Weltoffen oder fremdenfeindlich? Die Einstellungen der Thüringer Bevölkerung gegenüber Asyl, Migration und Minderheiten

Die Aufnahme und Integration von Asylsuchenden ist Gegenstand einer kontroversen Debatte, in der über das angemessene politische Handeln und über die gesellschaftlichen Folgen der Migration diskutiert wird. Dabei rücken auch die Werte und die Ziele unserer demokratischen Gesellschaft in den Mittelpunkt. Der Thüringen-Monitor erfasst dazu das Meinungsbild der Thüringer Bevölkerung und widmet sich Tendenzen der Demokratiegefährdung, wie sie in rechtsextremen Einstellungen und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zum Ausdruck kommen.

 

Einführung

 

Die Ankunft zahlreicher Flüchtlinge und Asylsuchender seit der Jahresmitte 2015 hat Deutschland wahrscheinlich vor die größte gesellschaftliche und politische Herausforderung seit der Wiedervereinigung gestellt. Auch der erhebliche Rückgang der Neuankünfte in der zweiten Jahreshälfte 2016 beendete nicht die Debatten über angemessenes politisches Handeln und die weitreichenden Konsequenzen für unser Land. Sie stehen unter dem Eindruck der Bedrohung durch islamistischen Terror, der vermeintlich gestiegenen Kriminalität durch Migrant_innen, aber auch des Anstiegs rechtsextremer Gewalt gegen Flüchtlinge und Migrant_innen. Das Meinungsklima in Deutschland scheint aufgeheizt wie nie zuvor. Spaltet sich unsere Gesellschaft? Welche Einstellungen hat die Bevölkerung zu Asyl, Zuwanderung und Fremden? Gibt es einen Einbruch der Demokratiezufriedenheit und einen Vertrauensverlust gegenüber den politischen Eliten in der Folge einer „unkontrollierten Massenzuwanderung“? Sind Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Nationalismus auf dem Vormarsch?

In Thüringen steht mit dem Thüringen-Monitor seit dem Jahr 2000 ein wissenschaftliches Instrument zur Untersuchung der Meinungen und Einstellungen der Bevölkerung zur Verfügung. In bisher 16 jährlich durchgeführten repräsentativen Befragungen wurden die Demokratiezufriedenheit, das Institutionenvertrauen, die politischen Werte und Überzeugungen von jeweils ca. 1.000 wahlberechtigten Bürger_innen im Freistaat erfasst. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Erfassung rechtsextremer Einstellungen. Der Thüringen-Monitor 2016 untersuchte auch die Einstellungen der Thüringer Bevölkerung zur Asyl- und Zuwanderungsthematik (Best et al. 2016). Die telefonische Befragung dazu fand im Juni 2016 statt. Die Wahrnehmung von Flüchtlingen und Asylsuchenden steht im Zusammenhang mit der Wahrnehmung verschiedener Personengruppen, wie sie der Thüringen-Monitor bereits 2015 umfassend untersuchte (Best et al. 2015). Befunde der Thüringen-Monitore 2015 und 2016 werden nachfolgend zusammengefasst.

 

Asyl und Zuwanderung

 

Viele Thüringer_innen verbanden 2016 mit der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden sowohl Sorgen als auch Chancen. So glaubten 70 Prozent der Befragten, dass wegen der Flüchtlinge und Asylsuchenden die Kriminalität ansteigen wird. 64 Prozent waren der Meinung, dass die Kosten für Unterbringung und Versorgung zu hoch sind; 67 Prozent, dass der Einfluss des Islams in unserem Land zu stark wird. 54 Prozent glaubten, dass sich die Art und Weise, wie wir in Deutschland leben, zu stark verändert. Sogar 92 Prozent äußerten die Sorge, dass infolge der Asylsituation Rechtspopulist_innen und Rechtsextreme Zulauf bekommen. Eine deutliche Mehrheit von 57 Prozent glaubte zudem, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in unserem Land gefährdet sei. 58 Prozent der Thüringer_innen gaben an, angesichts der gestiegenen Zahl von Flüchtlingen und Asylsuchenden „eher Befürchtungen“ zu haben, nur 24 Prozent verbanden damit „eher Hoffnungen“. 18 Prozent äußerten gemischte Gefühle (Best et al. 2016: 33 ff.).

Neben Sorgen und Befürchtungen verbanden viele Thüringer_innen mit der Ankunft der Flüchtlinge und Asylsuchenden auch positive Aspekte. 75 Prozent glaubten, dass unsere Gesellschaft kulturell vielfältiger wird. 58 Prozent dachten, dass durch die Flüchtlinge und Asylsuchenden der Bevölkerungsrückgang ausgeglichen werden könne; 52 Prozent, dass mit den Flüchtlingen und Asylsuchenden benötigte Arbeitskräfte für unsere Wirtschaft kommen (ebd.: 36). Und so hatte auch eine Mehrheit der Befragten (55 Prozent) überwiegend positive Empfindungen, wenn sie Flüchtlingen oder Asylsuchenden begegnet. 27 Prozent der Befragten äußerten sich neutral, nur 18 Prozent gaben an, überwiegend negative Empfindungen zu haben. 16 Prozent gaben an, sich allgemein durch Asylsuchende und Flüchtlinge in unserem Land bedroht zu fühlen. Jede_r zehnte Befragte berichtete von einer Situation, in der sie_er sich persönlich durch Asylsuchende oder Flüchtlinge bedroht gefühlt hat. Obwohl in der Nähe von fast zwei Dritteln der Befragten Flüchtlinge oder Asylsuchende lebten, hatten nur 28 Prozent überhaupt persönlichen Kontakt, nur 19 Prozent berichteten von Auswirkungen auf ihren Alltag (ebd.: 51). Gleichzeitig gaben 46 Prozent an, dass sie bereit seien, sich für Asylsuchende oder Flüchtlinge zu engagieren; weitere 16 Prozent sagten, sie hätten dies bereits getan (ebd.: 45).

Eine positive Einstellung gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden verband sich jedoch nicht zwangsläufig mit einer positiven Wahrnehmung der Asylpolitik oder mit einer Befürwortung einer liberalen Zuwanderungspolitik. Eine deutliche Mehrheit der Thüringer_innen bewertete die Asylpolitik der Bundesregierung negativ, während jeweils eine Mehrheit der Befragten der eigenen Landesregierung und den Gemeinden ein positives Zeugnis ausstellte. Am häufigsten wurde die Arbeit der freiwilligen Helfer_innen positiv eingeschätzt (ebd.: 44). Eine deutliche Mehrheit der Thüringer_innen unterstützte jedoch eine konsequente und beschränkende Asylpolitik (vgl. Tab. 1). Sie befürwortete beispielsweise eine nationale Obergrenze, die ausnahmslose Abschiebung abgelehnter Asylsuchender und die Rückkehr aller Flüchtlinge in ihre Heimatländer nach dem Wegfall der Fluchtursachen. Eine „großzügige“ Prüfung von Asylanträgen lehnten die meisten ab. 58 Prozent glaubten, die meisten Flüchtlinge und Asylsuchenden seien aufgrund ihrer Kultur gar nicht in Deutschland integrierbar. 56 Prozent zweifelten an, dass die meisten Asylsuchenden wirklich vor Verfolgung in ihren Heimatländern geflohen seien. Gleichzeitig befürworteten aber fast vier von fünf Befragten die Schaffung legaler Einreisemöglichkeiten.

Neben Skepsis und Misstrauen gegenüber Asylsuchenden wurde von sehr vielen Personen also gleichzeitig prinzipielle Hilfsbereitschaft und die Akzeptanz von Fremden bekundet, insofern diese den Integrationsforderungen (vor allem: Spracherwerb und Gesetzestreue) nachkämen. Hier wird deutlich, dass eine pauschale Unterteilung in Gegner_innen und Befürworter_innen wenig sinnvoll sein kann und dass eine sach­themenbezogene Diskussion notwendig ist.

Die überwiegende Mehrheit der Thüringer_innen stellt nicht das „Ob“ infrage, sondern kritisiert vielmehr das „Wie“. Dass Sorgen und Kritik teilweise harsch geäußert werden und auch zu Protest führen, schien zumindest für gut die Hälfte der Befragten nachvollziehbar zu sein: Für „Proteste gegen Asylbewerberheime oder Flüchtlingsunterkünfte“ hatten immerhin 49 Prozent der Befragten Verständnis. Doch die Bereitschaft, selbst an einer „Protestaktion gegen ein Asylbewerberheim oder eine Flüchtlingsunterkunft“ teilzunehmen, wurde nur von 8 Prozent der Befragten bekundet. Auch 38 Prozent derer, die ein Asylbewerberheim in der eigenen Nachbarschaft akzeptieren würden, äußerten Verständnis für die Proteste (Best et al. 2016: 50). Außerdem sagten 19 Prozent der Befragten, sie seien bereit, an einer Demonstration gegen die Asylpolitik teilzunehmen; ein weiteres Prozent gab an, dies bereits getan zu haben. Einige dieser Befragten gehörten allerdings gleichzeitig zu den 38 Prozent, die bereit waren, sich an einer Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit zu beteiligen (ebd.: 85).

Ein ganz wesentlicher Befund des Thüringen-Monitors 2016 ist, dass die sogenannte „Asylkrise“ keinen messbaren Einbruch der Demokratiezufriedenheit, des Vertrauens in die demokratischen Institutionen oder in die Demokratie als beste Staatsform bewirkt hat (ebd.: 69 ff.). Es muss zwar beunruhigen, dass drei Viertel der Befragten glaubten, „in unserer Demokratie werden die Anliegen der Menschen nicht mehr wirksam vertreten“ und ebenso viele meinten, „die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht“. Ein solches Ausmaß der Kritik am Politikbetrieb bzw. seinen Eliten ist allerdings keinesfalls neu (Quent et al. 2016). Gegenüber 2015 sind weder die Demokratiezufriedenheit noch die Demokratieunterstützung zurückgegangen; eine drastische politische Entfremdung ließ sich in den Einstellungen der Thüringer_innen 2016 also nicht erkennen. Doch viele Befragte sahen die Meinungsfreiheit eingeschränkt („Heutzutage kann man seine Meinung nicht frei äußern, weil man sonst Nachteile haben könnte“: 48 Prozent Zustimmung, Best et al. 2016: 47 f.). Außerdem glaubte eine große Mehrheit der Thüringer_innen, die Medien berichteten einseitig und seien von der Politik gelenkt (72 Prozent, ebd.: 78 f.). Befragte, die sich asyl- und migrationskritisch äußerten oder die sich von den Flüchtlingen und Asylsuchenden bedroht fühlten, stimmten hier besonders häufig zu. Trotz der gegenwärtigen Konjunktur von rechtspopulistischen Diskursen, in denen gegen sogenannte „Political Correctness“ und die angeblich beschönigende Berichterstattung der „GEZ-Medien“ polemisiert wird, lässt sich vermuten, dass auch hier bereits längerfristig bestehende Vertrauensdefizite in der Bevölkerung aufscheinen. Die Asylthematik und die damit verbundene Verunsicherung dienen allerdings als Anlass dafür, Unzufriedenheit und Medienkritik zu kanalisieren und diese besonders zugespitzt zu artikulieren. Trotzdem genießen die öffentlich-rechtlichen TV-Sender und die regionale Presse unter allen Nachrichtenquellen das größte Vertrauen der Thüringer_innen. Soziale Netzwerke wie Facebook und private TV-Sender gelten hingegen nur einer kleinen Minderheit als vertrauenswürdig (ebd.: 79).

Auch hinsichtlich der Zuwanderung von Fremden offenbaren sich Einstellungsmuster der Bevölkerung, die nicht frei von Widersprüchen sind (vgl. Tab. 2). Mehr als drei Viertel der Thüringer_innen befürworteten eine explizite gesetzliche Regelung der Zuwanderungszahlen und -bedingungen. Integration wurde von einer relativen Mehrheit (40 Prozent der Befragten) in erster Linie als Anpassungsleistung der Zuwandernden verstanden, ein weiteres Fünftel der Befragten betonte die Bedeutung einer strukturellen Einbindung der Zuwandernden in die Aufnahmegesellschaft. Lediglich 17 Prozent der Thüringer_innen beschrieben die Integration als einen gemeinsamen gegenseitigen Prozess (Best et al. 2016: 56 f.). Die Notwendigkeit zur prinzipiellen Offenheit für andere Kulturen sahen drei von fünf Befragten, doch eine im weitesten Sinne „mulitikulturalistische“ Position zur Zuwanderung unterstützte nur ungefähr die Hälfte der Befragten mit ihrer Zustimmung zur Aussage „Die in Deutschland lebenden Zuwanderer sollten ihren Lebensstil beibehalten dürfen, auch wenn er sich vom Lebensstil der Deutschen unterscheidet“. Ein ungefähr gleich großer Teil der Befragten erwartete also, dass Zuwandernde sich der Zielkultur weitestgehend anpassen müssen. Hier wird erkennbar, dass kulturelle Differenz nicht unbedingt als Bereicherung, sondern oftmals als problematisch wahrgenommen wird. Der Aussage, die Bundesrepublik sei „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet“, stimmten 2016 immerhin 52 Prozent der Befragten zu. Noch 23 Prozent meinten, auch Thüringen sei „überfremdet“.

Der Thüringen-Monitor 2016 bestätigt an dieser Stelle die Befunde früherer Untersuchungen, nach denen die Akzeptanz von Zuwandernden stark von der wahrgenommenen kulturellen Distanz bzw. der vermuteten Anpassungsfähigkeit abhängt (vgl. Best / Salheiser 2012: 48 ff.). Viele Thüringer_innen begegnen gerade Muslim_innen mit Skepsis. Migration von Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis wird stärker als konflikthaft wahrgenommen als die anderer Zuwanderungsgruppen (Best et al. 2016: 64 ff.). Dies drückt sich auch in einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Islam aus und steht zweifelsohne im Zusammenhang mit den spärlichen Kontakterfahrungen der meisten Thüringer_innen mit Muslim_innen.

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Einstellungen gegenüber ethnischen, kulturellen und
sozialen Minderheiten

 

Einstellungen gegenüber Fremden und anderen Minderheiten, die auf Vorurteilen beruhen und die Abwertung und Ungleichbehandlung dieser Personengruppen begründen oder begünstigen können, werden in den deutschen Sozialwissenschaften seit geraumer Zeit unter dem Sammelbegriff Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit untersucht (Zick et al. 2016). Die Bandbreite dieser Einstellungen reicht von der Feststellung der Ungleichwertigkeit von Menschen aufgrund sozialer, kultureller oder biologisch-physischer Merkmale über generalisiertes Misstrauen gegenüber solchen Personengruppen bis hin zur Unterstützung diskriminierender Handlungen oder der Vorenthaltung von Rechten der gesellschaftlichen Teilhabe. Als mögliche Ursachen für Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wird die Wahrnehmung einer Bedrohung bzw. Konkurrenz um ökonomische Ressourcen oder sozialen Status diskutiert. Gerade Personen, die sich selbst als benachteiligt betrachten, Angst vor gesellschaftlichem Abstieg haben und rigide, autoritäre Ordnungsvorstellungen haben, neigen demnach stärker zu diskriminierenden Einstellungen. Besonders im Aspekt der Ausländerfeindlichkeit besteht ein Übertrag zwischen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechtsextremen Einstellungen (s. u.). Allerdings erfahren bestimmte Aussagen, die der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit oder rechtsextremen Einstellungen zugeordnet werden können, solch erhebliche Zustimmung in der Bevölkerung, dass nicht von einem Randphänomen des politischen Extremismus, sondern von einem Problem der gesellschaftlichen „Mitte“ gesprochen wird (Decker et al. 2016). Die Zustimmung oder Ablehnung gruppenbezogener Vorurteile und Ungleichwertigkeitsvorstellungen fügte sich aber nur bei kleinen Minderheiten der Befragten zu einem einheitlich negativen oder positiven Einstellungsmuster (Best et al. 2015: 103 ff.).

Bedenklich große Teile der Thüringer Bevölkerung stimmten Aussagen zu, die nicht nur auf die Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsteile abzielen (vgl. Tab. 3), sondern die gleichzeitig auch typisch rechtsextreme Argumentationsmuster und Bestandteile nationalistisch-völkischer Ideologie sind (s. u.). Die Grenzen des Sagbaren und des Machbaren drohen zu verschwimmen, wenn es darum geht, vermeintliche „Interessen des Volkes“, „wahrer Deutscher“ oder „normaler Mehrheiten“ gegen Fremde bzw. gegen solche Personen zu verteidigen, die als abweichend, schädlich oder unzulässigerweise bevorteilt gelten. Wie Analysen des Thüringen-Monitors zeigen, greift der Verweis auf ökonomische Benachteiligung als Erklärungsfaktor für Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu kurz (Best et al. 2015: 113 ff.). Oftmals wirken kulturelle Stereotype, Wertvorstellungen und biografische Erfahrungen, die wiederum von Alter und Bildung, aber auch vom Geschlecht oder der Konfessionszugehörigkeit abhängen können.

 

Rechtsextreme Einstellungen

 

Gegenüber dem Vorjahr sank 2016 der Anteil der Befragten, die aufgrund ihres Antwortverhaltens (vgl. Tab. 4) einen Skalendurchschnittswert überschritten und deshalb als rechtsextrem eingestellt bezeichnet werden, von 24 auf 16 Prozent. Dieser Anteilswert ist der geringste im gesamten Beobachtungszeitraum des Thüringen-Monitors seit 2001. Spürbar zurückgegangen ist die Zustimmung zu einigen neo-nationalsozialistischen Aussagen. Der Anteil fremdenfeindlich-nationalistisch eingestellter Thüringer_innen ist jedoch nur unwesentlich von 40 auf 37 Prozent gesunken (Best et al. 2016: 96). Hier sollte noch mehr zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung stattfinden, handelt es sich doch um Gedankeninhalte, die rechtspopulistische und demokratiefeindliche Propaganda erfolgreich aufgreifen kann, da sie im Sprachgebrauch vieler Thüringer_innen bereits normalisiert zu sein scheinen. Im Thüringen-Monitor erfolgt aufgrund der Zustimmung oder Ablehnung von Einzelaussagen keine Klassifikation der Befragten. Erst durch Kombination mehrerer Aussagen ergeben sich Antwortmuster, die nach wissenschaftlichen Kriterien eingeordnet werden (Best/Salomo 2014).

Die Mehrheit der Befragten des Thüringen-Monitors, bei denen die überwiegende Zustimmung zu fremdenfeindlichen oder rechtsextremen Aussagen registriert wurde, ordnete sich selbst keineswegs dem rechten politischen Lager zu, sondern sah sich in der Mitte oder sogar links davon. Gegenüber den Vorjahren hat sich der Anteil derer, die sich selbst mittig verorten, unter rechtsextrem eingestellten Befragten sogar markant erhöht (Best et al. 2016: 106 f.). Auch nicht rechtsextrem eingestellte Befragte wählten 2016 häufiger die Mitte als noch 2015. Es ist nachvollziehbar, dass eine sachliche Diskussion über Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und die Problematik einiger Aussagen erschwert wird, wenn sich Menschen ungerechtfertigt „in die rechte Ecke gestellt“ fühlen. Die seit geraumer Zeit geführten gesellschaftspolitischen Debatten um nationale Identität, Leitkultur, Herausforderungen durch Zuwanderung, Solidaritätsnormen und „Grenzen der Belastbarkeit“ scheinen das Links-Rechts-Koordinatensystem politischer Selbst- und Fremdbeschreibung zunehmend aufzuweichen (Salheiser 2014: 50 f.). Ein „Rechtsruck“, eine politische Radikalisierung, lässt sich nach dem Messkonzept rechtsextremer Einstellungen im Thüringen-Monitor jedenfalls nicht belegen.

 

Dass rechtsextreme Einstellungen keineswegs bagatellisiert werden dürfen, zeigt ihr nachweislicher Einfluss auf die Bereitschaft, Gewalt zum Mittel der Zielerreichung einzusetzen (Best et al. 2016. 87 ff.). Insbesondere neo-nationalsozialistisch eingestellte Befragte neigen zu Gewalt. Auch die Selbsteinordnung im Links-Rechts-Spektrum ist für die Gewaltbilligung relevant: Der Anteil derer, die bereit wären, für ihre Ziele „zu kämpfen, auch wenn dafür Gewalt notwendig ist“, war am rechten Rand mit 24 Prozent fast dreifach so hoch wie unter selbsterklärten „sehr linken“ Befragten (9 Prozent). Unter Befragten, die sich selbst in der Mitte verorten, betrug der Anteil Gewaltbereiter 7 Prozent (ebd.: 87). Dass vom rechten Rand ein höheres Gefährdungspotenzial ausgeht, zeigt sich auch darin, dass von gewaltbereiten Befragten weit überdurchschnittliches Protestpotenzial gegen Asylbewerberheime und „Islamisierung“ ausgeht (ebd.: 86). Der Anstieg fremdenfeindlicher Gewalt – auch in Mitteldeutschland – lässt sich aufgrund demoskopischer Untersuchungen zu Einstellungen der Bevölkerung allerdings nicht erklären. Es kann jedoch vermutet werden, dass die kontroversen öffentlichen Debatten zu Asyl, Zuwanderung und „Überfremdung“ von bereits radikalisierten, gewaltbereiten Personen zur Legitimation einer erhöhten Aktionsdichte genutzt werden.

 

Zusammenfassung

 

Die mehrheitliche Akzeptanz der Norm der Hilfsbereitschaft gegenüber Schutzbedürftigen wurde in Thüringen weder durch die Wahrnehmung einer erheblichen gesellschaftlichen Belastung durch die Asylsituation außer Kraft gesetzt noch durch das Gefühl einer gestiegenen Bedrohung durch islamistischen Terrorismus. Auch gibt es keinen Anlass, die Asylthematik als Ursache einer erdrutschartigen Krise der Demokratie zu bezeichnen. Gleichwohl betrachtet die Mehrheit der Thüringer_innen die asyl- und migrationspolitische Entwicklung in Deutschland mit Sorge und Skepsis. Ausgehend von den ambivalenten Ansichten der Thüringer_innen wäre es falsch, von einer „Spaltung der Gesellschaft“ in „Asylgegner“ und „Asylbefürworter“ auszugehen. Die kritischen Haltungen sind allerdings teilweise durch vorurteilsgeleitete Einstellungen gegenüber Fremden und ethnischen Minderheiten unterfüttert. Aspekte Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechtsextreme Einstellungen sind – ungeachtet punktueller Veränderungen – eine fortwährende Herausforderung für eine plurale offene Gesellschaft. Ein Gemeinwesen, in dem alle Menschen gleichberechtigt Chancen der sozialen Teilhabe wahrnehmen können, setzt die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und ihren Ursachen in den Wahrnehmungen der Bevölkerung voraus. Der Eindruck, dass kritische Meinungen nicht geäußert werden können, ohne deswegen Nachteile zu haben und „in die rechte Ecke gestellt“ zu werden, steht einem konstruktiven Dialog allerdings im Wege.

Für viele Thüringer_innen wird zutreffen, dass anstatt Fremdenfeindlichkeit oder Chauvinismus die Skepsis gegenüber Veränderung und die Furcht vor kulturellen, ethnischen und sozialen Konflikten überwiegen. Auch die Forderung nach einer restriktiven Asyl- und Zuwanderungspolitik ist in diesem Sicherheitsbedürfnis verwurzelt. Problematisch werden die hier diskutierten Einstellungen allerdings dann, wenn Ressentiments und rassistisch konnotierte Zuschreibungen zutage treten, wenn Fremdgruppen generalisierend der Integrationswille bzw. die Integrationsfähigkeit abgesprochen wird, der Missbrauch des deutschen Sozialstaats unterstellt oder ihnen die gesellschaftliche Teilhabe verweigert wird. Teilweise beruhen solche Vorurteile auf der Desinformation durch nationalistische und völkische Propaganda, wie sie in Thüringen von der AfD, Thügida oder der sogenannten Identitären Bewegung betrieben wird. Aufgabe aller Demokrat_innen sollte es sein, entschlossen dagegen aufzutreten und mit überzeugenden Argumenten für die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft zu werben.

 

Literaturverzeichnis

 

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: Thüringen International: Weltoffenheit, Zuwanderung und Akzeptanz. Ergebnisse des Thüringen-Monitors 2012. Online: www.thueringen.de/imperia/md/content/tsk/th__ringen-monitor_2012_mit_anhang.pdf [Zugriff: 27.01.2017].

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Best, Heinrich/Niehoff, Steffen/Salheiser, Axel/Vogel, Lars (2016):

Gemischte Gefühle: Thüringen nach der „Flüchtlingskrise“. Ergebnisse des Thüringen-Monitors 2016. Online: www.thueringen.de/mam/th1/tsk/thuringen-monitor_2016_mit_anhang.pdf [Zugriff: 27.01.2017].

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Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (2016): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Psychosozial-Verlag: Gießen.

Quent, Matthias/Schmidtke, Franziska/Salheiser, Axel (2016):

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Salheiser, Axel (2014): Links-Rechts-Selbstpositionierung und Assoziation von Bedeutungsinhalten der eigenen Position durch die Befragten. In Best, Heinrich/Salomo, Katja [Hrsg.]: Güte und Reichweite der Messung des Rechtsextremismus im Thüringen-Monitor 2000 bis 2014. Expertise für die Thüringer Staatskanzlei. Erfurt, S. 48–55.

Zick, Andreas/Küpper, Beate/Krause, Daniela (2016): Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016. Dietz: Bonn.