Einleitung
Im Rahmen der geschlechterspezifischen digitalen Gewalt stand die bildbasierte sexualisierte digitale Gewalt bisher nicht im Fokus. Dies muss und wird sich jedoch zwangsläufig ändern, da das Thema aufgrund technologischer Veränderungen mehr und mehr an Relevanz gewinnt. Dies gilt nicht länger nur für Personen des öffentlichen Lebens, die früher mehr im Fokus standen, weil besonders viel Bildmaterial von ihnen im Internet auffindbar war. Mittlerweile genügt zum Beispiel ein Profilbild in sozialen Medien, um manipulierte Nacktfotos mittels sogenannter „Face-Swap“-Technologie zu erstellen. Diese Technologie ist massentauglich und ihre Anwendung erfordert keine tiefer gehenden technischen Kenntnisse. Während die Erstellung solchen Bildmaterials obschon der hohen Missbrauchsanfälligkeit immer leichter wird, sind die Folgen für die Betroffenen besonders gravierend und nicht selten irreversibel. Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über neue Phänomene in diesem Bereich, die sich in der Beratungstätigkeit von HateAid1 herausbilden. Es ist anzunehmen, dass bildbasierte sexualisierte digitale Gewalt zunehmen wird und hierbei vor allem weiblich gelesene Personen im Fokus stehen werden.
Zur Veranschaulichung der aktuellen Lage wird zunächst eine europaweite Umfrage von HateAid herangezogen2, in der Personen zu Betroffenheit und Beobachtungen hinsichtlich digitaler Gewalt im Allgemeinen befragt wurden. Demzufolge sind vor allem junge Erwachsene von digitaler Gewalt betroffen. Mehr als 90 % haben sie bereits beobachten können und ca. 30 % waren schon selbst betroffen. Nach Geschlecht unterteilt, ist jede zweite junge Frau schon einmal davon betroffen gewesen. Die Umfrage ergab auch, dass 30 % der Frauen Angst davor haben, dass intime Bilder von ihnen ungewollt im Internet verbreitet werden. Dies lässt erkennen, dass für dieses Thema ein Bewusstsein in der Bevölkerung besteht und könnte daraufhin deuten, dass mehr Fälle vorliegen, als bekannt sind. Solche Fälle machen zwar nicht den Großteil der Fälle aus, welche die Beratungsstelle für Betroffene digitaler Gewalt HateAid erreichen, aber es werden mehr. Darüber hinaus zeichnet sich durch den Austausch mit kooperierenden Rechtsanwaltskanzleien ab, dass sich viele Betroffene durchaus auch direkt eine anwaltliche Vertretung suchen und nicht den Umweg über eine gemeinnützige Organisation wählen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sie ihre Geschichte nicht mehrfach darlegen wollen und sich so mehr Diskretion erhoffen.
Aus der Beratungserfahrung lässt sich feststellen, dass weiblich gelesene Personen grundsätzlich anders im digitalen Raum angegriffen werden als Männer. Digitale Gewalt gegen Frauen, besonders gegen Aktivistinnen, Politikerinnen und Journalistinnen, ist sehr explizit sexualisiert und gewaltvoll – Vergewaltigungs- oder Verstümmelungsandrohungen oder -fantasien sind an der Tagesordnung. Heterosexuelle weiße Männer erleben diese Ausprägung digitaler Gewalt deutlich seltener. Digitale Gewalt gegen weiblich gelesene Personen ist auffällig oft allein auf das Geschlecht und die Sexualität reduziert. Eine Auseinandersetzung mit Themen und Inhalten, für die die betroffenen Frauen zum Beispiel aufgrund ihrer aktivistischen oder politischen Tätigkeit stehen oder konkrete Kritik daran, findet meist nicht statt.
Neue technische Möglichkeiten machen es auch technischen Lai*innen möglich, weiblich gelesene Personen durch bildbasierte sexualisierte Gewalt anzugreifen und so besonders effektiv einzuschüchtern. Es gibt Internetseiten und Apps, die sich darauf spezialisiert haben, manipuliertes Bildmaterial, teilweise auch Hardcore-Bewegtbild-Pornografie, von Politikerinnen zu veröffentlichen. Gegen diese Seiten kann nur schwer vorgegangen werden, da sie von den Betreiber*innen im Ausland registriert wurden und weder die Nutzenden noch die Betreiber*innen der Webseiten greifbar sind. Auch auf pornografischen Plattformen mit hohen Nutzendenzahlen nimmt die Verbreitung gefälschter, gestohlener oder ohne Zustimmung der Betroffenen aufgenommener Inhalte zu. Aus dem jährlichen Trendreport der Plattform X-Hamster geht hervor, welche Inhalte am häufigsten auf der Seite gesucht werden. In Kategorie „Sex in der Natur“ tauchen dort die Suchbegriffe „Hidden Cam“, „Exposed“ und „Public“ auf. Dabei handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ungewollt oder unbemerkt aufgenommenes oder verfälschtes Material und nicht um einvernehmlich veröffentlichte Aufnahmen, die keineswegs in Verbindung zu Geschlechtsverkehr im Freien stehen. Darüber hinaus sind die Beteiligungsstrukturen hinsichtlich der Verbreitung dieses Bildmaterials im Internet bisher unzureichend untersucht. Es gibt Netzwerke wie „Slutexposer“ und antifeministische Netzwerke wie „Manosphere“, die u. a. zum Inhalt haben, Frauen effektiv im Internet bloßzustellen und dazu sogar Anleitungen und Manifeste veröffentlichen. Damit soll nicht nur Bildmaterial veröffentlicht werden, sondern auch dafür gesorgt werden, dass es schnell heruntergeladen, weiterverbreitet, geteilt und auf andere Plattformen übertragen wird. Dies soll verhindern, dass die Inhalte verloren gehen, sollte die Internetseite sie löschen. Außerdem sollen personenbezogene Daten (Name, Verknüpfung zu Social-Media-Konten, Adresse) der abgebildeten Person mit dem Bildmaterial verknüpft werden. Die Tatsache, dass sich Menschen die Mühe machen, solche Anleitungen zu erstellen, lässt den Schluss zu, dass dies keine Einzelfälle sind. Vielmehr sind es Gruppen, die sich gezielt im Internet suchen und finden. Anders als für die sogenannten Incels gibt es dazu jedoch bisher kaum Untersuchungen.
Das schockierende an solchen manipulierten Bildern ist, dass sie oft täuschend echt aussehen und die Herstellung keinerlei IT-Kenntnisse voraussetzt. Anders als noch vor ein paar Jahren können Deep Fakes heute mit sogenannten Faceswap-Apps im Handumdrehen erstellt werden. Diese App macht sogar den vermeintlich lustigen Vorschlag, das Gesicht von Freund*innen auf einen Bikinikörper oder ein Playboy-Cover zu montieren. Andere Seiten verleiten die Nutzenden sogar dazu, Bewegtbild-Hardcorepornografie mit den Köpfen anderer Personen zu erstellen.
Auch wenn sich nicht alle Menschen davon trügen lassen, wird es immer Personen geben, die tatsächlich glauben, dass die manipulierten Bilder echt sein könnten. Denn Quellen werden nur selten überprüft und der Gedanke, es könne zumindest nicht auszuschließen sein, dass es echt sei, entsteht schnell. Das Ziel, das hinter dem diffamierenden Bildmaterial steckt, ist es, eine Person zu diskreditieren, zum Schweigen zu bringen (Silencing-Effekt) oder den Zweifel daran zu erwecken, dass diese Person qualifiziert ist, ein bestimmtes Amt zu bekleiden oder sich zu einem bestimmten Thema zu äußern. Allein, dass es ausreicht, diesen Zweifel durch die bloße Verbreitung von Nacktbildern zu sähen, ist eine traurige Erkenntnis.
Was tun? – Möglichkeiten der Strafverfolgung
Fälle bildbasierter sexualisierter digitaler Gewalt können unterschiedliche Straftatbestände des Strafgesetzbuchs und des Nebenstrafrechts erfüllen. Explizit findet sie jedoch kaum eine Erwähnung und gleichzeitig vermag keine der infrage kommenden Normen die besondere Schwere einer Verbreitung solcher Inhalte im Internet abzubilden. Trotz der aktuellen Gefahren dieses Phänomens ist das Recht also kaum oder nur unzureichend darauf vorbereitet. Dies gilt bereits für sexualisierte und misogyne Beleidigungen. Bis die 22 angeklagten Äußerungen gegen Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), deren Verfahren von HateAid unterstützt wurde, für rechtswidrig erklärt wurden, mussten drei Instanzen in drei Jahren durchschritten werden. In der ersten Instanz vor dem Landgericht Berlin entschied eine spezialisierte Pressekammer, dass keine der 22 Äußerungen rechtswidrig war. Beleidigungen werden leider selten ernst genommen. Gerade im politischen Kontext besteht noch oft die Auffassung, dass man solche digitalen Angriffe im politischen Meinungskampf aushalten müsse. Dieses Totschlagargument konnte das Bundesverfassungsgericht glücklicherweise mit Beschluss vom 19.12.2021 ausräumen (Aktenzeichen: 1 BvR 1073/20). Denn wenn Politiker*innen nicht vor digitaler Gewalt und somit auch ihre Persönlichkeitsrechte nicht geschützt werden, muss die Gesellschaft damit rechnen, dass sich in Zukunft niemand mehr für diese Ämter zur Verfügung stellen will. Dies wäre ein immenses Problem für unsere Demokratie. Im Fall von Renate Künast ist insbesondere zu beachten, dass sie als Bundespolitikerin über die notwendigen Ressourcen verfügt, sich mit den Anfeindungen auseinanderzusetzen und die Verantwortlichen zu konfrontieren. Auf der kommunalen Ebene sieht dies anders aus. Dort haben die Angriffe mangels Ressourcen noch gravierendere Folgen und sorgen dafür, dass kommunalpolitische Ämter unbesetzt bleiben.
Tatsächlich wird der Verfolgung von Beleidigungsdelikten keine Priorität beigemessen und ihre gesamtgesellschaftliche Bedeutung oftmals verkannt. Strafverfolgung findet deshalb nur selten überhaupt statt. Häufig wird dies mit dem mangelnden öffentlichen Interesse begründet. Auf diese Weise werden zahlreiche Verfahren auf den Privatklageweg verwiesen und so zur Privatangelegenheit der Betroffenen erklärt. Dies sollte jedoch zumindest in Fällen der Hasskriminalität nicht passieren. Die Vorschrift Nr. 86 RiStBV (Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren) gibt der Staatsanwaltschaft nämlich vor, dass eine Einstellung nicht erfolgen soll, wenn die Beweggründe auf Täter*innenseite menschenverachtend sind. Hiervon sollten auch antifeministische Beweggründe umfasst sein und solche Fälle nie eingestellt werden. Dass dies nicht flächendeckend bekannt ist, fußt teilweise auf mangelnder Fortbildung und Sensibilisierung sowie auf Überlastung der Justiz.
Hinsichtlich der existierenden Straftatbestände lässt sich zunächst festhalten, dass der neue Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung (§ 129a StGB), der seit zwei Jahren in Kraft ist, zwar Beleidigungen im Internet leichter verfolgen lässt. Ausgerechnet Angriffe gegen Personen wegen ihres Geschlechts sind jedoch nicht erfasst, anders als beispielsweise wegen ihrer sexuellen Orientierung. Es ist unerklärlich, wie ein solches Gesetz in einer Zeit beschlossen werden kann, in der großflächig darüber debattiert wird, geschlechtsspezifische digitale Gewalt endlich auch in der Kriminalstatistik auszuweisen.
Eine positive Entwicklung gab es jedoch beim Tatbestand der Bedrohung (§ 241 StGB), der seit April 2021 auch die sexuelle Selbstbestimmung schützt und somit erstmals Vergewaltigungsandrohungen im Internet unter Strafe stellt. Die Schutzlücke war zuvor unverhältnismäßig häufig ausgenutzt worden, vor allem im Internet. Eine Verfolgung war nur in besonders krassen Fällen möglich.
Auch bei der Nachstellung (§ 238 StGB) wurden Anpassungen vorgenommen. Schon zuvor deckte der sogenannte „Stalkingparagraf“, der vor allem für die analoge Welt relevant war, auch einige Fälle digitaler Gewalt ab. Die vorgenommene Änderung ist für den geschlechterspezifischen Kontext sehr relevant. Die Nachstellung im digitalen Raum umfasst nun auch das wiederholte Verbreiten von Bildmaterial, egal ob die abgebildete Person nackt oder bekleidet ist. Ausschlaggebend ist, dass eine mehrfache Verbreitung stattgefunden hat. Auch das Anlegen von Fake-Profilen und das Verbreiten von Inhalten darüber können jetzt Stalkinghandlungen darstellen und nicht mehr als bloße Beleidigung und Verleumdung verfolgt werden.
Fälle bildbasierter digitaler Gewalt können mitunter auch über eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild geahndet werden. Diese Regelung ist nicht im Strafgesetzbuch (StGB), sondern im Kunsturhebergesetz (KunstUrhG) normiert. Das zeigt, welchen Stellenwert dieses Recht hat und wofür es eigentlich geschaffen wurde – jedenfalls nicht um Menschen vor bildbasierten Angriffen auf ihre Intimsphäre in aller Öffentlichkeit zu schützen. Der Strafrahmen in §33 KunstUrhG entspricht mit einer Strafandrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe nur dem der Beleidigung. Selbst sehr gut gemachte pornografische Bildaufnahmen fallen häufig nur unter dieses Recht am eigenen Bild. Kein anderer Straftatbestand bildet dies explizit ab, außer ggf. eine Beleidigung oder Verleumdung, wenn das Bildmaterial echt wirkt und den Anschein erweckt, von der betroffenen Person aufgenommen und verbreitet worden zu sein. Ähnlich wie bei der Beleidigung kommt es häufig zu einer Einstellung des Verfahrens und Verweisung der Betroffenen auf den Privatklageweg.
Anders als die zuvor genannten Straftaten kann das Verschicken von „Dick Pics“ als Verbreitung pornografischer Inhalte gemäß §184 StGB besser verfolgt werden und sollte deshalb immer angezeigt werden. Wichtig ist es, in diesem, aber auch in allen anderen digitalen Zusammenhängen, die Beweise so schnell wie möglich zu sichern – gerade weil Bildmaterial manchmal schon nach einigen Sekunden verschwinden kann, zum Beispiel wenn es als selbstlöschende Nachricht versendet wird.
Nicht zu vergessen ist bei alledem, dass die Plattformen die Hauptakteure bei der Verbreitung von solchem Bildmaterial im digitalen Raum darstellen. Nachdem eine Person das initiale Bildmaterial hochgeladen hat und damit das schadensbringende Ereignis lostritt, fangen die Probleme für die betroffene Person tatsächlich erst an. Das Bildmaterial wird von User*innen geteilt, heruntergeladen und auf anderen Plattformen verbreitet. Das geschieht manchmal sogar ohne menschliches Zutun, denn vor allem kleinere pornografische Plattformen kopieren oder spiegeln einander. So wird für eine Weiterverbreitung gesorgt, selbst wenn der Inhalt bereits auf einer Plattform gelöscht wurde. Damit stehen auch die Plattformen in der Pflicht, gegen bildbasierte digitale Gewalt vorzugehen. Auf europäischer Ebene wurde bereits ein Vorhaben hinsichtlich einer Sonderregelung für Anbieter pornografischer Plattformen in Form einer Verifizierungspflicht durch eine Telefonnummer für den Upload im Rahmen des „Digitalen-Dienste-Gesetzes diskutiert, welches schon sehr weit fortgeschritten war, bis es in letzter Sekunde fallen gelassen wurde. Die Entscheidungsträger*innen konnten sich nicht dazu durchringen, anzuerkennen, dass pornografische Plattformen eine besondere Gefahr darstellen und daher Schutzmechanismen ergriffen werden müssen, um insbesondere Frauen zu schützen. Allein der Fokus auf die großen Netzwerke wie Twitter, Facebook und Co ist nicht mehr ausreichend. Es muss auch dorthin gesehen werden, wo bildbasierte digitale Gewalt enormen Schaden anrichtet – und dafür werden wir uns mit HateAid einsetzen.
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1 HateAid ist eine gemeinnützige Organisation, die sich für Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt und sich auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene gegen digitale Gewalt und ihre Folgen engagiert, vgl. https://hateaid.org/.
2
HateAid (2021). Grenzenloser Hass im Internet – Dramatische Lage in ganz Europa. Online verfügbar unter hateaid.org/eu-umfrage-grenzenloser-hass-im-internet/ (abgerufen am 31.05.2023).
Josephine Ballon ist Rechtsanwältin und Head of Legal der gemeinnützigen Organisation HateAid gGmbH, die Betroffene digitaler Gewalt berät und bei der Rechtsdurchsetzung unterstützt.