenthalt betrafen, und über die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR verfügten. Oder wie es ein Erzähler ausdrückte: „Von DDR damals Null-Ahnung gehabt, null“. Bei ihrer Ankunft wussten sie weder wo noch in welchem Berufszweig sie tätig sein würden, sie wurden zugeteilt, ohne Berücksichtigung persönlicher Präferenzen. In der DDR-Bevölkerung wiederum waren die Aufenthaltsbedingungen der Vertragsarbeiter:innen weitgehend unbekannt, die Verträge unterlagen der Geheimhaltung (vgl. Möring 2015, 385; Van der Heyden 2019, 180). Dieser grundsätzliche Mangel an belastbaren Informationen über die Situation der fremden Arbeiter:innen trug dazu bei, dass zahlreiche Gerüchte über sie in der Bevölkerung zirkulierten, so bspw. über ihren angeblich privilegierten Zugang zu Westgeld oder Reisemöglichkeiten in die BRD. Die allgemeine Unzufriedenheit vieler DDR-Bürger:innen im Kontext der Mangelwirtschaft und ihre fehlenden Reisemöglichkeiten unterstützten diese Dynamik (vgl. Scherzer und Schmitt 2011; Mavanga 2014, 173–175), die sich zudem als anschlussfähig an versteckte, aber weiterhin vorhandene rassistische Wissensbestände erwies.

„So richtig negative Sachen, also ich von meiner Seite, habe das nicht erlebt“

In den aus einer Gegenwartsperspektive heraus konstruierten Lebensgeschichten spielen negative Erfahrungen mit der DDR-deutschen Bevölkerung nur eine marginale Rolle5. Alle Erzählenden schildern spontan positive Kontakte, dank derer sie, über das Arbeitermilieu hinaus, mit anderen gesellschaftlichen Gruppen verkehrten, etwa mit Studierenden, Christ:innen usw. Aus flüchtigen Begegnungen konnten lebenslange Freundschaften, ebenso Liebesbeziehungen oder gar Familien werden – Schätzungen zufolge sind in der DDR mehrere Tausend Kinder in deutsch-mosambikanischen Partnerschaften entstanden (vgl. Van der Heyden 2019, 398). Ein Interviewter wohnte, trotz des Verbots, außerhalb des Wohnheims zu schlafen, bei seiner deutschen Freundin. Durchweg alle erzählen von Familien, in denen sie wie eigene Kinder aufgenommen worden sind. Darüber hinaus stellten insbesondere Kontakte zu Christ:innen für einige Erzähler:innen prägende Begegnungserfahrungen dar, obwohl die freie Religionsausübung den Vertragsarbeiter:innen laut Möring (2015, 388) offiziell untersagt war.

„Man hat selten davon gehört, aber [...] auch das gab es“

Das Thema Rassismus wird von den Erzähler:innen nicht tabuisiert, stellt aber ebenso wenig einen zentralen Erzählstrang dar6. Was ihre persönlichen Erfahrungen vor dem Mauerfall angeht, so sagen alle Interviewten, dass sie selbst keine rassistischen Anfeindungen – verstanden als körperliche Übergriffe – erlebt hätten, auch wenn sie davon hin und wieder hörten. Schildern sie Konflikte, z. T. handgreifliche Auseinandersetzungen in Diskotheken, begründen sie diese mit Alkoholkonsum, Streit um „Mädchen“ oder Konsumneid. Dennoch entfalten sich in der Auseinandersetzung mit dem Material weitere Deutungsmöglichkeiten, die rassistische Handlungsmotive plausibel erscheinen lassen, wie es anhand der folgenden Erzählung deutlich wird:

Im zweiten Gesprächstermin schildert ein Interviewter einen Diskobesuch in der sächsischen Provinz, Mitte der 1980er-Jahre, und führt die Geschichte damit ein, dass er „an diesem Wochenende in dieser Diskothek sehr gut angezogen war“. Er trug eine italienische Jacke, die er gegen viel D-Mark jemandem abgekauft hatte:

Ich hatte dann eine Tanzpartnerin, ein Mädchen, und ja mit der ich getanzt habe und mit meiner schönen Jacke. Aber dann sind [...] deutsche Jugendliche, die wollten mir den Brei verderben, ja, die wollten nicht, dass ich mit dem deutschen Mädchen tanze. Und die ham wirklich angefangen, mich zu provozieren und haben mich in ne Schlägerei verwickelt [...]. Das Mädchen hat versucht, sich zu wehren und mich zu verteidigen [...]. Und sie wollten meine Jacke, also das wollten sie wirklich haben. Ich habe die Jacke nicht hergegeben. Die haben wirklich mir ja doch Schläge verpasst, und ich hat sogar eine Beule hier oberhalb der Augenlid [...] und ich bin dann zur Polizei gegangen. Und dann wollte die Polizei mich ins Wohnheim bringen, ja, in dem ich gelebt hatte. [...] Etwas anderes ist geschehen [...], sie mich einfach auf einen Parkplatz abgesetzt, die Polizistin, einfach abgesetzt. Ich hab sie gefragt: ‚Hallo, äh ich wohn doch nicht hier, warum setzt ihr mich hier ab?‘ ‚Also äh du bleibst hier oder oder du wir lassen hier, du steigst hier aus, du musst sehen, wie du dort zurückkommst in dein Wohnheim‘. [...] Ja, es ist so gewesen, keiner hat die Sache verfolgt [...] also das war doch rassistisches Handeln durch die Polizei, ja.

Die Geschichte veranschaulicht die für rassistische Dynamiken typische ambivalente Vielschichtigkeit möglicher Deutungen, vor allem hinsichtlich der Motive der weißen Provokateure. Der Erzähler, für den das Tragen der teuren Westjacke in der damaligen Situation von herausragender Bedeutung gewesen sein muss, lässt in seiner Erzählung offen, was die Angreifer eigentlich daran störte, dass er mit einer Weißen tanzte. Nicht abschließend geklärt werden kann, ob die Aggression unabhängig von seinem Schwarzsein gelesen und ein rassistisches Motiv7 tatsächlich ausgeschlossen werden kann. Genau diese Lesart wird aber von dem Sprecher mit der vom ihm gewählten Erzählstruktur nahelegt, in der er das für den DDR-Kontext durchaus valide Motiv des Konsumneids in den Vordergrund rückt. Das Willkürhandeln der Polizeibeamt:innen qualifiziert er hingegen ohne zu Zögern als rassistisch und unterstreicht das eigene Ausgeliefertsein gegenüber der DDR-Staatsgewalt mit Nachdruck.

„In der DDR, die können das nicht sagen: ‚Du bist nicht erwünscht: Raus‘“

Ein weiterer Erzähler, der sich zum Zeitpunkt des Interviews seit Jahren in einem lokalen afrikanischen Verein in der westdeutschen Provinz gegen (alltags-)rassistische Praktiken engagiert, vollzieht im Gespräch selbst eine Neubewertung seiner DDR-Erfahrungen. Vor dem Hintergrund seines antirassistischen Engagements kommt er ins Nachdenken darüber, inwieweit damals rassistische Motive von den Betroffenen selbst sowie von Autoritätspersonen wie den mosambikanischen Gruppenleitern in den Gemeinschaftsunterkünften systematisch ausgeblendet bzw. dethematisiert wurden8:

[D]amals in der DDR war es so, dass es die Leute, die ham was erlebt, ja und jeder [...] ist Einzelgänger gewesen, die irgendwo was getan draußen, und ist geschlagen worden von ein paar Gruppe. Ja, aber direkt mit Rassismus haben wir das nicht verbunden. Ich kenne Fälle von meinen Kollegen, die im Heim waren, dass die zurückgekommen, aber nur weil in der Kneipe war. Und dann warum wir haben das nicht als Rassismus gesehen, weil wir ham gedacht, es sind Sachen von Kneipe, ja [...] die sind geschwollen zu uns ins Heim gekommen, wir ham gefragt, was los: ‚Ah Schlägerei’, und dann was sagte unser Betreuer damals ‚Schlägerei, ja‚ Ihr ward betrunken‘ [...]. Da gab’s dann keine Untersuchung, nicht von der Polizei, ja, gab’s nicht, keine Entschädigung nicht, ja.

„Aber das war eigentlich nach der Wende, vor der Wende gab es so etwas nicht“

Dass die 1990er-Jahre einen biografischen Wendepunkt für die Erzähler:innen und einen Bruch mit ihrem bisherigen Leben in der DDR und vor allem in Bezug auf Rassismuserfahrungen darstellen, kennzeichnet alle biografischen Spontanerzählungen. Aus der Postwendezeit schildern die Interviewpartner:innen Szenen rassistischer Beleidigungen in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Fußgängerzonen oder im beruflichen Kontext. Der gesellschaftliche Umbruch ging für sie nicht allein mit einer existenziellen sozioökonomischen Verunsicherung einher, die ihr Bleiberecht in der DDR infrage stellte, sondern auch mit einer symbolischen Neumarkierung als „Ausländer“: „Ja, vor allem das Wort Ausländer kannte ich auch erst mal nicht. Ja, dann ich muss erst mal erklärt werden, ah Ausländer, ah ja, ich bin Ausländer, gut.“

„Das war in der Zeit [...], wo viele Afrikaner einfach auf der Straße verprügelt worden sind“

Darüber hinaus manifestieren sich bei den Erzähler:innen existenzielle Ängste vor lebensbedrohlichen Situationen infolge rassistischer Übergriffe: „Das war in der Zeit, wo schlimm war's in Dresden, in Halle, wo viele Afrikaner einfach auf der Straße verprügelt worden sind. Und jeder hatte Angst gehabt.“ Ein Interviewpartner, der 1991 nach Westdeutschland übergesiedelt war, schilderte eine Begegnung mit einer Gruppe von ca. 15 Skinheads an einer Tankstelle in Thüringen 1993. Dieses Erlebnis steht beispielhaft für Erzählungen aus anderen Interviews und veranschaulicht die brutale Willkür rassistischer Gewalt in den 1990ern, der als rassistisch markierte Andere schutzlos ausgeliefert waren:

Hab ich getankt, [...] da stand auch viele Auto so mit Stiefeln ja, mit Stiefeln [...] und der Tankwart, der ha’ gesagt: ‚Also ich konnte Dich nicht warnen, aber ist sowieso alles schon zu spät. [...] Bin ich dann raus, da kam der eine, hat gefragt, ob ich Zigarette habe. ‚Nee, ich rauch nicht, aber [...] kann ich gerne spendieren‘. [...] Der hat mich gefragt, wo ich herkomm’. Ich hab gesagt: ‚Na, ich komme aus Mosambik‘. ‚Ah kommst aus Mosambik, ah, ok, gut. Wir ham nicht gegen Euch, ja, wir ham nur gegen diese Leute, die hier kommen, und ja aus Mosambik hat auch früher hier bei DDR gearbeitet’.

Einmal die Tankstelle verlassen, fuhr der Erzähler ein paar Kilometer weiter, bis er dann anhielt, „weil ich konnte nicht mehr, diese Angst kam dann später“. Im Gespräch denkt er laut darüber nach, was ausschlaggebend war, dass er damals nicht angegriffen wurde, um dann abzuschließen: „Wie gesagt Glück gehabt, ist mir nichts passiert“.

Alltagsrassismus

Alltagsrassistische Erfahrungen thematisieren die Erzähler:innen beiläufig, ohne sie an einen Zeitraum zu koppeln. Es entsteht der Eindruck einer Gewöhnung: „Solche Leute gibt es immer, die meide ich dann“ oder „auch nach wie vor es gibt solche bösen Blicke, aber ohne dass ich angegriffen werde, weder verbal noch physisch“. Als Bewohner einer westdeutschen Kleinstadt schildert ein Erzähler, wie er infolge des Migrationssommers 2015 wieder vermehrt als rassistisch Anderer markiert wurde:

Wenn ich irgendwo bei Lidl war [...], ich bin auch einziger Afrikaner hier, da ham sie nicht ganz genau geschaut, was tue ich da drin und so. Aber nach dieser Welle [...] du hast was gemerkt, die sind irgendwie strenger, dass sie irgendwie schauen, ob du was mitnimmst oder nicht [...] anders jetzt angeschaut wirst beim Einkaufen, bei demselben Laden, wo ich schon jahrelang rein, ja vorher und nicht gemerkt, aber auf einmal merkst du, ja.

Zusammenfassung

In den Lebenserzählungen der im Rahmen staatlich koordinierter Vertragsarbeit in die DDR eingereisten mosambikanischen Erzähler:innen werden Rassismuserfahrungen, abhängig von verschiedenen gesellschaftsgeschichtlichen Phasen, nicht identisch erinnert und erzählt. Ein klarer Bruch wird in den Erzählungen im Kontext von Mauerfall und deutsch-deutscher Wiedervereinigung sichtbar. Überwiegen positive Begegnungserfahrungen mit der DDR-deutschen Bevölkerung vor dem Umbruch, so spiegeln die Erzählungen eine rasante Zunahme rassistischer Gewalt und damit verbundene existenzielle Ängste der Betroffenen in den 1990er-Jahren. Dennoch lassen sich für die DDR-Erfahrungen latente rassistische Handlungsmuster herausarbeiten, die von den Sprecher:innen teilweise unthematisiert bleiben oder vor dem Hintergrund antirassistischer Wissensbestände neu bewertet werden, nämlich als zur damaligen Zeit systematisch dethematisiert und ausgeblendet. Alltagsrassistische Praktiken markieren die meisten Erzähler:innen beiläufig als kontinuierliche, bis in die Gegenwart reichende Erfahrungen.

 

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1    In der DDR (wie auch in der BRD) erstarkten rechtsextreme Gruppen in den 1980er-Jahren (vgl. Richarz 2021; Möring 2015, 388).

2    In der BRD entstand in den 1980er-Jahren nach Jahrzehnten der Nicht-Wahrnehmung eine Schwarze Deutsche Bewegung, die einen rassismuskritischen gesellschaftlichen Gegendiskurs etablierte (vgl. Ransiek 2019, 113–114).

3    Döring vermutet, dass zwischen 1985 und 1996 sieben mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR und BRD „durch rassistische Übergriffe und Gewalttaten“ (Döring 2019, 33) zu Tode kamen (vgl. Miguel 2019).

4    Insbesondere für Männer war eine zentrale Motivation für den Arbeitsaufenthalt in der DDR, dem Militärdienst im bürgerkriegsgeschüttelten Mosambik zu entgehen.

5    Es sei an dieser Stelle auf die Interviews verwiesen, die Landolf Scherzer 1982 in Suhl mit DDR-Bürger:innen durchgeführt hat, die als Kolleg:innen, Heimleiter, Gastwirte, Vorgesetzte, Partnerinnen mit mosambikanischen Arbeitern verkehrten (vgl. Scherzer und Schmitt 2011). In den Gesprächsprotokollen gibt es zahlreiche Stellen, die veranschaulichen, wie die Interviewten unbearbeitete rassistische Konstruktionen und eine Haltung der Überlegenheit auf die jungen Mosambikaner projizieren. Andere Passagen veranschaulichen wiederum ein aufgeschlossenes und solidarisches Verhalten.

6    Ein Thema, das in vielen Erzählungen bedeutsam ist, ist die Frage nach den bis heute ausstehenden Transferzahlungen, die viele der Rückkehrer:innen nach 1989, in Mosambik Madgermanes genannt, nicht erhalten haben (vgl. Grau 2020; Döring 2019). Den mosambikanischen Vertragsarbeiter:innen wurden Lohnanteile in der DDR vorenthalten, mit dem Versprechen, dass sie ihnen bei ihrer Rückkehr ins Herkunftsland ausgezahlt würden.

7    Zur Kontinuität von sogenannten „Vermischungsängsten“ seit dem deutschen Kolonialismus vgl. Ransiek 2019, 103–108; 110–112.

8    Ransiek hat bereits auf die Wirkmächtigkeit des gesellschaftlichen Diskurses der Gleichheit und Solidarität hingewiesen, die es Rassismusbetroffenen quasi unmöglich machte, „sich als ‚Ungleiche‘ in der DDR zu positionieren“ (Ransiek 2019, 115).

Literaturverzeichnis

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Fredrickson, Georges M. (2004 [2002]). Rassismus. Ein historischer Abriß. Hamburg, Hamburger Edition.

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