Rassistische Positionen im öffentlichen Raum
Rassistische Positionen werden in Deutschland im öffentlichen Raum - in Reden, Interviews, bei Demonstrationen, in Publikationen, auf Wahlplakaten, im Internet - sowohl von rechtsextremen Parteien und Organisationen als auch von Personen und Organisationen vertreten, die nicht klar dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind, bis hin in die gesellschaftliche Mitte. Die Einstellungsforschung zeigt, dass Stereotype und Einstellungen, die sich gegen Jüdinnen_Juden, Sinti_ze und Roma_nja, Muslim_innen, Flüchtlinge und Migrant_innen richten, weit über rechtsextreme Milieus hinaus verbreitet sind (Zick et al. 2016). Gehetzt wird etwa auch gegen Menschen aus der Zivilgesellschaft, Kirchengemeinden und Politik, die nach Deutschland geflohene Menschen unterstützen.
Eine neuere Entwicklung zeigte sich angesichts der Ende 2014 in Dresden begonnenen 'Pegida'-Demonstrationen. Solche Demonstrationen haben insofern eine neue Qualität, als an ihnen sowohl Personen aus dem rechtsextremen als auch aus dem bürgerlichen Spektrum teilnehmen. Dabei werden rassistische Stereotype und Einstellungen offen auf die Straße getragen, wobei die Teilnehmenden auch gegen Andersdenkende, Politiker_innen und Journalist_innen hetzen.
Seit 2014 zog auch die Partei AfD (Alternative für Deutschland) in mehrere Landesparlamente und in den Bundestag ein. Führungspersonen der Partei sympathisieren offen mit der Pegida-Bewegung oder vertreten auch selbst rassistische Positionen. Sie haben sich beispielsweise dafür ausgesprochen, auf Flüchtlinge zu schießen, rassistisch motivierte Stimmungsmache gegen deutsche Fußballnationalspieler betrieben, völkischen Sprachgebrauch verharmlost oder die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verhöhnt.
Bereits in den Jahren zuvor verstärkten sich rassistische Positionen in öffentlichen Debatten zu den Themen Integration, Asyl und Migration. Exemplarisch ist zum einen die vom Politiker und damaligen Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank Thilo Sarrazin ausgelöste Debatte in den Jahren 2009 und 2010 zu nennen, der in renommierten Verlagen und Zeitschriften rassistische Thesen vor allem gegen "Türken", "Araber" und Muslim_innen verbreitete (Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats 2014: 35ff.). Sinti_ze und Rom_nja wurden ebenso zur Zielscheibe in Debatten um Asyl und Freizügigkeit in der Europäischen Union, auch von Politiker_innen etablierter Parteien (Cremer 2013). Zudem plakatierte die rechtsextreme NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) in diversen Wahlkämpfen Plakate mit antiziganistischer, antisemitischer sowie antimuslimischer Zielrichtung (Schmahl 2015).
Einschränkung der Meinungsfreiheit durch Strafrecht nur als letztes Mittel
Zwar kann und muss der Staat rassistischen Positionen, die im öffentlichen Raum geäußert werden, auch mit strafrechtlichen Mitteln Grenzen setzen. Das Strafrecht darf aber grundsätzlich nur das letzte Mittel sein.
Die Meinungsfreiheit ist ein zentrales Menschenrecht; sie ist Bedingung für die volle Entfaltung der Persönlichkeit, Grundlage einer freien und demokratischen Gesellschaft und sichert Förderung und Schutz aller Menschenrechte ab. Diese Einschätzung teilen internationale Menschenrechtsgremien, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Die Meinungsfreiheit ist für die freiheitlich-demokratische Staatsordnung "schlechthin konstituierend", so formuliert es das BVerfG.1 Es sind gerade auch Meinungen geschützt, die von herrschenden Vorstellungen abweichen. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden. Anstoß erregender Rede ist grundsätzlich mit Gegenrede und nicht mit staatlicher Regulierung zu antworten.
Zum Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und dem Verbot rassistischer Verbalangriffe
In der deutschen Rechtsordnung macht sich unter anderem nach § 130 Absatz 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar, wer durch seine Äußerungen die Menschenwürde anderer angreift. § 130 StGB setzt damit eine staatliche Schutzpflicht um, die sich aus Artikel 1 des Grundgesetzes ergibt. In Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
"Darüber hinaus dient § 130 Absatz 1 Nr. 2 StGB auch der Umsetzung menschenrechtlicher Verpflichtungen Deutschlands, zu denen auch das UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form rassistischer Diskriminierung (ICERD) zählt. Dieses Übereinkommen enthält ausdrückliche Verpflichtungen der Vertragsstaaten, bestimmte Äußerungen von Personen als strafbare Handlung einzustufen. Dazu gehört, die Verbreitung rassistischen Gedankenguts ("dissemination of ideas based on racial superiority") zu einer nach dem Gesetz strafbaren Handlung zu erklären (Art. 4a ICERD). Das Übereinkommen formuliert damit eine menschenrechtliche Schutzpflicht des Staates, der zufolge die Meinungsfreiheit zum Schutz vor bestimmten rassistischen Äußerungen durch den Erlass von Strafnormen einzuschränken ist. Hierbei erstreckt sich die Schutzpflicht aus ICERD auch auf rassistische Äußerungen, die an der Religionszugehörigkeit von Menschen anknüpfen, wie etwa im Fall von antisemitischen oder antimuslimischen Äußerungen. Rassismus setzt insbesondere kein Gedankengut voraus, das auf biologistischen Theorien von Abstammung und Vererbung basiert. Es ist erst recht nicht erforderlich, dass Menschen dabei begrifflich nach unterschiedlichen "Rassen" eingeteilt werden.2 Häufig wird Rassismus der Gegenwart unter Bezugnahme auf Merkmale wie "Kultur" oder "Religion" begründet.
Die staatliche Verpflichtung, die Verbreitung rassistischen Gedankenguts gemäß Art. 4a ICERD unter Strafe zu stellen, ist mit der Einheit und Unteilbarkeit der Menschenrechte zu begründen. Rassistische Äußerungen im Sinne von Art. 4a ICERD leugnen grundlegend die Gleichheit aller Menschen und stellen damit das Fundament der Menschenrechte infrage, wie es schon in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 niedergelegt ist: die Gleichheit aller an Würde und Rechten.
Mit der Meinungsfreiheit können daher nicht rassistische Äußerungen im Sinne des Art. 4a ICERD gerechtfertigt werden. Der Staat hat vielmehr seiner aus dem Grundgesetz erwachsenden Schutzfunktion und seinen menschenrechtlichen Schutzpflichten nachzukommen. Staatliche Pflichten zum Schutz vor rassistischen Äußerungen lassen sich überdies auch dem Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) wie auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Europäischen Menschenrechtskonvention entnehmen. Die strafrechtliche Sanktionierung von Äußerungen, die rassistisches Gedankengut verbreiten, berücksichtigt zugleich, welche Wirkungen und Folgen solche Verbalangriffe haben können. Rassistische Verbalangriffe sind Bestandteil und Konsequenz gesellschaftlicher Prozesse, in denen Macht eine wesentliche Rolle spielt. Die Erfahrung mit Rassismus - auf der auch ICERD basiert - zeigt, dass sich rassistische Diskurse auf sehr gefährliche Weise ausbreiten und die Grundlage eines auf Menschenrechten beruhenden und den Menschenrechten verpflichteten Gemeinwesens unterminieren, wenn die Staaten ihnen nicht effektiv entgegentreten.
Die Sanktionierung rassistischer Verbalangriffe zielt deshalb auch darauf ab, dem sogenannten "silencing effect", wonach unmittelbar Betroffene durch verbale Einschüchterungen "mundtot" gemacht werden sollen und ihnen das fundamentale Recht auf gleichberechtigte Teilhabe und Freiheit abgesprochen werden soll, wirksam entgegenzutreten. In diesem Sinne sind die gegenseitige Achtung der menschlichen Würde und das Verbot rassistischer Verbalangriffe ebenfalls konstitutiv für eine freiheitliche plurale Demokratie.
Ein wesentlicher Grund für die Untersagung rassistischer Verbalangriffe beruht außerdem darauf, dass sie sich immer weiter ausbreiten und damit zu einer spezifischen gesellschaftlichen Stimmung beitragen können, die auch die Anwendung von rassistischer Gewalt befördern kann. Bei der Verbreitung rassistischen Gedankenguts geht es nicht nur um die Präsentation von Überzeugungen und Meinungen, sondern um Bedrohungen für konkrete Personengruppen und das friedliche Miteinander (Schmahl 2015: 40ff.).
Die Meinungsfreiheit darf und kann daher auch kein Freifahrtschein für rassistische Diffamierungen sein, die anderen die Anerkennung als Menschen mit gleicher Würde und gleichen Rechten absprechen. Ein Staat, der dabei tatenlos zuschaut, trägt selbst zur Erosion der Meinungsfreiheit bei. Erst Grenzen der Freiheit schaffen die Möglichkeitsbedingungen für die Freiheit aller. Daher sind auch entsprechende Strafgesetze erforderlich und geboten, die bei Grenzüberschreitungen konsequent anzuwenden sind (Bubrowski 2015). Zugleich müssen die Gefahren für eine übermäßige Einschränkung der Meinungsfreiheit berücksichtigt werden.
Allgemeingültige Kriterien, nach denen sich abschließend bestimmen ließe, ob eine Aussage erstens rassistisch und zweitens strafrechtlich zu sanktionieren ist, lassen sich anhand der Spruchpraxis internationaler Menschenrechtsgremien wie auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht ausmachen. Die dazu bisher ergangenen Entscheidungen fallen eher einzelfallorientiert aus. Ob eine Äußerung strafrechtlich zu sanktionieren ist, ist in erster Linie von ihrer inhaltlichen Aussage abhängig. Weitere Aspekte, beispielsweise unter welchen Umständen eine Äußerung getätigt worden ist, können ebenso relevant sein und für oder gegen eine strafrechtliche Sanktionierung sprechen. Im Übrigen müssen strafrechtliche Sanktionierungen einer Meinungsäußerung auch dem Verhältnismäßigkeitsmaßstab genügen: Art und Höhe der Sanktion müssen verhältnismäßig sein.
Kein ausreichender Schutz vor rassistischen Äußerungen in der deutschen Strafrechtspraxis?
Strafbar macht sich nach § 130 Absatz 1 Nr. 2 StGB, wer durch seine Äußerungen die Menschenwürde anderer angreift. Ein solcher Angriff setzt keinen Angriff auf das biologische Lebensrecht voraus, zumal solche Äußerungen regelmäßig die Voraussetzungen der Aufstachelung zum Hass oder zur Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen als eine weitere Tatbestandsvariante der Volksverhetzung (§ 130 Absatz 1 Nr. 1 StGB) erfüllen dürften. Im Übrigen gilt es, den Schutz der Menschenwürde vom Schutz des Lebens zu unterscheiden. Ein Angriff auf die Menschenwürde ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann anzunehmen, wenn den angegriffenen Personen ihr Recht abgesprochen wird, als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft zu leben und sie als minderwertige Wesen behandelt werden.3
In der Praxis ist es ganz überwiegend ein Delikt, bei dem Äußerungen von rechtsextremen Täter_innen geahndet werden, die gegen gesellschaftliche Minderheiten hetzen. Vor allem dann, wenn die Täter_innen sich mit der NS-Rassenideologie identifizieren oder wenn die Äußerungen damit in affirmativem Zusammenhang stehen, wird ein Angriff auf die Menschenwürde und eine Verwirklichung von § 130 Absatz 1 Nr. 2 StGB bejaht. Die Annahme, die sich in der Rechtspraxis widerspiegeln zu scheint, allein rassistische Äußerungen, die inhaltlich oder affirmativ im Zusammenhang zum Nationalsozialismus stehen, könnten die Würde anderer Menschen angreifen, greift allerdings zu kurz. Das darin zum Ausdruck kommende vorherrschende enge Verständnis von Rassismus in Deutschland, auch in der Justiz, wurde in den vergangenen Jahren gleich von mehreren internationalen und europäischen Fachgremien zur Bekämpfung von Rassismus kritisiert, so etwa vom UN-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung (CERD) und von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (ECRI) wie auch vom Menschenrechtskommissar des Europarats.
Ob Äußerungen rassistisch im Sinne von Art. 4a ICERD sind und als solche auch als Angriff auf die Menschenwürde gemäß 130 StGB zu werten sind, wird in der Rechtspraxis häufig gar nicht als Frage aufgeworfen. Eine explizite Prüfung danach, ob eine Äußerung als rassistisch zu bewerten ist, findet in der Regel nicht statt.
Als ein Beispiel dafür kann der Fall dienen, in dem es um ein Interview von Thilo Sarrazin geht, das im September 2009 in der Kulturzeitschrift "Lettre International" veröffentlicht wurde und im Jahr 2013 zum Gegenstand einer Entscheidung durch den UN-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung (CERD). Nach der Entscheidung des Ausschusses hat Deutschland durch unzureichende strafrechtliche Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Thilo Sarrazin das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form rassistischer Diskriminierung (ICERD) verletzt. Unter Bezugnahme auf zahlreiche Äußerungen in dem Interview, in denen Sarrazin der türkeistämmigen Bevölkerung in Berlin pauschal negative Eigenschaften zugeschrieben hat, sie im Vergleich zu anderen Menschen abgewertet und den Respekt als Menschen abgesprochen hat, ist der Ausschuss zu dem Ergebnis gekommen, dass die Äußerungen als rassistisches Gedankengut im Sinne des Art. 4a ICERD einzuordnen sind. Hinsichtlich der Vertragsverletzung hat CERD vor allem darauf abgestellt, dass das Ermittlungsverfahren, welches eingeleitet worden ist, unter Verletzung von Art. 6 ICERD, der die Vertragsstaaten zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet, eingestellt worden ist. Deutschland habe seine Pflicht versäumt, eine effektive Untersuchung anzustellen, die der Frage nachgeht, ob Sarrazins Äußerungen auf eine Verbreitung rassistischen Gedankenguts im Sinne des Art. 4a ICERD hinausliefen.4 Auseinandersetzungen mit der Frage, ob die Äußerungen als rassistisch einzuordnen sind, waren dem Einstellungsbescheid der Berliner Staatsanwaltschaft nämlich nicht zu entnehmen. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (ECRI) hat der Entscheidung von CERD zugestimmt (ECRI 2014: 35ff.). Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat die Kommission zudem auf die Ähnlichkeit der Äußerungen von Thilo Sarrazin mit jenen abgestellt, die Jean Marie Le Pen, Gründer der französischen Partei Front National, in einem vergleichbaren Fall geäußert habe. Der EGMR5 sah die Äußerungen Le Pens nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt und hat deren strafrechtliche Sanktionierung durch Frankreich daher auch nicht beanstandet.
Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2011 weist der Gesetzeswortlaut von § 130 StGB explizit darauf hin, dass es gerade rassistische Äußerungen sein können, die die Menschenwürde anderer angreifen. Gleichwohl scheint sich kein Prüfungsmaßstab zu etablieren, bei dem Äußerungen explizit danach bewertet werden, ob sie rassistisches Gedankengut beinhalten. Ein Grund dafür könnte in der in ihrer Formulierung misslungenen Gesetzesänderung zu suchen sein, die auf verbale Angriffe gegen eine "rassische Gruppe" abstellt.6
Umgang mit rassistischen Wahlkampfplakaten
Auch Wahlkampfplakate können den Straftatbestand des § 130 Absatz 1 Nr. 2 StGB verwirklichen. Als ein Beispiel seien hier Wahlkampfplakate mit der Aufschrift "Geld für die Oma statt für Sinti und Roma" erwähnt, die die NPD bereits in mehreren Wahlkämpfen eingesetzt hat. Die Kernaussage auf dem Plakat besteht darin, dass bestimmte in Deutschland lebende Menschen, die ausdrücklich genannt werden, nämlich Sinti_ze und Rom_nja, im Vergleich zu anderen Menschen minderwertig sind: Sinti_ze und Rom_nja sind weniger wert als andere Menschen. Dies ist die eindeutige und zentrale Aussage, die dem Plakat zu entnehmen ist. Die NPD wirbt dafür, dass nach ihren Vorstellungen andere Menschen ("die Oma") Geld, also staatliche Leistungen, erhalten sollen, statt Sinti_ze und Rom_nja, wobei "die Oma" stellvertretend für die ältere Generation der deutschen Bevölkerung steht und begrifflich offensichtlich auch deswegen gewählt wurde, um einen Reim zu kreieren. Für rassistische Konstruktionen typisch ist, dass hier unterschiedliche und zugleich homogene Gruppen innerhalb der Bevölkerung konstruiert werden, die es in der Realität gar nicht gibt. So gibt es selbstverständlich Überschneidungen zwischen Sinti_ze und Rom_nja und der älteren Generation in der deutschen Bevölkerung.
Es ist im Übrigen unzweifelhaft, dass Sinti_ze und Rom_nja dem Schutz vor rassistischen Äußerungen gemäß § 130 StGB unterliegen, so wie sie ebenfalls unter den Schutz vor rassistischer Diskriminierung nach dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung (ICERD) und nach Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz fallen. Sinti_ze und Rom_nja sind bereits seit langer Zeit in zahlreichen Staaten rassistischer Diskriminierung und Hetze ausgesetzt, auch nach dem Genozid zur Zeit des Nationalsozialismus. Die Kernaussage auf dem Plakat, nach der Sinti_ze und Rom_nja minderwertig sind, ist nach alledem als rassistische Äußerung und Angriff auf die Menschenwürde im Sinne des § 130 Absatz 1 Nr. 2 StGB zu qualifizieren (Deutsches Institut für Menschenrechte 2017).
Das Verwaltungsgericht Kassel ist demgegenüber mit Beschluss vom 09.09.2013 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Plakate den Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllten und deswegen nicht abgehängt werden dürften. Die Frage, ob die Plakate in ihrer Aussage rassistisch sind und als Angriff auf die Menschenwürde (§ 130 Absatz 1 Nr. 2 StGB) zu interpretieren sind, hat das Gericht dabei gar nicht aufgeworfen. Das Verwaltungsgericht Kassel hat in der Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt, dass es den Menschen, die die Plakate wahrnehmen, überlassen bleibe, "unter Betätigung gesunden Menschenverstandes die richtigen Schlussfolgerungen zu treffen"7. Im Ergebnis laufen die Ausführungen des Gerichts damit auf einen Freifahrtschein für rassistische Parolen hinaus. Sie können jedenfalls als Beispiel dafür dienen, dass die negative Wirkung von rassistischen Parolen für das gesellschaftliche Klima und die unmittelbar Betroffenen allzu häufig völlig unterschätzt wird. Dabei können die anvisierten Personengruppen der Aussage auf den Plakaten nicht entgehen.
Was aber sollen die Betroffenen denken und fühlen, wenn der Staat Plakate zulässt und damit schützt, die ihnen ihr Dasein als Menschen auf gleicher Stufe mit allen anderen Menschen absprechen, mit gleichen Rechten und gleicher Würde zu sein? Wie wirken rassistische Wahlplakate auf die Betroffenen, wenn sie ihnen täglich auf dem Arbeitsweg ausgesetzt sind? Wie sollen betroffene Kinder damit umgehen, wenn sie solchen Plakaten ausgesetzt sind, etwa auf ihrem täglichen Weg zur Schule? Es kann nicht verwundern, wenn der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma darüber berichtet, dass die Plakate große Sorge und Angst bei den Betroffenen ausgelöst haben wie auch gewalttätige Übergriffe gegen sie (Rose 2017: 5ff.). Wahlkampfplakate mit rassistischen Inhalten im Sinne von Art. 4a ICERD sind im Übrigen auch unabhängig davon, ob sie in ihren Aussagen einen Straftatbestand des deutschen Strafrechts erfüllen, unverzüglich zu entfernen. Zu diesem Ergebnis kommt zu Recht ein vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zum Umgang mit rassistischen Wahlkampfplakaten vom Oktober 2015 (Schmahl 2015). Dies gilt insbesondere für das Plakat der NPD, dessen Kernaussage nicht nur als Angriff auf die Menschenwürde im Sinne des § 130 StGB zu interpretieren ist. Sie ist ebenso als rassistisches Gedankengut im Sinne von Art. 4a ICERD zu qualifizieren.
Fazit
Es ist im Übrigen gewiss, dass sich rassistische Hetzer_innen und ihre Sympathisant_innen durch eine strafrechtliche Verfolgung oder ordnungsrechtliche Maßnahmen, wie das Entfernen von Plakaten, in dem Gefühl bestärkt sehen, dass ihnen das angebliche linksliberale Meinungskartell aus "Altparteien" und "Lügenpresse" den Mund verbietet. Einzelne fühlen sich durch die zunehmende verbale Hetze ermutigt, zu Gewalt zu greifen. Das Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Oktober 2015 kann als ein Beispiel dafür dienen, die fortschreitende Radikalisierung deutlich zu machen. Um seinem Anspruch gerecht zu werden, darf der Rechtsstaat dort, wo es geboten ist, hingegen nicht vor ordnungs- und strafrechtlichen Maßnahmen gegen rassistische Hetze zurückschrecken.
Es geht im Fall von rassistischen Verbalangriffen nicht nur um den grund- und menschenrechtlichen Schutz für die diffamierten Gruppen, etwa nach Deutschland geflohene Menschen oder Angehörige von Minderheiten. Es geht um das Einschreiten des Staates gegen Angriffe auf die demokratische Gesellschaft und die Menschenrechte insgesamt.
1 Urteil vom 15.1.1958, Aktenzeichen 1 BvR 400/51, Ziffer 31.
2 Siehe zur Problematik des Begriffs „Rasse“ in Rechtstexten: Initiative Schwarze Menschen in Deutschland 2015; Cremer 2010.
3 Urteil vom 15.03.1994, Aktenzeichen 1 StR 179/93.
4 Entscheidung vom 04.04.2013, UN-Dok. CERD/C/82/D/48/2010, Ziffer 12.8.
5 Entscheidung vom 20.04.2010, Le Pen gegen Frankreich, Nr. 18788/09.
6 Schutz vor rassistischen Äußerungen kann sich im deutschen Strafrecht etwa auch aus dem Straftatbestand der Beleidigung in § 185 StGB ergeben, der aber nur vor Beleidigungen von Einzelpersonen schützt. Mehrere Einzelpersonen können zwar unter einer Kollektivbezeichnung beleidigt werden. Nach der Rechtsprechung müssen allerdings alle Angehörigen einer Gruppe und damit alle beleidigten Personen individuell bestimmbar sein. Konsequenz ist, dass § 185 StGB in der Regel keinen Schutz vor rassistischen Äußerungen bietet, die sich nicht konkret gegen individuell bestimmbare Personen richten.
7 VG Kassel, Beschluss vom 09.09.2013, 4 L 1117/13.KS, Rn. 7. Das Verwaltungsgericht München hat sich mit Beschluss vom 20.09.2017, Aktenzeichen M 22 E 17.4341, der Rechtsauffassung des VG Kassel angeschlossen. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat hiergegen Rechtsmittel eingelegt.
Literatur
Bubrowski, Helene (2015)
: Wer Hass sät, wird Gewalt ernten. In: FAZ, 19.10.2015. Online: www.faz.net/aktuell/politik/inland/meinungsfreiheit-versus-hetze-wer-hass-saet-wird-gewalt-ernten-13863450.html [12.10.2017].
Cremer, Hendrik (2010): Ein Grundgesetz ohne "Rasse". Vorschlag für eine Änderung von Artikel 3 Grundgesetz. Deutsches Institut für Menschenrechte: Berlin.
Cremer, Hendrik (2013): Die Asyldebatte in Deutschland: 20 Jahre nach dem Asylkompromiss. Deutsches Institut für Menschenrechte: Berlin.
Deutsches Institut für Menschenrechte (2017)
: Stellungnahme: Rassistische Wahlplakate müssen abgehängt werden NPD-Parole "Geld für die Oma statt für Sinti und Roma" von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Online: www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Stellungnahmen/Stellungnahme_DIMR_Rassistische_Wahlplakate_NPD_Grenzen_Meinungsfreiheit.pdf [12.10.2017].
Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (2002)
: Allgemeine politische Empfehlung Nr. 7 von ECRI über Nationale Gesetzgebung zur Bekämpfung von Rassismus. Online: www.coe.int/t/dghl/monitoring/ecri/activities/GPR/EN/Recommendation_N7/REC7-2003-8-DEU.pdf [12.10.2017].
Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (2014)
: ECRI-Bericht über Deutschland (fünfte Prüfungsrunde). Online: www.coe.int/t/dghl/monitoring/ecri/Country-by-country/Germany/DEU-CbC-V-2014-002-DEU.pdf [12.10.2017].
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (2015)
: Positionspapier der ISD zum Begriff "Rasse" in Gesetzen. Online: isdonline.de/wp-content/uploads/2015/03/Positionspapier-der-ISD-zum-Begriff-%E2%80%9ERasse_-.pdf [12.10.2017].
Rose, Romani (2017): Geschichtsblinde Justiz. In: Zentralrat Deutscher Sinti und Roma [Hrsg.]: Grenzen im politischen Meinungskampf. Zentralrat Deutscher Sinti und Roma: Heidelberg, S. 5-13.
Schmahl, Stefanie (2015)
: Rechtsgutachten über den Umgang mit rassistischen Wahlkampfplakaten der NPD, erstattet am 24. Oktober 2015 im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Online: www.jura.uni-wuerzburg.de/fileadmin/02140200/user_upload/Aktuelles_Ankuendigungen/Gutachten_Wahlkampfplakate.pdf [12.10.2017].
Zick, Andreas/Küpper, Beate/Krause, Daniela (2016): Gespaltene Mitte. Feindselige Zustände, Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016. Friedrich-Ebert-Stiftung: Bonn.