Menschenfeindliche Einstellungen sind erlernt und anerzogen. Niemand wird als Rassist*in oder Antisemit*in geboren. Vielmehr bilden diese Einstellungen und Haltungen gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse ab. Etwas, das gelernt wurde, kann nicht einfach abgelegt werden, als wäre es nie dagewesen. Es gibt aber die Möglichkeit, Erlerntes zu reflektieren und aus diesem Reflexionsprozess Schlüsse zu ziehen. Der Zusammenhang von gesellschaftlichen Verhältnissen und (extrem) rechter Gewalt beschäftigt Wissenschaftler*innen und Engagierte, die sich mit diesen Ausprägungen auseinandersetzen, schon lange. Wozu Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Trans*feindlichkeit und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit führen, bedarf kaum weiterer Beispiele. Aber was können Antworten darauf sein? Eine mögliche Antwort geben präventive Ansätze der Zivilgesellschaft.
Zivilgesellschaftliches Engagement ist in der Lage, (extrem) rechter Politik in einem nicht staatlichen Rahmen entgegenzuwirken sowie die Grundwerte einer demokratischen, pluralistischen, solidarischen Gesellschaft zu bewahren und zu fördern. Diese Erfolge haben dazu geführt, dass die Zivilgesellschaft dauerhaft Sicherheitsrisiken ausgesetzt ist, denen begegnet werden muss. Hierbei ist zu beachten, dass die verschiedenen Felder der Rechtsextremismusprävention unterschiedlichen Prämissen folgen, eigene Arbeitsweisen haben und verschiedene Zielgruppen ansprechen. Daraus ergibt sich zwangsläufig ein spezifischer Umgang mit dem Thema Sicherheit: Wie kann Sicherheit für die Zivilgesellschaft hergestellt werden und welche im langjährigen Austausch von Praktiker*innen entwickelten und erprobten Ansätze existieren dazu? Wie verändern sich diese Fragen in einem Klima des gesellschaftlichen Rechtsrucks?
Diese Fragen zum Thema Sicherheit sollen aus Perspektive der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit beleuchtet werden. Dafür wird zunächst das Arbeitsfeld umrissen, um im Anschluss auf spezifische Sicherheitskonzepte eingehen und die gesellschaftliche Dimension von Sicherheit zu beleuchten.
Black Box Ausstiegsarbeit? – auch eine Frage der Sicherheit
Zivilgesellschaftliche Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit unterstützt sowohl rechtsaffine Menschen als auch Adressat*innen mit gefestigten (extrem) rechten Einstellungen und Verhaltensweisen auf ihrem Weg, sich von diesen zu lösen. Ausstiegsberatende begleiten entsprechende Aussteiger*innen beim Prozess des Hinterfragens und Ablegens (extrem) rechter Ideologie und helfen ihnen, sich einer demokratischen Lebensweise zuzuwenden. Nicht zuletzt unterstützen sie die Aufarbeitung von begangenen Taten, insbesondere im Hinblick auf die Übernahme von Verantwortung für diese.
Aus einer Struktur, die jahrelang maßgeblich Denken und Handeln prägt, in die vielleicht sogar hineingeboren wurde, kann nicht einfach per Selbstbekenntnis ausgestiegen werden. Die von der Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“1 e. V. formulierten „Qualitätsstandards in der Ausstiegsarbeit“ definieren einen Ausstieg, der erfahrungsgemäß zwischen einem und drei Jahren dauert, deshalb so:
Ein gelungener Ausstieg ist das Ergebnis eines professionell begleiteten Prozesses. Ein solcher Prozess beinhaltet die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der menschenverachtenden Einstellung, eine gelungene Distanzierung, die Hinwendung zu einer Lebensweise, die mit den Grundwerten von Demokratie und Pluralität vereinbar ist, und den Verzicht auf Gewalt. Es ist ein flexibler, freiwilliger, zeitlich begrenzter, ergebnisoffener Prozess. Dieser kann auch z. B. in Form von Auflagen und Weisungen initiiert werden. (Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“ e. V. 2019, 10)
Im Gegensatz zu Sicherheitsbehörden arbeiten zivilgesellschaftliche Ausstiegsberatungen nicht nach dem Legalitätsprinzip und geben keine Sicherheitseinschätzungen zur rechten Szene und ihren Akteur*innen ab. Sie sind – ganz im Sinne der Sozialen Arbeit – in erster Linie für das Wohl der Adressat*innen im Ausstiegsprozess verantwortlich und richten ihre Arbeit nach deren Bedürfnissen aus. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Rolle spielt, was Aussteiger*innen getan, wie sie gehandelt haben und ob sie körperlich oder verbal gewalttätig waren. Im Gegenteil: Die Auseinandersetzung mit und die Verantwortungsübernahme für begangene Taten sowie die Reflexion des eigenen Denkens und Handelns sind für einen gelingenden Ausstiegsprozess zwingend notwendig.
In der Öffentlichkeit sind Aussteiger*innen entweder gar nicht oder deutlich sichtbar. Während die absolute Mehrheit öffentlich nicht in Erscheinung tritt, gibt es einige Aussteiger*innen, die ihre Biografie einer Öffentlichkeit durch Bücher2, Interviews oder Bildungsangebote zugänglich machen. Hier muss insbesondere die Betroffenenperspektive mitgedacht werden, aus der es schwer erträglich sein kann, dass (ehemalige) Täter*innen durch ihre Präsenz an (extrem) rechte Taten erinnern oder sich sogar an ihrem Ausstieg finanziell bereichern. Darüber hinaus sind nicht öffentliche Ausstiege mitunter wichtig für das Gelingen des Ausstiegs. So sind zu Beginn des Ausstiegs alte Szenekontakte unter Umständen noch nicht in Gänze abgebrochen. Andere Szeneangehörige könnten öffentlich Aussteigende von ihrer Entscheidung abhalten oder bedrohen. Weiterhin erschwert das ständige Wiederholen der eigenen Geschichte in der Öffentlichkeit eine tiefgreifende Aufarbeitung der Taten und die lebensweltliche Neuorientierung. Im schlimmsten Fall können zudem finanzielle Abhängigkeiten entstehen.3 Vor diesem Hintergrund sehen wir die stark nachgefragten biografischen Erzählungen von Aussteiger*innen in der Bildungsarbeit kritisch bzw. erachten diese nur als sinnvoll, wenn die Teilnahme freiwillig und entsprechend vorbereitet, nachbereitet und kontextualisiert ist (Mobile Beratung NRW/NinA NRW 2021). Trotz aller Vorzüge eines ‚stillen Ausstiegs’ muss dieser genauso wie ein Ausstieg in der Öffentlichkeit die Verantwortungsübernahme für begangene Taten und die Auseinandersetzung mit (extrem) rechten Einstellungs- und Verhaltensmustern voraussetzen. In der Regel empfehlen Ausstiegsberatungen einen nicht öffentlichen Ausstieg.
Als Dachverband zivilgesellschaftlicher Ausstiegs- und Distanzierungsberatungen sind wir der Meinung, dass das Zugeständnis, sich sowohl auf der Einstellungs- als auch auf der Handlungsebene ändern zu können, ein wesentliches Merkmal einer demokratischen Gesellschaft sein muss. Das progressive Veränderungspotenzial einer Gesellschaft kann sich nur realisieren, wenn auch Gegner*innen der Gesellschaft, in der wir leben möchten, der Weg in diese offengehalten wird4, wenn eine Resozialisierung im wahrsten Sinne des Wortes möglich ist. Gleichzeitig ist klar, dass ohne die Arbeit der essenziell wichtigen Betroffenenberatungen, Mobilen Beratungen und antifaschistischen Initiativen das Vorgehen gegen die (extreme) Rechte unvollständig bleibt. Besonders Betroffenenperspektiven müssen daher in der Ausstiegsarbeit mitgedacht und stetig reflektiert werden.
Ausstiegsberatende stehen tagtäglich vor der Herausforderung, sich mit Denkmustern und Einstellungen konfrontiert zu sehen, die von den eigenen kaum weiter entfernt sein könnten. Diese Herausforderung wird zwar regelmäßig in Supervisionen und kollegialen Fallberatungen thematisiert, sie bedeutet aber auch, dass mit Menschen gearbeitet wird, die nicht nur ideologisch menschenfeindlich eingestellt waren oder sind, sondern auch in Szenen und Gruppen eingebunden waren oder sind, von denen eine konkrete physische und/oder psychische Gefahr ausgeht.
Aus diesem Umstand ergeben sich Besonderheiten für die Auseinandersetzung mit dem Thema Sicherheit. Der Ausstieg aus der (extrem) rechten Szene, die auf Unterordnung im hierarchisch strukturierten Gefüge basiert, wird dort als Verrat erachtet. Unzählige Rechtsrocklieder über Aussteiger*innen und welche Gewalt ihnen angetan werden sollte, sind nur ein Ausdruck dieses Denkens. So ist es wenig verwunderlich, dass Aussteiger*innen nicht selten akut bedroht werden (Möller und Neuscheler 2018, 186ff.). Diese Bedrohungslage kann sich auch auf die Ausstiegsberatenden zumindest indirekt durch das Veröffentlichen von personenbezogenen Daten auf so genannten Feindes- und Todeslisten der (extremen) Rechten niederschlagen. Schließlich sind sie doch diejenigen, die den potenziellen Aussteiger*innen helfen, ihren Ausstieg zu vollziehen. Das Sicherheitsrisiko sowohl für Aussteigende als auch für Beratende macht den Schutz der eigenen Unversehrtheit und den Umgang mit Bedrohungslagen essenziell für die Ausstiegsarbeit.
Sicherheit als gesamtgesellschaftliche Herausforderung
Bedrohungspotenziale durch (extrem) rechte Ideologie äußern sich auf vielfältige Weisen in der Gesellschaft. Zentral in der Auseinandersetzung mit rechten Bedrohungspotenzialen ist die Auseinandersetzung mit bestimmten Männlichkeitsbildern, -ideologien und -praxen. Rechte Geschlechterideologie spiegelt ein männliches Überlegenheitsgefühl und Gewaltaffinität, verbunden mit Formen des Antifeminismus, Homo-, Transfeindlichkeit und Misogynie, wider, die auch in der Ausstiegsarbeit thematisiert werden.
Rechte Geschlechterideologien und Antifeminismus lassen sich jedoch nicht nur in der (extremen) Rechten verorten, sondern stellen ein Brückennarrativ zu konservativen Kräften der Gesamtgesellschaft dar. So verstärken beispielsweise strukturelle Ungleichheiten die Benachteiligungen von Frauen in Beruf, Politik und Familie: Rechte Ideologie naturalisiert und essenzialisiert diese Ungleichheit und macht ein auf Hierarchie basierendes Geschlechterbild mit dem Mann an der Spitze zum Grundpfeiler der angestrebten Gesellschaftsordnung. Um Antifeminismus entgegenzutreten, sollten Maßnahmen zur Herstellung von Sicherheit in der Zivilgesellschaft die Kategorie Geschlecht besonders berücksichtigen. Ferner muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass Antifeminismus sowohl in der (extremen) Rechten als auch in der Gesamtgesellschaft verschränkt mit anderen Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auftritt. Die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität bedeutet letztlich, dass es verfehlt ist, die (extreme) Rechte und deren Ideologien als ein Randphänomen zu betrachten. Menschenfeindliche Einstellungen ziehen sich nach wie vor quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Milieus (vgl. Brähler et al. 2022; Küpper und Zick 2021).
Ein gesellschaftlicher Querschnitt durch alle Schichten und Milieus ist aktuell im Rahmen der antisemitischen Querdenken-Demonstrationen zu beobachten, die sich derzeit mit den rechtsoffenen Demonstrationen im Zuge des Ukraine-Krieges verbinden. Dort protestieren Bürger*innen der vermeintlichen Mitte zusammen mit Pandemie-Leugner*innen, rechten Esoteriker*innen, Reichsbürger*innen, Verschwörungsgläubigen, organisierten Neonazis und Faschist*innen. Zudem offenbart sich bei diesen Demonstrationen ein Bedrohungspotenzial gegen Journalist*innen, Politiker*innen und Gegendemonstrant*innen, die von der (extremen) Rechten als ‚Feinde‘ wahrgenommen werden. Solche Beleidigungen und Bedrohungen sind jedoch nicht nur auf derartigen Demonstrationen, sondern darüber hinaus auch im digitalen Raum sichtbar, der eine wesentliche Rolle für die Vernetzung entsprechender Akteur*innen spielt. Die Zivilgesellschaft als proklamierte ‚Feindin‘ der (extremen) Rechten sowie einer wachsenden, zum Teil medial abgeschotteten Szene an Verschwörungsgläubigen sieht sich also mit einer andauernden Bedrohungslage für die eigene psychische und physische Sicherheit konfrontiert. Wie zivilgesellschaftliche Akteur*innen (insbesondere Ausstiegs- und Distanzierungsberatungen) sich der unvermeidlichen Frage der Sicherheit widmen, kann nur vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Erwartungshaltungen und Bedürfnisse beantwortet werden.
Ausstiegsarbeit – aber sicher
Jede Beratungsstelle der Ausstiegsarbeit verfügt über ausgearbeitete Konzepte, die eine höchstmögliche Sicherheit sowohl für Beratende als auch für Aussteigende gewährleisten sollen. Hierbei müssen auch Sicherheitsbedenken von Angehörigen und Freund*innen ernstgenommen und bedacht werden. Solche Sicherheitskonzepte, deren Ausarbeitung oft der erste Arbeitsschritt beim Aufbau einer neuen Beratungsstelle darstellt, sind das Ergebnis von regelmäßigen Austauschen langjährig aktiver Akteur*innen im Feld. Um das Funktionieren der Konzepte sicherzustellen, können sie nicht in ihrer Ausführlichkeit offengelegt werden. Transparente Schritte, die der Sicherheit dienen und öffentlich gemacht werden können, sind zum Beispiel, dass Gespräche grundsätzlich im Berater*innentandem geführt werden. Außerdem wird empfohlen, Auskunftssperren im Melderegister für Mitarbeiter*innen der Beratungsstellen zu beantragen und nur wenige persönliche Informationen der Beratenden an die Aussteigenden gelangen zu lassen. Zudem sollten Ausstiegsberatende die Möglichkeit bekommen, innerhalb von Supervisionen und kollegialen Fallberatungen Sicherheitsaspekte zu diskutieren. Die Sicherheit der Aussteiger*innen wird gewährleistet, indem u. a. Ausstiegsberatungen und deren Räumlichkeiten von außen nicht als solche erkennbar sind. Auch wenn Ausstiegsberatende in der Regel selbst für ihre Sicherheit sorgen können, kann punktuell in akuten Gefährdungslagen für Leib und Leben oder auf expliziten Wunsch der Ratsuchenden der Kontakt zu Sicherheitsbehörden notwendig sein, um den Schutz der Mitarbeitenden sicherzustellen. Hierbei ist es ratsam, bereits eine Ansprechperson in der jeweiligen Behörde zu haben, damit im Ernstfall entsprechend schnell reagiert werden kann.
Um selbstwirksam und handlungsfähig zu bleiben, müssen bei der Erarbeitung von Sicherheitskonzepten alle unmittelbar Beteiligten aus der jeweiligen Praxis einbezogen werden. Daher sind Maßnahmen auf die individuellen Bedürfnisse aller am Ausstiegs- und Distanzierungsprozess Beteiligten auszurichten. So arbeiten einige Ausstiegsberatungen beispielsweise mit Tabellen- und Ampelsystemen, die Gefährdungslagen für unterschiedliche Vorfälle objektiv und subjektiv einschätzbar machen. So kann eine Schmiererei an der Fassade des Arbeitsorts von Mitarbeitenden ganz unterschiedlich eingeschätzt werden. Diese divergierenden Einschätzungen müssen sichtbar gemacht und im Teamkonsens bestmöglich handhabbar werden.
Darüber hinaus ist es notwendig, dass zivilgesellschaftliche Akteur*innen mittels Vernetzung und Austausch über die Gefahrenlagen, denen sie durch ihre Arbeit ausgesetzt sind, voneinander lernen, wie jeweils mit Sicherheitsrisiken umgegangen werden kann. Die daraus erwachsende Solidarität erzeugt eine gegenseitige Verbundenheit: nicht nur zu den gemeinsamen Zielen des Streitens für eine solidarische, demokratische Gesellschaft, sie wendet sich auch gegen das Ziel von Bedrohungen – die Einschüchterung.
Sicherheit – eine (un-)sichere Auftragslage?
Für die Ausstiegsarbeit wie auch für die zivilgesellschaftliche Demokratieförderung und Rechtsextremismusprävention wird Sicherheit aber nicht nur über den Schutz ihrer Mitarbeitenden und der Aussteigenden verhandelt. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen haben auch immer eine Rolle in einem gesamtgesellschaftlichen Sicherheitsdiskurs und werden regelmäßig mit staatlichen Sicherheitsinteressen konfrontiert. Solche Sicherheitsinteressen bemessen sich meist an konkreten Zahlen begangener Straftaten. Zivilgesellschaftliches Engagement lässt sich allerdings nur schwer in solchen Zahlen ausdrücken. Fakt ist aber, dass alle diese Angebote Teil einer politischen Landschaft sind, die der (extremen) Rechten und den damit zusammenhängenden menschenfeindlichen Ideologien entgegentritt und dass es ohne diese Arbeit schlechter um die Demokratie bestellt wäre.
Die Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit respektiert das Tripelmandat der Sozialen Arbeit. Sie orientiert sich an den Bedürfnissen der Adressat*innen, arbeitet im Sinne der eigenen Fachlichkeit und handelt gleichzeitig nach einem gesellschaftlichen Auftrag. Das Verhältnis des Staates zu zivilgesellschaftlichem Engagement kann aber auch aus einer gegenläufigen Richtung diskutiert werden. Nämlich dann, wenn staatliche Politik die Sicherheitsbedürfnisse von zivilgesellschaftlichen Ausstiegs- und Distanzierungsberatungen unterminiert. So wird die bereits erwähnte Auskunftssperre im Melderegister für Ausstiegsberatende zu häufig noch abgelehnt, da erst etwas passieren müsse, um diese Sicherheitsmaßnahme zu rechtfertigen. Ein anderes Beispiel sind (extreme) Rechte im Sicherheitsapparat. So entstehen besondere Sicherheitsrisiken, wenn Mitarbeitende von Ausstiegsberatungen in Kontakt mit eben solchen Personen treten und personenbezogene Daten offenlegen (müssen). Aber auch die immer wieder ins Spiel gebrachte ‚Extremismusklausel‘, die zivilgesellschaftliche Akteur*innen unter einen Generalverdacht stellt und sogar geheimdienstliche Arbeit gegen diese rechtfertigt, greift das Sicherheitsgefühl zivilgesellschaftlich Engagierter an.
Als besonders gravierend kann sich für die Ausstiegsarbeit das Fehlen eines Zeugnisverweigerungsrechts herausstellen. Das Bundverfassungsgericht entschied 1972 in einem Grundsatzurteil, dass der Sozialen Arbeit dieses Recht nicht zustehe5. In der Praxis bedeutet dies, dass Ausstiegsberatende bei noch laufenden Prozessen der Aussteigenden aussagen müssen, wenn sie in den Zeug*innenstand geladen werden. Obwohl natürlich keinerlei Interesse besteht, die Aufklärung von Straftaten zu behindern, belastet dieses Grundsatzurteil das Vertrauensverhältnis zwischen Aussteigenden und Ausstiegsberatenden enorm und erschwert Zugangswege zu potenziell ausstiegswilligen Menschen. Ebenso wichtig für den Aspekt der Sicherheit ist, dass so die Identität inklusive Wohnanschrift der Ausstiegsberatenden vor Gericht offengelegt werden kann. Bei einer öffentlichen Verhandlung, in der gegebenenfalls auch ehemalige, auf Vergeltung gesinnte ‚Kamerad*innen‘ der Aussteiger*innen zugegen sein können, stellt das ein konkretes persönliches Sicherheitsrisiko dar.
Diese Beispiele zeigen: Es gibt verschiedene Aspekte von Sicherheit, bei denen Handlungsbedarf besteht, denn die zivilgesellschaftliche Rechtsextremismusprävention muss von staatlicher Seite befähigt und unterstützt werden – anstatt mit Argwohn beäugt und behindert.
Vertrauen, Solidarität und Vernetzung für zivilgesellschaftliche Sicherheit
Das Thema der Sicherheit ist sowohl in Bezug auf Ausstiegsarbeit als auch auf zivilgesellschaftliches Engagement komplex und vielschichtig. In dieser Vielschichtigkeit gilt es sich zu orientieren, denn wir haben es nicht mit einem abschließend lösbaren Sachverhalt zu tun oder einer Frage, deren Beantwortung leicht ist. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass absolute Sicherheit nicht herstellbar ist. Nicht in einer Gesellschaft und nicht für diejenigen, die an und in dieser Gesellschaft leben und arbeiten. Gleichzeitig haben wir die Verantwortung, uns selbst und andere zu schützen, wo es nur geht. Deswegen müssen Sicherheitsbedenken und damit zusammenhängende Sorgen in zivilgesellschaftlichem Engagement unbedingt ernstgenommen werden. Sie müssen der Ausgangspunkt von Maßnahmen sein, die wir ergreifen. Sie sind nicht generalisierbar, sondern bedingt durch die Spezifika, die die verschiedenen Arbeitsfelder, Strukturen und individuellen Persönlichkeiten mit sich bringen. Trotz dieser Unterschiede ist ein Austausch innerhalb der verschiedenen Arbeitsfelder wichtig. Dazu gehört ein offenes Sprechen über etwaige Gefahrenlagen, ein Teilen von erprobten Praxen und Know-how sowie das Aufbauen von Solidaritätsstrukturen. Für die Ausstiegsarbeit bedeutet das, dass wir uns noch mehr mit anderen Akteur*innen im Feld vernetzen wollen, um voneinander zu lernen, Erfahrungen weiterzugeben und das Thema der Sicherheit in all seinen Facetten zu bearbeiten.
Dazu gehört auch, dass wir den Staat und seine Akteur*innen in die Pflicht nehmen müssen, Subsidiarität des zivilgesellschaftlichen Engagements anzuerkennen, zu unterstützen und zu stärken und nicht durch tradierte Praxen oder politische Interessen Steine in den Weg zu legen, die sowohl unserer Arbeit als auch unserer Sicherheit entgegenlaufen. Nur mit einer gut ausgestatteten, mit Vertrauen bedachten Zivilgesellschaft, die miteinander vernetzt und solidarisch zueinander ist, kann den Bedrohungen der (extremen) Rechten begegnet werden.
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1 Im Folgenden „BAG Ausstieg“, Dachverband zivilgesellschaftlicher Ausstiegs- und Distanzierungsberatungen aus der extremen Rechten.
2 Zu einer Auseinandersetzung mit einigen Autobiografien von Aussteiger*innen, siehe Nordverbund Ausstieg Rechts 2020.
3 Vgl. Positionspapier der BAG Ausstieg zu „Qualitätsstandards für den Einsatz von Ausgestiegenen in der Bildungsarbeit“. Online verfügbar unter www.bag-ausstieg.de/wp-content/uploads/QS_BAG_Ausgestiegene_2Sei_ten.pdf.
4 Eine Maxime, die selbstverständlich nicht uneingeschränkt gilt.
5 Das „Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit“ engagiert sich seit Jahren für eine Reformierung des entsprechenden Paragrafen der Strafprozessordnung.
Literatur
Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg e. V.
(o. J.). Qualitätsstandards für den Einsatz von Ausgestiegenen in der Bildungsarbeit. Online verfügbar unter www.bag-ausstieg.de/wp-content/uploads/QS_BAG_Ausgestiegene_2Seiten.pdf (abgerufen am 04.05.2022).
Brähler, Elmar/Decker, Oliver/Heller, Ayline/Kiess, Johannes (Hg.) (2022): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen? Gießen, Psychosozial-Verlag.
Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg e. V. (2019). Qualitätsstandards in der Ausstiegsarbeit. Jena.
Küpper Beate/Zick, Andreas (2021). Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21. Bonn, Dietz-Verlag.
Mobile Beratung Nordrhein-Westfalen/NinA Nordrhein-Westfalen
(2021). „Ausgestiegene in der Bildungsarbeit. Empfehlungen zum Umgang von der MRB NRW und NinA NRW. Online verfügbar unter www.mobile-beratung-nrw.de/fileadmin/content/medien/ausgestiegene-in-der-bildungsarbeit-A1-V5.pdf (abgerufen am 04.05.2022).
Möller, Kurt/Neuscheler, Florian (2018). Handlungsempfehlungen für den Umgang mit zentralen Druckphänomenen. In: Denis van de Wetering/Andreas Zick (Hg.). Soziale Formen von Gruppendruck und Einflussnahme auf Ausstiegswillige aus der ‚rechten Szene‘. Polizei + Forschung 52. Wiesbaden, BKA, 177–202.
Nordverbund Ausstieg Rechts; Silke Gary/Fabian Kaufmann (Hg.) (2020). Biografien (extrem) rechter Aussteiger*innen und ihr Einsatz in pädagogischen Settings. Hamburg, CJD.