Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Thüringen – ein empirischer Überblick
Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist als notwendiger Aspekt einer lebenswerten und zukunftsfähigen Gesellschaft erkannt und anerkannt. Er wird in zahlreichen Ländern (z. B. Australien, Kanada, Neuseeland, USA) und von internationalen Organisationen (z. B. OECD, Weltbank, Europarat) als Indikator für Lebensqualität erfasst und analysiert. Die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist fraglos eine der entscheidenden Herausforderungen weltweit. Nicht nur westliche Gesellschaften (Dragolov et al. 2016) ringen mit verschiedenen Entwicklungen, die in den vergangenen Jahren zu einem rasanten gesellschaftlichen Wandel beitrugen, sondern auch in anderen Weltregionen befördern allen voran Globalisierung, weltweite Migration und Digitalisierung tiefgreifende Transformationsprozesse (siehe z. B. im Hinblick auf Asien Walkenhorst/Unzicker 2017).
Insbesondere die Debatten um die erhöhte Zahl von geflüchteten Menschen, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, haben die Frage, wie es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland bestellt ist, noch mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Reaktionen in der Bevölkerung auf diese Fluchtbewegung fielen zu dieser Zeit und fallen auch heute noch sehr unterschiedlich aus. Es kann eine Polarisierung entlang der Frage um Einwanderung konstatiert werden: Einerseits gab es eine enorme Hilfsbereitschaft und unerwartet hohes ehrenamtliches Engagement, um die Geflüchteten zu unterstützen. Andererseits verschafften sich aber auch Stimmen deutlich Gehör, die die Aufnahmefähigkeit überschritten sehen, den Verlust ihrer kulturellen Identität befürchten sowie sich durch Überfremdung und Terror bedroht fühlen.
Ist der Gemeinsinn gefährdet? Um diese Frage beantworten zu können, muss zunächst geklärt werden, was man unter gesellschaftlichem Zusammenhalt eigentlich versteht, um ihn darauf aufbauend empirisch erfassen zu können. Dies ist das zentrale Ziel des Projekts „Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt – messen was verbindet“ der Bertelsmann Stiftung. Seit 2012 wurden hierzu Studien, die den Zusammenhalt in unterschiedlichen geopolitischen Einheiten vergleichen, erstellt (Bertelsmann Stiftung 2012, 2013, 2017).
Konzeption von gesellschaftlichem Zusammenhalt
Obwohl der Begriff „gesellschaftlicher Zusammenhalt“ in den letzten zwei Jahren eine Hochkonjunktur in politischen Debatten und Reden erfahren hat, mangelt es häufig an einer klaren Definition des Konzeptes. Der Soziologe Paul Bernard (1999) vermutet, dass das Konzept gerade aufgrund seiner Unschärfe so oft bemüht werde: Einerseits lasse sich damit auf nachprüfbare Daten verweisen, anderseits sei es so wenig eindeutig, dass es im öffentlichen Diskurs fast beliebig verwendet werden könne. Es ist also notwendig genauer zu definieren, was man unter gesellschaftlichem Zusammenhalt versteht.
Alle Studien des Radars gesellschaftlicher Zusammenhalt der Bertelsmann Stiftung basieren auf denselben theoretischen Annahmen (Bertelsmann Stiftung 2012; 2013; 2017). Diese sind anschlussfähig an den akademischen Konsens darüber, dass Zusammenhalt (a) ein Merkmal eines Gemeinwesens ist und nicht ein Charakteristikum einzelner Bürger_innen; dass es sich (b) um ein graduelles Phänomen handelt, Gemeinwesen also mehr oder weniger kohäsiv sein können; und (c) dass es sich um ein mehrdimensionales Konzept handelt (Schiefer/van der Noll 2017, Dragolov et al. 2016). Auch wenn Zusammenhalt das Merkmal eines Gemeinwesens ist, also eine kollektive Qualität beschreibt, drückt sich der Grad des Zusammenhalts in den Einstellungen und Verhaltensweisen der einzelnen Mitglieder und Gruppen des Gemeinwesens aus, kann also durch deren Befragung erfasst werden.
Entsprechend lässt sich gesellschaftlicher Zusammenhalt als Qualität des gemeinschaftlichen Miteinanders in einem territorial abgegrenzten Gemeinwesen definieren. Übereinstimmend mit der Überblicksarbeit von Schiefer und van der Noll (2017) ist eine kohäsive Gesellschaft durch belastbare soziale Beziehungen, eine positive emotionale Verbundenheit ihrer Mitglieder mit dem Gemeinwesen und eine ausgeprägte Gemeinwohlorientierung gekennzeichnet (für eine umfassende Darstellung siehe Dragolov et al. 2016).
Den drei Bereichen gesellschaftlichen Zusammenhalts lassen sich jeweils empirisch drei Dimensionen zuordnen (siehe Abbildung 1), woraus dann insgesamt neun Dimensionen gesellschaftlichen Zusammenhalts resultieren:
Detaillierte Ausführungen, was die neun Dimensionen inhaltlich ausmacht, können im Buch
„Der Kitt der Gesellschaft“ nachgelesen werden (Bertelsmann Stiftung 2016). Dabei lassen sich nicht nur die jeweils drei Dimensionen zu einem Bereich empirisch zusammenfassen: Darüber hinaus können auch alle neun Dimensionen zu einem Gesamtindex zusammengeführt werden, der für die unterschiedlichen Aspekte von Zusammenhalt steht
Zuletzt wurde im Jahr 2017 der Zusammenhalt für die Bundesländer und für 79 Regionen in Deutschland im Rahmen des Radars gesellschaftlicher Zusammenhalt untersucht (Bertelsmann Stiftung 2017). Hierfür wurden von Januar bis März 2017 5.041 Personen deutschlandweit befragt. Die telefonische Stichprobe, die sowohl Mobilfunk- und Festnetznummern umfasst, ist repräsentativ für Deutschland, die Bundesländer und die Regionen (siehe hierzu ausführlich Bertelsmann Stiftung 2017).
Die zentralen Befunde sind: Die Deutschen halten zusammen – aber dort wo Armut, Jugendarbeitslosigkeit und Überalterung der Bevölkerung hoch sind, ist der Zusammenhalt gefährdet. Wachsende kulturelle Vielfalt schwächt das gemeinschaftliche Miteinander dagegen nicht. In strukturschwachen Regionen ist das Miteinander geringer ausgeprägt als in wohlhabenden. Zusammengefasst bleibt festzuhalten, dass es um den sozialen Zusammenhalt in Deutschland besser steht, als es gemeinhin angenommen wird.
Fokus Thüringen
Zusammenhalt in Thüringen im Vergleich der Bundesländer
Für den vorliegenden Beitrag wurden die Daten für Thüringen in den Fokus gerückt. Wie stellt sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in Thüringen im Vergleich der Bundesländer dar?
Die Berechnungen für die neun zuvor genannten Dimensionen (Abbildung 2) können Werte zwischen null (minimaler Zusammenhalt) und 100 (maximaler Zusammenhalt) ergeben. Für jede Dimension wurden zwischen vier und sechs unterschiedliche Indikatoren herangezogen (vgl. hierzu ausführlich Bertelsmann Stiftung 2017). Beim Gesamtindex (Skala 0-100) ergibt sich für Thüringen mit 58,63 Punkten der drittniedrigste Wert im Vergleich aller Bundesländer. Der Mittelwert für Deutschland insgesamt liegt bei 61. Das Saarland erreicht mit 63 Punkten den höchsten, Sachsen mit 57 Punkten den niedrigsten Wert (siehe Abbildung 2). Dies zeigt, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, zumindest hinsichtlich des Gesamtindex, verhältnismäßig gering ausfallen.
Womit geht gesellschaftlicher Zusammenhalt einher? Die Daten des Radars gesellschaftlicher Zusammenhalt ermöglichen es, Faktoren zu identifizieren, die einen entscheidenden Einfluss auf den Grad des Zusammenhalts in einem Gemeinwesen haben. Neben den im Radar verwendeten Einflussfaktoren werden im Folgenden auch noch weitere strukturelle Merkmale herangezogen, die mit Blick auf Thüringen Zusammenhänge aufzeigen können. Diese stammen teilweise aus unterschiedlichen Zeiträumen und sind nicht auf ihren direkten Einfluss auf den Wert des Zusammenhalts getestet. Vergleicht man die Bundesländer hinsichtlich ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP pro Kopf), schneiden diejenigen, mit einem höheren BIP besser ab. Auch eine niedrigere Arbeitslosenrate und ein geringeres Armutsrisiko sind dem Zusammenhalt zuträglich. Es bleibt festzuhalten: Gute Voraussetzungen für starken Zusammenhalt sind größerer Wohlstand, geringeres Armutsrisiko und ein geringeres Durchschnittsalter der Bevölkerung des betrachteten Gemeinwesens. Für Thüringen sind die strukturellen Voraussetzungen im Vergleich der Bundesländer hinsichtlich Durchschnittsalter der Bevölkerung und Wirtschaftskraft (BIP) schwierig.
Hinzu kommt, wie die Autoren des Thüringen-Monitors feststellen, dass in Thüringen – wie auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern, mit Ausnahme von Berlin – ein am sozialen Zusammenhalt orientiertes Gesellschaftsideal dominiert (Best et al. 2016). Dies sei aber vor allem eine retrospektive Betrachtung, in der die DDR als eine „Zusammenhaltsgesellschaft“ imaginiert wird, die auch mit Homogenitätsvorstellungen einhergeht. Ein derartiges auf Homogenität basierendes Gesellschaftsverständnis ist auf Ausgrenzung ausgerichtet und daher gerade nicht geeignet, das Miteinander in einer Einwanderungsgesellschaft gelingend zu gestalten. Ein zentrales Element der diesem Beitrag zugrundeliegenden Konzeption von gesellschaftlichem Zusammenhalt ist entsprechend die Akzeptanz von Diversität (vgl. hierzu ausführlich Bertelsmann Stiftung 2016). In den ostdeutschen Bundesländern fällt der Gesamtindex für Zusammenhalt durchweg geringer aus als in den westdeutschen Bundesländern. Bei der Betrachtung der Ergebnisse für die Dimension
„Akzeptanz von Diversität“ (Abbildung 2) zeigt sich ebenfalls: Die ostdeutschen Bundesländer – mit Ausnahme von Berlin – erzielen hier durchweg niedrigere Werte als die westdeutschen Bundesländer.
Zusammenhalt in Thüringen in neun Dimensionen
Bei der Analyse der einzelnen Dimensionen (jeweils Werte von 0 bis 100) liegt Thüringen bei acht von neun Dimensionen unterhalb des bundesweiten Mittelwerts. Nur für die Dimension soziale Netze
(73 Punkte) wird der bundesweite Mittelwert (71 Punkte) überschritten. Nachfolgend werden die Ausprägungen der einzelnen Dimensionen für Thüringen ausgeführt und anhand von Beispielindikatoren veranschaulicht.
Soziale Netze
Für die erste Dimension „Soziale Netze“ weist Thüringen mit 73 Punkten den vierthöchsten Wert aller Bundesländer auf. Für Deutschland insgesamt liegt der Indexwert in dieser Dimension bei 71. Der höchste Wert findet sich in Bremen (75), der niedrigste in Sachsen-Anhalt (64). Verdeutlichen lässt sich dies an einem Beispielindikator: „Wie oft treffen Sie sich mit Freunden, Bekannten oder privat mit Arbeitskollegen?“. Im Durchschnitt sagen 49 Prozent aller Befragten in Deutschland, dass sie sich sehr häufig oder häufig treffen. In Thüringen sagen dies 50 Prozent der Befragten. Am seltensten treffen sich die Menschen in Sachsen-Anhalt. Hier sagen nur 40 Prozent, dass sie sich häufig oder sehr häufig treffen.
Vertrauen in Mitmenschen
Thüringen erreicht in der Dimension „Vertrauen in Mitmenschen“ den drittniedrigsten Wert aller
Bundesländer (51). Der Indexwert für diese Dimension liegt in Deutschland bei 56. Am höchsten fällt der Wert in Bremen aus (59), am niedrigsten in Brandenburg (50). Danach gefragt, wie sehr sie einem Menschen vertrauen, dem sie zum ersten Mal begegnen, geben für Deutschland insgesamt 15 Prozent der Befragten an, diesem völlig oder ziemlich zu vertrauen und weitere 44 Prozent teils-teils. In Thüringen sind es mit 13 bzw. 37 Prozent weniger. In Hamburg sagen sogar 23 Prozent der Befragten, dass sie bei der ersten Begegnung völlig oder ziemlich vertrauen; in Brandenburg indes lediglich acht Prozent.
Akzeptanz von Diversität
Thüringen erzielt in der Dimension „Akzeptanz von Diversität“ einen Indexwert von 74 und weist damit den viertniedrigsten Wert aller Bundesländer auf. Für Deutschland insgesamt liegt der Wert bei 79. Von den Bundesländern schneiden hier Bremen (85) mit dem höchsten und Sachsen (68) mit dem niedrigsten Wert ab. Trotz des hohen Indexwerts zeigen die Indikatoren, dass es durchaus noch Verbesserungspotenzial bei der Akzeptanz von Diversität gibt. So geben z. B. in Deutschland insgesamt 22 Prozent der Befragten an, „Ausländer_innen oder Migrant_innen“ ungern als Nachbar_innen haben zu wollen. In Sachsen sind es sogar 43 Prozent, die dies sagen, während in Hamburg lediglich zehn Prozent dieser Auffassung sind. In Thüringen möchten 34 Prozent der Befragten ungern Ausländer_innen oder Migrant_innen als Nachbar_innen haben.
Identifikation
Thüringen weist in der Dimension „Identifikation mit dem Gemeinwesen“ einen Wert von 76 auf und bleibt damit unter dem Durchschnitt der Bundesländer. Bundesweit erreicht der Index 77. In dieser Dimension fällt der Ost-West-Unterschied geringer aus. In Mecklenburg-Vorpommern findet sich der höchste Wert (83), in Berlin der niedrigste (73). Am Beispiel der Verbundenheit mit dem Wohnort lässt sich diese Dimension gut veranschaulichen: 78 Prozent aller Befragten in Deutschland fühlen sich sehr oder ziemlich verbunden mit ihrem Wohnort, so auch in Thüringen. In Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern sind es 89 Prozent, in Berlin lediglich 70 Prozent.
Vertrauen in Institutionen
Thüringen kommt in der Dimension Vertrauen in Institutionen auf 51 Punkte und weist damit den drittniedrigsten Wert aller Bundesländer auf. Der Indexwert erreicht deutschlandweit 55 Punkte. Der niedrigste Wert findet sich dabei in Brandenburg (49), der höchste in Hessen mit 57. Obwohl alle Länder insgesamt ähnliche Indexwerte erzielen, gibt es dennoch bei den Einzelindikatoren erkennbare Unterschiede: So geben 37 Prozent der Befragten in Brandenburg an, der Bundesregierung nur gering oder überhaupt nicht zu vertrauen. In Hamburg sagen dies lediglich 15 Prozent. Deutschlandweit sind 25 Prozent der Befragten dieser Auffassung. In Thüringen haben 24 Prozent nur geringes oder überhaupt kein Vertrauen in die Bundesregierung.
Gerechtigkeitsempfinden
Thüringen erreicht in der Dimension „Gerechtigkeitsempfinden“ mit 34 Punkten einen Wert, der deutlich unter dem Durchschnitt der Bundesländer liegt. Bundesweit wird hier nur ein Wert von 38 erreicht. Am höchsten ist der Wert für das Gerechtigkeitsempfinden in Schleswig-Holstein (42), am niedrigsten in Berlin (33). Am Beispiel der Frage danach, ob die wirtschaftlichen Gewinne in Deutschland gerecht verteilt werden, lassen sich sowohl das insgesamt niedrige Gerechtigkeitsempfinden, als auch die regionalen Unterschiede verdeutlichen. In Brandenburg sind gerade mal ein Prozent der Befragten der Meinung, die Gewinne würden im Großen und Ganzen gerecht verteilt. Die größte Zustimmung findet sich mit 15 Prozent in Bremen. Deutschlandweit sind es acht Prozent. In Thüringen liegt die Zustimmung deutlich unter dem Durchschnitt: Hier sind es nur drei Prozent.
Solidarität und Hilfsbereitschaft
Thüringen weist in der Dimension „Solidarität und Hilfsbereitschaft“ einen Indexwert von 42 und damit den zweitniedrigsten Wert aller Bundesländer auf. Deutschlandweit liegt der Indexwert dieser Dimension bei 48. Baden-Württemberg erzielt in dieser Dimension den höchsten Wert (51). Der niedrigste Wert ist in Mecklenburg-Vorpommern (41) zu verzeichnen. Ein Beispielindikator für diese Dimension ist die Frage danach, ob eine Person in den letzten zwölf Monaten eine Geldspende für soziale oder gemeinnützige Zwecke geleistet hat. In Sachsen-Anhalt bejahen dies nur 53 Prozent, während es in Thüringen 56 sind. In Hamburg und in Bayern geben sogar 68 Prozent an, in den letzten zwölf Monaten eine Geldspende für soziale oder gemeinnützige Zwecke geleistet zu haben. Der Durchschnitt liegt bei 61 Prozent.
Anerkennung sozialer Regeln
Thüringen liegt in der Dimension „Anerkennung sozialer Regeln“ mit 76 Punkten leicht unter dem bundesweiten Durchschnitt. Bundesweit wird ein Wert von 77 erreicht. In Bayern liegt der Wert am höchsten (82), in den drei Stadtstaaten am niedrigsten, wobei Berlin den geringsten Wert in dieser Dimension erreicht (70). Einer der Indikatoren für diese Dimension war, ob die Befragten in der
eigenen Nachbarschaft bestimmte Probleme erkennen (darunter u. a. beschädigte Spielplätze, Graffiti, Müll in den Straßen oder Grünanlagen, Ruhestörungen oder Belästigungen und Beschimpfungen).
26 Prozent der Deutschen berichten, dass es keine dieser Probleme in ihrer Nachbarschaft gibt. Im Saarland sagen dies sogar 35 Prozent. In Berlin hingegen beantworten nur elf Prozent der Befragten die Frage so. In Thüringen geben 32 Prozent kein solches Problem in ihrer Nachbarschaft an, 44 Prozent nennen wenige Probleme (eins oder zwei) und 24 Prozent zählen mehr als drei Probleme auf.
Gesellschaftliche Teilhabe
Thüringen liegt in der Dimension „gesellschaftliche Teilhabe“ mit 51 Punkten leicht unter dem Bundesdurchschnitt. Bundesweit erreicht der Indexwert für gesellschaftliche Teilhabe einen Wert von 51. Der höchste Wert findet sich im Saarland (56), der niedrigste in Sachsen-Anhalt (46). Einer der vier Einzelindikatoren in dieser Dimension ist die Frage der Mitgliedschaft in einem gemeinnützigen
Verein/Organisation. Hier geben in Deutschland insgesamt 35 Prozent der Befragten an, Mitglied einer solchen Vereinigung zu sein. Im Saarland sagen dies 45 Prozent und damit die meisten. Am geringsten ist der Anteil der Mitglieder in Sachsen-Anhalt (25 Prozent). In Thüringen geben 33 Prozent an, Mitglied in einem gemeinnützigen Verein/Organisation zu sein.
Resümee
Gelingender Zusammenhalt ist kein Selbstläufer. Um dem Auseinanderdriften unterschiedlicher Milieus – die sich zunehmend in getrennten Sphären bewegen und kaum Berührungspunkte haben – entgegenzuwirken, müssen wir Fremdheit überwinden und neue Formen der Begegnung und Beteiligung entwickeln. Eine Rückkehr zu vermeintlich behaglicheren Zeiten kann und wird nicht die Lösung sein. Die Analysen zeigen, dass wir hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenhalts nach wie vor in zwei Gesellschaften leben: In den ostdeutschen Bundesländern fällt der Zusammenhalt bei Betrachtung des Gesamtindexes durchweg geringer aus als in den westdeutschen Bundesländern. Auch Thüringen stellt hier keine Ausnahme dar. Der Gesamtwert für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist der drittniedrigste im Vergleich aller Bundesländer. Bei Betrachtung der einzelnen Dimensionen wird deutlich, dass Thüringen bei acht von neun Dimensionen unterhalb des bundesweiten Mittelwerts zu verorten ist. Lediglich für die Dimension soziale Netze gelingt es einen Wert zu erzielen, der besser als der bundesweite Durchschnitt ist.
Den gesellschaftlichen Zusammenhalt betreffend, ist die Lage in den ostdeutschen Bundesländern nach wie vor schwieriger, als in den Westdeutschen. Auch in Thüringen sind die Ausgangsvoraussetzungen (z. B. hohes Durchschnittsalter der Bevölkerung, geringerer Wohlstand) schlichtweg schwierig. Ein Indiz dafür ist, dass es auch in den westdeutschen Bundesländern Regionen gibt, die einen vergleichsweise geringen gesellschaftlichen Zusammenhalt aufweisen. Darunter auch ländliche und strukturschwache Regionen. Es sind also zu einem nicht unerheblichen Teil ökonomisch-strukturelle Faktoren, die einen geringeren Zusammenhalt erklären können. Solange die Lebensverhältnisse unterschiedlich sind, wird auch der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland von Region zu Region verschieden stark sein.
Literatur
Bernard, Paul (1999): Social Cohesion: A critique. CPRN discussion paper. F 09. Ohne Verlag: Ottawa.
Bertelsmann Stiftung (2012): Kohäsionsradar: Zusammenhalt messen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland. Ein erster Überblick. (Autor_innen: Schiefer, David/van der Noll, Jolanda/Delhey, Jan/Boehnke, Klaus). Ohne Verlag: Gütersloh.
Bertelsmann Stiftung (2013): Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt. Messen was verbindet. Gesellschaftlicher Zusammenhalt im internationalen Vergleich. (Autor_innen: Dragolov, Georgi/Ignácz, Zsófia/Lorenz, Jan/Delhey, Jan/Boehnke, Klaus). Ohne Verlag: Gütersloh.
Bertelsmann Stiftung (2016): Der Kitt der Gesellschaft. Verlag Bertelsmann Stiftung: Gütersloh.
Bertelsmann Stiftung (2017): Sozialer Zusammenhalt in Deutschland 2017. (Autor_innen: Arant, Regina/Dragolov, Georgi/Boehnke, Klaus). Ohne Verlag: Gütersloh.
Best, Heinrich/Niehoff, Steffen/Salheiser, Axel/Vogel, Lars (2016): Gemischte Gefühle: Thüringen nach der „Flüchtlingskrise“. Ergebnisse des THÜRINGEN-MONITORs 2016. Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Dragolov, Georgi/Ignácz, Zsófia/Lorenz, Jan/Delhey, Jan/Boehnke, Klaus/Unzicker, Kai (2016): Social Cohesion in the Western World. What holds societies together: Insights from the Social Cohesion Radar. Springer: Cham (CH).
Schiefer, David/van der Noll, Jolanda (2017): The essentials of social cohesion: A literature review. Social Indicators Research (132), 2, S. 579 – 603.
Unzicker, Kai (2016): Was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält. In: Bertelsmann Stiftung [Hrsg.]: Der Kitt der Gesellschaft. Verlag Bertelsmann Stiftung: Gütersloh, S. 11 – 35.
Walkenhorst, Peter/ Unzicker, Kai (2017): Introduction: What holds Asian Societies together? In: Bertelsmann Stiftung [Hrsg.]: What holds Asian Societies Together? Insights from the Social Cohesion Radar. Verlag Bertelsmann Stiftung: Gütersloh, S. 13 – 28.