Vorwort

Anetta Kahane hat die Amadeu Antonio Stiftung 1998 gegründet. Lange bevor Politik und Öffentlichkeit Rechtsextremismus und Demokratiefeindschaft als dauerhafte Herausforderungen erkannten, warnte sie vor der Gefahr und scheute dabei keine Konflikte: Von Anfang an ging sie dahin, wo es weh tat, suchte Gleichgesinnte und gründete Netzwerke. Dass unsere Demokratie unter Druck steht, erfährt Anetta Kahane seit Beginn ihrer öffentlichen Arbeit wie keine zweite Person, die sich in Deutschland an der Seite der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Demokratiefeindschaft einsetzt: Nicht nur anhand der dauerhaften Angriffe und Anfeindungen gegen ihre Person und die Amadeu Antonio Stiftung durch rechtsextreme und rechtspopulistische Akteur*innen, sondern auch durch fehlenden Schutz und Unterstützung seitens staatlicher Institutionen.

Nach fast 25 Jahren beendete sie Ende März 2022 ihre Tätigkeit als Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Wir danken Anetta Kahane von Herzen für ihre Kraft, Unterstützung und ihr Vertrauen in unsere Arbeit am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. Mit Augenmaß setzte sie wertvolle Impulse für die Architektur des IDZ und erörterte mit uns partnerschaftlich die langfristigen Forschungslinien.

Von Leichtigkeit keine Spur, aber von Hoffnung

Alles, so scheint es, geschieht heute unter Druck. Die Menschen sind überfordert, angespannt, angegriffen. Selbst ein Blick aus dem Fenster ist ohne Druck kaum möglich – wo wir bisher vor allem Wetter sahen, ist es jetzt der Klimawandel. Ferne Länder sind nicht mehr fern, sondern Heimatorte von Geflüchteten. Die Zeiten sind vorbei, als bei der Ernährung Kalorien vielleicht gezählt wurden – heute geht es um den ökologischen Fußabdruck. Das Internet, das Neuland, bietet kein Vergnügen an niedlichen Katzen mehr, sondern hat sich in eine Kampfzone verwandelt. Wer sich in den sozialen Netzwerken nicht vor Hass zu wehren weiß, kommt unter die Räder. Oder macht mit. Die verbale und konkrete Gewalt findet ihr Ziel und der Staat versagt leider zu oft, dagegen vorzugehen. Auch das Familienleben ist eine Problemzone geworden. Corona hat Menschen überfordert. Kinder, Eltern, Lehr*innen sind in Krisen geraten, die zuvor undenkbar schienen. Jobs gingen verloren, Menschen in vielen Branchen mussten aufgeben. Es fehlt überall, es scheint eine Zeit des relativen Mangels zu sein. Und dann kam der Krieg nach Europa. Russland überfiel die Ukraine. Die menschlichen und die wirtschaftlichen Folgen davon verbreiten Furcht und Zorn.

Alle diese Dinge, jede einzelne Belastung – und das ist wohl das schlimmste – lässt sich missbrauchen. Für rechte Propaganda, völkische Parolen, Rassismus, Antisemitismus, für Verschwörungsideologien und Aggressionen gegen Minderheiten. Nicht eine dieser Situationen, obwohl schlimm genug, sondern alle werden benutzt, um eine demokratiefeindliche Stimmung zu machen, die Schwächen des Rechtsstaates inbegriffen. Und gerade diejenigen, die in der Situation den Rechtsstaat verteidigen, haben ihn auch zu kritisieren. Mitunter sogar heftig. Es ist ja die Aufgabe der Zivilgesellschaft, den Rechtsstaat vor sich herzutreiben und an seine Pflichten zu erinnern. Es ist die Aufgabe der Zivilgesellschaft, die demokratischen Standards zu beschützen und die Ausformung weiterer Minderheitenrechte einzufordern. Dass sie dafür nicht immer geliebt wird, dürfte klar sein. Den Hass auszuhalten jedoch, der den handelnden Personen oft entgegenschlägt, löst mehr aus als nur Angst. Er soll zerstören und leider tut er das auch. Die Kraft, dagegenzuhalten, braucht dann viele, nicht nur die einzelne angegriffene Person. Wenn staatliche Stellen sich hier jedoch schwach zeigen, inkonsequent gar Demokratiefeind*innen verschonen, dann haben wir eine Gemengelage, die hoch destruktiv sein kann.

Das Tocqueville-Paradox könnte hier in eine kritische Situation führen. Denn es bedeutet, vereinfacht gesagt, dass die Menschen, vor allem unterdrückte und diskriminierte Gruppen, umso unzufriedener werden, je mehr Freiheiten und Rechte sie erkämpfen. Denn wenn das geschieht, umso deutlicher und schmerzhafter wird für sie sichtbar, was ihnen und anderen bisher ignorierten Gruppen noch zur Gerechtigkeit fehlt. Mischt sich diese Unzufriedenheit mit dem Missbrauch der Krisen durch rechtsextreme Gruppierungen und Parteien, um die Demokratie zu zerstören und ein autoritäres System zu etablieren, das die Rechte von Frauen und Minderheiten wieder abschafft, dann kann es sehr gefährlich für die Demokratie werden. Wir sehen solche Entwicklungen in vielen Staaten in der Welt. Das Roll-Back demokratischer Liberalität und die Bedrohung ihrer Institutionen, einschließlich der lebendigen Zivilgesellschaft, ist eine reale Gefahr.

Die Frage ist nun: Wie geht diese Zivilgesellschaft mit dieser Situation um? Wie kann sie die Demokratie auch durch Kritik verteidigen, ohne sich in einem Paradox zu verfangen? Wie kann sie die Krisen wahrnehmen und beschreiben, ohne in Pessimismus zu verfallen? Wie kann sie verhindern zu glauben, dass alles immer schlimmer wird, nur weil die Probleme nun endlich, endlich sichtbar sind und nun auch zum Handeln zwingen? Der Rechtsextremismus und völkische Einstellungen in der Bevölkerung waren nicht besser, nur weil niemand darüber sprechen wollte. Vor einigen Jahren, ganz zu schweigen von den Jahrzehnten davor, ob im Westen oder Osten, war es üblich und normal, wenn sich Polizist*innen oder andere Beamt*innen rassistisch äußerten und verhielten. Alles, was wir heute an Krisen haben, alles, was wir wahrnehmen und wogegen wir zu handeln versuchen, ist nicht gerade erst geschehen. Es hat sich entwickelt. Aber jetzt endlich nehmen wir die Herausforderung ernst. Oder sagen wir: Die Politik und die Medien tun es. Die Zivilgesellschaft hat ja lange darunter gelitten, mit ihren Warnungen ins Leere zu laufen. Das gilt natürlich auch für die Forschung, die sich mit den kritischen Themen beschäftigt. Wir sollten verstehen, dass es sich hier um Entwicklungen handelt, die nicht ohne Grund so lange ignoriert wurden. Dass nun Rechtsextreme diejenigen bedrohen, die sich auf die Herausforderung einlassen, dass sie Druck machen, dass sie Leute diffamieren oder gar Gewalt anwenden, mag beklagenswert sein, aber verwunderlich ist es nicht. Eine Schlussfolgerung könnte sein, sich auch dieser Tatsache bewusst zu sein, die eigenen Erfolge nicht zu ignorieren und so etwas Resilienz zu entwickeln.

Unsere Welt sieht gerade gar nicht gut aus: Umso wichtiger ist es, einen klaren, sortierenden und empathischen Blick dafür zu behalten, was wir konkret tun können, ohne in Panik oder – schlimmer – in Ideologien zu versinken. Und zum Handeln gehört auch, einander bei Bedrohung und Druck beizustehen.