Sozialräumliche Integration von Geflüchteten im ländlichen Raum

Im vorliegenden Beitrag stehen die Besonderheiten des ländlichen Raums im Zentrum. Die Forschungsprojekte hatten (bzw. haben) – bis auf eine Ausnahme – ihren regionalen Schwerpunkt in Ostdeutschland. Auch wenn die vorgestellten Studien nicht direkt auf die Besonderheiten des ländlichen Raums fokussierten, lassen sich wichtige Erkenntnisse diesbezüglich ableiten. Insbesondere lässt sich zeigen, dass neben den Herausforderungen, die in der ländlichen Lage und dessen strukturellen Rahmenbedingungen begründet sind, die gesellschaftliche Atmosphäre vor Ort wesentlichen Einfluss auf die Integrationschancen der nach Deutschland geflüchteten Menschen hat.

Das Thema der Integration von Geflüchteten im ländlichen Raum wurde in den Sozialwissenschaften bislang sehr randständig behandelt. Prozesse des Ankommens in Deutschland wurden vor allem im städtischen Kontext beforscht (u. a. Christ et al. 2017, Dilger/Dohrn 2016, Dittmer/Lorenz 2016, Foroutan et al. 2017, Vey 2018a). In diesem Beitrag möchten wir daher die sozialräumliche Integration von Geflüchteten im ländlichen Raum anhand empirischer Daten genauer beleuchten. Wir greifen dazu auf die Ergebnisse aus vier Forschungsprojekten zurück. Ziel ist es, diese unter der Fragestellung „Was sind Besonderheiten des ländlichen Raums, die die sozialräumliche Integration Geflüchteter herausfordern?“ zu diskutieren. Im Folgenden werden wir die Studien vorstellen, die Begriffe sozialräumliche Integration und ländlicher Raum erläutern und anschließend die Forschungsergebnisse darlegen.

Datengrundlage

Die Datengrundlage stammt aus vier qualitativen Studien.1 Diese fokussierten zwar nicht auf die Besonderheiten des ländlichen Raums, jedoch lassen sich wichtige Erkenntnisse ableiten.

  1. Die Kurzstudie „Willkommensinitiativen in Brandenburg. Eine Bedarfsanalyse zu ehrenamtlichem Engagement in der Flüchtlingshilfe“ (Vey/Sauer 2016, Sauer/Vey 2017, Vey/Sauer 2017, Vey 2018b) zielte darauf, die Bedürfnisse Geflüchteter zu erfassen und die Arbeit von Ehrenamtlichen zu reflektieren. Datengrundlage waren leitfadenbasierte Interviews und Gruppendiskussionen mit in der Flüchtlingshilfe engagierten Unterstützer*innen, im Themenfeld professionell Tätigen sowie mit Geflüchteten, die in Gemeinschaftsunterkünften in Brandenburg lebten.
  2. Eine weitere, unveröffentlichte Kurzstudie „Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte – Entstehungs- und Eskalationsbedingungen“ (Sauer/Vey 2015) nahm die massive Zunahme flüchtlingsfeindlicher Aktivitäten in der zweiten Jahreshälfte 2015 zum Anlass, um nach lokalen Kontextfaktoren zu forschen, die jene Proteste begünstigen. Hier wurden exemplarisch die Ereignisse rund um die Eröffnung einer Gemeinschaftsunterkunft in je einer mittelgroßen Stadt in Brandenburg und in Sachsen anhand von Interviews und einer Dokumentenanalyse rekonstruiert.
  3. Die Studie mit partizipativem Forschungsansatz „Unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Brandenburg. Evaluation der Unterbringungssituation unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter im Land Brandenburg mit Schwerpunkt auf die subjektive Sicht der Jugendlichen“ (Thomas et al. 2018, Sauer et al. 2019) beleuchtete aus verschiedenen Perspektiven die Lebenssituationen unbegleiteter Minderjähriger. Datengrundlage waren Workshops, Interviews und Gruppendiskussionen mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten sowie Interviews mit Personal in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Als Ergänzung zu den qualitativen Herangehensweisen wurden zwei standardisierte Fragebogenbefragungen durchgeführt.
  4. In der Studie „Handlungsfähigkeit in der bundesdeutschen Flüchtlingsunterbringung“ (Vey 2018a, Vey 2019 i.E.) steht die Wahrnehmung der Geflüchteten auf ihre Unterbringung im Vordergrund. In einer bundesweit angelegten Analyse verschiedener Unterkunftsformen wurden mittels (Gruppen-)Interviews, interaktiven Workshops, Begleitungen im Alltag und teilnehmender Beobachtung die Auswirkungen der Unterbringung auf die Geflüchteten, die Handlungsmöglichkeiten sowie Versuche, die Handlungsfähigkeit zu erweitern, untersucht.

Begriffsklärung I: Sozialräumliche Integration

Der Integrationsbegriff ist problembehaftet, da er nicht nur im öffentlichen Sprachgebrauch, sondern mitunter auch in der Wissenschaft mit Begriffen wie Assimilation oder Anpassung assoziiert wird, infolge derer die eigene zugunsten einer vermeintlich homogenen „deutschen“ Kultur aufgegeben oder zurückgestellt wird (zur Kritik des Integrationsbegriffs: z. B. Schirilla 2016, Terkessidis 2010). Wir halten in diesem Beitrag am Begriff der Integration fest, beziehen uns jedoch auf ein Verständnis, das nicht (nur) die Anstrengungen der geflüchteten Menschen in den Blick nimmt, sondern vor allem danach fragt, wie die deutsche Gesellschaft die Rahmenbedingungen gestaltet, die ein Ankommen in Deutschland erst ermöglichen. Für eine Definition des Begriffs sozialräumliche Integration haben wir daher unser Material danach befragt, was aus Sicht der Geflüchteten für das Ankommen im Sozialraum relevant ist. Es lassen sich drei Bereiche ableiten: Für die befragten Geflüchteten von zentraler Bedeutung ist die (1) Partizipation im Sozialraum, d. h. der Aufbau von Beziehungen zu Menschen in der Wohnumgebung sowie die Teilhabe an sozialen, kulturellen und politischen Aktivitäten. Erst dadurch kann es gelingen, sich als Mitglied der lokalen Gemeinschaft zu fühlen. Zur Entwicklung einer Bleibeperspektive und zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts ist (2) ein Zugang zu Ressourcen und Leistungen wichtig. Hierunter fällt neben einem unkomplizierten und gut erreichbaren Zugang zu Behörden, Ämtern, Wohlfahrtsverbänden und sozialen und rechtlichen Beratungsangeboten die Möglichkeit der Aufnahme einer Arbeit. Von elementarer Bedeutung ist darüber hinaus (3) der Zugang zu Dingen des alltäglichen Lebens und Bedarfs.

Begriffsklärung II: Ländlicher Raum

Ländliche Räume lassen sich ganz allgemein als „Regionen mit einer geringen Siedlungsdichte und Einwohnerzahl im Umfeld der Region, einer lockeren Wohnbebauung und einem relativ hohen Anteil land- und forstwirtschaftlicher Fläche sowie einer Randlage zu großen Zentren“ (Mehl 2017: 9) beschreiben. Ein zentrales Merkmal ländlicher Räume ist ihre infrastrukturelle Abgeschiedenheit, das heißt, sie sind durch „weite Wege zwischen dem Wohnort und den übrigen Funktionen des alltäglichen Lebens wie Arbeitsplatz, Ausbildungsstätte, Versorgungsmöglichkeiten oder Freizeitangeboten gekennzeichnet“ (Küpper 2016: 6). Die konkreten Lebensbedingungen der Menschen sind jedoch nicht nur von der Ländlichkeit des Raums geprägt, sondern auch von der sozioökonomischen Lage.2 Bei besserer sozioökonomischer Lage kann zum Beispiel leichter in die Infrastruktur investiert und der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ausgebaut werden. Dies kann das Hindernis der weiten Wege zwar nicht abschaffen, aber abfedern.

Patrick Küpper (2016) hat eine Typisierung ländlicher Räume vorgelegt, um den ländlichen Raum als wissenschaftliche Kategorie mithilfe von Strukturparametern aus amtlichen Statistiken beschreiben zu können. Nach dieser Typisierung ist Brandenburg ein Bundesland, das durch ländliche und sehr ländliche Kreisregionen mit schwacher sozioökonomische Lage geprägt ist (vgl. Küpper 2016: 26). Exemplarisch angewandt auf die Frage, wie weit der nächste Supermarkt pro Gemeinde entfernt ist, lässt sich feststellen, dass Brandenburg neben Mecklenburg-Vorpommern den höchsten Anteil an Gemeinden aufweist, in denen die Fahrtzeit zum nächstgelegenen Supermarkt mit dem PKW länger als 15 Minuten dauert. Ausnahme ist das Berliner Umland, das durchschnittliche Fahrtzeiten von etwa 5 Minuten aufweist (Plankl et al. 2016: 48).

Besonderheiten des ländlichen Raums

Die schwierigen infrastrukturellen Bedingungen des ländlichen Raums sind keineswegs nur für die bereits länger ansässige Bevölkerung von Belang, sondern beeinflussen die Situation von Geflüchteten in besonderem Maße. In diesem Teil möchten wir die Besonderheiten des ländlichen Raums beleuchten, die die sozialräumliche Integration von Geflüchteten herausfordern.

Weite Wege und defizitäre oder fehlende Infrastruktur zählen zu den zentralen Herausforderungen für die sozialräumliche Integration Geflüchteter. Insbesondere bei schlecht ausgebautem ÖPNV wird die Mobilität der Geflüchteten eingeschränkt. Da sie meist über kein Auto verfügen, sind sie bei schlechter Bus- oder Bahn-Anbindung auf Fahrdienste durch Ehrenamtliche angewiesen. Die von uns interviewten Ehrenamtlichen berichteten, dass Fahrdienste zu den zentralen Tätigkeiten ihres Engagements zählen. Mitunter entstanden dadurch hohe Kosten für die Unterstützer*innen, die nicht oder nur mit hohem bürokratischen Aufwand erstattet wurden (Vey/Sauer 2016: 19f.). Die von uns identifizierte hohe Bedeutung von Fahrdiensten im ländlichen Raum wird von zwei quantitativen Studien belegt: In Brandenburg übernehmen fast ein Drittel der befragten Personen regelmäßig Fahrdienste für Geflüchtete (29,7 %) (MASGF 2017: 19). Einer bundesweiten Befragung zufolge werden Fahrdienste für Geflüchtete in Land- und Kleinstädten sechsmal häufiger als in größeren Städten geleistet (Karakayali/Kleist 2016: 16). Mit den Fahrdiensten verbunden ist oftmals die Begleitung zu Behörden und/oder ärztlicher Versorgung. Auch hier lässt sich ein Zusammenhang zwischen ländlichem Raum und Häufigkeit der Begleitung durch Ehrenamtliche feststellen: Mit zunehmender Größe der Kommune nimmt der Anteil der Begleitung durch Ehrenamtliche ab (Karakayali/Kleist 2016: 17).3 Für Brandenburg bedeutet dies, dass jede_r zweite ehrenamtlich Tätige Geflüchtete zu Behörden und/oder Ärzt*innen begleitet (MASGF 2017: 19).

In der Studie zur Lebenssituation unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter (Thomas et al. 2018) wurde deutlich, dass die politische Forderung der städtebaulichen Anbindung von Unterkünften, z. B. durch einen gut ausgebauten ÖPNV, für Geflüchtete eine wichtige, aber nicht ausreichende Voraussetzung zur Förderung der Mobilität ist. Selbst bei relativ guter lokaler Anbindung an den ÖPNV war dessen Nutzung für die jungen Geflüchteten nicht immer möglich, da die Finanzierung der Fahrkarten durch das Jugendamt vom Schulweg abhängig ist (Thomas et al. 2018: 154). Das heißt, dass diejenigen, die keine oder nur streckengebundene Fahrkarten bekommen, in ihrer Mobilität sehr eingeschränkt waren. Das erschwerte wiederum die Erschließung des Sozialraums und damit die Integration. Die eingeschränkte Mobilität hat auch negative Auswirkungen auf die Grundvoraussetzung gelingender Integration: das Erlernen der deutschen Sprache. Da der Besuch eines professionellen Sprachkurses teilweise einen Tagesausflug bedeutet, sind Geflüchtete im ländlichen Raum strukturell benachteiligt. Das trifft in besonderem Maße Mütter mit Kleinkindern. Ehrenamtliche versuchen, durch Deutschunterricht vor Ort der Problematik zu begegnen. Das erklärt auch, warum im ländlichen Raum der Deutschunterricht ein wichtiges Tätigkeitsfeld für ehrenamtliches Engagement ist (Vey/Sauer 2016, vgl. hierzu auch Karakayali/Kleist 2016: 16). Unserer Studie zufolge zählen der Abbau von Sprachbarrieren, die Förderung der individuellen Mobilität und die Begleitung von Geflüchteten bei Behördengängen und Arztbesuchen zu den häufigsten Unterstützungsleistungen (Vey/Sauer 2016: 15).

Eng verbunden mit der geografischen Ausdehnung des ländlichen Raums ist die Herausforderung, ein flächendeckendes Beratungs- und Unterstützungsangebot für die Fragen geflüchteter Menschen bereitzustellen. Das Fehlen von auf asyl- und aufenthaltsrechtliche Fragen spezialisierter Beratung erschwert den Zugang zu Ressourcen und rechtlich zustehenden Leistungen. Diese Versorgungslücke wird im ländlichen Raum durch das Fehlen bzw. die schlechte Erreichbarkeit von Netzwerken der migrantischen Communitys verstärkt. Die Integrationschancen Geflüchteter sind im ländlichen Raum daher besonders von den lokalen Gegebenheiten wie der gesellschaftlichen Atmosphäre und dem freiwilligen Engagement der ansässigen Bevölkerung abhängig (Sauer/Vey 2015). Eine Möglichkeit der Abhilfe wird in der Bereitstellung mobiler Beratungsdienste gesehen. In Brandenburg finden sich zudem Ehrenamtliche, die aus den städtischen Ballungszentren in den ländlichen Raum fahren, um fehlende lokale Unterstützung abzufedern. Die räumliche Distanz zwischen Geflüchteten und Freiwilligen aus dem urbanen Raum erschwert jedoch die Bildung von Freundschaften und die Unterstützung bei der Integration in den Sozialraum (Vey/Sauer 2016). Ein als unbegleiteter Minderjähriger eingereister Geflüchteter bezeichnete auf einem Dialogforum den Kontakt und die Freundschaft mit Deutschen als „Schlüssel“ für das Ankommen in Deutschland.4

Die infrastrukturellen Herausforderungen im ländlichen Raum können durch sozialräumliche Ausgrenzungsmechanismen verschärft werden. Dies fördert Isolation und Segregation und erschwert Integration (Vey 2018a). Eine solche Unterkunft befindet sich beispielsweise im Industriegebiet oder mehrere Kilometer vom nächsten Ort entfernt. Erfolgt die Unterbringung zudem in umfunktionierten Gebäuden, kann diese räumlich-architektonische Sonderstellung die Ausgrenzungsmechanismen verstärken. Eine solche Einrichtung fördert die Wahrnehmung der Unterkunft als „Haus, in dem die Ausländer wohnen“ (z. B. Thomas et al. 2018: 115). Selbst in der Kinder- und Jugendhilfe ist die getrennte Unterbringung normal: Ca. drei Viertel aller unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten sind in Brandenburg in Einrichtungen untergebracht, die ausschließlich Geflüchtete beherbergen (Thomas et al. 2018: 114f.). Da alters- und sprachbedingt das Gros der jungen Geflüchteten darüber hinaus in eigens für Geflüchtete eingerichteten Schulklassen beschult wird, ist das Schließen von Freundschaften mit deutschen Peers und die Integration in den Sozialraum selbst für die Gruppe der unbegleiteten Minderjährigen eine massive Herausforderung (u. a. Thomas et al. 2018: 159-164).

Demgegenüber steht die im Vergleich zur anonymen Großstadt stärker ausgeprägte soziale Nähe, die sich im Gefühl „Jede*r kennt Jede*n“ manifestiert. Insbesondere in der Studie von Thomas et al. wurden die Chancen des ländlichen Raums von den Expert*innen hervorgehoben, die Geflüchteten äußerten sich deutlich skeptischer (2018: 149-151). Aus unserer Sicht spielt die soziale Nähe eine ambivalente Rolle, da sie sowohl die Integrationschancen erhöhen kann als auch die Gefahr von Ausgrenzung verstärkt. Das politische Klima vor Ort ist hierbei ein wesentlicher Faktor, der die Ambivalenz sozialer Nähe beeinflusst (Sauer/Vey 2015). Bei einer flüchtlingsfreundlichen Atmosphäre können das Unterstützungspotenzial sowie die Integrationschancen steigen. Die Gefahr der Ausgrenzung steigt, wenn sich Lokalverantwortliche in einem flüchtlingsfeindlichen Klima nicht aktiv aufseiten der Geflüchteten positionieren. Unsere Kurzstudie zu flüchtlingsfeindlichen Protesten hat zudem gezeigt, dass Unterstützungsangebote ausschließlich für Geflüchtete Sozialneid-Gefühle erzeugen und die örtliche Stimmung negativ beeinflussen können (ebd.).

Sozialräumliche Integration Geflüchteter

Wie steht es nun um die sozialräumliche Integration in den drei Bereichen (1) Partizipation im Sozialraum, (2) Zugang zu Ressourcen und Leistungen und (3) Zugang zu Dingen des alltäglichen Bedarfs und Lebens? Hinsichtlich der Partizipation im Sozialraum lässt sich festhalten, dass diese auch im ländlichen Raum gelingen kann. Die soziale Nähe kann sich begünstigend auf die sozialräumliche Integration von Geflüchteten auswirken. Sie ist jedoch maßgeblich von der gesellschaftlichen Atmosphäre vor Ort abhängig (Sauer/Vey 2015). Im Falle eines unbegleiteten Minderjährigen führte eine zufällige Begegnung dazu, dass er im lokalen Chor aufgenommen wurde:

Und […] bei dem [Jungenname] war es eben auch so […] er macht gerne Musik. Ja […] und so wie es auch manchmal ist in so einer kleinen Stadt. Ich kenne jemanden, der jemanden kennt, und die waren zufällig beim Einwohnermeldeamt und […] dort wurde auch gefragt, also man hat Interesse gezeigt: ‚Was machst du denn gern?‘ ‚Na, ich singe gern.‘ ‚Na, dann komm doch zu uns.‘ (Thomas et al. 2018: 151)

Der Zugang zu Ressourcen und Leistungen kann auch im ländlichen Raum ermöglicht werden. Infrastrukturelle Leerstellen lassen sich beispielsweise durch mobile Angebote abfedern. Die Bereitstellung solcher Angebote hängt jedoch von der Bereitschaft, den Kapazitäten und den finanziellen Ressourcen der Kommune ab. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass der bundesweite Fachkräftemangel in der Flüchtlingshilfe, der sich im ländlichen Räumen verschärft zeigt, die Qualität der mobilen Angebote beeinträchtigt. Der Zugang zu Dingen des alltäglichen Bedarfs und Lebens kann ebenfalls durch die Bereitstellung von mobilen Angeboten ausgeglichen werden. Grundbedürfnisse können daher zumeist befriedigt werden. Die Deckung weitergehender Bedürfnisse, wie der Zugang zu Freizeiteinrichtungen sowie Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration, ist im ländlichen Raum bei schlechter ÖPNV-Infrastruktur meist schwer zu bewerkstelligen. Für den Prozess des Ankommens in Deutschland ist die Integration in den Arbeitsmarkt jedoch von zentraler Bedeutung. Aufgrund von Sprachbarrieren, kurzer Aufenthaltstitel und Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Abschlüssen sind Geflüchtete gegenüber Mitbewerber*innen oftmals benachteiligt und werden nicht zuletzt infolge rassistisch-fremdenfeindlicher Vorurteile diskriminiert.

Sozialräumliche Integration in extrem abgeschiedenen Räumen

Wie wir dargelegt haben, kann die sozialräumliche Integration von Geflüchteten zum Teil (gut) gelingen – mit einer Ausnahme, auf die wir kurz eingehen möchten. In sehr dünn besiedelten Gegenden kann die Partizipation im Sozialraum eine große Schwierigkeit darstellen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Unterkunft für Geflüchtete sehr abgeschieden liegt. Wir wollen hierfür ein Beispiel aus Hessen und ein Beispiel aus Brandenburg heranziehen: Die Unterkunft in Hessen wurde im Rahmen des Forschungsprojekts zur Handlungsfähigkeit in der Flüchtlingsunterbringung besucht.5 Die Anzahl der Geflüchteten war fast doppelt so hoch wie die Einwohner*innenzahl des Ortes. Die Unterkunft lag zudem außerhalb des Dorfes. Trotz intensiver Bemühungen von Professionellen wie Ehrenamtlichen fühlten sich die Geflüchteten enorm isoliert. Auch der personell gut ausgestattete Shuttle-Service konnte keine Abhilfe schaffen, da dieser nur werktags und nur für Erledigungen, Arzt- und Behördenbesuche eingerichtet wurde. Alle Bewohner*innen beantragten trotz der guten Unterstützungsstrukturen die Verlegung in eine besser angebundene Unterkunft. Ähnliches wurde auch in Brandenburg in einer im Wald gelegenen Unterkunft für unbegleitete minderjährige Geflüchtete beobachtet. Alle Möglichkeiten zur Integration in den lokalen Sozialraum waren mit weiten Wegen und langen Fahrzeiten verbunden und wurden zusätzlich durch die Vollverpflegung erschwert. Auch dort gab es einen Shuttle-Service zum nächstgelegenen Bahnhof. Die Jugendlichen waren dennoch sehr unzufrieden. Ein Jugendlicher berichtete, dass er nach der Schule gut eine Stunde in die Unterkunft zum Mittagessen fährt, um anschließend für das Fußballtraining wieder zurückzufahren. Er erlebte die Vollverpflegung als Ausgrenzung, da diese ihn vor die Wahl stellte, entweder hungrig Sozialkontakte zu pflegen, oder weite Wege auf sich zu nehmen, um essen zu können. Für die Integration von Geflüchteten ist es unabdingbar, dass die Möglichkeit besteht, an lokalen Aktivitäten teilzunehmen und soziale Beziehungen aufzubauen. Wenn dies wie in den Beispielen kaum gelingen kann, weil es nahezu keinen Sozialraum gibt, ist es schwierig, von einer Integration in den Sozialraum zu sprechen.

 

Fazit

Aus unserem Material lassen sich drei Faktoren ableiten, die sich auf die sozialräumlichen Integrationschancen Geflüchteter in ländlichen Räumen auswirken: Erstens spielen die strukturellen Rahmenbedingungen vor Ort eine zentrale Rolle. Hinsichtlich der Integrationsprozesse sind zweitens die sozialpolitischen Maßnahmen von zentraler Bedeutung, durch die der Zugang zu Ressourcen, Leistungen und Beratungsmöglichkeiten trotz ungünstiger Lage ermöglicht wird. In den Jahren 2015 und 2016 wurden sie in großem Maße von Ehrenamtlichen geleistet. In unseren Forschungsprojekten wurde deutlich, dass ehrenamtliches Engagement nur zum Teil eine fehlende Infrastruktur ersetzen kann. Als weiterer Faktor ist drittens die gesellschaftliche Atmosphäre vor Ort zu nennen. Wenn eine flüchtlingsfreundliche Atmosphäre vor Ort herrscht, erhöht dies die Integrationschancen. Unsere Analyse hat jedoch auch gezeigt, dass die genannten Faktoren nur begrenzt wirken. Insbesondere der Mangel an Infrastruktur kann nur partiell ausgeglichen werden.

 

 

1 Die ersten beiden Studien wurden von den Autorinnen gemeinsam durchgeführt, an der dritten Studie war Madeleine Sauer beteiligt und die letzte Studie wird von Judith Vey geleitet.

2 „Mit Hilfe der Dimension ‚sozio-ökonomische Lage‘ sollen ländliche Räume dahingehend charakterisiert werden, ob relativ gute oder weniger gute soziale und wirtschaftliche Bedingungen für die dort lebenden Menschen bestehen.“ (Küpper 2016: 12).

3 In Millionen-Städten nimmt diese Form der Unterstützung wieder leicht zu (Karakayali/Kleist 2016: 17).

4

Link zum Veranstaltungsbericht: www.buendnis-fuer-brandenburg.de/2017/11/20/brandenburg-weltoffen-und-tolerant/ [Zugriff 14.11.18].

5 Die Unterkunft in Hessen befand sich im Gegensatz zu den besuchten Einrichtungen in Brandenburg in einem Landkreis, der Küpper (2016) zufolge durch eine sehr starke Ländlichkeit und durch eine gute sozioökonomische Lage charakterisiert ist.

Literatur

Christ, Simone/Meininghaus, Esther/Röing, Tim (2017):

All Day Waiting. Konflikte in Unterkünften für Geflüchtete in NRW. bicc-Working Paper: Bonn. Online: www.bicc.de/uploads/tx_bicctools/BICC_WP_3_2017_web.pdf [04.04.2019].

Dilger, Hansjörg/Dohrn, Kristian (2016): Living in Refugee Camps in Berlin: Women's Perspectives and Experiences. Weißensee Verlag: Berlin.

Dittmer, Cordula/Lorenz, Daniel F. (2016):

„Waiting for the bus that never comes“ – Quick Response Erhebung von Bedürfnissen und Selbsthilfepotenzialen geflüchteter Menschen in einer Berliner Notunterkunft. Online: www.fluchtforschung.de/wp-content/uploads/2016/09/Ergebnispr%C3%A4sentation_Erhebung_Bed%C3%BCrfnisse_NUK_final.pdf [04.04.2019].

Foroutan, Naika/Hamann, Ulrike/El-Kayed, Nihad/Jorek, Susanna/Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) (2017): Zwischen Lager und Mietvertrag – Wohnunterbringung geflüchteter Frauen in Berlin und Dresden. Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), Humboldt-Universität zu Berlin: Berlin.

Karakayali, Serhat/Kleist, J. Olaf (2016): Strukturen und Motive der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit (EFA) in Deutschland. 2. Forschungsbericht. Ergebnisse einer explorativen Umfrage vom November/Dezember 2015. Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), Humboldt-Universität zu Berlin: Berlin.

Küpper, Patrick (2016): Abgrenzung und Typisierung ländlicher Räume. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 53 p, Thünen Working Paper 68, DOI:10.3220/WP1481532921000.

MASGF (Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie) [Hrsg.]/Lemmermeier, Doris/Gartz, Manfred (2017): „Integration machen Menschen“. Aktuelle Situation des Ehrenamts in der Flüchtlingshilfe im Land Brandenburg. Potsdam.

Mehl, Peter [Hrsg.] (2017): Aufnahme und Integration von Geflüchteten in ländliche Räume: Spezifika und (Forschungs-)herausforderungen: Beiträge und Ergebnisse eines Workshops am 6. und 7. März 2017 in Braunschweig. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 166 p, Thünen Rep 53, DOI:10.3220/REP1510576697000.

Plankl, Reiner/Neumeier, Stefan/Osigus, Torsten/Küpper, Patrick/Mehl, Peter (2016): Indikatoren und Karten zur Darstellung von Potenzialen bei der Aufnahme von Flüchtlingen auf Landkreisebene. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 77 p, Thünen Working Paper 59, DOI:10.3220/WP1467711761000.

Sauer, Madeleine/Thomas, Stefan/Zalewski, Ingmar (2019): Potentiale und Fallstricke von Peer-Research im Rahmen partizipativer Forschung mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten. In: Frank, Carola/Jooß-Weinbach, Margarete/Loick Molina, Steffen/Schoyerer, Gabriel [Hrsg]: Der Weg zum Gegenstand in der Kinder- und Jugendhilfeforschung. Methodologische Herausforderungen für qualitative Zugänge. Weinheim: Beltz Juventa.

Sauer, Madeleine/Vey, Judith (2015): Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte: Entstehungs- und Eskalationsbedingungen. Zum Stand der Forschung und Einschätzungen zentraler beteiligter Akteure in ausgewählten Regionen. Unveröffentlichte Studie.

Sauer, Madeleine/Vey, Judith (2017): Herausforderungen in der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit. Zum Verhältnis von Geflüchteten und Unterstützungsgruppen. Forschungsjournal Soziale Bewegungen, 30(3).

Schirilla, Nausikaa (2016): Migration und Flucht. Orientierungswissen für die Soziale Arbeit. Kohlhammer: Stuttgart.

Terkessidis, Mark (2010): Interkultur. Suhrkamp: Berlin.

Thomas, Stefan; Sauer, Madeleine/Zalewski, Ingmar (2018):

Unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Ihre Lebenssituationen und Perspektiven in Deutschland. Transcript: Bielefeld. Open Access: www.transcript-verlag.de/media/pdf/fc/57/3b/oa9783839443842cXtFLqkhGKeE2.pdf [04.04.2019].

Vey, Judith (2018a):

Leben im Tempohome. Qualitiative Studie zur Unterbringungssituation von Flüchtenden in temporären Gemeinschaftsunterkünften in Berlin. ZTG Discussion Paper. Online: www.tu-berlin.de/fileadmin/f27/PDFs/Discussion_Papers_neu/discussion_paper_Nr._40_18.pdf [04.04.2019].

Vey, Judith (2018b): Zwischen Empowerment, Lückenbüßerei und neoliberaler Aktivierung des Selbst. Ehrenamtliches Engagement und Regelversorgung in der bundesdeutschen Flüchtlingsversorgung. In: Zajak, Sabrina/Gottschalk, Ines [Hrsg.]: Flüchtlingshilfe als neues Engagementfeld. Chancen und Herausforderungen des Engagements für Geflüchtete. Nomos: Baden-Baden.

Vey, Judith (2019, i.E.): Unterbringung von Flüchtenden im autoritären Festungskapitalismus. Dynamiken, Eigenlogiken, Widersprüche. In: Book, Carina/Huke, Nikolai/Klauke, Sebastian/Tietje, Olaf [Hrsg.]: Alltägliche Grenzziehungen. Das Konzept der imperialen Lebensweise, Externalisierung und exklusive Solidarität. Westfälisches Dampfboot: Münster.

Vey, Judith/Sauer, Madeleine (2016):

Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe. Herausgegeben von Aktionsbündnis Brandenburg. Gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, und Institut für Protest- und Bewegungsforschung Berlin. Online: www.aktionsbuendnis-brandenburg.de/wp-content/uploads/2017/12/Ehrenamtliche_Fluechtlingsarbeit.pdf [20.11.2018].

Vey, Judith/Sauer, Madeleine (2017): Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe: Zum Verhältnis von Willkommensinitiativen, staatlicher Regelversorung und Geflüchteten in Brandenburg. In: Lessenich, Stephan [Hrsg.]: Geschlossene Gesellschaften. Verhandlungen des 38. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Bamberg 2016.