Rechtsmotivierte "Einzeltäter" in Deutschland

Der Beitrag diskutiert unter Bezugnahme auf die wissenschaftlichen Debatten über Lone-Actor-Terrorismus das Phänomen politisch rechtsmotivierter Einzeltäter in Deutschland. Anhand von vier Fallbeispielen aus den Jahren 2000 bis 2017 werden Unterschiede zwischen den Tätern und den von ihnen verübten Taten verdeutlicht. Der Fokus liegt dabei auf der Einbindung der Täter in politische Milieus sowie auf der Art und Weise, wie politische Motivlagen der Taten kommuniziert werden. Damit setzt sich der Beitrag von in Teilen der Forschung noch immer vertretenen Ansätzen ab, die Lone-Actor Täter als sozial und politisch isolierte Individuen konzeptionieren.

In der Öffentlichkeit werden Tötungsdelikte, wie die am 15. März 2019 in zwei Moscheen in Neuseeland verübten, nicht nur als rassistisch motivierte Hassverbrechen, sondern ebenso als Ausdruck von Rechtsterrorismus verstanden. Aus der Tatsache, dass der Täter nicht in einer Gruppe, sondern alleine agierte, folgt die Charakterisierung als Lone-Wolf- bzw. Lone-Actor-Terrorismus1. Auch in Deutschland verübten Einzeltäter2 zuletzt schwere Gewalttaten gegen Migrant_innen. So raste in der Silvesternacht 2019 ein 50-jähriger Mann in Bottrop und Essen mit seinem Auto mehrfach in feiernde Menschengruppen. Nach seiner Verhaftung äußerte er laut Polizei „fremdenfeindliche Bemerkungen“. In Heilbronn attackierte im Februar 2018 ein 70-Jähriger unvermittelt mehrere Geflüchtete mit einem Messer. Doch anders als der Anschlag im neuseeländischen Christchurch und der davon stark inspirierte Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale im Oktober 2019 ist die Einordnung dieser Fälle als politisch motiviert bzw. terroristisch hoch umstritten. Dies liegt zum einen daran, dass nur vage oder gar keine politischen Tatbekenntnisse abgelegt wurden, wohingegen die in einer „digitalen Hasskultur“ (Fielitz 2019) verwurzelten Täter von Christchurch und Halle großen Aufwand betrieben, um ihre politische Botschaft über das Internet an ein globales Publikum zu kommunizieren. Zum anderen zeigt sich in Deutschland bei Strafverfolgungsbehörden und in Teilen der Öffentlichkeit eine Tendenz, mörderische Taten von Rassist_innen und Neonazis zu pathologisieren und damit zu entpolitisieren. Neben politischen Schwerpunktsetzungen kommt darin auch ein tiefergehendes Problem zum Ausdruck, und zwar, wie sich politische Motivlagen identifizieren lassen und welche Bedeutung diesen in Fällen beigemessen wird, in denen auch andere Motive aufscheinen. Für Deutschland lässt sich das Phänomen rechtsmotivierter Einzeltäter noch nicht quantifizieren, da keine behördliche Statistik existiert und auch neue Forschungen (Hartleb 2018; Pfahl-Traughber 2016) keinen Gesamtüberblick über das Phänomen bieten.

Wie isoliert sind Einzeltäter?

Forschungen über Lone-Actors stammen mehrheitlich aus den „Terrorism Studies“, ein oftmals eng mit den Interessen staatlicher Sicherheitsbehörden verwobenes Forschungsfeld (kritisch dazu: Jackson et al. 2009). Nachdem US-amerikanische Behörden den Lone-Actor als größte heimische Bedrohung für die innere Sicherheit identifizierten und die Anschläge von Anders Behring Breivik im Juni 2011 in Norwegen globale Aufmerksamkeit erregten, ist die Anzahl der Forschungsarbeiten stark angestiegen.

Auffällig ist, dass in den „Terrorism Studies“ deutlich voneinander abweichende Konzeptionen von Lone-Actor-Tätern entwickelt wurden. So operiert ein Teil der Forschung mit einer engen Definition, welche die Täter als „lone individuals“ ohne Beziehungen zu politischen Organisationen begreift (vgl. Spaaij/Hamm 2017: 5; Burton/Stewart 2008). Andere hingegen vertreten ein derart weit gefasstes Verständnis, dass sie sich sogar vom Kriterium der Tatdurchführung durch eine Einzelperson verabschieden und auch Taten von kleinen Zellen mehrerer Personen als Lone-Actor-Terrorismus begreifen (Ellis et al. 2016; Simon 2013). Diese Autor_innen weichen zudem das Verständnis von terroristischer Gewalt als politisch bzw. ideologisch motiviert auf, in dem sie als mögliches Motiv einer Tat auch das Erreichen eines „financial, or other related goal“ (Simon 2013: 266) in ihre Definition aufnehmen oder lediglich festhalten, die Täter handelten nicht „out of purely personal-material reasons“ (Ellis et al. 2016: 6).

Dem gegenüber lehnen Schuurman et al. (2017) die Ausweitung des Lone-Actor-Konzepts auf mehr als einen Täter ab, da schon bei einem Duo Effekte von Kleingruppendynamiken zu erwarten seien. Zugleich betonen sie, dass die Mehrzahl der von ihnen untersuchten Personen nicht sozial und politisch isolierte Individuen seien. Vielmehr wiesen sie unterschiedliche Grade von Beziehungen zu gleichgesinnten Gruppen und Akteur_innen auf, die für die Entwicklung der Tatmotivation und in einigen Fällen auch hinsichtlich des Erlernens praktischer Fähigkeiten zur Tatdurchführung eine Rolle spielten. Während einige Täter sich eher am Rande politischer Gruppen bewegten, seien andere durchaus als integrierte Mitglieder radikaler Milieus oder Bewegungen einzuordnen (vgl. Schuurman et al. 2017: 3). Dass diese Täter allein in Aktion träten, sei zumeist nicht Folge einer strategischen Entscheidung, beispielsweise um einer frühzeitigen Entdeckung des Tatplans entgegenzuwirken, sondern durch ihre Persönlichkeit begründet: „They are people who, more often than not, are forced to plan, prepare, and execute acts of terrorist violence on their own due to their disposition, lack of social skills, or (borderline) mental health issues.“ (Ebd.)

Diese allgemeinen Befunde gelten, nach einer empirischen Studie derselben Autor_innen, auch für rechtsmotivierte Einzeltäter (vgl. Bouhana et al. 2018). Von den 48 untersuchten Tätern verfügten 79% über Verbindungen zu Gruppen oder Personen aus dem rechten Milieu, 54% standen sogar in Kontakt mit Anführer_innen oder Autoritätsfiguren. Bei der Hälfte der Täter waren sogar „formal ties to radical, extremist or terrorist groups“ (ebd.: 157) nachweisbar. Die Autor_innen des Forschungsteams schlussfolgern deshalb, dass der Typus des Lone Actors, wie er von Teilen der Forschung noch immer verstanden wird, anhand von Sonderfällen wie Breivik entwickelt worden ist und nicht anhand der Mehrheit der tatsächlichen Fälle (vgl. Schuurman et al. 2018: 1198).

In diesem Aufsatz plädiere ich dafür, bekannte Fälle rechtsmotivierter Einzeltäter aus Deutschland nicht in ein starres Raster einzuordnen, sondern sie in ihren Unterschieden wahrzunehmen. Dazu werde ich, angelehnt an Schuurman et al. (2017: 5 ), vier relativ gut dokumentierte Fälle3 entlang eines Kontinuums zwischen den Polen „politisch isoliert“ und „politisch integriert“ platzieren, wobei politische Integration nicht nur Mitgliedschaften in Organisationen meint, sondern ebenso lose Kontakte in politische Milieus und Aktivitäten in virtuellen Foren. In einer zweiten Dimension werden diese Fälle hinsichtlich der „Kommunikation von Tatmotiven“ bzw. „Nicht-Kommunikation von Tatmotiven“ unterschieden.4

Den vier Fällen ist gemeinsam, dass es sich um schwere, von einer Einzelperson ohne direkte Unterstützung Dritter verübte Gewalttaten handelt, bei denen der Tod des angegriffenen Menschen intendiert oder zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Die Opfer wurden zuvorderst als Repräsentant_innen einer Feindgruppe attackiert. In allen Fällen spielen politische Motive eine Rolle, gleichwohl können auch andere Beweggründe aufscheinen. Selbst wenn die Täter keine Manifeste veröffentlichten oder Prozesserklärungen abgaben, so ist davon auszugehen, dass ihre Gewalttaten „primär einen symbolischen Stellenwert“ (Waldmann 2011: 17) besitzen, weil sie eine Botschaft an die Angegriffenen und weitere potenzielle Opfer sowie an mögliche Sympathisant_innen aussenden. Durch die Intensität der Gewalt und durch ein gewisses Maß an Planung unterscheiden sich die Fälle von ebenfalls tödlich verlaufender, aber situativ entstehender Straßengewalt. Drei der vier Fallbeispiele stehen im zeitlichen Zusammenhang mit polarisierenden Debatten über die deutsche Asylpolitik, zu der die Täter ihre Taten in Bezug setzten.

Abb. 1: Verortung der Fallbeispiele

Vier Fallbeispiele

Der Fall des 31-jährigen Michael B., der am 14. Juni 2000 in Dortmund und Waltrop drei Polizist_innen ermordete, ist ein Beispiel für einen fest in die neonazistische Szene integrierten Täter, der keinerlei Tatbekenntnis hinterließ und Suizid beging. Seine Motivlagen konnten im Ermittlungsverfahren nicht herausgearbeitet werden (vgl. Landtag NRW 2017: 545). Allerdings wurde deutlich, dass B. die Polizist_innen mit unmittelbaren Tötungsvorsatz heimtückisch attackierte. So flüchtete B. zunächst vor der Polizei, die den nicht angeschnallten Fahrer kontrollieren wollte, stoppte dann aber sein Fahrzeug und er erschoss sein erstes Opfer. Bei der 20 Minuten später verübten Tat setzte er sein Auto von hinten kommend neben einen Streifenwagen und gab drei gezielte Kopfschüsse ab (vgl. ebd.: 518f). Nach Bewertung des NSU-Untersuchungsausschusses des Landtags NRW wurde „trotz der offensichtlichen Hinweise auf die Zugehörigkeit von Michael [B.] zur rechtsextremen Szene nicht entsprechend gezielt ermittelt“ (ebd.: 549). B. war Mitglied der NPD und der „Kameradschaft Dortmund“, nahm an Konzerten, Zeltlagern und Versammlungen der Szene teil. Der Ausschuss ermittelte 20 namentlich bekannte Personen aus der rechten Szene, mit denen B. in Kontakt stand, darunter auch Führungspersonen und Neonazis, die zum rechtsterroristischen Netzwerk Combat 18 zählten (vgl. ebd.: 537). Mit mindestens einem dieser Neonazis führte B. Schießübungen durch (vgl. ebd.: 193f). Die Dortmunder Neonazi-Szene reagierte auf die Morde mit Freundschaftsbekundungen an den Täter und versammelte sich an dessen Todesort (vgl. ebd.: 542f). Michael B. befand sich wegen Depressionen und vermutlich auf Alkoholkonsum zurückzuführende Leberschädigungen in ärztlicher Behandlung. Am Tattag war er aus dem städtischen Klinikum entlassen worden (vgl. ebd.: 525ff).

Im Gegensatz zu Michael B. sind von Werner S. keinerlei Kontakte in virtuelle oder reale Milieus der extremen Rechten bekannt. Der 56-Jährige griff am 27. November 2017 in einem Imbiss den Bürgermeister seines Wohnorts Altena an – er hielt ihm ein Messer an die Kehle und versetzte sein Opfer in Todesangst (vgl. Puls 2018). Mit Unterstützung des Imbissbetreibers gelang es dem Opfer, sich zu befreien. Dabei verletzte Werner S. den Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU) und den Helfer leicht. Das Gericht verneinte einen Tötungsvorsatz ebenso wie eine politische Motivation und verurteilte Werner S. wegen gefährlicher Körperverletzung. Während der Tat hatte er mehrfach gerufen: „Ich stech dich ab. Du lässt mich verdursten und holst 200 Ausländer in die Stadt“. Er setzte seinen Angriff somit in Beziehung zum asylpolitischen Handeln des Bürgermeisters, dessen Gemeinde durch die freiwillige Aufnahme von 200 zusätzlichen Geflüchteten bundesweit bekannt geworden war. Massive Anfeindungen des Bürgermeisters von rechts außen waren die Folge dieser Entscheidung. Vor Gericht wiederholte S. seine Äußerungen nicht, sondern entschuldigte sich bei seinem Opfer. Auch bei diesem Täter zeigten sich psychische Auffälligkeiten. Er erkrankte im Frühjahr 2017 an einer schweren depressiven Episode, in Folge dessen er sich sozial isolierte und seine Arbeit verlor. Schließlich wurde ihm aufgrund offener Rechnungen das Wasser abgestellt. Von August bis Oktober 2017 wurde er in einer psychiatrischen Klinik behandelt (vgl. ebd.). Verminderte Schuldfähigkeit wurde ihm vom Gericht aber nicht attestiert. Die Verärgerung über seine persönlichen Lebensumstände sind Teil der Motivlage für den Angriff.

Den folgenden beiden Fallbeispielen ist gemein, dass die Täter in gewissem Maße politisch integriert waren und ihre Motive kommunizierten. Frank S. attackierte am Tag vor der Oberbürgermeisterwahl in Köln, am 17. Oktober 2015, die Kandidatin Henriette Reker bei einem Wahlkampftermin mit einem Kampfmesser. Er verletzte sie und mehrere zu Hilfe eilende Personen schwer. Die politische Biografie von Frank S. lässt sich bis in die frühen 1990er Jahre zurückverfolgen, als er sich in der Neonazi-Szene im Umfeld der Bonner Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) betätigte. Von 1997 bis 2000 war er wegen Gewaltdelikten inhaftiert. Es ist nicht bekannt, dass der als sozial relativ isoliert beschriebene Täter in den Jahren vor der Tat Mitglied in extrem rechten Organisationen war. Er spendete aber einen kleinen Beitrag an die Neonazi-Partei Der III. Weg, hörte regelmäßig Rechtsrock und informierte sich über Breivik (vgl. Neifer/Wörpe o. J.). Ein Manifest schrieb S. nicht, er spielte lediglich die Freiheitsrede aus dem Film „Braveheart“ auf seinen Anrufbeantworter. Vor Gericht ließ er sich umfassend zu seinen Motiven ein. Er habe „ein Zeichen gegen die Abschaffung der europäischen Völker“ (zitiert nach: Grün 2016) setzen wollen, das Opfer sei eine „Politkriminelle“ und für die Flüchtlingspolitik verantwortlich. Bei Frank S. wurde eine paranoid-narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, da er aber als voll schuldfähig galt, verurteilte ihn das Landgericht Köln zu einer Haftstrafe von 14 Jahren (vgl. Neifer/Wörpe o. J.).

Der 18-jährige Ali David S., der am 22. Juni 2016 im Münchener Olympia Einkaufszentrum (OEZ) neun Menschen ermordete, war „Teil eines Netzwerks von potenziellen Massenmördern“ (Hartleb 2018: 36), die ausschließlich im virtuellen Raum auf der Spieleplattform „Steam“ in einer Gruppe namens „Anti-Refugee-Club“ kommunizierten. Seine Tatwaffe, eine Glock 17, besorgte sich S. über das Darknet. Den rechtsgesinnten Verkäufer traf er bei zwei persönlichen Treffen in Deutschland und sprach mit ihm über sein Tatvorhaben (vgl. Hartleb 2018: 148). S. äußerte Sympathien für die AfD, war aber kein Mitglied einer politischen Organisation (vgl. Quent 2017: 24). Er kommunizierte die Motive seiner Tat auf verschiedenen Wegen. Bewusst wählte er den fünften Jahrestag der Anschläge des von ihm bewunderten Breivik als Tattag. Er benutzte die gleiche Pistole wie sein Vorbild. Auf seinem Computer hinterließ S. eine Art Bekennerschreiben, in dem es heißt, dass er nun alle deutschen Türken auslöschen werde (vgl. Hartleb 2017: 3). Weitere hinterlassene Dokumente zeugen von rassistischen Hasstiraden und Tötungsfantasien gegen „ausländische Untermenschen“ (zitiert nach: Quent 2017: 29), wobei er sich insbesondere abwertend über Türk_innen, Bosnier_innen, Muslime und Muslimas äußerte. Der Täter begriff sich als Teil einer größeren Bewegung, die das „Vaterland“ durch Einsatz von Gewalt vor Geflüchteten und Migrant_innen schützen will. Er hoffte, dass seine „Operation“ den Auftakt für weitere Anschläge darstellen und konkrete politische Folgen nach sich ziehen werde. So sollte der Anschlag dazu beitragen, dass die AfD „hochgepuscht“ werde (vgl. Quent 2017: 26). Auch die Opferauswahl und die Umstände der Tat sprechen gegen die von den Sicherheitsbehörden präferierte Einordnung als Amoktat, die aus persönlichen Kränkungen und Mobbingerfahrungen resultierte. Die Todesopfer, die mit Ausnahme einer 45-jährigen Frau, Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahre waren, stammten alle aus Einwandererfamilien. Opfer und Täter waren sich persönlich nicht bekannt. Mit einem gefakten Facebook-Account hatte S. versucht, weitere Menschen mit einem türkischen Migrationshintergrund an den Tatort zu locken (vgl. ebd.: 7). Nach seiner Tat nahm er sich das Leben.

Fazit

Die Betrachtung der vier Fallbeispiele macht deutlich, dass die politische Integration dieser Täter in radikal rechte Milieus unterschiedliche Formen aufweist. Welche Rolle diese Beziehungen konkret bei der Entwicklung des Tatentschlusses und der Tatvorbereitung spielen, muss weiter erforscht werden. Auch die Form der Kommunikation von Motiven unterscheidet sich, aber selbst in Fällen, in denen seitens des Täters wenig oder gar nicht kommuniziert wurde, vernahmen die Opfer bzw. sympathisierende politische Milieus eine politische Botschaft. Bereits Tatort und Opferauswahl können einen kommunikativen Effekt erzeugen.

Zahlreiche Studien kamen zu dem Ergebnis, dass sich unter politisch motivierten Einzeltätern ein signifikant höherer Anteil an Personen mit psychischen Auffälligkeiten findet als im Bevölkerungsdurchschnitt bzw. unter anderen Täter_innen schwerer Gewalttaten. Gleichwohl zeigen mehr als die Hälfte der Einzeltäter diese Auffälligkeiten nicht (vgl. Gruenewald/Chermak/Freilich 2013: 77; Corner/Gill/Mason 2016; Spaaij/Hamm 2017: 53f.; Schuurman et. al 2018: 1195). Alle Täter der vier Fallbeispiele aus Deutschland wiesen psychische Auffälligkeiten auf, die aber, ebenso wie persönliche Kränkungen, nicht als alleinige Erklärungen der Taten gelten dürfen. Eine genaue Bestimmung des Anteils politischer Beweggründe ist aber kaum möglich.

Umstritten ist, ob es sich bei allen Fällen um terroristische Gewalt handelt. Aus behördlicher Sicht wird nur der Fall Frank S. als terroristische Tat definiert, weshalb der Generalbundesanwalt die Ermittlungen leitete. Der Anschlag im Münchner Olympiaeinkaufszentrum hingegen wurde seitens der bayrischen Staatsregierung bis Oktober 2019 nicht als politisch motiviert eingestuft, wohingegen das Bundesamt für Justiz bereits seit Anfang 2018 den Opfern und Hinterbliebenen die Möglichkeit finanzieller Hilfe offeriert, da es die Tat als extremistisch bewertet.

Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive gilt konspirative Planung und Tatvorbereitung als Unterscheidungskriterium zwischen terroristischer und anderen Formen eher spontan entstehender politischer Gewalt (vgl. Quent 2016: 151; Schedler 2017). Planung und Vorbereitung lassen sich, in unterschiedlichen Graden, bei allen vier Fallbeispielen nachweisen. Während Täter wie Michael B. und David Ali S. sich gezielt Schusswaffen beschafften und Schießtrainings durchführten, nutzte Werner S. ein haushaltsübliches Messer als Tatwaffe in einem vermutlich eher zufälligen Aufeinandertreffen mit seinem Opfer. Im Unterschied zu Werner S. plante Frank S. sein Attentat langfristig.

Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Notwendigkeit für Planung und Vorbereitung für Einzeltäter, zumindest wenn sie ihre Opfer willkürlich nach rassistischen Zuschreibungen auswählen und einfach verfügbare Waffen benutzen, deutlich geringer ist als für Gruppen, deren terroristische Gewalttaten zwangsläufig Absprachen und andere Formen der Koordinierung voraussetzen. Wenn terroristische Gewalt zuvorderst als „Kommunikationsstrategie“ (Waldmann 2011: 17) begriffen wird, ist es aber ohnehin eher nachrangig, ob die Tat über einen längeren Zeitraum vorbereitet und planmäßig ausgeführt wird oder ob ein vielleicht nur vage vorhandener Tatplan relativ spontan aufgrund einer sich dem Täter bietenden Gelegenheit umgesetzt wird.

 

 

1 Ein Teil der Forschenden lehnt den Lone-Wolf-Begriff ab, weil er von Neonazis in glorifizierender Absicht entwickelt wurde, und bevorzugt stattdessen den neutralen Begriff Lone-Actor.

2 Im Folgenden wird bewusst die männliche Schreibweise verwendet, um die geschlechtliche Dimension dieses Tätertypus nicht zu verdecken. Bei den aus Deutschland bekannten Fällen handelt es sich ausschließlich um Männer. Auch wenn weitere Länder und andere politische Motivationen einbezogen werden, bleibt der Anteil von Frauen marginal (Gill 2014: 32).

3 Da ich in meinem Dissertationsprojekt noch nicht mit der Aktenanalyse beginnen konnte, habe ich für die Fallbeispiele verschiedene Datengrundlagen genutzt. Im Fall des Michael B. stütze ich mich auf die Aktenauswertung des NSU-Untersuchungsausschusses (Landtag NRW 2017). Die Ermittlungsakten des Falls Ali David S. sind bereits wissenschaftlich begutachtet worden (Hartleb 2017; Kopke 2017; Quent 2017). Die Darstellung des Falls Werner S. stützt sich auf eigene Beobachtungen des Gerichtsprozesses, für den Fall Frank S. nutze ich Medienberichte.

4  Schuurmann et al. (2017: 5) ordnen terroristische Täter_innen auf einem Kontinuum zwischen „truly lone“ and „group based“ an. Einen ähnlichen Ansatz vertreten auch Borum et al. (2012) in ihrem „dimensional approach“, der drei als Kontinuum begriffene Dimensionen (Loneness, Direction, Motivation) kennt. Auch der von Malthaner/Lindekilde (2017) formulierte „relational approach“ soll die große Bandbreite der sozialen Beziehungen von Einzeltätern zu anderen politischen Aktivist_innen, radikalen Milieus und virtuellen Gemeinschaften berücksichtigen.

 


 

Literatur

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