Die Demokratie befindet sich mehr denn je in einer zweischneidigen Situation. Einerseits hat seit der Auflösung des Ost-West-Konflikts des Kalten Krieges, der das letzte Jahrhundert nach dem 2. Weltkrieg geprägt hat, eine weitere Welle eines „Siegeszug[s] der Demokratie“ (Frevel 2009: 126) stattgefunden. Andererseits ist mit der gegenwärtigen Stärkung und Etablierung populistischer Politik in den westlichen Demokratien, nunmehr vor allem auch mit der Präsidentschaft Trumps in den Vereinigten Staaten, das Problem deutlich geworden, dass ein scheinbarer Mehrheitswillen die Demokratie letztlich gleichförmig macht, weil sie „Mehrheit“ mit dem Ausschluss anderer Meinungen und Handlungsziele verknüpft – also den Normen und Grundlagen widerspricht, denen die moderne Demokratie im Grundsatz verpflichtet ist. Manche Autorinnen und Autoren sehen bereits das mögliche „Ende der Demokratie“ (Grayling 2016), erkennen jedenfalls eine massive Gefährdung, die die aktuelle demokratiepolitische Entwicklung der westlichen Systeme aus sich selbst heraus vorbringt. Immer wieder wird dabei ein umfassendes „Bildungsprogramm“ (ebd.) gefordert, um Demokratien vor einem sich normfrei gebärdenden Mehrheitswillen zu schützen.
Das aber ist nun wahrlich nicht neu. Gerade in Deutschland zeigt die Institutionalisierung der Politischen Bildung als eigenständiges Schulfach sowie als breit aufgestellter Bereich staatlicher politischer Erwachsenenbildung in der Bundeszentrale und den Landeszentralen für politische Bildung: Das Bewusstsein in der Politik vor dieser inhärenten Gefahr demokratischer Ordnungssysteme ist vorhanden. Hier lebt der Gedanke fort, dass die demokratische Ordnung nie eine Selbstverständlichkeit war. Ebenso wie nicht vorbehaltlos vorausgesetzt werden kann, dass Menschen ein politisches Bewusstsein entwickeln und sich entsprechend engagieren (Negt 2011). Gleichwohl scheint dies alles derzeit nicht hinreichend wirksam zu sein – es ist unübersehbar, dass politische Bildung im konservativen Sinne als Lernen durch Unterweisung zwar bisweilen notwendig, jedoch nicht hinreichend präventiv wirksam ist.
Klar ist: Die Akzeptanz und die Unterstützung der Demokratie setzen einerseits fundiertes Wissen und andererseits individuell wirksame positive Erfahrungen mit demokratischen und partizipativen Verhältnissen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen voraus. Dass die demokratische Erfahrungsqualität in pädagogischen Institutionen und das fachliche Lernen von Politik und Demokratie für demokratische Gesellschaften grundlegend sind, wird heute kaum mehr infrage gestellt.
Es zeigt sich jedoch auch im Kontext dieser Europa und den Westen betreffenden Diagnosen, dass die demokratische Gesellschaft in Deutschland – und damit insbesondere auch in Thüringen – vor vielfältigen Herausforderungen steht, weil viele Bürgerinnen und Bürger auch hierzulande die Demokratie als von innen und außen gefährdet ansehen. Seit etwa zehn Jahren lässt sich zudem zeigen, dass weltweit die Demokratie als politische Struktur mit ihren Einrichtungen und vor allem mit einer zugehörigen demokratischen Praxis und Kultur zurückgeht: So wird von einer „Rezession der Demokratie“ (Diamond et al. 2016: 60) gesprochen. Daher gilt, dass jede pädagogische Profession ihren eigenen Beitrag zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Demokratie reflektieren sollte, denn es wird deutlich, dass der Bestand und die stetige Entwicklung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Errungenschaften einer „unendlichen Aufgabe“ (Heil/Hetzel 2006) gleichen.
Um demokratische Einstellungen und moralische Werthaltungen aufzubauen und zu fördern, ist es daher weiterhin notwendig, die Möglichkeiten bestehender und neu zu entwickelnder Lerngelegenheiten und Bildungsangebote in der alltäglichen Praxis in den Blick zu nehmen. Bildung kann aber nicht als „gesellschaftspolitische Feuerwehr“ wirken und Probleme sowie Konflikte allein löschen und lösen, deren Gründe in Gesellschaft und Politik selbst liegen. Dies gilt erst recht für die Politische Bildung und die Demokratiepädagogik.
Hinzu kommt, dass auch in Thüringen in den Ausbildungsphasen und der alltäglichen Praxis häufig nicht hinreichend bedacht wird, dass demokratisches Lernen der grundlegende Bildungsauftrag aller pädagogischen Berufsfelder ist. Zwar stellt beispielsweise der Umgang mit Vielfalt und deren Anerkennung für professionelle Akteure in pädagogischen Arbeitsfeldern eine grundlegende Kompetenz ihres beruflichen Wirkens dar, doch diese ergibt sich nicht allein durch die berufliche Qualifikation (Bischoff et al. 2013). Oftmals bleibt Demokratie- und Menschenrechtsbildung daher abseits fachlicher Lehrinhalte punktuell und an der Oberfläche einseitiger Belehrung.
Für das Lernen von und für die Demokratie ist aus demokratiepädagogischer Sicht jedoch vorrangig Erfahrung und Handeln die Grundlage (Beutel et al. 2012). Alle an Bildung Beteiligte müssen sich daher tagtäglich erneut fragen, wie sie demokratieförderliche Bildungsprozesse auslösen und unterstützen können und so- mit ihrem Auftrag gerecht werden.
Wir möchten zeigen – ausgehend von schulpraktischen Projekt-Beispielen aus dem Wettbewerb „Förderprogramm Demokratisch Handeln“1 –, welche Möglichkeiten demokratiepädagogischer Bildung an Schulen in Thüringen bereits angelegt worden sind und welche Chancen für eine pro- demokratische Bildung sich daraus ableiten lassen. Hierzu werden wir drei Thüringer Schulprojekte zu aktuellen Themen von Demokratie und Politik beispielhaft vorstellen.
Wettbewerb Demokratisch Handeln – ein Förderprogramm für Jugend und Schule
Seit 1989 sucht und bündelt der Wettbewerb „Förderprogramm Demokratisch Handeln“ Projekte demokratischen Erfahrungslernens aus Schule und Jugendarbeit. Er will demokratische Haltungen und demokratische Kultur stärken. Entscheidende Anlässe für diese bundesweite Initiative waren unter anderem die Gründung und Etablierung der Partei der „Republikaner“ in den 1980er Jahren, die seinerzeit erstmals auch jugendliche Wählerinnen und Wähler gefunden hatte sowie die damals besonders ausgeprägte kognitive Orientierung des Lernens an Schulen, insbesondere in den Sekundarstufen. Demokratie als Praxis und Lernen durch Erfahrung waren die zwei Kernanliegen der Initiative und sind es bis heute geblieben.
Die anhaltende Sorge um die Anziehungskraft von demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Gruppierungen in der Politik und besonders deren Wirkung auf Heranwachsende ist für die nachfolgende Diskussion und pädagogische Praxis, die unter dem Stichwort „Demokratiepädagogik“ etabliert und bis heute ausdifferenziert werden konnte, ein anhaltend wichtiges Motiv. Das „Förderprogramm Demokratisch Handeln“ versucht mithilfe seines Wettbewerbs, die auf gefundenen Demokratieprojekte in der Praxis von Schulen und Jugendeinrichtungen anzuerkennen, zu stabilisieren, weiterzuentwickeln und fachöffentlich sichtbar zu machen.
Seit Beginn des Förderprogramms haben sich bundesweit nahezu 6.000 Schulen, Projektgruppen, Initiativen sowie einzelne Kinder und Jugendliche beteiligt, in deren Arbeit sich ein weites Feld an Themen widerspiegelt. Von den jährlich rund 220 bis 270 Wettbewerbseinsendungen werden 50 bis 60 Projekte von einer Jury aus Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten ausgewählt und zur Teilnahme an der „Lernstatt Demokratie“ eingeladen. Bei dieser vom Förderprogramm gestalteten und finanzierten viertägigen Werkstatt-Veranstaltung können die Preisträgerinnen und Preisträger die Ergebnisse ihrer Projekte präsentieren und gemeinsam mit anderen Teilnehmenden und Expertinnen und Experten an verschiedenen Themen und Formen demokratischen Engagements arbeiten. Um jedes Engagement zu würdigen, werden alle eingesandten Projekte zusätzlich in einem jährlich erscheinenden Buch sowie in einer Online-Datenbank veröffentlicht. Überdies pflegt das Förderprogramm mit regionalen Partnerinnen und Partnern in vielen Bundesländern eine Reihe weiterer Arbeits- und Präsentationsveranstaltungen zur Entwicklung und Förderung des Demokratielernens in Schule und Jugendbildung. Entscheidend sind die Priorität praktischer Erfahrungen sowie die stetige Beteiligung von Lehrenden und Lernenden an der Auswertung, Reflexion und Weiterentwicklung der Praxiskonzepte. Demokratie – so könnte man sagen – ist immer und fordert eine empirisch-praktische Gleichberechtigung all derer, die sich in dem Feld innovativ bewegen, so wie in der politischen Demokratie jeder Stimmberechtigte Anspruch auf Mitwirkung geltend machen kann, unabhängig von Bildung, Einkommen und Lebenspraxis.
Die Projektgruppe „Integration“ der Gemeinschaftsschule „Galileo“ aus Jena (Projekt 117/13)
Kinder und Jugendliche der siebten und achten Jahrgangsstufe der Gemeinschaftsschule „Galileo“ in Jena setzten sich mit Unterstützung von zwei Lehrkräften im Frühjahr 2013 mit den Themen „Integration“ und „Migration“ auseinander. Mit der Initiative wollten sie Offenheit für andere Kulturen und Lebensauffassungen fördern, ihre Umwelt generell für diese Themen sensibilisieren sowie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus vorbeugen. Zu Beginn der Initiative, die von Mitte Januar bis Mitte April 2013 andauerte, befassten sich sechs Jugendliche mit dem Thema „Integration“ und sammelten Ideen zur Projektumsetzung. Dabei entstanden Vorstellungsvideos der Teilnehmenden, bei denen diese ihre Beweggründe zur Mitarbeit erläuterten. Ferner wurden Interviews mit Lehrenden der Schule durchgeführt. Während einer Projektwoche im April 2013 erweiterte sich die Gruppe auf 16 Mitwirkende. Sie besuchten eine Unterkunft für Geflüchtete in Jena und befragten Passantinnen und Passanten auf der Straße zur Integrationsthematik. Vor dem Hintergrund dieser kleinen „Felderkundungen“ veränderten sie ihre bereits produzierten Vorstellungsvideos. Einzelne Gespräche wurden vertiefend weiterentwickelt: So entstand etwa aus einem Interview mit einem Syrer die Geschichte für einen der Kurzfilme. In dem Film „Der gefährliche Weg in die Freiheit“ erzählen Jugendliche der achten Klasse szenisch von der Flucht einer Familie aus Syrien. Schülerinnen und Schüler der siebten Klasse erstellten zwei weitere Kurzfilme. Der Kurzfilm „Aquarium“ handelt davon, wie sich zwei Fischarten in einem Aquarium zunächst kritisch beäugen und letztendlich ihre Vorurteile ablegen. Der zweite Film „Fußball“ zeigt auf, wie wenig handlungsfähig die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer ohne ihre zahlreichen Spieler mit Migrationshintergrund wäre.
Bemerkenswert an dieser Initiative ist, wie die Schülerinnen und Schüler das hochaktuelle politische Thema „Flucht und Migration“ reflektierten. Dies spiegelte sich wider in den verschiedenen thematischen Perspektiven, die die Teilprojekte insgesamt eröffneten. Ferner stand das Lernen durch Handeln im Vordergrund: Die filmische Umsetzung und Gestaltung des Projektes lag vollständig in den Händen der Kinder und Jugendlichen.
Der „Projekttag für Toleranz, Offenheit und Menschlichkeit zum Thema Flüchtlinge“ der John F. Kennedy Gemeinschaftsschule aus Erfurt (Projekt 72/15)
Mit ihrem „Projekttag für Toleranz, Offenheit und Menschlichkeit zum Thema Flüchtlinge“ erarbeiteten sich die Schülerinnen und Schüler der fünften und sechsten Klassen Informationen und Handlungsoptionen für die durch die Fluchtbewegungen nach Europa und Deutschland entstehende Herausforderung. Ausgangspunkt für diesen Projekttag waren in der Schule gefallene menschenverachtende Äußerungen während einer Unterrichtsstunde zum Thema „Geflüchtete“. Beim Projekttag näherten sich die Schülerinnen und Schüler diesem Thema zunächst an sechs verschiedenen Stationen. Sie untersuchten die Fluchtgründe, die Fluchtwege, die kulturellen Unterschiede der verschiedenen Gruppen, das Asylrecht in Deutschland, die Menschenrechte und recherchierten zur weltweiten Fluchtsituation. Während des Projekttages notierten sich die Schülerinnen und Schüler Fragen, die sie in einer Podiumsdiskussion zu „Flucht und Migration“ an eingeladene Geflüchtete sowie Expertinnen und Experten stellen konnten. In einer Feedbackrunde erläuterten die Mädchen und Jungen ihre Ergebnisse. Über diesen Projekttag, der zugleich Startpunkt für eine Serie von Projekttagen mit weiteren politischen Themen war, wurde in der lokalen Presse berichtet. Darüber hinaus gaben die Teilnehmenden ein Interview für den Sender „Antenne Thüringen“.
Bezeichnend für dieses Projekt ist, dass es aus einem aktuellen Anlass heraus gemeinsam von Schule und Schülerschaft entwickelt worden ist. Das zeigt, dass Schule auch situativ durch besondere Lernanlässe auf politisch-demokratische Herausforderungen reagieren kann. Informationsaspekte wurden im Projekt mit Formen eines moderierten Perspektivwechsels sowie einer durch abwägende Diskussion und Beurteilung geprägten Auseinandersetzung mit dem Thema verbunden. Lernen durch Miteinander-Sprechen und Fakten-Aufklärung waren die entscheidenden Wirkungselemente des Projekts.
Das Projekt „Mensch, erinnere, was in Auschwitz dir geschah“ des Gymnasiums Bergschule aus Apolda (Projekt 260/15)
Bei dieser Maßnahme handelte es sich um ein bemerkenswertes Langzeitprojekt. Seit nunmehr 26 Jahren fahren Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Bergschule in Apolda in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, um sich mit den Verbrechen des Holocaust auseinanderzusetzen. Der inhaltliche Fokus der Fahrt liegt auf der Auseinandersetzung mit den Täterinnen und Tätern und ihren Verbrechen. Im Jahr 2015 nahmen 25 Jugendliche an der zweiwöchigen Fahrt nach Polen teil. Nach den Besichtigungen der Gedenkstätte sowie nach einem ausführlichen Gespräch mit einem Zeitzeugen entschieden sich die Teilnehmenden für je eine von sechs angebotenen Arbeitsgruppen. So dokumentierte die Gruppe „Video“ filmisch die Arbeit aller Beteiligten. Sie führte Interviews mit Besucherinnen und Besuchern der Gedenkstätte und erarbeitete einen Dokumentarfilm über das ehemalige Konzentrationslager. Die Gruppe zur Recherche um die „Täter“ konzentrierte sich auf zwei Täterbiografien: auf den 1921 geborenen SS-Angehörigen Hans Stark, der als Blockführer im Konzentrationslager tätig war, sowie auf den Arzt Johann Paul Kremer, der zwischen 1942 und 1945 medizinische Experimente an Häftlingen durchführte. Die Gruppe „Lyrik“ verband in ihrer Arbeit Vergangenheit und Gegenwart miteinander. Neben Gedichten verfassten sie zwei Geschichten, die parallel zueinander strukturiert wurden. Die erste beschreibt das Schicksal einer fiktiven jüdischen Familie aus Ungarn, die 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. Die zweite handelt von einer ebenso fiktiven Familie, die 2015 von Syrien nach Deutschland flieht und bei einem Brandanschlag ums Leben kommt. Eine weitere Gruppe recherchierte zu neun jüdischen Einzelschicksalen aus Apolda, die nach Auschwitz deportiert wurden. Sie befasste sich mit den Biografien der Menschen. In der Gruppe „Foto“ entstanden Fotoimpressionen und Fotomontagen, die die Täter, die Opfer sowie die Verbrechen in Beziehung zueinander setzten. Die sechste Gruppe befasste sich mit den Effektenlagern, in denen das Hab und Gut der Häftlinge verwahrt bzw. weiterverwertet wurde. Der Fokus lag dabei auf der Betrachtung der wirtschaftlich-industriellen Bedeutung dieses Bereichs bürokratisch-industrieller Vernichtung menschlichen Lebens. Neben der Arbeit in der Gedenkstätte besuchten die Jugendlichen gemeinsam mit den sieben Betreuerinnen und Betreuern auch die Städte Oświęcim und Krakau. Zurück in Apolda erstellten die Teilnehmenden außerhalb der Unterrichtszeit eine gemeinsame Abschlusspräsentation, die sie am 27. Januar vorstellten, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Dabei wurden eine Ausstellung sowie ein das Projekt dokumentierendes Buch erarbeitet.
Besonders beeindruckend ist – nebst der inzwischen das Schulprofil des Apoldaer Gymnasiums prägenden Arbeit zur Erforschung des Holocaust und zum Gedenken an dessen Opfer – die Vielfalt der Perspektiven und der angestrebten Ergebnisse der Teilprojekte. Insbesondere diese Fülle verdeutlicht den besonderen Wert einer auf Prävention vor Gewalt und entdemokratisierender Systemveränderung gerichteten zeitgeschichtlichen Forschung. Die Jugendlichen sehen in den Täter- und Opferbiografien den kurzen Weg in ein totalitäres System unmenschlicher, ja todbringender Gewalt. Damit ist keinesfalls ursächlich belastbare prodemokratische Haltung und Prävention automatisch verbunden – gleichwohl wird sichtbar, wie stark demokratiegefährdend auch gegenwärtige politische Entwicklungen wirken können.
Engagement für Demokratie und Politik – Prävention oder nur Hoffnung?
Betrachtet man die hier exemplarisch vorgestellten Projekte im Kontext der programmspezifischen Bedingungen und Unterstützungsmöglichkeiten des „Förderprogramms Demokratisch Handeln“, zeigt sich zunächst, dass das Programm vor allem Aspekte und Wirkungsbedingungen demokratie- pädagogischer Intervention in Schulen sowie jugendpädagogischen Einrichtungen und Kontexten sichtbar machen kann. Zugleich lässt sich erkennen, dass die Projekte innerhalb des Programmkontextes von „Demokratisch Handeln“ sowohl inhaltlich als auch im Blick auf die Reflexionstiefe der beteiligten Lehrkräfte und ihrer Schülerschaft eine erhebliche Förderwirkung entfalten können. Die Entwürfe zu den drei Projektporträts entstanden in Zusammenarbeit mit den Projektgruppen, sie führten in eine Ausstellungspräsentation und in vertiefende Gespräche zwischen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften aus anderen Projektkontexten. Sie mündeten insgesamt in einer Art kommunikativer Validierung und verbesserter Außendarstellung – vertieften also das Lernen und eine damit verbundene Praxiswirkung in mehreren Dimensionen. Das alleine kann eine einzelne Projektgruppe für sich nicht ohne Weiteres leisten. Zugleich eröffnen sie dokumentierbare Wirkungsräume für gewaltpräventive und demokratieförderliche Projektmöglichkeiten in der Schule generell. In dieser spezifischen Form einer schulverbindenden und auf die Schulqualitätsentwicklung einwirkenden Darstellung und Publikation von guter Projektpraxis demokratischen Lernens liegt eine ganz spezielle Eigenwirkung des „Förderprogramms Demokratisch Handeln“.
Inzwischen kann das Programm allein in Thüringen auf einen dokumentierten Erfahrungsschatz von über 600 Projekten blicken (Beutel/Fauser 2013). Eine Vielzahl der Einsendungen zeigt auf, dass gerade im Bereich der präventiven Bildungspraxis die Projektarbeit als besonders demokratieförderliche Methode geeignet erscheint, Themen auch in ihrer größtmöglichen Komplexität zu behandeln. Im Fachunterricht allein ist das aufgrund der zeitlichen Beschränkung nur selten möglich. Vorzüge projektorientierter Bildungsarbeit sind beispielsweise die umfassenden und mehrdimensionalen Interaktionsformen, die zur Stärkung der Kommunikation und sozialer Kompetenzen beitragen – insgesamt die Lernenden wesentlich für Projektverlauf, Ergebnissicherung und eine gemeinsame Beurteilung der Endergebnisse in die Verantwortung nehmen. Der Umgang mit Konflikten, Herausforderungen und Schwierigkeiten kann geübt werden. Es entstehen zwangsläufig Gelegenheiten zur Stärkung von Kompetenzerfahrung, Autonomie und damit eines positiven Selbstwertgefühls. Das „Förderprogramm Demokratisch Handeln“ kann insbesondere durch die Fülle der reflexiv mit den Akteuren bearbeiteten Projektdokumentationen zeigen: Es gibt vielfältige Ansätze demokratischen Handelns. Gute, reflektierte sowie partizipativ gehaltvolle Projektarbeit bietet einen entscheidenden Ansatz zur Herausbildung und Förderung prodemokratischer Werthaltungen. Auch wenn es hierfür keine direkt messbaren Nachweise geben kann, belegt dies doch eine grundlegende Perspektive der allseits geforderten Stärkung von Bildung und Lernen, die eine stabile Demokratie benötigt. Diese Lern- und Bildungsoffensive benötigt eine Demokratie, die nicht selbst aus sich heraus nur die Gefahr erzeugt, sich abschaffen zu können, sondern Optionen dafür formuliert, sich zu stabilisieren und möglichst zu bewahren. Hinzu kommt: Uns sind bislang wenig Alternativen bekannt!
1 Der Wettbewerb wird gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Ein ergänzendes Projekt zur Regionalberatung und Projektbegleitung von Schulen, für Fortbildung und Lernstatt Demokratie wird von einer Gruppe von 12 Kultusministerien unter Federführung des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport gefördert.
Gesagt. Getan! Förderprogramm „Wettbewerb Demokratisch Handeln“
Der Wettbewerb „Demokratisch Handeln“ wird für alle allgemeinbildenden Schulen in Deutschland ausgeschrieben. Er will demokratische Haltung und demokratische Kultur im gelebten Alltag von Schule und Jugendarbeit stärken.
Wer? Teilnehmen können Schülerinnen und Schüler alleine, in Gruppen oder zusammen mit Lehrenden aller Schularten und Schulstufen, mit Eltern oder mit Sozialarbeiterinnen und -arbeitern. Es interessieren Themen und Projekte aus dem Alltag von Schule und Sozialarbeit.
Wann? Einsendeschluss ist jährlich der 30. November.
Was gibt es zu gewinnen? Eine Reise und einen Aufenthalt bei der „Lernstatt Demokratie“, die im Frühsommer des Folgejahres zur Ausschreibung etwa 50 Projektgruppen zusammenbringt. Dort können die Schülerinnen und Schüler ihre Ergebnisse präsentieren und zu ihrem demokratischen Engagement arbeiten.
Weitere Infos und Adresse:
Förderprogramm Demokratisch Handeln, Löbstedter Str. 67, 07749 Jena
Web: <link www.demokratisch-handeln.de www.demokratisch-handeln.de external-link-new-window>www.demokratisch-handeln.de</link> | E-Mail: <link kontakt@demokratisch-handeln.de>kontakt@demokratisch-handeln.de</link>
Literaturverzeichnis
Beutel, Wolfgang/Fauser, Peter (2013): Demokratie erfahren. Analysen, Berichte und Anstöße aus dem Wettbewerb „Förderprogramm Demokratisch Handeln“. Wochenschau-Verlag: Schwalbach/Ts.
Beutel, Wolfgang/Fauser, Peter/Rademacher, Helmolt (2012): Demokratiepädagogik. In: Beutel, Wolfgang/Fauser, Peter/Rademacher, Helmolt [Hrsg.]: Jahrbuch Demokratiepädagogik 2012: Aufgabe für Schule und Jugendbildung. Wochenschau Verlag: Schwalbach/Ts., S. 17–38.
Bischoff, Ursula/König, Frank/Zimmermann, Eva (2013): Mehr Partizipation wagen. In: DJI Impulse, 9, Heft 4, S. 20–22. Diamond, Larry/Plattner, Marc F./Walker, Christopher (2016): Authoritarianism goes global. The challenge to democracy. Johns Hopkins University Press: Baltimore.
Frevel, Bernhard (2009):
Demokratie. Entwicklung - Gestaltung – Problematisierung. Wiesbaden: Springer-VS. Grayling, Anthony Clifford (2016): Die Demokratie zerstört sich selbst. Online: www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/rechtspopulismus-demokratie-donald-trump-brexit-ungleichheit [31.01.2017].
Negt, Oskar (2011): Der politische Mensch: Demokratie als Lebensform. Steidl: Göttingen.