Thüringen erhält Melde- und Dokumentationsstelle für antisemitische Vorfälle

Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft stärkt Betroffenenperspektiven

In der vergangenen Woche jährte sich der von einem Rechtsextremen verübte antisemitische Terroranschlag auf die Synagoge in Halle zum ersten Mal. Der Anschlag hat unmissverständlich gezeigt, dass die Bedrohungslage für Jüdinnen und Juden in Deutschland akut ist. Auch in Thüringen gibt es ein hohes Potenzial antisemitischer Gewalt, wie der Sprengstoff-Fund auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora bei Nordhausen im Januar 2020 drastisch belegt.

Im September 2020 hat die Thüringer Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS Thüringen) in Jena die Arbeit aufgenommen und wird künftig antisemitische Vorfälle in Thüringen dokumentieren und darüber informieren. Die Stelle ist am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) angesiedelt, das auf breite Expertise in der Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung zurückgreifen kann. Sie wird derzeit eingerichtet und beginnt zum 1. Januar 2021 mit der Analyse antisemitischer Vorfälle vor Ort und der Einbindung der Zivilgesellschaft in Thüringen.

„Die systematische Dokumentation und Auswertung vor Ort in Thüringen stärkt insbesondere die jüdische Perspektive, da die täglichen Erfahrungen der von Antisemitismus Betroffenen sichtbar gemacht werden“, betont Dr. Anja Thiele. Sie ist Leiterin des Bereichs Antisemitismus am IDZ und wissenschaftliche Leiterin der Melde- und Dokumentationsstelle in Jena. Der thüringische Standort ist einer von sieben Stellen in Deutschland, die auf Grundlage gemeinsamer Qualitätsstandards des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e. V. (Bundesverband RIAS) antisemitische Vorfälle registrieren und analysieren. Betroffene und Zeug*innen haben die Möglichkeit, antisemitische Vorfälle auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze über ein niedrigschwelliges Internetportal zu melden.

„Antisemitismus wird häufig nicht erkannt oder problematisiert, die Perspektive der Betroffenen viel zu oft bagatellisiert. Die Thüringer RIAS Stelle ermöglicht es, mit klaren wissenschaftlichen Kriterien antisemitische Vorfälle zu dokumentieren und sie für Behörden, Politik und Medien systematisch aufzuarbeiten“, so Thiele. Gestützt durch die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) sowie durch ein wissenschaftlich fundiertes, einheitliches Erfassungssystem wird die Melde- und Dokumentationsstelle mit einem jährlichen Bericht für Thüringen über die Lage im Freistaat informieren. So kann zur Aufklärung des großen Dunkelfeldes antisemitischer Vorfälle in Deutschland gezielt beigetragen werden.

Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Bundesverbands RIAS e. V. begrüßt diesen wichtigen Schritt für die Bekämpfung von Antisemitismus im Freistaat. „Um die Thüringer Mehrheitsgesellschaft für Antisemitismus zu sensibilisieren und die Bedarfe der Betroffenen zu ermitteln, ist es unabdingbar, die alltäglichen Anfeindungen sichtbar zu machen“, so Steinitz. Träger von RIAS Thüringen am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena ist die Amadeu Antonio Stiftung, die seit 20 Jahren aktiv gegen Antisemitismus in Deutschland eintritt. Das Projekt wird gefördert von DenkBunt – dem Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit.

Das Melden von antisemitischen Vorfällen ist ab sofort möglich. Meldungen können auf der RIAS Website www.report-antisemitism.de unkompliziert in deutscher, englischer und russischer Sprache erfolgen.