Einleitung1
Mit der Covid-19-Pandemie hat sich die digitale Transformation der Gesellschaft in vielen Teilbereichen erheblich beschleunigt. Damit wachsen auch die Herausforderungen für (liberale) Demokratien. Hoffnungen auf eine mit technologischen Innovationen einhergehende gesellschaftliche Demokratisierung brechen sich bereits an Strukturmerkmalen digitaler Öffentlichkeiten, da letztere bislang kaum demokratischer Kontrolle unterliegen. Das Internet hat für sich genommen keine demokratisierende Wirkung. Die im digitalen Raum eingebettete soziale Praxis realisiert sich vielmehr in der beständigen Ambivalenz zu ermöglichen, etwa Repräsentation und Deliberation, und auszuschließen, etwa soziale Ungleichheit und Diskriminierung (Binder und Drerup 2020, 4 f.). Digitale Medien sind zwar nicht die Ursache für die Entstehung von demokratiegefährdenden Phänomenen wie Fake News, Hate Speech oder Verschwörungsmythen, wirken aber katalysatorisch auf deren Verbreitung (Hafeneger 2019a, 141). In Forschung und Fachpraxis werden Forderungen laut, kritische Medienpädagogik und politische Bildung stärker zu verschränken (Kenner und Lange 2020, 235; Reißmann 2019, 284). Der 16. Kinder- und Jugendbericht bezeichnet diese Schnittstelle treffend als „politische Medienbildung“ (BFMSFJ 2020, 328).
Ein Arbeitsfeld, das aktuell zur Entwicklung und Erprobung einer interdisziplinären Fachpraxis beiträgt, ist die Demokratieförderung, insbesondere im Rahmen von „Demokratie leben!“. In unserem empirischen Fokus stehen im Folgenden Modellprojekte des Handlungsfelds „Demokratieförderung“ im Bundesprogramm. Diese Projekte betrachten wir als exemplarische Experimentierräume, u. a. auch für eine interdisziplinäre politische Medienbildung. Wie wir anhand empirischer Daten zeigen werden, ist der Einsatz von digitalen Methoden in der pädagogischen Praxis verbunden mit unterschiedlichen fachlichen Ansprüchen, Motiven und Zielen und bedarf einer intensiven Reflexion des komplexen Verhältnisses von Demokratie und digitaler Transformation der Gesellschaft.
Demokratieförderung im Kontext der Digitalisierung
Im interdisziplinär geführten Fachdiskurs changieren die Einschätzungen des demokratischen Potenzials der Digitalisierung zwischen Risikobestimmung und Chance. Während große Hoffnungen in von neuer Technologie hervorgebrachte Demokratisierungseffekte gelegt werden, finden sich auch technologiekritische Warnungen vor damit verbundenen Demokratiegefährdungen (Drerup 2020, 29 f.). Im Fokus steht auch das Verhältnis von Demokratie und sozialer Ungleichheit. Unter dem Schlagwort „second digital divide“ werden neben ungleichen technischen Zugangsmöglichkeiten die ungleiche Verteilung von (digitalen) Medienkompetenzen und deren Einfluss auf politische Partizipationsmöglichkeiten kritisch diskutiert. Zunehmend scheint sich in der Fachpraxis eine vermittelnde „netzrealistische“ Perspektive durchzusetzen, die sowohl fördernde als auch exkludierende Merkmale der Digitalisierung für politische Partizipation junger Menschen anerkennt und in (politische) Bildungsangebote einbezieht (Kenner und Lange 2020, 237 f.).
Zieldimensionen digitaler demokratiefördernder Angebote
Mit Blick auf die Forschungslage zu demokratiefördernden Angeboten im Kontext der Digitalisierung lassen sich aus unserer Sicht (mindestens) vier theoretische Zieldimensionen unterscheiden, die sich in Praxisangeboten (auch parallel) finden: die Förderung von politischer Online-Partizipation, digitaler Deliberation, (digitalen) Medienkompetenzen sowie macht- und medienkritischen Perspektiven auf digitale Bildungsgegenstände.
Digitale Medienwelten bieten jungen Menschen Freiräume zur politischen Sozialisation und Identitätsbildung und ermöglichen neue Repräsentations-, Vergemeinschaftungs- und Beteiligungspraktiken. In sozialen Netzwerken können junge Menschen selbstbestimmt ihre politischen Positionen artikulieren, verbreiten und dafür Resonanz finden. Praktiken der „Mikro-Partizipation“ (Manzel 2017, 208) haben das Potenzial, zu einem verstärkten zivilgesellschaftlichen Engagement zu führen (Hajok 2020, 17; Steiner 2020, 151). Eingebunden in pädagogische Konzepte können Digitalmedien dazu beitragen, dass junge Menschen stärker an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben. Auch Konzepte von blended participation, d. h. einer Kombination aus digitalen und analogen Elementen politischer Beteiligung, bieten für Angebote der Demokratieförderung Ansatzpunkte (Kersting 2019, 118).
Neben der Möglichkeit, eigene Positionen zu artikulieren, erleichtern digitale Medien die (passive) Teilnahme an politischen Diskussionen und Debatten. Im digitalen Raum erfahren Formate demokratischer Deliberation mit Online-Petitionen, Diskussionsforen oder aktivistischen Crowdfunding-Kampagnen einen Aufschwung. Deren Nutzung macht allerdings für sich genommen noch keine politische Mitbestimmung aus (Steiner 2020, 152; Borucki et al. 2020, 366). Empirische Befunde der Partizipationsforschung zeigen, dass junge Menschen das Internet bisher eher expressiv als deliberativ nutzen, d. h. sich stärker etwa per Like-Button positionieren, als sich aktiv an politischen Diskussionen zu beteiligen (Drerup 2020, 36). In pädagogischen Formaten braucht es eine Beteiligung junger Menschen an realen, d. h. nicht simulierten politischen Entscheidungsfindungsprozessen, die Mitbestimmung ermöglichen (Widmaier 2013, 49). Dies erfordert nicht nur Durchhaltvermögen, Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz, sondern auch Argumentations-, Diskussions- und allgemeine Medienkompetenz.
Als „Schlüsselkompetenz“ (Manzel 2017, 213) für politische Urteils- und Handlungsfähigkeit ist die Stärkung von Medienkompetenz eine Grundvoraussetzung für politische Medienbildung, digitale Partizipation und Deliberation. Ein alleiniger Fokus auf die Stärkung von Mediennutzungskompetenzen würde für die Fachpraxis der Demokratieförderung jedoch zu kurz greifen (Ottner und Brzobohaty 2019, 134). Der 16. Kinder- und Jugendbericht betont, aufbauend auf Baackes (1996) prägender Begriffsdefinition, die Bedeutung einer „kritisch-reflexive[n] Medienkompetenz“ (BMFSFJ 2020, 238) für die Fachpraxis. Diese schließt sowohl die Förderung eines kompetenten und datensouveränen Umgangs mit Medien als auch die Reflexion von Repräsentations- und Machtverhältnissen ein. Entsprechend gilt es für demokratiefördernde Angebote, auch die materiellen Strukturen digitaler Räume und relevante Akteur*innen kritisch zu reflektieren und in die inhaltliche Auseinandersetzung einzubeziehen. Der 16. Kinder- und Jugendbericht bezeichnet dies mit Blick auf pädagogische Praxis als „hybride Dilemmaorientierung“ (BMFSFJ 2020, 296).
Diese theoretischen Ausführungen zu Zieldimensionen und Herausforderungen der Digitalisierung für demokratiefördernde Angebote unterliegen unserer Analyse der pädagogischen Konzepte aktueller Modellprojekte der Demokratieförderung. Von Interesse ist dabei, inwiefern die skizzierten Zieldimensionen und Herausforderungen bei der Entwicklung neuer pädagogischer Ansätze aufgegriffen, verschränkt oder erweitert werden. Die empirischen Befunde basieren auf im Jahr 2020 und 2021 durchgeführten qualitativen und quantitativen Erhebungen und Analysen der wissenschaftlichen Begleitung bei den insgesamt 30 Modellprojekten im Handlungsfeld „Demokratieförderung“ des Bundesprogramms „Demokratie leben!“2. Die Modellprojekte sind durch ihren Innovations- und Transferauftrag charakterisiert (Dietzel und Troschke 1988, 13) und haben die Aufgabe, neue Methoden und Konzepte zu entwickeln und ihre Übertragbarkeit auf andere Träger und Praxisfelder zu erproben. Die „digital-medial vermittelte Stärkung von Demokratie bei jungen Menschen“ (BMFSFJ 2019, 3) ist vom Programmgeber als Querschnittsthema benannt.
Ein Blick in die Praxis – digitale Demokratieförderung in Modellprojekten
Bei den untersuchten Projektkonzepten finden sich vielfältige Bezüge zur Digitalisierung, die mit spezifischen pädagogischen Strategien in Beziehung stehen (Ehnert et al. 2021, 44 f.). Fast alle Projekte verfolgen eine oder mehrere der vier dargestellten Zieldimensionen. Deshalb liegt im Folgenden der Schwerpunkt auf der Darstellung der (digitalen) Projektstrategien. Es stehen der Einsatz digitaler Medien, Digitalisierung als Bildungsgegenstand sowie die reflexive Verbindung beider Strategien im Fokus.
Digitaler Medieneinsatz
Der Einsatz digitaler Medien ist für fast alle der untersuchten Modellprojekte selbstverständlich. In der pädagogischen Praxis erhoffen sich die Projekte insbesondere für marginalisierte junge Menschen eine erleichterte Teilnahme an den Angeboten und eine aktivere Teilhabe am politischen Diskurs. Einzelne Projekte konzipieren zum Beispiel digitale Adaptionen klassischer Rätsel- oder Rollenspiele als Virtual- oder Augmented-Reality-Game im Sozialraum oder entwickeln in Kooperation mit IT-Unternehmen eigene Tools und Apps (z. B. zur Förderung von Jugendbeteiligung an politischen Debatten oder inklusiver politischer Bildung in leichter Sprache). Andere Projekte nutzen bevorzugt populäre soziale Medien oder Messengerdienste, da junge Menschen gerade im schulischen Kontext verpflichtenden Bildungstools eher skeptisch bis ablehnend gegenüberstünden.
Der durch die Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub geht mit einer zurückhaltenden bis skeptischen Haltung der Projektumsetzenden zum digitalen Medieneinsatz in ihrer Arbeit einher (Ehnert et al. 2021, 61). Die Projektumsetzenden reflektieren kritisch, dass durch rein digitale Formate neue Ausschlussprozesse hervorgebracht und viele analoge Konzepte nur bedingt in den digitalen Raum übertragen werden können. Für die pädagogische Praxis ist die Orientierung an den Bedarfen junger Menschen und die damit einhergehende Akzeptanz der Projektangebote zentral. Die Projekte gehen davon aus, dass digitale Medien nicht zwangsläufig beliebt(er) sein müssen und ein Verzicht auf körperliche Kopräsenz in Bildungsformaten durchaus kontraproduktive Effekte auslösen kann, etwa Unzufriedenheit und sinkende Teilnahmebereitschaft. Als herausfordernd für den Einsatz digitaler Medien kristallisieren sich die institutionellen Rahmenbedingungen heraus: So können etwa eine unzureichende technische Ausstattung in Schulen und kommunalen Behörden, einrichtungsinterne Regeln (z. B. ein Smartphone-Verbot) oder datenschutzrechtlich begründete Nutzungsverbote bestimmter Kommunikationstools die digitale Projektarbeit erschweren.
Digitalisierung als Bildungsgegenstand
Seltener greifen die Modellprojekte in ihren pädagogischen Angeboten die Digitalisierung selbst als Bildungsgegenstand auf. Gründend auf aktuellen Debatten und Zeitdiagnosen beschäftigen sich sechs Modellprojekte inhaltlich mit der digitalen Transformation der Gesellschaft. Empirisch konnten wir für die begleiteten Projekte drei Themenbereiche digitaler Bildungsgegenstände ausmachen, die jeweils mit einer eher fördernden oder präventiv-pädagogischen Strategie korrespondieren:
Der erste Themenbereich bezieht sich auf aktuelle demokratiegefährdende Phänomene im Internet. Diese Projekte thematisieren u. a. Manipulation von Online-Kommunikation durch Fake News, Social Bots oder Desinformations-Kampagnen. Diese werden vorwiegend pädagogisch-präventiv als integrale Bestandteile demokratiegefährdender extrem rechter Strategien thematisiert. Auf individueller Ebene geht es darum, bei den Zielgruppen Resilienz gegenüber digital vermittelter Manipulation zu entwickeln, damit diese solche Inhalte nicht ungewollt reproduzieren. In diesem Zusammenhang realisieren die Projekte vor allem aufklärende Ansätze zur Funktionsweise von (digitalen) Medien und journalistischen Gütekriterien sowie zur Sensibilisierung für Phänomene wie Trolling in der digitalen Diskussionskultur. Eine Sonderrolle nehmen Verschwörungsmythen ein. Während diese Phänomene von einigen Projekten bereits auf konzeptioneller Ebene in den Blick genommen wurden, stieg der Stellenwert ihrer Bearbeitung im Handlungsfeld im Zuge der verschwörungsideologisch geprägten Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie an (Schießler et al. 2020, 283 ff.).
Im zweiten Themenbereich vermitteln Projekte eine „netzrealistische“ Perspektive auf das Internet als (potenziell) demokratischen Raum mit noch unausgeschöpften Möglichkeiten für politische Partizipationsprozesse. Diese Projekte qualifizieren in erste Linie (pädagogische) Fachkräfte und vermitteln Wissen zu Strukturen und Funktionsweisen von Online-Plattformen (z. B. zu Algorithmen, Big Data, Datenschutz) und der Rolle des Medien- und Informationssystems für den Erhalt der Demokratie. Vor allem im Rahmen dieses Themenbereichs finden sich macht- und medienkritische Vermittlungsinhalte sowie thematische Verknüpfungen von Digitalisierung und sozialer Ungleichheit.
Der dritte Themenbereich bezieht sich auf digitale Lebenswelten junger Menschen, auf deren digitale Identität und Formen der (Selbst-)Repräsentation im Internet. Diese Projekte thematisieren Online-Praktiken wie Influencing, reflektieren gemeinsam mit jungen Menschen deren Mediennutzungsverhalten sowie den Zusammenhang von digitaler Identität und eigenen Vorstellungen von Demokratie und Gesellschaft. In diesem Zusammenhang werden sowohl individuell erlebte Risiken (z. B. Sucht, Isolation) und Chancen (z. B. Repräsentation, Teilhabe) der Digitalisierung in der Alltagswelt junger Menschen zu demokratiefördernden Vermittlungsinhalten gemacht.
Spezialisierte Modellprojekte der „digitalen Demokratieförderung“
Von den 30 untersuchten Modellprojekten arbeiten 8 nahezu vollständig in digitalen Räumen oder verschränken den Einsatz digitaler Medien in der Praxis mit der Thematisierung der digitalen Transformation. Laut Heldt (2022, 376) charakterisiert diese enge Verzahnung des „Lernens mit“ und des „Lernens über“ (Digital-)Medien die Praxis der politischen Medienbildung. Diese Projekte entwickeln innovative pädagogische Ansätze, Methoden und Tools, z. B. zur Kinder- und Jugendbeteiligung oder zum Empowerment marginalisierter junger Menschen im Netz. Die Projekte vermitteln ihre Themen in engem praktischen Bezug zu digitalen Kommunikations- und Massenmedien, z. B. bei Quellenrecherchen und Faktenchecks, oder erproben und implementieren zielgruppenangemessene digitale Tools, etwa Suchmaschinen speziell für Kinder. In Angeboten zur eigenständigen Produktion und Gestaltung von Medienformaten, z. B. einer Online-Zukunftsnachrichtensendung, erwerben junge Menschen kritische und technologische Medienkompetenz und reflektieren zugleich ihre Perspektive auf Gesellschafts-, Medien- und Demokratieentwicklung. Große Potenziale birgt aus unserer Sicht die Erprobung digitaler Feedbackprozesse in pädagogischen Formaten, da diese Demokratie praktisch erfahrbar machen können. Über Umfrage- (z. B. Lime Survey) und Liquid-Feedback-Tools (z. B. Opinion Radar, Speak Up) wird nicht nur bedarfsorientiert gearbeitet, sondern der Prozess selbst als partizipatives bzw. originär demokratisches Element reflexiv thematisiert. Ein Projekt entwickelt reflexive Formate zur Wissensvermittlung und Sensibilisierung für Phänomene in der digitalen Lebenswelt junger Menschen (z. B. Filter Bubbles). Hierfür werden selbstständige Rechercheübungen erprobt, die junge Menschen ausgehend von der eigenen Timeline ihrer sozialen Netzwerke durchführen können. Ein weiteres Projekt fokussiert auf Angebote der politischen Medienbildung für die bisher kaum erreichte Zielgruppen der jungen Menschen mit Lernbehinderung und entwickelt niedrigschwellige Formate, die demokratische Wissensvermittlung mit digitalen Reflexionsübungen kombinieren.
Diskussion und Ausblick
Die dargelegten Befunde unterstreichen den Charakter der untersuchten demokratiefördernden Modellprojekte als Experimentierräume auch für die politische Medienbildung. Wir konnten am Beispiel ausgewählter Projektkonzepte im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ zeigen, dass diese Projekte vielversprechende Strategien entwickeln, um marginalisierten jungen Menschen (digitale) demokratische Teilhabe zu ermöglichen. Es wird deutlich, dass die Projekte die skizzierten Herausforderungen und Zieldimensionen von politischer Medienbildung – hybride Dilemmaorientierung, Diversifizierung der Formate, Förderung kritischer Medienkompetenzen, machtkritische Wissensvermittlung – in ihren Konzepten reflektieren und aufgreifen. Dabei nehmen die Projekte eine „netzrealistische“ Perspektive ein, die sich den Widersprüchen pädagogischen Agierens im digitalen Raum bewusst ist. Wie die Projekte den benannten Herausforderungen in der konkreten Umsetzungspraxis begegnen und welche Strategien welche Wirkungen (Outcomes) begünstigen, wird sich erst in den kommenden Jahren ihrer Förderlaufzeit (2020–2024) zeigen.
Mit Blick auf die bisherige Ausrichtung der Projekte wird bereits deutlich, dass der Schwerpunkt auf der Entwicklung individueller Kompetenzen und demokratischer Haltungen liegt. Dagegen bleibt die Arbeit mit pädagogischen Institutionen zur Entwicklung und Stärkung demokratischer Verfahren und deren strukturelle Verankerung im digitalen Kontext bisweilen eine Leerstelle. Weiterentwicklungspotenziale für künftige Praxis- und Forschungsprojekte bestehen aus unserer Sicht außerdem darin, demokratietheoretisch problematische Phänomene wie Shitposting (Fielitz und Marcks 2020, 170) und Dark Participation (Borucki et al. 2020, 372), d. h. die absichtsvoll negative bis destruktive Beteiligung im digitalen Raum, stärker in den Blick zu nehmen. Hierfür bedarf es weiterhin kritisch-reflektierter Angebote – und das jenseits von spezialisierten Angeboten der Extremismusprävention, welche häufig mit einem problem- und defizitorientierten Blick auf junge Menschen einhergehen und v. a. auf Zielgruppen fokussiert sind, die sich bereits in Radikalisierungsprozessen befinden (Milbradt et al. 2019). Mit einer sich zunehmend spezialisierenden digitalen Demokratieförderung steigt schließlich der Bedarf, fachliche Orientierungsrahmen auszuhandeln (Hugger 2017, 177), die medienpädagogische Standards und Standards der politischen Bildung (z. B. Beutelsbacher Konsens) gleichermaßen berücksichtigen sowie Entgrenzungsprozesse im Anforderungsprofil an Fachkräfte reflektieren.
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1 Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projekts Programmevaluation „Demokratie leben!“ am Deutschen Jugendinstitut Halle (Saale) entstanden. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) von 2020–2024 gefördert. Für inhaltliche Aussagen tragen die Autor*innen die Verantwortung.
2 Die Evaluation obliegt dem Team der wissenschaftlichen Begleitung der Modellprojekte des Handlungsfelds „Demokratieförderung“. Das multimethodische Evaluationsdesign umfasst u. a. Dokumentenanalysen, Leitfadeninterviews und standardisierte Online-Befragungen mit den Projektmitarbeitenden (ausführlicher siehe Ehnert et al. 2021).
Literatur
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