„Das jetzt auch noch ...?!“ Druck und Überlastung als Chance zum Prozess verstehen – ein Praxisbeitrag aus Sachsen

Die westlichen demokratischen Gesellschaften, darunter auch Deutschland, sehen sich vor allem seit Beginn der Corona-Pandemie vor besondere Herausforderungen gestellt. Gespaltene Meinungen, die sich destruktiv gegenüberstehen, die zunehmende Unterwanderung bzw. Instrumentalisierung von Protesten durch extremistische Gruppen sowie eine allgemeine „Verrohung“ des Tonfalls im Diskurs untereinander sind Beispiele für Teilerscheinungen eines spürbar zunehmenden Drucks. Spezifisch im ländlichen Raum Sachsens entlädt sich dieser regelmäßig in öffentlichkeitswirksamen Ereignissen, zum Beispiel den Protesten an der Fernverkehrsstraße B96. Anhand vergangener und aktueller Projekte zeichnet das Institut für Beratung, Begleitung und Bildung e. V. in diesem Beitrag eine mögliche Herangehensweise für eine demokratische Konfliktbewältigung nach. Die Arbeit folgt dabei einem systemischen Ansatz, der sich durch einen ressourcenorientierten und an den Bedarfen der Zielgruppe ausrichtenden Prozess auszeichnet. Die Lösung zur Bewältigung auftretender Schwierigkeiten und Phänomene liegt im Kern darin, sie als spezifische Situationen zu begreifen und anhand dessen einen konstruktiven Weg zu finden, mit ihnen umzugehen. Wie genau das gelingen kann, wird als Handlungsoption in aufeinanderfolgenden Schritte aufgeschlüsselt.

Vielfalt der Landschaft – Vielfalt der Herausforderung

In der Polarisierung des gesellschaftlichen Diskurses, welche sich bereits seit 2014 abzeichnet, gibt es immer wieder verschiedene Themenkonjunkturen. Von der Aufnahme von Flüchtlingen über Pandemiebeschränkungen bis hin zum Ukraine-Krieg gibt es genügend Andockstellen für extremistische und antidemokratische Positionen, welche sich mehr oder weniger lautstark und destruktiv auf den gesellschaftlichen Diskurs und das politische System auswirken. Unsere demokratische Kultur steht dabei vor der Herausforderung, den schmalen Grat zwischen den Polen Sicherheit und Freiheit immer wieder neu zu beschreiten und zu definieren.

Die Bandbreite (nicht nur, aber vielleicht in besonderer Gegensätzlichkeit) in der sächsischen Kommunallandschaft ist groß: Es gibt in Sachsen sowohl rapide wachsende Großstädte und gut situierte Ballungsräume als auch abgeschiedene dörfliche Strukturen. Gerade in den kleinen Kommunen im ländlichen Raum ist die Personaldecke in den Verwaltungen dabei äußerst dünn. Die Akteur*innen vor Ort spüren in ihrem Arbeitsalltag oftmals eine hohe Belastung durch sich überschneidende Zuständigkeiten vereint in einer Person. Sie stehen unter Zeitdruck, während sie gleichzeitig das Bedürfnis haben, Ansprechpartner*in für die Anliegen der lokalen Bevölkerung zu sein. Das bedeutet vor allem in Krisensituationen, wütende, besorgte oder fragende Bürger*innen zu beruhigen und aufzuklären. Viele der politischen Verantwortungsträger*innen sind über Bürgerlisten und freie Wählervereinigungen in ihr Amt gekommen und damit wenig bis gar nicht in übergeordnete Parteienstrukturen eingebunden.1 Hinzu kommt der Umstand, dass Bürgermeister*innen, insbesondere in Klein- und Kleinstkommunen, oftmals ehrenamtlich tätig sind. Als Institut für Beratung, Begleitung und Bildung e. V. (B3) machen wir in unseren Projekten die Erfahrung2, dass in solchen akuten Belastungssituationen der Druck der Verantwortung auf möglichst viele Schultern gut verteilt werden sollte. Eine zielführende, offene und transparente Kommunikation darüber ist zudem sehr wichtig. Das kann zum Beispiel bedeuten, die lokale Bevölkerung möglichst umfangreich über vorhandene Handlungsmöglichkeiten und Zuständigkeiten der jeweiligen kommunalen Verwaltungen aufzuklären. Was liegt in der Entscheidungsmacht und wofür ist beispielsweise der Landkreis zuständig, sodass die Kommune in diesem Moment keine Veränderung erzielen kann? Auch für politische Bildung ergeben sich Veränderungen aus diesen Erfahrungen heraus. So sollte diese nicht mehr nur eingebunden in eine „Komm-Struktur“ verstanden werden, sondern dort durchgeführt werden, wo Menschen sich gestaltend engagieren, z.  B. in Vereinen. Sie hier bei der Expertise ernst zu nehmen und darin zu begleiten, ihre Anliegen und Expertise im politischen System anzubringen, ermöglicht es, komplexe Funktionslogiken am konkreten Beispiel deutlich zu machen. Zum Beispiel dann, wenn der lokale Anglerverein sich an den Landrat*die Landrätin wendet oder über die*den Wahlkreisabgeordneten eine Kleine Anfrage initiiert.

Doch in der Krise ist die Devise wiederholt: „Land unter!“ Förderprogramme und Projekte „von außen“ werden dann, selbst wenn sie als optionale Hilfestellung gemeint sind, nicht immer als solche wahrgenommen. Diese werden sogar immer häufiger als zusätzliche Mehrbelastung aufgefasst, wie wir beobachten: „Das jetzt auch noch …?!“, tönt es verständlicherweise in den Rathäusern. Die andauernde Schnelllebigkeit des 21. Jahrhunderts, Krisensituationen, fortschreitender Strukturwandel sowie situativ bedingte Eigendynamiken führen Verantwortungsträger*innen im Rahmen des Möglichen schnell über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus. Es kommen laufend neue Herausforderungen hinzu, während versucht wird, vorhandene Problemlagen zu bewältigen oder zu entschärfen. Im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine stehen Kommunen beispielsweise zusätzlich vor der Notwendigkeit, kurzfristig die Aufnahme geflüchteter Menschen zu steuern sowie Strukturen der Integration zu schaffen.

Es gilt also, die Hindernisse und Schwierigkeiten stufenweise zu überwinden, um aus ihnen gestärkt hervorzugehen und für zukünftige Ereignisse gewappnet zu sein. An genau dieser Stelle möchten wir mit unseren Erfahrungen anknüpfen und nachzeichnen, welche Wege es gibt, mit Konflikten und Druck konstruktiv und systemisch umzugehen. Unser Fokus ist die Bestärkung der politisch Verantwortlichen und ihre Ermutigung, auch schwierig scheinende Situationen zu bewältigen. Oft ist nicht unbedingt das Ergebnis eines solchen Prozesses das, was zählt, sondern vor allem der Weg, der schließlich in der Kommune nach Überwindung der Abwehrimpulse gegangen worden ist.

Wir sind überzeugt, dass die lokalen politischen Systeme und Akteur*innen das Potenzial zur Lösung ihrer konfliktreichen Situationen bereits in sich tragen. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt darin, stets ressourcen- und prozessorientiert am Ort des Geschehens zu begleiten.

„Druck ist da, ob wir wollen oder nicht“ – Was tun?

In solchen Situationen, die von starkem Druck geprägt sind, werden wir als Institut B3 angesprochen und als externe Begleiter*innen hinzugezogen. Soziale Systeme sind komplex. Es gibt daher kein Patentrezept und keine Checkliste. Jedes System ist in seiner Eigenheit, seinen Ressourcen und seinen Problemlagen einzigartig. Dem gilt es, Rechnung zu tragen. Unserer Erfahrung nach ist eine systemische Herangehensweise an die Situation vor Ort nötig. Wir suchen Ressourcen und Herausforderungen, die das System bereits innehat und die wir gemeinsam nutzen und bearbeiten können. Dabei versuchen wir, eine moderierende und begleitende Rolle einzunehmen, um nicht selbst zum (politischen) Akteur im Feld zu werden. Wir bieten vor allem Hilfe zur Selbsthilfe. Der wichtigste Punkt dabei ist, dass wir uns nicht selbst zu unserer Begleitung ermächtigen. Oft gibt es Schnittstellen, Vereine, Vertreter*innen im System, die uns anfragen und dazu holen. Das ist für unsere Haltung und unser Selbstverständnis elementar wichtig.

Alle Initiativen, Kommunen und Fälle verbindet, dass Druck nicht mit einer einmaligen Veranstaltung bearbeitet werden kann. Es handelt sich hierbei um Prozesse, die je nach Zielstellung auch mehrere Jahre andauern können. Diese beginnen immer mit einem Erstgespräch, um herauszufinden, wie die Ausgangssituation vor Ort ist und was mögliche Ziele sind. Folgende Schritte sind Erfahrungswerte aus der langjährigen Praxis der kommunalen Beratung und Prozessbegleitung unserer Mitarbeiter*innen und Coaches. Sie können als eine Art Handlungsempfehlung bzw. Impuls gelesen werden, wie auf Basis des systemischen Ansatzes mit Drucksituationen umgegangen werden kann.

1. Schritt: Analyse der Ausgangssituation

Bevor ein Problem bearbeitet werden kann, ist es nötig, dass es überhaupt als solches wahrgenommen wird. Dies klingt zunächst banal. Doch es gibt unterschiedliche persönliche Toleranzgrenzen (z. B. in der Einschätzung, wann ein Konflikt zu gravierend wird oder im Bereich des Sicherheitsgefühls).

Unsere Vorgehensweise erfolgt daher nicht nach einem fertigen Schema. Vielmehr nähern wir uns aktiv zuhörend den Problemlagen vor Ort an, um gemeinsam mit den Akteur*innen Lösungsstrategien zu erarbeiten. Dies beginnt damit, dass wir gemeinsam mit den Menschen vor Ort hinschauen und analysieren, wie die jeweilige Ausgangssituation ist. Dabei ist es besonders wichtig, die verschiedenen Perspektiven ernst zu nehmen. Jede Kommune, jedes System setzt in seiner Arbeitsweise eigene Schwerpunkte. Hier bedarf es eines Netzwerkes von verschiedenen Perspektiven, gesellschaftlichen Gruppen und staatlichen sowie zivilgesellschaftlichen Akteur*innen – kurzfristig zur multiperspektivischen Bearbeitung möglicher Problemlagen, langfristig als Seismograf in die lokale Gesellschaft hinein. Wir sehen es als enormen Vorteil an, in unserem Netzwerk auf Vertreter*innen aus den genannten Bereichen zurückgreifen zu können. Dies ermöglicht uns eine lebensweltnahe, schnelle, unmittelbare und vor allem vertrauensvolle Expertise oder weitere Vermittlung, genau dort, wo es gebraucht wird.

a. Problemwahrnehmung und Problemerkenntnis

Ausgangspunkt für eines unserer Modellprojekte war beispielsweise die Ansprache durch lokale Bürgermeister*innen, welche einen Weg suchten, mit den unangemeldeten Corona-Demonstrationen und dem damit einhergehenden Riss in der Gesellschaft umzugehen.3 Dabei war von Anfang an der Wunsch zu spüren, einerseits die demokratische Meinungsvielfalt zu schützen, andererseits aber auch die Verantwortung, geltende Rechtsbestimmungen umzusetzen und antidemokratischen Meinungen keine Bühne zur medialen Inszenierung zu bieten. Es wurde schnell deutlich, dass Dialogformate außerhalb der konfrontativen Situation der Coronaproteste gesucht werden. Hierzu haben wir den Blick auf vorhandene Vereinsstrukturen in der Region gerichtet, um auf Augenhöhe Zugänge zu den Menschen zu schaffen und sie in ihrer Lebenswelt, dort, wo sie aktiv sind, anzusprechen. Der Wunsch der Verantwortungsträger*innen war es gerade nicht, den Teil der Bevölkerung zu erreichen, der seinen Frust auf die Straße bringt. Dennoch war es wichtig, zu ergründen, was ihn antreibt. Dabei beunruhigte vor allem die Spaltung der Bevölkerung in den einzelnen Ortschaften und die Unsicherheit, wie man generell mit diesen Protesten umgehen sollte (hierbei spielte auch die öffentliche Berichterstattung eine nicht zu unterschätzende Rolle.) Auch war von Anfang an klar, dass die Situation in den einzelnen Kommunen sehr vielfältig war. In einer Gemeinde trafen sich z. B. vorrangig Demonstrant*innen aus dem sächsischen Umland, da die Gemeinde sich geografisch als Treffpunkt eignete. Hier spielten die Bewohner*innen der Kommune selbst nicht die größte Rolle. Woanders wurde die generell aufgeheizte Stimmung genutzt, um das alte Narrativ der Montagsdemos wieder aufleben zu lassen – und dies von bekannten und geachteten Bewohner*innen der Stadt. Besonders schätzend dabei zu erwähnen sind die wachsame Beobachtung sowie das Verantwortungsbewusstsein der Bürgermeister*innen, extremistischen und antidemokratischen Tendenzen und Gruppierungen entschieden entgegenzuwirken, ohne dabei die Proteste als solche zu stigmatisieren.

b. Beteiligte und Betroffene ins Boot holen

Gerade die Bandbreite der Wahrnehmungen vor Ort macht es erforderlich, eine möglichst große Vielfalt von Perspektiven einzubeziehen. Dabei geht es nicht darum, möglichst alle zu befragen, sondern die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen vor Ort im Diskurs mitzunehmen und so einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Das kann z. B. über die Einbindung von aktiven und akzeptierten Vertreter*innen der gesellschaftlichen Gruppen erfolgen. Selbstverständlich wird es nicht möglich sein, immer alle einzubinden (dies ist oft auch nicht notwendig). Das Ziel der Verantwortlichen sollte es jedoch sein, die Voraussetzungen und Grundlagen für eine möglichst breite Beteiligung zu ermöglichen. Die, die es betrifft, müssen die Chance haben, gehört zu werden, denn sie sind es auch, die mit den Ergebnissen des Prozesses leben müssen. Diese Voraussetzungen können dann zu einer breiten Akzeptanz der beschlossenen Ergebnisse führen und die Nachhaltigkeit des Prozesses gewährleisten. Dabei haben wir gute Erfahrungen in der Arbeit mit Multiplikator*innen gemacht.4 Der Vorteil dabei ist, dass die Verantwortungsträger*innen eine*n konkrete*n Ansprechpartner*in haben, welche*r die verschiedenen Perspektiven der Betroffenen und Beteiligten in den Diskurs einbringt. Damit wird das Risiko des Ausschleichens der Problematik ohne Lösung deutlich minimiert. Ein weiterer Vorteil ist, dass Multiplikator*innen die „Sprache“ der Zielgruppe sprechen. Diese Transferleistung ist eine oft unterschätzte Ressource der Bürger*innenbeteiligung und hilft, Entscheidungen nachhaltig zu kommunizieren.

2. Schritt: Zielführende Kommunikation

Zwischenmenschliche Prozesse erfordern ein großes Maß an Verständigung, Abstimmung und Einbindung. Solche partizipativen Prozesse sind offen konzipiert. Ein gutes Ergebnis setzt daher eine große Schnittmenge von Beteiligten mit den Betroffenen voraus. Die Lösung der Probleme liegt vor Ort. Dabei empfiehlt es sich, die Betroffenen einzuladen, den Prozess mitzugestalten.

a. Auf Augenhöhe statt von oben herab

Dreh- und Angelpunkt einer gelingenden Kommunikation gerade auch über schwierige Themen ist der Respekt, die gegenseitige Wertschätzung und die Akzeptanz der Unterschiede. Ohne diese Grundlage kann es keinen nachhaltigen und tragfähigen Konsens im Meinungsbildungsprozess geben. Es gilt, Anerkennung für das Engagement der Beteiligten zu zeigen und deren Perspektive ernst zu nehmen. Die Gesellschaft in den Kommunen ist bunt und vielfältig, entsprechend unterschiedlich sollte die Ansprache dieser Gruppen ausfallen. Dem kann durch eine empathische Kommunikation und einer zielgruppengerechten Sprache Rechnung getragen werden. Dabei sollten alle potenziell Beteiligten und Betroffenen mitgenommen werden.

b. Moderierend statt reglementierend

Die verschiedenen relevanten Netzwerke müssen nicht zwingend etwas miteinander zu tun haben. Wichtig ist, dass einzelne Vertreter*innen miteinander in den Austausch kommen. Aufgabe der verantwortlichen Stellen sollte es vordringlich sein, die vorhandenen unterschiedlichen Sichtweisen zu bündeln und ohne Wertung und Urteil in einem Diskurs zusammenzubringen. Dabei gilt es, Dialogformate gezielt einzusetzen und passend zu planen. Eine Bürgerbeteiligung, bei der falsche Hoffnungen zur Partizipation geweckt werden und deren Ergebnisse in der „Schublade“ verschwinden, ist meist deutlich frustrierender und destruktiver als keine Bürgerbeteiligung mit klarer, wertschätzender Kommunikation. In den Formaten selbst ist es entscheidend, neugierig und offen zu bleiben, gerade bei konfliktträchtigen Themen, da Repressionsreflexe den Austausch hemmen.

Maßnahmen und Konzepte sollten im Sinne der Nachhaltigkeit gemeinsam mit der Zielgruppe entwickelt werden. Dies erfordert nicht zuletzt ein großes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die Fähigkeiten aller Beteiligten. Fehler, vermeintliche Umwege und manchmal Stagnation gehören zu einem lebendigen Prozess dazu. Diese Schwierigkeiten sollten im Sinne einer lösungsorientierten Herangehensweise offen angesprochen werden.

3. Schritt: Haltung entwickeln

Besonders in Zeiten eines zunehmend polarisierten Diskurses wird eine klare (innere) Haltung als sehr entlastend erlebt. Wenn deutlich ist, wo die Arena des demokratischen, wertschätzenden Diskurses verlassen wird, kann schnell und effektiv gegengesteuert werden. Dabei fungiert Haltung und ein klares Werteverständnis als ein Kompass in turbulenten Zeiten.

Klare Haltung nach außen kommuniziert, bietet besonders in Vereinen, Institutionen und Verwaltungen den Mitarbeiter*innen und Mitstreiter*innen einen festen Handlungsrahmen für eigenverantwortliche Entscheidungen. Dies erleichtert es auch, mit Schwierigkeiten und Querschlägen umzugehen.

a. Klar kommunizieren (nach innen und außen)

Eine klare Haltung zeigt sich vornehmlich in einer klaren Kommunikation, weshalb es wichtig ist, gegenüber den Mitarbeiter*innen, z. B. in der Verwaltung, einen klaren Handlungsrahmen abzustecken.
Gemeinsame Leitlinien fördern die Identifikation und bieten Handlungssicherheit. Hierzu gehört beispielsweise, dass die Anwendung von Gewalt eindeutig verurteilt wird bzw. ein friedliches, offenes und tolerantes Miteinander festgehalten wird. Diese Leitlinie sollte gemeinsam in moderierten Gesprächen erarbeitet werden und von Zeit zu Zeit an sich verändernde Umstände angepasst werden. Ziel sollte es auch sein, diese proaktiv nach außen zu kommunizieren, um Missverständnisse und unnötige Reibungen zu vermeiden.

b. Persönliche Grenzen

Zur eigenen Haltung gehört auch die Reflexion über die persönlichen Grenzen und deren Akzeptanz. Man muss – auch als Verantwortungsträger*in – nicht alles können. Die Suche nach Verbündeten und Helfer*innen, mit denen die gemeinsame Strategie umgesetzt werden kann, sollte deshalb bereits am Beginn des gemeinsamen Weges erfolgen. Hier kann ein externer Blick, zum Beispiel durch Coach oder Prozessbegleiter*in, sehr zielführend und entlastend sein. Die Delegation der Verantwortung, wo es möglich ist, sowie das stetige in Kontakt bleiben zwischen Verantwortungsträger*in und Kooperationspartner*in sind dabei von großer Bedeutung für das Gelingen des Prozesses.

Konfliktsituationen können schnell eskalieren, vor allem, wenn die Beteiligten Unsicherheiten im Umgang verspüren. Aus diesem Grund sollten schwierige Situationen trainiert bzw. mögliche Handlungsszenarien durchgespielt werden, z. B. in Argumentationstrainings. Dies sensibilisiert für das Thema, schafft Handlungssicherheit und fördert empathische Reaktionen.

4. Schritt: Aktive Umsetzung

Neben der Lösung von akuten Konfliktsituationen vor Ort besteht eine zentrale Herausforderung gerade darin, künftige Krisensituationen mit den dem Gemeinwesen zur Verfügung stehenden Ressourcen lösen zu können. Ein lösungs- und ressourcenorientierter Ansatz hat zur Voraussetzung, dass die Beteiligten als Experten*innen ihres sozialen Nahraums sowie der jeweiligen Fragestellung verstanden werden. In der Umsetzung der Projekte spiegelt sich die erworbene Haltung wider. Dabei gilt es, die Umstände und Prozesse der Umsetzung passend zu gestalten.

a. Verantwortung – Umsetzung nicht in einer Hand – delegieren können

Gute Kommunikation und Prävention auf kommunaler Ebene besteht nicht allein aus der Schaffung von innerer Sicherheit, sondern umfasst beispielsweise auch soziale und wirtschaftliche Aspekte. Dies erfordert ein breites Bündnis an Kooperationspartner*innen und tiefergehende gesellschaftliche Debatten vor Ort. Auf diese Weise breit aufgestellt, bringt das die Verantwortungsträger*innen in die Lage, damit flexibel umzugehen und nicht in einer einzelnen „Lösungsspur“ gefangen zu sein. Dies funktioniert am besten in der Zusammenarbeit und dem offenen Austausch mit anderen. Es ist hilfreich, wenn auch nicht immer einfach, selbstbewusst und zuversichtlich an die Bewältigung anstehender Herausforderungen heranzugehen. Hier kann ein externer Blick helfen, bereits erreichte Erfolge als solche zu sehen und wertzuschätzen, und immer wieder zu schauen, welche Schritte als nächstes gegangen werden können.

b. Strukturen und Netzwerke schaffen

Es ist wichtig, sowohl Prävention als auch Intervention im Gemeinwesen miteinander in Austausch zu bringen. In den kommunalen Strukturen und Netzwerken, die wir begleiten, achten wir darauf, dass möglichst die Expertise derjenigen Leute gehört werden kann, die von den Lösungen betroffen sind bzw. diese umsetzen sollen.

Gut funktionierende Netzwerke sind mehr als die Summe ihrer Mitglieder. Durch Kooperation kann Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt und Kompetenzen klar strukturiert werden. Dabei gilt es regelmäßig zu prüfen, wie selbstverständlich und zielführend diese Netzwerke miteinander verwoben sind und ob diese Unterstützung benötigen. Es gab und gibt in unseren Begleitungen immer wieder Situationen, in denen deutlich wird, dass nicht immer alle Peer-Groups zusammen an einen Tisch kommen müssen, um voranzukommen. Es kann auch sinnvoll sein, kleinere arbeitsfähigere – mitunter parallele – Netzwerke mit konkreten, klar abgegrenzten Verantwortlichkeiten zu fördern. Da es sich bei kommunaler Gestaltung nicht um eine statische Herangehensweise handelt, sondern um ein dynamisches Vorgehen, dessen Bedingungen einem steten Wandel unterworfen sind, sollte man diesen als lernenden Prozess begreifen.

5. Schritt: Prozessbegleitende Evaluation

Es ist wichtig, dass die Projekte, Maßnahmen und Strategien nachhaltig angelegt werden. Im Sinne einer fehlertoleranten Herangehensweise sollten angemessene Lösungen laufend entwickelt und angepasst werden. Dies erfordert eine fortlaufende Reflexion darüber, ob die angewandten Mittel entsprechende Ergebnisse liefern. Auch an dieser Stelle wird die professionelle Distanz einer externen Begleitung oft als hilfreich und entlastend erlebt. Es lohnt sich, sich ein gewisses Maß an Externalität zu organisieren.

Gerade die systemische Herangehensweise erfordert insbesondere im Hinblick auf Erfolge und Ergebnisse von Maßnahmen ein großes Maß an Transparenz, weshalb es unabdingbar ist, in stetigem Kontakt mit der Zielgruppe zu bleiben.

Dabei sollte die Evaluation in einem ersten Schritt intern erfolgen, durch Standards und geregelte Prozesse. Aber auch externe Evaluation kann wichtige blinde Flecken aufdecken. Deshalb ist die interne Prüfung der Umsetzung der Maßnahmen und Projekte unabdingbar, genauso wie eine klare Benennung von auftretenden Herausforderungen.

Eine Evaluation kann nur im Austausch mit den Beteiligten funktionieren. Wichtig ist, dass damit valide, also belastbare Daten generiert werden, weshalb regelmäßige Abstände der laufenden Evaluationen eingehalten werden sollten. Dabei sollte man sich in angemessener Weise des breiten Spektrums der verschiedenen Evaluationsmethoden bedienen: sei es beispielsweise durch Mitarbeiter*innen-Befragungen, durch Effizienz- und Effektivitätsanalysen sowie der Dokumentation von einzelnen Prozessschritten. Eine externe Evaluation kann hilfreich und entlastend sein.

Fazit und Ausblick

Abzusehen bleibt, dass der Druck nicht weichen wird. Die Folgen der Corona-Pandemie, des Klimawandels und der Kriegsgeschehnisse unweit der eigenen Landesgrenze werden unsere Gesellschaft weiterhin begleiten. Auch lokale Erschütterungen, zum Beispiel die mögliche Etablierung extremistischer Gruppen im eigenen Ort oder geplante Veranstaltungen, die demokratiefeindlichen Ideologien eine Bühne bieten, sind komplexe Situationen, denen es entschieden und aktiv zu begegnen gilt. Nötig ist ein Erkennen der spezifischen Problemlage vor Ort unter Einbeziehung verschiedener Perspektiven. Es ist wichtig, dass die politisch Verantwortlichen Handlungssicherheit verspüren und sich über ihre Grenzen und Möglichkeiten im Klaren sind. Dies erleichtert das Erkennen und den Umgang mit Herausforderungen.

Hilfreich für sowohl die präventive Arbeit als auch die Begleitung von problematischen Situationen ist das gezielte Einsetzen von vorhandenen Ressourcen und die Schaffung von stabilen Netzwerken, um langfristig mit antidemokratischen, diskriminierenden Vorfällen und radikalisierten Personen umzugehen, indem die konstruktiven Teile der Bevölkerung gestärkt werden. Ein Geheimrezept oder eine fertige Formel gibt es dabei nicht. Druck kann der Motor sein, der das System dazu bringt, sich in den Prozess zu begeben und sich „auf den Weg zu machen“. Er bleibt aber dennoch, was er ist: eine Herausforderung und Belastung, die es zu bewältigen gilt. Hierbei unterstützen wir gern.

 

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1    Ähnliches gilt für die Einbindung in zum Beispiel Bildungswerke, Stiftungen und Informationsaustausch innerhalb der Partei auf Landes- und/oder Bundesebene.

2    An dieser Stelle danken wir unseren langjährigen Coaches Norbert Poppe (Transformhaus), Martin Ziegenhagen (Goldjungs Berlin) und Bernd Stracke für das Teilen ihrer Erfahrungen aus verschieden Projekten (u. a. Mobile Beratung, Ostritzer Friedensfest und Begleitung sächsischer Kommunen innerhalb der sächsischen Landesstrategie ASSKomm).

3    Modellprojekt „Zwischen Wut und stillem Protest – Der Umgang mit gesellschaftlichen Wertekonflikten am Beispiel der Fernverkehrsstraße B96“, welches von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Sächsischen Landespräventionsrat gefördert wird und einen konstruktiven Umgang mit der zunehmenden Polarisierung des gesellschaftlichen Diskurses erprobt (Laufzeit 2021–2023).

4    Beispielsweise im Modellprojekt „Urbane Gewalt“ (2016–2019), bei welchem wir mit verschiedenen lokalen Akteur*innen vor Ort (z. B. soziokulturelle Zentren, Feuerwehrverbände, Künstler*innen, Senior*innen, Vereine) mögliche Bedarfe zum Thema Gewalt erhoben und entsprechende Strategien zum Umgang damit entwickelt haben. Diese wurden dann in Einzelprojekten gemeinsam umgesetzt.