Bedrohtes Engagement – über Gefährdungen und Gegenstrategien der lokalen Zivilgesellschaft Interview mit Svea Wunderlich (PfD Stadt und Landkreis Greiz) und Katja Nonn (PfD Ilm-Kreis)


Alltäglich setzen sich Menschen in ihrem direkten Umfeld für ein demokratisches, vielfältiges Zusammenleben ein. Aufgrund ihres Engagements sehen sie sich jedoch oftmals Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt. Im Kontext der verstärkten Etablierung und Normalisierung extrem rechter Einstellungen und Politik, wie sie in Thüringen im Zuge der 2024er-Wahlen besonders zu beobachten war, erhöht sich der Druck auf die demokratische Zivilgesellschaft weiter. Gleichzeitig werden die demokratisch, antifaschistisch und antirassistisch Engagierten oft als das zentrale Bollwerk gegen rechtsextreme Bestrebungen betrachtet. Wie können zivilgesellschaftliche Akteur*innen zu einer sichereren Gesellschaft für alle beitragen, wenn sie selbst massiven strukturellen, gewaltvollen und alltäglichen Unsicherheiten ausgesetzt sind? Im Interview spricht Viktoria Kamuf mit Katja Nonn von der Partnerschaft für Demokratie (PfD) Ilm-Kreis und Svea Wunderlich von der PfD Stadt und Landkreis Greiz über die vielfältigen Bedrohungslagen, denen sich zivilgesellschaftlich Engagierte in diesen Regionen alltäglich ausgesetzt sehen, und die unterschiedlichen Gegenmaßnahmen, die sie daraufhin entwickelt haben.


 

Empfohlene Zitierung:

Wunderlich, Svea/Nonn, Katja/Kamuf, Viktoria (2024). Bedrohtes Engagement – über Gefährdungen und Gegenstrategien der lokalen Zivilgesellschaft. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Sicherheit – Schlüsselbegriff einer offenen Gesellschaft, Band 16. Jena, 154–165.

Schlagwörter:

Zivilgesellschaft, Engagement, Demokratieförderung, Bedrohung, Rechtsextremismus

 

Vorspann1

Die Partnerschaften für Demokratie (PfD) sind angesiedelt in den kreisfreien Städten und Landkreisen und haben zum Ziel, lokales und regionales demokratisches Engagement zu fördern, bereits bestehende Akteur*innen zu vernetzen und eine Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Verwaltung zu bilden. Darüber hinaus setzen sie eigene Projekte um bzw. fördern Projekte von lokalen Initiativen. Eingesetzt und finanziert werden die PfD über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ sowie das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.

Die Stadt und der Landkreis Greiz liegen im Südosten Thüringens an der Landesgrenze zu Sachsen. Entstanden aus einer Initiative des Kirchenkreises Greiz im Jahr 2014, die zunächst als „LAP-ähnliche“2 Initiative vom Thüringer Bildungsministerium gefördert wurde, befindet sich der LAP/die PfD seit 2017 in Trägerschaft der Stadt Greiz. Dies ist eine Besonderheit im Gegensatz zu anderen Regionen Thüringens, wo die PfD üblicherweise an die Landkreise angesiedelt sind. Der Landkreis Greiz unter der CDU-Landrätin Martina Schweinsburg (im Amt von 1994 bis 2024) sah bislang allerdings keine Veranlassung, das Projekt zu beantragen und zu übernehmen. Besondere überregionale Bekanntheit erlangte die Region zuletzt als Wahlkreis von Björn Höcke, dem Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten der AfD Thüringen. Aus wahltaktischen Gründen wechselte er Anfang 2024 zum Wahlkreis Greiz II (MDR Thüringen 2024) unterlag aber bei der Landtagswahl am 1. September 2024 dem Kandidaten der CDU, Christian Tischner, und konnte kein Direktmandat erringen.

Der Ilm-Kreis befindet sich südlich der Landeshauptstadt Erfurt im Zentrum Thüringens. Regionale Zentren sind die beiden kleinen Mittelstädte Arnstadt und Ilmenau. Die dortige PfD ist am Landkreis angesiedelt und besteht bereits seit 2007. In einer Situations- und Ressourcenanalyse des IDZ Jena von 2021 gaben deutlich mehr als die Hälfte der interviewten Akteur*innen aus dem Ilm-Kreis an, schon einmal im Kontext ihres Engagements angefeindet, bedroht oder im Einzelfall sogar körperlich angegriffen worden zu sein (Richter und Salheiser 2021).

Interview: Bedrohtes Engagement – über Gefährdungen und Gegenstrategien der lokalen Zivilgesellschaft

Viktoria Kamuf
Svea, wie sieht das Engagement gegen rechts in Greiz aus und welche Akteur*innen sind dort aktiv?

Svea Wunderlich
Es gab hier schon immer eine aktive Szene gegen rechts, allerdings abgesehen von der Kirche keine größere institutionelle wirkmächtige Struktur. Wir haben einen politischen Verein, der seit Jahren aktiv ist, aktive Einzelpersonen und seit Februar 2024 ein Bürger*innenbündnis namens Kolibri. Das sind die Menschen, die sich bewusst sind, dass sie mit den Konsequenzen einer Wahl von Höcke und anderen AfD-Leuten hier nicht leben wollen und sich deswegen engagieren. Ein Problem ist, dass wir hier in der PfD unterjährige Verträge haben. Dieses Jahr konnte ich zwei Monate eigentlich gar nicht arbeiten, weil es keine Förderzusagen gab. Also alles, was hier im größeren Stil gefestigt werden könnte, kann nicht gefestigt werden, weil über die Förderprogramme keine Regelstruktur gebildet wird. Das wäre hier äußerst notwendig. Durch die immer noch nicht erfolgte Verabschiedung des Demokratiefördergesetzes3 sind viele Aktive inzwischen zurückhaltend, ausgebrannt und schockiert. Schockiert auch, dass Björn Höcke als Direktkandidat überhaupt zugelassen wurde – oder andere Personen wie der Neonazi Tommy Frenck im Landkreis Hildburghausen.4 Doch das ist das Abbild dieser Gesellschaft. Vielen Menschen ist es egal, ob Politiker*innen offen rechts agieren, Hauptsache, die machen irgendetwas „anders“. Das ist tatsächlich die Einstellung von den Menschen, die entweder demokratieskeptisch eingestellt sind oder zur Klientel der Nichtwähler*innen gehören. Da gibt es keine Gemeinde, Kommune oder Stadt, die man davon ausnehmen könnte, das kann man über den gesamten Landkreis so sagen.

Viktoria Kamuf
Katja, wie würdest du die aktuelle gesellschaftliche Stimmung und damit verbundene Bedrohungslagen für demokratische Akteur*innen im Ilm-Kreis beschreiben?

Katja Nonn
Die Lage ist im Moment aus meiner Sicht nicht ganz so ernst wie in Greiz. Aber es gab zuvor natürlich jahrelang eine konkrete Problemlage. Zudem muss klar gesagt werden, dass zivilgesellschaftliche Akteur*innen hier mit Bedrohungen konfrontiert sind. Das reicht von „harmloseren“ Sachen wie irgendeinem Spruch beim Einkaufen bis hin zu zusammengestückelten Drohbriefen. Das hat sich nicht zum Besseren entwickelt, sondern bei vielen Betroffenen ist Resignation eingetreten. Der Druck, der aus den Kommunalparlamenten auf die Zivilgesellschaft, auf Bündnisse usw. ausgeübt wird, nimmt zu. Wenn die AfD bei einem Projekt unser Förderlogo sieht, dann kann es passieren, dass Verleumdungskampagnen gestartet werden oder mit Fördermittelentzug und Jobverlust gedroht wird. Das betrifft in erster Linie uns, also die Personen, die direkt bei der PfD arbeiten. Aber auch andere. Wenn zum Beispiel ein Fest organisiert wird, das die PfD fördert, können die Organisator*innen des Festes auch in den Blick der Rechten geraten. Wenn die AfD hingegen etwas nicht verhindern kann, dann versuchen sie, das Projekt oder die Initiative arbeitsunfähig zu machen, zu verharmlosen und zu entpolitisieren. Konkret zeigt sich das am Beispiel des Kinder- und Jugendgremiums in Arnstadt, das eigentlich dafür da ist, Jugendliche zu animieren, sich zu engagieren. Die Außenwahrnehmung ist: Das ist ein reines Partygremium geworden. Das führt zu Konflikten und legt die Arbeit lahm.

Viktoria Kamuf
Gibt es Menschen, die sich vor Ort diesen Entwicklungen entgegenstellen?

Katja Nonn
Dankenswerterweise haben wir einen stabilen Kern von vergleichsweise wenigen Leuten, die dabeibleiben, engagiert sind, coole Ideen haben und sich sagen „jetzt erst recht“. Als vor ein paar Jahren THÜGIDA nach Arnstadt kam, gab es Gegenproteste, die sich für so eine kleine ländliche Region sehen lassen konnten. Aber auch dort merkte man den Engagierten bereits die Ermüdungserscheinungen an. Zudem gibt es eine große Mehrheit, der das eher egal ist. Aktionen wie der seit einigen Jahren vom Bürger*innenbündnis Arnstadt organisierte „Tag der Demokratie“ erreichen gefühlt immer die gleichen Leute und die, die wir eigentlich erreichen wollen, erreichen wir nicht. Das kann ich auch verstehen, denn dazu müsste man in Viertel gehen, in denen ich mich nicht mehr sicher fühlen würde.

Viktoria Kamuf
Ihr beschreibt beide, dass es eine kontinuierliche, aktive rechte Szene bei euch gibt. Gleichzeitig nimmt die Bevölkerung das teilweise gar nicht unbedingt als eine Bedrohung wahr. Katja, du hast schon verschiedene Formen der Bedrohung und Anfeindungen, die ihr wahrnehmt, benannt. Svea, wo und für wen treten bei euch vor Ort Unsicherheiten oder Bedrohungen auf?

Svea Wunderlich
Es betrifft verschiedene Akteur*innen. Das geht los bei den Mandatsträger*innen, die sind immer Angriffen ausgesetzt. Diese sind manchmal machtkampfpolitisch bedingt, aber das geht auch in die Tiefe. Es geht zum Beispiel oft darum, das Förderprogramm und uns als Demokratiearbeiter*innen zu delegitimieren. Da wird dann zum Beispiel versucht, den Bürgermeister davon abzubringen, seine Unterschrift unter unsere Vorhaben und Förderbescheide zu setzen. Bedrohliche E-Mails kenne ich auch, die kann man super abspeichern. Was man nicht so gut abspeichern kann, ist ein Gespräch. Bedrohungslagen für die Koordinierungs- und Fachstelle der PfD sind meist persönlicher Natur und kommen gern per Anruf. Tatsächlich nicht unbedingt von auffälligen Akteur*innen aus der AfD oder dem rechten Spektrum, sondern von „Wutbürger*innen“, die hier anrufen und sich irgendwie Luft machen.

Angriffe auf die Zivilgesellschaft gibt es hier schon immer, vor allem in Form von Sachbeschädigungen. Es gibt hier einen politischen Verein, dort werden Fenster eingeschlagen, Personen regelmäßig auf dem Nachhauseweg verfolgt, mit Bierflaschen beworfen, bis hin zu tötungsabsichtlichen Nachrichten an öffentlichen Gebäuden. Bei Bedrohungslagen dieser härteren Art haben wir mit der Betroffenenberatungsstelle ezra Kontakt aufgenommen und mit dem Innenministerium, weil die Drohung einen Mandatsträger betraf. Viel geändert hat das aber nicht, sage ich mal vorsichtig. Die viel größere Blase ist das Internet und geschlossene Gruppen auf Social Media. Wir haben eine starke, radikalisierte, verrohte Drohsprache im Internet, sodass viele sich dort aktiv zurückziehen. Wir können den Betroffenen dieser Drohsprache leider auch keine Angebote mehr machen im Sinne von „Wie werde ich handlungsfähig bei Hate Speech im Internet?“ o. ä., weil die sich nicht mehr trauen, sich zu äußern. Auch wir bei der PfD müssen immer schauen, wie wir Akteur*innen und Projekte benennen. Wir schreiben schon nirgendwo mehr Demokratie oder „gegen ...“ drauf. Das ist sehr bitter für viele Akteur*innen, die Gesicht und Haltung zeigen wollen. Leider gibt es dazu keine richtige Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung mit der Verwaltung des Landkreises, obwohl die auch immer wieder von Angriffen betroffen ist. Wir können immer nur reagieren, weil wir alles abarbeiten müssen. Das lähmt.

Viktoria Kamuf
Nun sind nicht nur zivilgesellschaftlich oder politisch engagierte Personen von Anfeindungen betroffen, sondern auch Menschen, die aufgrund von Ungleichwertigkeitsideologien abgewertet werden, zum Beispiel Personen mit Migrationsgeschichte. Wie beobachtet und erfasst ihr bestehende Unsicherheiten im Alltag dieser Menschen?

Svea Wunderlich
Möglichkeiten, das zu erfassen, gäbe es, wenn es nicht so eine hohe Fluktuation geben würde. Doch die Menschen wollen nicht in Greiz bleiben. Wir sind aber im Netzwerk Migration, da sitzen viele Leute drin, Beratungsstellen und die soziale Begleitung der Geflüchteten, die einen guten Kontakt zum Flüchtlingsrat oder zu RomnoKher haben [RomnoKher st eine Interessensvertretung für Sinti*zze und Rom*nja in Thüringen, Anm. d. Red.].

Im Alltag hört man immer wieder rassistische Äußerungen oder Sprüche. Wir haben außerdem den Eindruck, dass gerade Rom*nja und Sinti*zze im Blickwinkel der Menschen sind, weil sie oft in größeren Gruppen unterwegs sind und viele denken, dass sie sich nicht integrieren wollen. Gleichzeitig gibt es geschäftsführende migrantische Personen im Ort – von der Gastronomie über Bekleidungsgeschäfte, Cafés usw. Das sind die „guten Ausländer*innen“. Tatsächlich gab es schon Brandanschläge auf ein Gebäude, wo viele migrantische Personen wohnen. Hier gibt es häufig die Diskussion, dass migrantische Personen Raum wegnehmen würden. Wir haben aber derart viel Raum, da können sie gar nichts wegnehmen. Mit dem Raum müsste halt mal was gemacht werden.

Zu den Menschen selbst haben wir Kontakt über verschiedene Begegnungsstätten. Das eine ist ein kleines diakonisches Begegnungscafé. In unserem politischen Verein gibt es die „Küche für alle“ und einen Soli-Laden, der nur von Ehrenamtlichen bestritten wird. Der wird gut angenommen und da treffen sich viele Menschen, die in Not sind und Dinge brauchen. Für gesellschaftliche Vielfaltserfahrungen sorgen wir dann mit einzelnen Projekten. Wir können aber nichts Kontinuierliches aufbauen, weil wir keine kontinuierlichen Unterstützer*innen haben und alles ehrenamtlich geleistet wird. Wir haben auch keine kontinuierlichen Communitys. Die, die bleiben, brauchen uns nicht mehr so richtig, die stehen auf eigenen Beinen. Und Menschen, die noch in prekären Verhältnissen sind, die interessieren sich wenig für uns, weil wir keine Decken ausgeben und nur in unserer Berater*innenfunktion unterwegs sein können.

Viktoria Kamuf
Katja, durch die Technische Uni Ilmenau leben bei dir in der Region vergleichsweise viele Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen. Wie beobachtest du diesbezüglich das gesellschaftliche Zusammenleben und die Bedrohungslage für gesellschaftlich marginalisierte Gruppen?

Katja Nonn
In der Region gibt es auch Bedrohungserfahrungen: 2022 etwa ist eine Familie aus dem Landkreis weggezogen, weil sie immer wieder angegangen wurde, sogar das Kindergartenkind der Familie. Da hat der Vater gesagt: „Das geht nicht, wir müssen weg“. Daraufhin hat der Chef des Vaters einen Brandbrief an die Landesregierung geschrieben: Er habe generell Schwierigkeiten, Fachkräfte zu finden. Dann finde er endlich mal jemanden und dann geschehe so was und nichts werde dagegen gemacht.5 Das ist eine Katastrophe. Ich will nicht, dass die Leute aus so einem Grund gehen müssen. Das ist total beschissen. Das würde ich auch ungern wissenschaftlich ausdrücken, das ist einfach so!

Svea Wunderlich
Ich möchte noch ergänzen: Wir waren der erste Landkreis, der die Bezahlkarte für Asylbewerber*innen eingeführt hat. Das hat natürlich eine Wirkung auf die Menschen hier vor Ort, die gar keine Vielfaltserfahrung haben. Es schickt das Signal raus, dass unter migrantischen Personen nur Betrüger*innen wären, die das alles ausnutzen wollten. Dadurch entsteht ein verzerrtes Bild von den Menschen, die zu uns kommen und hier leben möchten, das man schlecht wieder auflösen kann. Auch innerhalb der Communitys wurde dadurch eine Schere aufgemacht zwischen „guten“ und „schlechten“ Migrant*innen. Uns fehlt leider die Basis von deutungswichtigen Akteur*innen, von Programmgeber*innen, die solche Dinge wirksam in eine einfache Sprache übersetzen, damit wir das gut weitergeben können. Wir können das mit unseren unterjährigen Verträgen und vielen Aufgaben nicht leisten.

Viktoria Kamuf
Ihr habt nun eindrücklich auf verschiedenen Ebenen Bedrohungslagen beschrieben und ihr habt gleichzeitig auch immer wieder Maßnahmen benannt, was dagegen gemacht werden kann. Dazu gehören zum Beispiel die Ansprache der Betroffenenberatung ezra, das Stellen einer Strafanzeige oder die Generierung öffentlicher Aufmerksamkeit durch offene Briefe. Darüber hinaus gibt es grundlegendere Maßnahmen, die einen langfristigen Charakter haben, beispielsweise eine bessere Zusammenarbeit von Verwaltung und Zivilgesellschaft. Was macht ihr, um euch und Akteur*innen der demokratischen Zivilgesellschaft zu schützen?

Katja Nonn
Ehrlich gesagt sollte es nicht unsere Aufgabe sein, sich über Schutzkonzepte Gedanken zu machen. Das sollten andere Leute machen, deren Job das ist. Wenn man sich allerdings auf andere verlässt, ist man verlassen. Ich habe in den letzten fast zehn Jahren, die ich in diesem Job arbeite, die Erfahrung gemacht: Auf den Bund verlasse ich mich nicht mehr und aufs Land auch nur bedingt. Zum Beispiel gab es eine Verleumdungskampagne gegen Aktive bei uns. Als wir das gemeldet hatten, fanden verschiedene Gespräche statt und es gab die Ansage vom Bund, dass es bei einer Kontinuität dieser Vorfälle seitens des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ in der neuen Förderperiode ab 2025 eine juristische Unterstützung geben würde. Da ist aber bis jetzt noch nichts Konkretes passiert. Die Polizei bei uns im Umkreis nehme ich nicht als problematisch wahr, aber ich nehme sie oft gar nicht wahr. Bei Veranstaltungen, die wir organisieren zum Beispiel, fühle ich mich nicht sicher. Ich weiß, da gibt es Leute, die nichts Gutes im Sinn haben – aber ich weiß gar nicht, wen ich rufen soll, wenn etwas passiert, da ich nicht sicher weiß, ob die Polizei kommt. Außerdem ist entscheidend, und deswegen sind die Leute trotz Resignation noch dabei, dass man füreinander da ist. Die Menschen bauen sich gegenseitig auf, stärken sich und zeigen Haltung. Das ist unersetzlich – sich hinzustellen und zu sagen: „Ich weiß, es ist gefährlich, ich bin auch sehr vorsichtig, ich mache nicht mehr alles so wie früher, aber ich stehe trotzdem hier am Stand der Demokratie, beim Tag gegen Rassismus, beim Tag gegen Antisemitismus usw.“ So eine Haltung macht Eindruck und gibt Kraft.

Svea Wunderlich
Sich gegenseitig zu unterstützen, gerade wenn es um Bündnisse geht, spielt auch bei uns eine entscheidende Rolle. Wir wählen bewusst Orte für unsere Aktivitäten aus, immer mit Blick darauf, wie resilient die Menschen sind, die diese Einrichtungen leiten. Ergreifen die im Zweifel auch ihr Hausrecht? Im ländlichen Raum gibt es nicht so viele Räumlichkeiten, auf die das zutrifft. Außerdem laden wir bewusst zu unseren Veranstaltungen ein. Egal, ob der Fördermittelgeber sagt, dass eine Aktivität „für alle“ sein muss – bei manchen Veranstaltungen sprechen wir lieber nur bestimmte Gruppen an. Das ist also eine Vermeidungstaktik, das im öffentlichen Raum nicht an die große Glocke zu hängen. Was schade ist, weil dann nämlich vieles gar nicht sichtbar wird. Wir schaffen aber auf andere Art und Weise Sichtbarkeit, entweder über unsere Demokratiekonferenzen oder über die Webseite. Über mein körperliches Wohl denke ich nach wie vor nicht nach. Als Koordinatorin der PfD kann ich nur bedingt Sicherheitsmaßnahmen umsetzen und nur bedingt Zivilgesellschaft dabei unterstützen. Ich erfahre selbst relativ wenig Unterstützung. Der Träger macht sich keine Gedanken, an welchem Ort ich sitze und wie öffentlich der sichtbar und zugänglich ist. Aber ich würde mich nicht davor scheuen, Angriffe medial wirksam öffentlich zu machen und den Leuten zu zeigen, genau das ist es, was wir beschreiben, wenn wir sagen, es geht hier um Radikalisierung.

Viktoria Kamuf
Wäre es aus eurer Sicht wichtig, diese vielen Erfahrungswerte und Lernprozesse in gemeinsame, überregional anwendbare Schutzkonzepte zu gießen?

Svea Wunderlich
Die Entwicklung von Schutzkonzepten bräuchte Zeit und engagierte Menschen. Zudem vertraue ich so einem Papier nicht, denn wenn die Menschen das nicht ernst nehmen, wie auch viele offene Briefe, die wir geschrieben haben, dann verbleibt es in der Schublade. Die Menschen lernen voneinander und von ihren Erfahrungen, das ist wichtig. Dann wissen sie, ich bin nicht alleine. Und es braucht Orte und Projekte, die man kennt und denen man vertraut. Ich würde also gern sehr viel stärker mit den Menschen, die die Demokratie immer noch gut finden, darüber nachdenken, wie wir das schaffen können, ohne dass wir dazu ein Pamphlet brauchen, das 56 Seiten lang ist, kompliziert klingt und einem trotzdem nicht weiterhilft. Ich weiß nicht, ob das tatsächlich unser Ziel sein sollte. Es ist eine Aufgabe des Bundes, die Kommunen zu unterstützen. Sollen wir denen das auch noch zusätzlich abnehmen als kleines zivilgesellschaftliches Projekt ohne Regelförderung? Ich denke, wir haben hier schlaue Köpfe und damit meine ich jede*n als Expert*in für sich selbst, mit denen wir das schaffen können. Wir haben hier unsere Konzepte, die man im Kleinen anwenden kann und die gut funktionieren. Und dann müssen wir mit diesen guten Ideen in den nächsten Ort gehen und zeigen: Schaut mal, so machen wir das.

Katja Nonn
Ich glaube auch, es ist sehr viel sinnvoller, das Erfahrungswissen nutzbar zu machen, als ein Konzept zu schreiben. Vor allem haben wir das Problem, dass sich diese Dinge nicht so leicht übertragen lassen. Was in einem Dorf funktioniert, funktioniert nicht genauso in der Stadt. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, sondern die Sachen, die es schon gibt, sammeln und eine Art Empfehlungskatalog erstellen : Wenn du das machst und dich schützen willst, könntest du zum Beispiel das machen. Wir haben Strukturen vor Ort, die man zu so etwas fragen kann, und dieses Erfahrungswissen sollte man nutzen.

Viktoria Kamuf
Vielen Dank für das Gespräch!

 


Svea Wunderlich, M. A., studierte Soziologie, Psychologie und Geschichte an der FSU in Jena, arbeitet seit 2018 als Koordinatorin der Partnerschaft für Demokratie in Stadt und Landkreis Greiz und ist seit 2019 ausgebildete Demokratieberaterin.

Katja Nonn, M. A., studierte Geschichtswissenschaften und Religionswissenschaften an der Universität Erfurt. Sie arbeitet seit 2015 als Koordinatorin der Partnerschaft für Demokratie im Ilm-Kreis, ist aktive Gewerkschafterin und seit 2023 ausgebildete Demokratieberaterin.

Viktoria Kamuf, M. Sc. Politische Soziologie, war von 2021 bis 2024 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena. Dort leitete sie das Team des IDZ im Verbundprojekt „Wissensnetzwerk Rechtsextremismusforschung (Wi-REX)“. Zu ihren Forschungsinteressen und Arbeitsschwerpunkten gehören Strukturen und Ideologie der extremen Rechten, die gesellschaftkritische Analyse rechter und rassistischer Gewalt, Sozialraumforschung und Wissenschaft-Praxis-Transfer.


 

1    Vielen Dank an Jannis Wagner für die umfassende Unterstützung bei der Überarbeitung des Gesprächtranskripts.

2    LAP steht für Lokaler Aktionsplan und war der ursprüngliche Name der heutigen Partnerschaften für Demokratie (PfD). Die Bezeichnungen werden inzwischen oftmals synonym verwendet.

3    Das Demokratiefördergesetz ist ein Vorhaben der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP, die von 2021 bis Ende 2024 im Amt war. Das Gesetz soll zivilgesellschaftliches Engagement und Unterstützungsstrukturen wie Betroffenenberatungsstellen stärker und langfristiger als bislang finanziell fördern und damit mehr Planungssicherheit und stabilere Demokratieförderstrukturen bewirken. Ein erster Gesetzesentwurf wurde 2023 in den Bundestag eingebracht (BMFSFJ 2023). Seitdem befindet sich das Gesetz in der Überarbeitung. Ein zentraler Streitpunkt innerhalb der Regierung selbst blieb u. a. die Frage, ob im Gesetz eine sogenannte „Extremismusklausel“ enthalten sein sollte. Dafür spricht sich v. a. die FDP aus (Tadey 2024).

4    Der Neonazi Tommy Frenck trat bei den Kommunalwahlen 2024 für das Bündnis Zukunft Hildburghausen (BZH) für das Amt des Landrats an und verlor in der Stichwahl gegen den Kandidaten der Freien Wähler. Er ist überregional vor allem für die Organisation von Rechtsrockkonzerten, rechtsextremistischen Veranstaltungen sowie einen Online-Shop u. a. für Kleidung und Bücher mit rechtsextremen Motiven und Inhalten bekannt (Werner 2024).

5    Der offene Brief von Remo Reichel, technischer Geschäftsführer bei solvimus GmbH, wurde von ihm auf LinkedIn veröffentlicht: https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:share:6965642258427617280.

 

Literaturverzeichnis

BMFSFJ (2023). Gesetz zur Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen Bildung (Demokratiefördergesetz). Online verfügbar unter www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/gesetz-zur-staerkung-von-massnahmen-zur-demokratiefoerderung-vielfaltgestaltung-extremismuspraevention-und-politischen-bildung-demokratiefoerdergesetz--207726 (abgerufen am 07.10.2024).

MDR Thüringen (2024). AfD-Chef Höcke tritt bei Landtagswahl im Kreis Greiz an. MDR vom 03.03.2024. Online verfügbar unter www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/greiz/hoecke-bjoern-afd-landtag-wahlkreis-100.html (abgerufen am 26.09.2024).

Richter, Christoph/Salheiser, Axel (2021). Erkennen, vernetzen, gemeinsam gestalten. Demokratischer Zusammenhalt im Spannungsfeld zwischen kommunaler Unterstützung und latenter Bedrohung. Situations- und Ressourcenanalyse für den Ilm-Kreis. Jena. Online verfügbar unter www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Projektberichte/LPfD-Ilm-Kreis-SR_Analyse_final_Onlineversion.pdf (abgerufen am 08.10.2024).

Tadey, Alexandra (2024). Demokratiefördergesetz: Wo sich die Ampel-Parteien uneinig sind. zdfheute vom 08.02.2024. Online verfügbar unter www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/demokratiefoerderung-gesetz-streit-ampel-regierung-100.html (abgerufen am 7.10.2024).

Werner, Elena (2024). Stichwahl bei Landratswahl in Hildburghausen: Wer ist Rechtsextremist Tommy Frenck? rnd vom 27.05.2024. Online verfügbar unter www.rnd.de/politik/tommy-frenck-wer-ist-der-neonazi-der-in-thueringen-bald-in-der-stichwahl-ist-DVH5QPAG5RD37OZA2ZADEVJR6I.html (abgerufen am 7.10.2024).