Einleitung
Im Nachgang des rassistischen Anschlags in Hanau im Februar 2020 richtete die Bundesregierung einen Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus ein. Im Mai 2021 wurde der Abschlussbericht des Kabinettsausschusses vorgestellt (Bundesregierung 2021), der die Ergebnisse der Arbeit zusammenfasst. Wesentlicher Bestandteil ist ein Maßnahmenpaket, das in den Jahren 2021 bis 2024 mehr als eine Milliarde Euro für insgesamt 89 Maßnahmen zur Verfügung stellt. Die Maßnahmen zielen darauf, das gesellschaftliche Bewusstsein für Rassismen zu vergrößern, die Opfer besser zu schützen, die Prävention auszuweiten und die Forschung zu vertiefen. Dabei sehen viele der 89 Maßnahmen die Schaffung bzw. Erneuerung rechtlicher Instrumente vor. In den Dokumenten ist das Recht, neben der politischen Bildung und der Forschung, ein zentrales Instrument, auf das der Kabinettsausschuss für die Prävention und die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus Bezug nimmt. Der vorliegende Beitrag legt einen Fokus auf die Erwartungen, die hier an das Recht gestellt werden.
Die Aufmerksamkeit für den Kabinettsausschuss war von Beginn an hoch. In diesem Zusammenhang waren es insbesondere auf das Recht bezogene öffentliche Debatten, die ein besonderes Interesse erfuhren. Eine dieser Debatten wird in diesem Beitrag genauer betrachtet: das Vorhaben eines „Gesetzes zur Stärkung und Förderung der Wehrhaften Demokratie“ („Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“). Die Debatte ist als Fall deshalb besonders geeignet, weil in ihr Recht, Rassismus und Zusammenhalt kulminieren und hier eine intensive – und mit einer konkreten Veränderungsperspektive verbundene – gesellschaftliche Auseinandersetzung stattgefunden hat. Das Ziel des Beitrags besteht darin, die Erwartungen zu beschreiben und einzuordnen, die an das Recht gestellt werden. Es wird untersucht, inwieweit die politischen Erwartungen an das Recht über einen Kernbereich zentralerer Rechtsfunktionen hinausgehen.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Rassismus und Recht – ein Spannungsfeld
Die Bundesregierung setzt neben der Forschung und der politischen Bildung auf das Recht als ein Instrument zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und Rassismus. Es geht dabei nicht nur um die strafrechtliche Aufarbeitung von rechtsextremistischen Straftaten, die individuelle Schuldfragen betrifft. Initiativen des Maßnahmenpakets wie das „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ sind auch mit den Erwartungen an eine präventive Wirkung des Rechts verknüpft. Die Gesetzesinitiative steht beispielhaft dafür, wie Rassismus- und Extremismusprävention und die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts miteinander verbunden werden.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist seit einigen Jahren ein zentraler Begriff politischer Debatten. Insbesondere verbunden mit Diagnosen gesellschaftlicher Krisen werden Gefährdungen des Zusammenhalts beschrieben und Forderungen zu dessen Stärkung formuliert (Salheiser et al. 2020, 195). In den politischen Debatten kommen ganz unterschiedliche Verständnisse des gesellschaftlichen Zusammenhalts und normative Erwartungen an den gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Ausdruck (Forst 2020, 43). Wie dieser Beitrag zeigt, soll hier auch Recht anknüpfen, dass in seiner gesellschaftlichen Rolle nicht auf eine Ordnungs- und Sanktionsfunktion beschränkt, sondern darüber hinaus eine auch stärker sozial gestaltende Funktion entfalten soll. Hier zeigen sich Eigenschaften des Rechts als eine besonders verbindliche und in sich geschlossene normative Ordnung. Recht als Mittel zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts bietet damit eine langfristige Absicherung normativer Erwartungen, kodifiziert dabei aber ein spezifisches Zusammenhaltsverständnis, das über Formen der Kontrolle und Rechtspflege abgeschlossen wird. Recht selbst dient hier als verbindendes Element zur Einbindung in und Förderung von Gemeinschaft. Als „soziales Herrschaftsinstrument” (Rehbinder 1973, 354) transportiert Recht so auch Haltungen und Wertvorstellungen und ist somit immer auch Ausdruck von Machtstrukturen.
Das verdeutlicht sich schließlich auch im Verhältnis von Recht und Rassismus. Recht als Instrument der Rassismusbekämpfung kann Teil des Kampfes und Mittel zur Emanzipation sein, und gleichzeitig „war und ist [Recht] an der Etablierung und Legitimierung rassistischer Kategorien und rassistischer Diskriminierung und Gewalt beteiligt“ (Liebscher 2021, 460). Auch wenn wir dies im Rahmen des Beitrags nicht umfassend ausführen können, müssen „das Recht“ und seine Akteur:innen zunächst eigene Rassismen erkennen und benennen, um gegen Rassismus wirksam werden zu können. Das Ziel des Beitrags ist also im Folgenden, ein solch reflexives Verständnis von Recht auf die durch den Kabinettsausschuss vorgeschlagenen Maßnahmen anzuwenden, insbesondere auf die Initiative zu einem „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“. Wir argumentieren nicht, dass das Recht als Präventionsinstrument ungeeignet ist. Wir sind aber der Auffassung, dass die spezifischen Eigenschaften des Rechts in dieser Debatte noch stärker reflektiert werden sollten.
Erwartungen an das Recht als Instrument der Rassismus- und Rechtsextremismusbekämpfung durch den Kabinettsausschuss
Im Abschlussbericht des Kabinettsausschusses ist Recht eine tragende Säule der Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus. In Kapitel VI wird explizit die „Stärkung der rechtlichen Rahmenbedingungen“ benannt und bereits angedeutet, welche Erwartungen von der Bundesregierung an legislative Maßnahmen gestellt werden: Durch sie „sollen demokratische Prozesse gefördert und Diskriminierungen entgegengewirkt werden, aber auch die Verfolgung von rechtsextremistischen und rassistischen Straftaten erleichtert und Betroffene besser geschützt werden“ (Bundesregierung 2021, 25). Betrachtet man die Dokumente des Kabinettsauschusses mit Blick auf die Rolle von Recht, so lassen sich darin fünf Erwartungstypen identifizieren. Diese Typologie ist nicht trennscharf, sie dient in erster Linie einer Systematisierung, welche die dahinter liegenden Erwartungen und Rechtsfunktionen deutlich machen soll. Die Erwartungstypen umfassen daher Steuerungspotenziale des Rechts ebenso wie Reflexion über das Recht.
Der erste Typ betont die Veränderung staatlicher (Rechts-)Strukturen. Das betrifft die Anpassung von Straftatbeständen sowie institutionelle Erweiterungen, etwa eine neue Meldestelle für Hasskriminalität im Internet beim BKA (vgl. BGBL. I 2021, S. 4250).1 Mit Recht sollen neben staatlichen aber auch zivilgesellschaftliche Strukturen ausgebaut werden. Das wird vor allem beim hier diskutierten „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ deutlich, das durch eine verbindliche Rechtsgrundlage Sicherheit für Akteur:innen in der Rassismus- und Rechtsextremismusprävention schaffen soll. In allen diesen Bereichen wird von Gesetzesänderungen erwartet, dass sie das institutionelle Gerüst aus Staat und Gesellschaft im Kampf gegen Rassismus ausbauen und stärken. Recht nimmt hier vor allem eine Gestaltungsfunktion ein, die gerade im Strafrecht auch ein Zwangselement umfasst.
Der zweite Erwartungstyp, der durch den Kabinettsausschuss formuliert wird, betrifft die Durchsetzung und Effektuierung bereits bestehender (Rechts-)Strukturen. Hier gehen die Erzeugnisse des Ausschusses vor allem auf das vorhandene Antidiskriminierungsrecht ein. Durch legislative Nachbesserungen und stärkere Bekenntnisse zur bestehenden Normenordnung soll die Diskrepanz zwischen geschriebenem Recht und einer, nach wie vor von Diskriminierung geprägten, Rechtswirklichkeit geschmälert werden. Dadurch sollen die emanzipatorischen Potenziale von Recht aktiviert werden.
Die dritte und vierte Gruppe an Erwartungen kreisen um Sensibilisierung – einerseits durch angepasste Rechtssprache und andererseits durch Bildung in der Justiz. Adressat:innen sind sowohl Bürger:innen, Gesetzgebung als auch Rechtsprechung. Die hier formulierte Erwartung an das Recht zielt auf die Gestaltungsfunktion von Recht bzw. Rechtssprache und berücksichtigt, dass das Recht durch seinen autoritativen Charakter und Wesen als „Staat in Aktion“ (Becker und Zimmerling 2006, 12) in seiner Sprache selbst rassistisch geprägte Denkmuster verstetigen kann.
Auf der anderen Seite soll durch die Verankerung entsprechender Inhalte im rechtswissenschaftlichen Studium sowie Fortbildungen für Richter:innen intra-institutionell eine Sensibilisierung der Justiz stattfinden. So sollen auch diejenigen, die das Recht anwenden, gezielt dafür geschult werden, (eigene) Rassismen zu erkennen und antirassistische Potenziale rechtlicher Normen zu entfalten.
Anknüpfend an die Änderung staatlicher Strukturen durch Recht soll durch die gesetzgeberischen Maßnahmen auch die Aktivierung einer wehrhaften (Zivil-)Gesellschaft und die Förderung demokratischer Prozesse gelingen. Dieser Erwartungstyp adressiert in erster Linie die Bürger:innen, die durch rechtliche Rahmensetzung in ihrem Engagement für die Demokratie gestärkt und geschützt werden sollen. Insbesondere durch das vorgesehene „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ soll Planungssicherheit geschaffen und Unterstützung langfristig zugesagt werden. Vom Recht wird insofern erwartet, geteilte Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen und grundlegende Werte des demokratischen Miteinanders nach außen zu tragen. An dieser Stelle wird aber auch einmal mehr augenscheinlich, was Recht nicht leisten kann bzw. wovon es notwendigerweise abhängig ist: von der Akzeptanz seiner Adressat:innen.
Die Debatte zum „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“
In der Öffentlichkeit fiel die Bewertung des Kabinettsausschusses insgesamt positiv aus, allerdings mahnten vor allem Migrant:innen-Organisationen an, dass es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben dürfe und an einigen Stellen konkrete Zielvorgaben ausgeblieben seien (vgl. Knobbe/Dilmaghani 2021). Der Kabinettsausschuss sei als politische „Notbremse“ (Ataman 2020) auch daran zu messen, was er in die Tat umsetze. Das Recht wurde in diesem Zusammenhang in der medialen Debatte vor allem als Ausdruck von Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit gewertet (vgl. Ataman 2020).
Um den Fokus auf die Rolle von Recht im Diskurs rund um den Kabinettsausschuss zu zentrieren, wird im Folgenden die Auseinandersetzung um ein „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ betrachtet, in der Recht, Rassismus und Zusammenhalt kulminieren. Anhand dieser Kontroverse lassen sich Erwartungen, die durch den Kabinettsausschuss an das Recht in der Extremismus-Bekämpfung gestellt wurden, präzisieren und kontrastieren.
a. Erwartungen aus der Politik
Bereits drei Jahre vor der Konstituierung des Kabinettsausschusses warb vor allem die SPD-Fraktion für ein Gesetz, das „Demokratieförderung und Extremismusprävention weiter ausbauen und verstetigen“ sollte (SPD-Bundestagsfraktion 2017, 2). Ein solches Gesetz, das auch Träger der Präventionsarbeit immer wieder gefordert hatten (vgl. Anhörung Landtag NRW 2018, APr 17/164), wurde aber bis 2020 nicht mit Aussicht auf eine Umsetzung diskutiert. Mit dem Kabinettsausschuss gab es einen erneuten Anlauf als „Gesetz zur Stärkung und Förderung der Wehrhaften Demokratie“.
Dieser Titel klingt ambitioniert und macht bereits erste politische Erwartungen erkennbar. Wehrhafte Demokratie „per Gesetz“ (Müller 2020) mutet zunächst schief an, inhaltlich wird jedoch schnell deutlich, worauf damit gezielt wird. Vor allem die Fortschreibung und der Ausbau der Förderung einschlägiger zivilgesellschaftlicher Initiativen und Organisationen, die sich für die Demokratie und gegen Extremismus einsetzen, stehen im Mittelpunkt der Initiative. Deren Finanzierung solle langfristig zugesagt und damit die Bindung an Projektzyklen und Förderrichtlinien aufgelöst werden. Im Mai 2021 haben das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) zwölf Eckpunkte für ein solches Gesetz vorgelegt. Während der Schwerpunkt des Kabinettsausschusses auf dem Phänomenbereich Rechtsextremismus und Rassismus lag, wird in den Eckpunkten auf jegliche Form des Extremismus und der Demokratie-Ablehnung abgestellt. In der Einleitung werden „[g]ewaltbereite Extremisten und Islamisten, Rassisten und Antisemiten, Anhänger von Verschwörungsmythen und Gegner der Demokratie“ (BMFSFJ 2021, 1) als Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (fdGO) benannt, die Demokratieförderung, Extremismusprävention und politischen Bildung dringend notwendig machten.
Der rote Faden dabei ist die fdGO, die es mittels des anvisierten Gesetzes zu schützen gelte. Gerade in diesem Zusammenhang argumentiert das BMFSFJ mitunter abstrakt und mit einigem Pathos, wenn es auf die Lehren aus den Zeiten der Weimarer Republik oder die Bedrohung der „offenen Gesellschaften des Westens“ (BMFSFJ/BMI 2021, 1) abstellt.2 In jedem Fall wird deutlich, dass das Ziel die „Stärkung der Resilienz unserer Demokratie“ (BMFSFJ/BMI 2021, 1) sein soll, was aber auch durch die Einsicht abgefedert wird, dass man dabei letztendlich immer von den Bürger:innen, deren Mitwirkung und Akzeptanz abhängig ist. Die Aufgabe des Gesetzes liege daher vor allem darin, „Engagement besser und zuverlässig zu unterstützen“ (BMFSFJ/BMI 2021, 2). Konkret sind neben dem Aspekt der Förderung auch der Auftrag zur Erforschung von Extremismen (Eckpunkt 4 und 5), die Stärkung von Vereinswesen, Ehrenamt und Bundesfreiwilligendienst (Eckpunkte 6, 8 und 9) sowie Erweiterungen im Strafrecht (Eckpunkte 10 und 12) umfasst. Den Eckpunkten ist zudem deutlich der Streit zwischen SPD und Union anzusehen. Letztere sträubte sich immer wieder, Gesetzesentwürfen zuzustimmen, da die Sorge bestand, dass mit staatlichen Mitteln undemokratische Organisationen unterstützt würden. Daher sollten Empfänger:innen sich vorab zur fdGO bekennen müssen (vgl. Groß 2021). Eine solche „Extremismusklausel“ hatte es bereits 2011 gegeben, sie wurde nach der Kritik, dass Initiativen so unter „Generalverdacht” gestellt würden, jedoch wieder gestrichen (vgl. Steffen 2021). Dieser Sorge der Union – die auch in konservativen Kommentaren widerhallte (vgl. Schneider 2020) – wird durch die Forderung eines Bekenntnisses zur fdGO in den Eckpunkten Rechnung getragen. Der Begriff der fdGO verdeutlicht auch die starke Werteorientierung in diesem Zusammenhang. Die Figur ist normativ geprägt und historisch aufgeladen (vgl. Gusy 1980, 280ff.). Auch ein „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ soll, neben dem Schutz und der Verlässlichkeit für Engagierte in der Demokratieförderung, diese Werte und Haltungen transportieren. Dieser wertegebundene Begriff der fdGO ist allerdings nicht unproblematisch. Seine Verwendung als Exklusions-Marker wird in Teilen der Literatur kritisch diskutiert (vgl. Schulz 2015). Auch aus den Reihen der politischen Bildung wurde angemahnt, die starke Betonung der fdGO hinterlasse „den Eindruck eines homogenisierenden, obrigkeitsstaatlichen Zungenschlags“ (Widmaier 2020, 16). Die Bekenntnispflicht in den Eckpunkten macht insofern deutlich, dass die staatliche Unterstützung an klare Prämissen geknüpft wird.
b. Erwartungen aus Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit
Aus der Zivilgesellschaft erfuhr das Vorhaben nichtsdestotrotz besondere Unterstützung, als sich 68 Personen aus Wissenschaft, Medien, Stiftungen und Organisationen unter Federführung des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel wandten (WZB 2020). In dem Schreiben wurde nachdrücklich gefordert, den Ausbau der Förderung von Extremismusprävention und Demokratieförderung gerade nicht nur auf Richtlinien-Ebene umzusetzen, sondern „in Form einer eigenen parlamentsgesetzlichen Grundlage“ (ebd., 2) zu verankern. Die Autor:innen formulierten damit gleich mehrere Erwartungen an eine legislative Regelung: von der kodifizierten Form gehe das „Signal [aus], dass der zivilgesellschaftliche Einsatz für eine lebhafte und wehrhafte Demokratie und gegen jede Form von Extremismus vom Staat nicht nur in hohem Maße wertgeschätzt, sondern auch auf struktureller Ebene unterstützt wird – und zwar wirkungsorientiert, verlässlich, langfristig und sichtbar“ (ebd.). Es geht primär um die Verstetigung und Institutionalisierung von Förderung zivilgesellschatlicher Akteur:innen. Dahinter liegend, sind aber auch die hier benannte Sichtbarkeit und die an anderer Stelle angeführte Wertschätzung, die von einem Gesetz ausginge, interessante Aspekte, die weit über die traditionellen Rechtsfunktionen hinausgehen. Auch die Rechtssicherheit und Systematisierung, die von einer gesetzlichen Regelung ausgehen soll, wird mehrmals betont. Insofern findet sich hier vor allem die Vorstellung von Recht als Strukturierungsleistung wieder, die auch im Kabinettsausschuss deutlich wurde. Auch die Amadeu Antonio Stiftung sowie die Bildungsstätte Anne Frank haben öffentlich ein Gesetz zur Förderung der Wehrhaften Demokratie gefordert (Amadeu-Antonio-Stiftung 2020; Beck 2021). Beide Organisationen haben betont, dass der Kabinettsausschuss ohne eine rechtliche Vereinbarung zur Förderung der wehrhaften Demokratie substanzlos bleibe.
Allerdings geriet das Projekt „Wehrhaftes-Demokratie-Gesetz“ abermals ins Stocken. Obwohl sich im Nachgang des Kabinettsausschusses noch ein Gelingen abzeichnete, fiel das Projekt in den letzten Sitzungen des Kabinetts Merkel doch noch vom Tisch und wurde in die nächste Legislatur geschoben. Medial wurde das auf Streitigkeiten in der Großen Koalition zurückgeführt und vor dem Hintergrund der zentralen Stellung des Gesetzes im Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschuss scharf kommentiert (etwa: Gathmann et al. 2021). Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP wurde nun jedoch angedeutet, dass das Vorhaben unter der neuen Regierung einen erneuten Anlauf erfahren könnte (SPD/B’90/FDP 2021, 11,120) und am 25. Februar 2022 haben BMFSFJ und BMI ein gemeinsames Diskussionspapier zur Erarbeitung eines „Demokratiefördergesetzes“ veröffentlicht. Im Vergleich zu den Eckpunkten der Großen Koalition wird hier begrifflich etwas abgerüstet und wieder mehr Gewicht auf die Bedrohung durch Rechtsextremismus und Rassismus gelegt. Das Papier ist der Aufschlag für einen Beteiligungsprozess, an dem Akteur:innen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft mitwirken und gemeinsam einen Gesetzesentwurf erarbeiten sollen. In dem Diskussionspapier wird einmal mehr der Rechtsform eine gewichtige Rolle attestiert und vor allem auf Planungssicherheit und Strukturierung hingewiesen. Man weist auf den Missstand der aktuellen Strukturen hin und betont, dass erst durch eine gesetzliche Verstetigung ein „Beitrag zur Förderung des wichtigen zivilgesellschaftlichen Engagements für demokratische Werte sowie zur Gestaltung von Vielfalt“ (ebd., 3) geleistet werden könne.
c. Was kann ein „Gesetz zur Stärkung und Förderung der Wehrhaften Demokratie“ leisten?
Zusammenfassend wurden mehrere Erwartungen von Politik und Zivilgesellschaft an ein „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ herangetragen: Es sollte eine langfristige Struktur für die Förderung von Extremismusprävention und Demokratieförderung schaffen und den Beteiligten so Planungssicherheit und Schutz geben. Dabei ist besonders interessant, welche Relevanz die Rechtsform in dieser Debatte hatte. Von der Verrechtlichung der Förderung sollte eine Symbolkraft ausgehen, die Wertschätzung und Sichtbarkeit für die Engagierten vermittelt. Der Einsatz für die Demokratie solle so auf ein rechtliches Fundament gestellt, aber damit auch eng an die Zielsetzung der fdGO gebunden werden. Das Bekenntnis von Staat ebenso wie Zivilgesellschaft zu jener Grundordnung und die damit verbundenen Wertungen sollten so zum Ausdruck gebracht werden. Gleichzeitig wurde damit also auch eine Abgrenzung vollzogen. Vom Recht wurde hier insofern über die Gestaltungsfunktion hinaus eine Schutz-, Anerkennungs- und Kontrollfunktion erwartet. Ob ein „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ bzw. der neue Anlauf als „Demokratiefördergesetz“ diese Fülle an Erwartungen in Verbindung mit dem ambitionierten Ziel, „die“ wehrhafte Demokratie gesetzlich zu stärken, letztlich erfüllen kann, bleibt zu beobachten.
Fazit
Am Ende dieses Beitrags steht anstelle einer Antwort eine Frage: Was ist Recht im ambivalenten Spannungsfeld von Rassismus und gesellschaftlichem Zusammenhalt im Stande zu leisten? Stellen die Erwartungen, die dem Recht in der Debatte um den Kabinettsausschuss und speziell in der Auseinandersetzung mit einem „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ entgegengebracht wurden, eine Überforderung dar? Die Möglichkeiten des Rechts im Kontext der Extremismusbekämpfung sind begrenzt. Insofern kann es nur eines von verschiedenen Werkzeugen im Repertoire der Prävention sein. Diese Einsicht spiegelt sich auch in der Zielausgabe der Bundesregierung im Abschlussbericht wider, die einen „breiten Politikansatz“ (Bundesregierung 2021, 3) für ein Gelingen voraussetzt. Das Ziel der Gestaltung einer wehrhaften Demokratie durch Gesetzgebung ist immer auch von der Akzeptanz der Bürger:innen und deren Eintreten für eine solche wehrhafte Demokratie abhängig. Neben dieser notwendigen Bedingung ist ebenso wichtig zu erkennen, dass im konkreten Verhältnis gesellschaftlicher Zusammenhalt, Rassismus und Recht Ambivalenzen bestehen, sodass das Recht hier auch seine eigene Positionierung reflektieren muss. Recht kann im Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus somit nicht als Allzweckwaffe eingesetzt werden. Auch gesellschaftlicher Zusammenhalt kann nicht mittels Gesetz hergestellt werden.
Die Analyse hat gezeigt, dass sich das „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ nicht darin erschöpft, zivilgesellschaftlichen Initiativen eine langfristige Absicherung zu ermöglichen. Die Gesetzesinitiative zielt auch auf die Haltungen und Praktiken sowohl der Adressat:innen der zivilgesellschaftlichen Maßnahmen als auch deren Akteur:innen. Das entspricht einer Erwartung an das Recht, die dessen gesellschaftliche Rolle nicht in einer Ordnungs- und Sanktionsfunktion erschöpft sieht, sondern darüber hinaus eine auch stärker sozial gestaltende und den Zusammenhalt fördernde Funktion erkennt. Ob dies letztlich das Recht überfordert und dadurch gesellschaftliche Enttäuschungen produziert werden, müssen weitere Forschungen zeigen.
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1 Dieser Passus wurde allerdings von Google und Meta gerichtlich angegriffen und das zuständige VG Köln gab den Internetkonzernen am 01.03.2022 in erster Instanz recht, da die Meldepflicht „wegen Verstoßes gegen unionsrechtliche Vorschriften unanwendbar“ sei (Aktenzeichen 6 L 1277/21 und 6 L 1354/21). vgl. Pressemitteilung des VG Köln: https://www.vg-koeln.nrw.de/behoerde/presse/Pressemitteilungen/05_01032022/index.php.
2 Dazu kritisch: Schulz, Sarah (2021) in: FR.
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