Einführung
Wir leben in einer Zeit akuter, sich teilweise überlagernder und gegenseitig bedingender Krisen: Pandemie, Kriege, Inflation, Energiekrise, Klimakrise, Flucht und Vertreibung. Mitunter ist auch die Rede von einer „globalen Polykrise“ (Lawrence et al. 2024) im Sinne einer kausalen Verknüpfung und wechselseitigen Beeinflussung unterschiedlicher globaler Krisen. Hinzu kommen Krisenerzählungen, wie das alte, aber nach wie vor effektive Narrativ vermeintlich „krimineller Migrant*innen“. Diese (tatsächlichen oder vermeintlichen) Krisen rufen Verunsicherung, Angstgefühle und Zukunftssorgen hervor (Spiegel Online 2022; Zeit Online 2023).
Im oftmals medial verstärkten politischen Diskurs wird auf Unsicherheitswahrnehmungen mit einem Ruf nach repressiven Maßnahmen in unterschiedlichen Politikbereichen reagiert. Dazu gehören eine Erhöhung der Polizeipräsenz, eine konsequente Strafverfolgung, eine Ausweitung des Strafrechts bzw. eine Erhöhung der Strafdrohungen und der Strafpraxis (Epik 2024), eine stärkere Kontrolle von Migration oder eine stärkere Polizierung bestimmter Gruppen (Singelnstein und Kunz 2021). Ob diese Ansätze geeignet sind, die vielfältigen Ursachen von Unsicherheit und Angst in ihrem Kern zu adressieren, erscheint jedoch zweifelhaft. So führt eine verstärkte Polizeipräsenz in bestimmten Nachbarschaften oft nicht zu der erhofften Erhöhung von Sicherheit, sondern zu einer räumlichen Verdrängung von Kriminalität (Ullrich und Tullney 2012). Hinzu tritt das Risiko, dass entsprechende Maßnahmen diskriminierende Praktiken wie Racial Profiling fördern können (Flacks 2018). Auch härtere Strafen haben kriminologischen Studien zufolge keinen signifikanten abschreckenden Effekt (Singelnstein und Kunz 2021). Die Kontrolle von Migration ist angesichts enormer globaler Ungleichheiten und komplexer Ursachen kaum zu bewältigen – jedenfalls nicht, ohne rechtsstaatliche Prinzipien zu unterlaufen. Entsprechende Versuche führen zudem regelmäßig zu einer unverhältnismäßigen Härte gegenüber den Betroffenen.
Gerade Bewohner*innen von Städten sind aufgrund des Zusammenlebens ganz unterschiedlicher Menschen in einem vergleichsweise begrenzten Raum mit den aus den globalen Krisen resultierenden Auswirkungen konfrontiert. Daher hat sich das Forschungsprojekt „Räume der Sicherheit in unsicheren Zeiten: Eine sichere Stadt für alle“ der Frage angenommen, welche Konzepte es braucht, um das urbane Sicherheitsempfinden zu erhöhen, ohne auf Maßnahmen mit stigmatisierender oder exkludierender Wirkung zurückzugreifen.
Im Rahmen von zehn partizipativen Workshops wurden im Sommer 2023 die Perspektiven von 125 Hamburger*innen auf das Thema städtische (Un-)Sicherheit zusammengetragen und erörtert. Konkret sollten die Teilnehmer*innen diskutieren, welche Räume, Praktiken, Infrastrukturen und Institutionen ihnen bereits Sicherheit vermitteln und wie das lokale Sicherheitsempfinden angesichts multipler Krisen und Krisenerzählungen weiter gestärkt werden könnte. Um den Sicherheitsverständnissen und -interpretationen der Teilnehmer*innen Raum zu geben, wurde der Sicherheitsbegriff nicht vorab definiert. Die Teilnehmer*innen wurden vielmehr ermutigt, Sicherheit für sich zu definieren. Dabei zeigte sich, dass der Begriff durchaus sehr unterschiedlich verstanden und konzeptualisiert wird. Neben offenen Nachbarschaftsworkshops wurden gezielt auch die Perspektiven von Gruppen erhoben, die in öffentlichen Debatten um Sicherheit oft marginalisiert werden. So brachten Menschen mit Rassismuserfahrungen, FLINTA*-Personen, Schüler*innen sowie Menschen mit Behinderungen ihre Wahrnehmungen in Bezug auf (Un-)Sicherheit in Hamburg in speziell für sie veranstalteten Workshops ein. Dieser Beitrag stellt die Ergebnisse des Forschungsprojekts vor und umreißt Facetten einer sicheren Stadt aus der Perspektive von Hamburger*innen.
Sicherheit: ein umkämpfter Begriff
Der Themenkomplex „Sicherheit“ spielt seit Längerem eine zentrale Rolle im politischen und gesellschaftlichen Diskurs, wobei in der öffentlichen Debatte oftmals ein enger Begriff von Sicherheit im Sinne einer Abwehr von Gefahren durch äußere Einflüsse dominiert, während sozio-ökonomische oder communityorientierte Dimensionen von Sicherheit in den Hintergrund rücken. Dieses traditionelle Sicherheitsverständnis konzentriert sich primär auf physische Bedrohungen und deren Prävention, etwa im Bereich des Schutzes vor Eigentumsdelikten oder Gewaltverbrechen (Zedner 2009). Dabei wird Sicherheit oft als Abwesenheit von Gefahr verstanden, was jedoch die komplexen sozialen und ökonomischen Faktoren, die Unsicherheit bedingen können, weitgehend außer Acht lässt. Gerade im Blick auf den klassischen Sicherheitsdiskurs zeigen sich zunehmend gesellschaftliche Spannungen: Proteste gegen Polizeigewalt – etwa im Zusammenhang mit den Black Lives Matter-Demonstrationen im Sommer 2020 – und Racial Profiling verdeutlichen, dass in pluralisierten Gesellschaften kein homogenes Sicherheitsverständnis vorherrscht. Während einige eine erhöhte Polizeipräsenz als sicherheitsstiftend wahrnehmen, sehen andere darin eine Bedrohung ihrer Sicherheit oder körperlichen Unversehrtheit.
Dass ein Verständnis von Sicherheit immer auch lokal, gruppen- und kontextabhängig ist, wird auch in der Sicherheitsforschung zunehmend thematisiert (Crawford und Hutchinson 2016; Jarvis 2019; Nyman 2021). So wird im Rahmen von Forschung zu alltäglicher Sicherheit oder „vernacular security“ gefragt, wie „normale Menschen“ Erfahrungen von Sicherheit und Unsicherheit im Alltag in ihrer eigenen Sprache, mit ihren kulturellen Wissensrepertoires und Verstehenskategorien interpretieren und artikulieren (Croft und Vaughan-Williams 2017).
Vaughan-Williams (2021, 5) problematisiert am Beispiel der Grenzsicherheit, dass „die Öffentlichkeit“ so dargestellt werde, als fordere sie ausnahmslos eine härtere und abschreckende Grenzsicherung. Dies führe dazu, dass ein geschlossenes und sich selbst erhaltendes politisches Paradigma entstehe, das alternative Politiken unmöglich erscheinen ließe. Eine Auseinandersetzung mit den Alltagsverständnissen „normaler“ Menschen jedoch störe dieses Narrativ, da sie vielfältige, sich teils widersprechende und alternative Sicherheitsverständnisse offenbarten. Die Ergebnisse des hier vorgestellten Forschungsprojekts zeigen, dass dieser Befund nicht nur für Verständnisse von Grenzsicherheit gilt, sondern auch für Debatten um urbane (Un-)Sicherheit. Zwar artikulierten die Teilnehmer*innen in den Workshops mitunter den Wunsch nach stärkerer Repression im Blick auf bestimmtes deviant gelabeltes Verhalten oder bestimmte Deliktsbereiche, allerdings offenbarten sie vielfach auch alternative Sicherheitsverständnisse und schlugen – wie im Folgenden näher dargestellt – konkrete Lösungsansätze vor.
Sicherheit als Gemeinschaft
So wurde workshop- und gruppenübergreifend betont, dass insbesondere nachbarschaftliche Strukturen und ein Gemeinschaftsgefühl im eigenen Stadtteil zentral seien, um das Sicherheitsgefühl zu stärken. Begegnungen auf Augenhöhe sowie ein gleichberechtigtes, solidarisches und respektvolles Mit- und Füreinander sahen viele Teilnehmer*innen als unverzichtbar für eine sichere Stadt. Möglichkeiten des niedrigschwelligen Austauschs, des gegenseitigen Kennenlernens und der Vernetzung wurden konsistent als sicherheitsstiftend benannt. Hamburger*innen wünschen sich insbesondere Begegnungsorte ohne Konsumzwang, an denen die Stadt(teil)bewohner*innen zusammenkommen und sich kennenlernen können. Zudem nannten Teilnehmer*innen gemeinschaftliche Freizeitgestaltungsmöglichkeiten wie multikulturelle Nachbarschaftsfeste und die gemeinschaftliche Gestaltung von öffentlichen Räumen als wichtige Elemente einer sicheren Stadt für alle. In diesem Zusammenhang wurde auch ehrenamtliches Engagement für und in der Stadtgesellschaft wiederholt hervorgehoben. Viele Teilnehmer*innen wünschten sich eine stärkere Einbeziehung in die Belange ihrer Wohnumgebung. Auch Stadtteilversammlungen und andere Formate der Beteiligung von Anwohner:innen wurden als sicherheitsstiftend benannt.
Sicherheit als sichere Lebensgrundlagen
Angesichts der im Erhebungszeitraum sprunghaft gestiegenen Inflation und der Wohnungskrise in Ballungsgebieten wenig überraschend – in der Deutlichkeit der Artikulation, aber gleichwohl bemerkenswert – war die Betonung von Existenzsicherung und bezahlbarem Wohnraum als essenzieller Bestandteil individueller Sicherheit. Gefordert wurden in diesem Zusammenhang unterschiedliche Maßnahmen, wie die Förderung von genossenschaftlichem und öffentlichem Wohnungsbau, aber auch ein Mietendeckel oder gar Enteignungen. Zu denken gibt, dass gerade Schüler*innen diese Bereiche als aus ihrer Sicht sicherheitsbedrohend identifizierten. Hamburger*innen sehen sich also mitunter schon in jungen Jahren mit ökonomischer Unsicherheit und mangelnden Perspektiven im Blick auf bezahlbaren Wohnraum in der Stadt konfrontiert. Gruppen- und workshopübergreifend bestand Einigkeit darüber, dass soziale und finanzielle Sicherheit zu den Rahmenbedingungen von Sicherheit gehören und dass eine gesellschaftliche Teilhabe bei prekären finanziellen Lebensumständen nur in eingeschränktem Umfang möglich ist. Armut und soziale Ungleichheit wurden dementsprechend als Hemmnisse für eine sichere Stadt identifiziert.
Sicherheit als Schutz für vulnerable und marginalisierte Menschen
Die Problematisierung von Armut und Ungleichheit unter dem Gesichtspunkt städtischer Sicherheit wurde in zweifacher Hinsicht diskutiert. Die Teilnehmer*innen zeigten ein hohes Maß an Bewusstsein für die Vulnerabilitäten einzelner Gruppen und die Notwendigkeit, diesen Rechnung zu tragen. So war Barrierefreiheit eine der zentralen Visionen einer sicheren Stadt für alle. Dies schloss den inklusiven Zugang zu öffentlichen Räumen und Einrichtungen sowie zum öffentlichen Personennahverkehr mit ein, der oftmals als mangelhaft wahrgenommen wurde. Auch Maßnahmen der Sensibilisierung und Aufklärung wurden angeregt, um das Bewusstsein für vielfältige Barrieren zu schärfen sowie Diskriminierungen und Übergriffen gegenüber marginalisierten Gruppen entgegenzuwirken. Daneben wurde gefordert, die Stadt- und Verkehrsplanung an den Schwächsten auszurichten und auf diese Weise sicherzustellen, dass die Planung „für alle“ funktioniere. Insbesondere die Gefährdung von Kindern im Straßenverkehr wurde hervorgehoben. Gefordert wurde insgesamt eine räumliche Abtrennung von Fußwegen, Radwegen und Straße, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer*innen zu erhöhen.
Zugleich problematisierten Teilnehmer*innen bestimmte Verhaltensweisen marginalisierter Gruppen – insbesondere den Konsum von Betäubungsmitteln im öffentlichen Raum –, welche ihr eigenes Sicherheitsempfinden mitunter negativ beeinflussten. Im Blick auf das Konsumverhalten süchtiger Menschen wurde die Gefährdung von Kindern durch die Verunreinigung insbesondere von Spielplätzen hervorgehoben. Allerdings wurde als Reaktion nicht eine schlichte Verdrängungsstrategie forciert, sondern darauf hingewiesen, dass es Drogenkonsumräume und konsumtoleranter Notschlafstätten bedürfe. Für wohnungslose Menschen wurde vorgeschlagen, das Programm „Housing First“ auszubauen, dass der Unterbringung von Menschen in Wohnungen Priorität vor anderen Interventionen einräumt. Auch der Ausbau sicherer Rückzugsorte für obdachlose Menschen wurde vielfach angeregt, ebenso wie die Gewährleistung und Finanzierung der aufsuchenden Sozialarbeit. Die Bewältigung von Konflikten solle möglichst im Vorfeld polizeilicher Sachbearbeitung erfolgen; der Einsatz von Polizei könne bei komplexen Problemlagen für sich genommen keine nachhaltige Situationsverbesserung bewirken. So gab es beispielsweise den Vorschlag, Anlaufstellen für „Notsituationen“ zu schaffen, welche von Sozialarbeiter*innen besetzt sein könnten.
Traditionelle Sicherheitsverständnisse
Wie eingangs erwähnt fanden sich – wenig überraschend – auch Bezugnahmen auf ein traditionelles Sicherheitsverständnis. Regelbrüche sollten nach dem Wunsch vieler Teilnehmer*innen konsequent verfolgt und geahndet werden, allerdings wurde betont, dass es dabei „gerecht“ zugehen und eine Gleichbehandlung aller von Seiten staatlicher Institutionen zwingend gewährleistet werden müsse. Die Ausstattung der Justiz wurde in diesem Zusammenhang bemängelt, teils wurden auch schnellere Gerichtsverfahren gewünscht.
Die Polizei spielte insgesamt eine ambivalente Rolle. Während viele Teilnehmer*innen sich eine bürgernahe, ansprechbare und sichtbare Polizeipräsenz durchaus wünschten, nahmen andere die Polizei als potenziell bedrohlich und grenzüberschreitend wahr und wünschten sich einen Ausbau sozialer Strukturen, um sozialen Herausforderungen im Vorfeld polizeilicher Sachbearbeitung begegnen zu können. Insbesondere eine potenzielle Diskriminierung migrantisch gelesener Jugendlicher und Kinder durch die Polizei wurde befürchtet. Dass Rassismus in der Polizei ein Problem darstellt, ist inzwischen auch für Deutschland belegt (Hunold und Singelnstein 2022), wird jedoch in der Mehrheitsgesellschaft vergleichsweise selten thematisiert. Teilnehmende Schüler*innen wünschten sich eine höhere Transparenz der Polizeiarbeit, die sie teils als willkürlich wahrnahmen. Diese Aussagen kontrastieren mit den Ergebnissen quantitativer Erhebungen (Hauber et al. 2024) und lassen sich möglicherweise mit der dezidierten Einbeziehung marginalisierter Perspektiven in die vorliegende Studie erklären.
Ebenfalls an klassische Sicherheitsdiskurse anknüpfend wurde in allen Workshops eine bessere Beleuchtung des öffentlichen Straßenraumes, aber auch von Wegen in Grünanlagen gefordert. Eine mangelnde Beleuchtung wurde insbesondere von nicht-männlichen Teilnehmer*innen als für ihr Sicherheitsempfinden in hohem Maße abträglich identifiziert. Berichtet wurde von unterschiedlichen Anpassungsstrategien, etwa Umwegen oder ostentativ geführten Telefonaten.
In Kontrast zu den häufig reflexartig erfolgenden Forderungen nach härteren Strafen (Epik 2024), einem Ausbau von Überwachungstechnologien und einer konsequenten Polizierung bestimmter Orte blieben entsprechende Forderungen überwiegend aus. Dieser Befund ist besonders bemerkenswert, weil er in einem Spannungsverhältnis zu den politisch initiierten „Sofortmaßnahmen“ in sogenannten „Problembezirken“ steht.
Marginalisierte Perspektiven
Die Belange marginalisierter Gruppen wurden in vielen Workshops diskutiert und keinesfalls nur von den Betroffenen selbst zur Sprache gebracht. Es ist jedoch sinnvoll, gerade auch den Sicherheitsverständnissen und -visionen derjenigen Raum zu geben, die in öffentlichen Debatten entweder unsichtbar bleiben oder aber selbst als (vermeintliche) Sicherheitsprobleme diskutiert werden. In unseren Workshops waren dies vor allem queere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit (familiärer) Migrationsgeschichte sowie Jugendliche.
Menschen mit Behinderungen sahen sich im öffentlichen Raum speziellen Herausforderungen ausgesetzt, die sich negativ auf ihr Sicherheitsempfinden auswirkten. Die bereits erwähnte mangelnde Barrierefreiheit von öffentlichen Einrichtungen und des öffentlichen Personennahverkehrs stellte hierbei ein wichtiges Thema dar. Des Weiteren betonten sie, dass unübersichtliche Räume wie große Bahnhöfe und schlecht beleuchtete Ecken sowie kurzfristige Änderungen im Straßenbild – beispielsweise durch unangekündigte Baustellen – für sie mit großen Herausforderungen verbunden seien.
Während Menschen mit Behinderungen in öffentlichen Debatten um Sicherheit kaum vorkommen, werden Jugendliche und Menschen mit (familiärer) Migrationsgeschichte oft als Bedrohung oder Störfaktor wahrgenommen. Allerdings führt auch das dazu, dass ihre eigenen Perspektiven auf das Thema Sicherheit kaum wahrgenommen und diskutiert werden. So fühlten sich Jugendliche in unseren Workshops durch politische Debatten in ihren Stadtteilen nicht repräsentiert. Auch von vorhandenen kulturellen Angeboten fühlten sie sich nicht abgeholt, wünschten sich aber dezidiert eine bessere Teilhabe in ihrer Nachbarschaft. Eine Gruppe von Schüler*innen schlug in diesem Zusammenhang vor, eine App „in Jugendsprache“ zu entwickeln, die auch jüngere Menschen über Angebote und Aktivitäten in ihrem Stadtteil informiert.
Menschen mit (familiärer) Migrationsgeschichte betonten demgegenüber die Bedeutung mehrsprachiger Angebote – nur so ließen sich insbesondere in diversen Stadtteilen alle Gruppen erreichen. Auch die Bedeutung Leichter Sprache und verständlicher Kommunikation, insbesondere von Behörden, wurde vielfach hervorgehoben. Die Arbeit von Sprachmittler*innen und Beratungsstellen müsse mehr Anerkennung erfahren und eine ausreichende Finanzierung erhalten. Zudem wurde der Wunsch geäußert, dass gesellschaftliche Vielfalt als Stärke und Bereicherung statt als Bedrohung wahrgenommen wird. Dazu sei eine Änderung des Interkulturalitätsverständnisses erforderlich, weg vom Präsentieren vermeintlich „fremder“ Kulturen hin zu einer gemeinschaftlichen Verantwortungsübernahme für gesellschaftliche Prozesse.
Insbesondere Frauen und queere Menschen betonten, dass auch Unsicherheit im häuslichen Umfeld mitgedacht werden müsse. Gerade für diese Gruppen könne das von der Mehrheitsgesellschaft als „sicherer Rückzugsraum“ wahrgenommene häusliche Umfeld ein hohes Sicherheitsrisiko bergen. Für Menschen in akuten Krisensituationen stellten daher Schutzräume essenzielle Bestandteile einer sicheren Stadt dar, die angesichts der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt dringend ausgebaut werden müssten.
Im öffentlichen Raum hingegen wurden Queerfeindlichkeit und Rassismus als Bedrohungen identifiziert. In der Konsequenz wurden Awareness-Programme in Bildungseinrichtungen und Behörden sowie breitere Sensibilisierungskampagnen in der Öffentlichkeit angeregt, um Diskriminierungen entgegenzuwirken. Queere Menschen betonten, dass eine geschlechtersensible Sprache im Umgang mit Behörden für ihr Sicherheitsempfinden zentral sei. Auch die Einrichtung von Rückzugsorten zur Vernetzung innerhalb von Communitys und sichere Räume für Frauen und queere Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln wurden mehrfach gefordert.
Fazit
Abschließend lässt sich festhalten, dass gesellschaftliche Verständnisse von Sicherheit vielfältiger sind, als dies in medialen und politischen Debatten oftmals suggeriert wird. Zwar wünschten sich Teilnehmer*innen durchaus eine ansprechbare und präsente Polizei, sahen teilweise aber auch Probleme in deren Auftreten, gerade gegenüber marginalisierten Gruppen. Zudem bedeutete Sicherheit für die Teilnehmer*innen deutlich mehr als Polizei und Repression: Insbesondere nachbarschaftliche Beziehungen und Strukturen sowie die Absicherung der Lebensgrundlagen wurden als zentral für das eigene Sicherheitsempfinden in krisenhaften Zeiten benannt. Auch Möglichkeiten der Beteiligung und Gestaltung der eigenen Nachbarschaft sowie Räume und Infrastrukturen für vulnerable Gruppen wurden workshopübergreifend diskutiert. Zudem wurde deutlich, dass Menschen mit Diskriminierungserfahrungen von den gleichen Verunsicherungen betroffen sind wie die Mehrheitsgesellschaft, etwa hinsichtlich der Inflation oder der Wohnungs-, Energie- und Klimakrise, zusätzlich aber weiteren Herausforderungen gegenüberstehen – insbesondere Rassismus, Queerfeindlichkeit, partnerschaftlicher Gewalt und Übergriffen im öffentlichen Raum. Dieser nuancierte Blick auf das Konzept der Sicherheit zeigt das Potenzial partizipativer Methoden, neue Visionen von Sicherheit zu erarbeiten und überkommene Denkmuster aufzubrechen.
Nina Perkowski, Prof. Dr., ist Juniorprofessorin für Soziologie, insbesondere Gewalt- und Sicherheitsforschung an der Universität Hamburg. Sie forscht dazu, wie Grenzen innerhalb von und um europäische Gesellschaften gezogen, imaginiert und verhandelt werden und untersucht das Zusammenspiel von Sicherheit und Gewalt in verschiedenen Kontexten.
Aziz Epik, Prof. Dr., ist Juniorprofessor für Strafrecht, Internationales Strafrecht und Kriminologie an der Universität Hamburg. Er forscht zum Einsatz des Strafrechts als Mittel der Migrationskontrolle, zu Fragen struktureller Diskriminierung im Strafrecht und zum Internationalen Strafrecht.
1 Gemeint ist im vorliegenden Zusammenhang die Fokussierung von Ressourcen der Sicherheits- und Ordnungsbehörden, aber auch privater Sicherheitsakteur*innen auf bestimmte Personengruppen.
2 Am Projekt beteiligt waren Tabea Louis als Projektkoordinatorin, Laura Reyes Pollak und Mara Papenhagen als wissenschaftliche Hilfskräfte sowie Margarete Kleintges und Maria Tsantis als studentische Hilfskräfte. Es wurde durch die Landesinnovationsförderung der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke der Freien und Hansestadt Hamburg gefördert.
3 Die Workshops dauerten in der Regel zwei Stunden und nutzten das Ketso-Toolkit, das Phasen der Einzelreflexion, der Kleingruppendiskussion und des Austauschs im Plenum miteinschließt. Zur Forschungsmethode, zum Aufbau der Workshops, ihrer geografischen Verteilung im Stadtgebiet sowie zum Prozess der Dokumentation und Auswertung im Einzelnen siehe Perkowski et al. 2023.
4 FLINTA* ist ein Akronym, das verschiedene Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen umfasst. Es steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche Personen, nicht-binäre Personen, trans* Personen und Agender-Personen. Das * zeigt an, dass auch andere Geschlechtsidentitäten und Orientierungen eingeschlossen sind.
5 Siehe etwa taz.de/Black-Lives-Matter-Demonstrationen/!5687715/ (27.8.2024).
6 Für eine vollständige Darstellung der Workshops vgl. Perkowski et al. 2023.
7 In einem Workshop mit Schüler*innen kam es jedoch zu stark punitiven Einstellungen (siehe Perkowski et al. 2023).
Literaturverzeichnis
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