Christoph Richter und Dr. Axel Salheiser legen Situations- und Ressourcenanalyse für den Ilm-Kreis/Thüringen vor.

Wie sind die Strukturen und Entwicklungstendenzen der radikalen Rechten im Ilm-Kreis und wie sieht das soziale und politische Handlungsumfeld aus? Wie ist die Situation der Zivilgesellschaft vor Ort? Welche Herausforderungen und Bedarfe der demokratischen Akteur:innen gibt es?

Die allgemeine Situation wird von den Befragten mehrheitlich als angespannt und als potenziell bedrohlich beschrieben – insbesondere für diejenigen, die als Feind:innen der radikalen Rechten angesehen werden oder sich vor Ort gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus engagieren.

  • Rund drei Viertel der Befragten gaben an, in der Vergangenheit im Kontext ihres Engagements bereits angefeindet, bedroht und – in Einzelfällen – körperlich angegriffen worden zu sein.
     
  • Obwohl die amtlichen Statistiken der „politisch motivierten Kriminalität – rechts“ (PMK-rechts) für den Kreis im Thüringer Vergleich leicht unterdurchschnittliche Fallzahlen pro 1.000 Einwohner:innen registrieren, sind in einigen Phänomenbereichen des Rechtsextremismus deutlich erhöhte Aktivitäten zu verzeichnen, bspw. bei der Anzahl rechtsextremer Angriffe und Konzertaktivitäten, die durch Beratungsstellen der Thüringer Zivilgesellschaft registriert wurden.

Der Kreis hat mit seiner zentralen Verkehrsanbindung, der ländlichen Struktur und den etablierten rechtsextremen Szenetreffpunkten überregionale Bedeutung für die rechtsextreme Szene.

  • Auch wenn sich große Teile der radikal rechten Veranstaltungsaktivitäten durch die Präsenz überregionaler Akteur:innen und Gruppierungen auf die Gemeinden mit rechtsextremen Immobilien konzentrieren, sind im Kreis selbst ebenfalls zahlreiche formell und informell organisierte Gruppierungen der radikalen Rechten mit unterschiedlich hohem Organisationsgrad ansässig und aktiv. Teilweise handelt es sich um eher lose Bekanntschaftsnetzwerke radikal rechts eingestellter bzw. neonazistisch ideologisierter Personen, die vormals aktiv waren und weiterhin in der Region leben. Nach Einschätzung der Befragten existiert mit diesen Personen ein erhöhtes Potenzial für (erneute) antidemokratische und menschenfeindliche Mobilisierung in der Region.

Aus Sicht der aktiven Zivilgesellschaft werden die Reaktionsmuster großer Teile der lokalen Bevölkerung und den dort verankerten Institutionen auf Vorfälle mit radikal rechten Tatbezügen als unzureichend bezeichnet.

  • Die Reaktionen bzw. Nichtreaktionen schwanken zwischen Resignation, Desinteresse und Problemverharmlosung. Die Abwehr richtet sich dabei teilweise auch gegen jene, die derartige Vorfälle benennen und kritisieren, und äußert sich bspw. darin, dass einzelne Engagierte selbst unter Radikalitäts- bzw. Extremismusverdacht gestellt werden.

Die Analyse der Einstellungs- und Wahldaten zum Ilm-Kreis zeigt erhöhte Zustimmungswerte zu asylkritischen Aussagen und einen leicht überdurchschnittlichen Wähler:innenzuspruch zur radikal rechten AfD im Vergleich zum gesamten Freistaat und vor allem im Vergleich zu den kreisfreien Städten Mittelthüringens (Erfurt und Weimar).

  • Weitere Indikatoren zur Verbreitung von Ungleichwertigkeitsvorstellungen und dem Zuspruch zu anderen Parteien der radikalen Rechten lagen dagegen eher im bzw. unter dem Niveau der Thüringer Kreise und kreisfreien Städte.
     
  • Die Analyse der soziostrukturellen Erfolgsbedingungen des Zuspruchs für die AfD ergab, dass die Partei in Gemeinden des Ilm-Kreises mit stärkerer Abwanderung und geringeren Anteilen jüngerer Frauen leicht erhöhte Anteilswerte erzielt. Noch stärkeren Einfluss haben jedoch langfristig wirkende Demokratieentfremdungsphänomene (frühere Nichtwähler:innenanteile) sowie der Zuspruch zu radikal rechten Parteien in der Vergangenheit (NPD-Zweitstimmenanteile). Dies ist allerdings keine regionale Besonderheit, sondern deckt sich im Großen und Ganzem mit unseren früheren Befunden
    zu den AfD-Wahlergebnissen für den gesamten Freistaat und bundesweit.

Zur langfristigen Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenhalts formulieren zivilgesellschaftliche Akteur:innen im Ilm-Kreis eine Vielzahl an Handlungsvorschlägen und Handlungsperspektiven, die am Ende der Analyse dargestellt werden.

  • Als besonders wichtig angesehen werden die langfristige Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Arbeit vor Ort, verstärkte Initiativen zur Sozialintegration, die Förderung der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung, eine konsequentere Strafverfolgung im Bereich der radikal rechten Kriminalität sowie die Erhöhung der Problemsensibilität in der Bevölkerung und in den kommunalen Verwaltungen.

Auftrag und Download

Die Studie fand i.A. der Lokalen Partnerschaft für Demokratie Ilm-Kreis statt → https://www.lap-ilmkreis.de/.

Die Studie steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung → Situations- und Ressourcenanalyse für den Ilm-Kreis/Thüringen