Rechtspopulistische Einstellungen in Ost- und Westdeutschland

Während sich die Mehrheit der Deutschen für Demokratie, Vielfalt und Gleichwertigkeit positioniert, sind zugleich rechtspopulistische Einstellungen lauter geworden. Der Beitrag berichtet über Befunde der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung 2016 zu der Verbreitung rechtspopulistischer und rechtsextreme Einstellungen, wirft einen besonderen Blick auf potentielle Wähler_innen der AfD und diskutiert am Ende mögliche Erklärungen für die gefundenen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen.

Einleitung

Der Aufstieg von Pegida in Sachsen, die vor Wut verzerrten Gesichter auf manchen Marktplätzen insbesondere im Osten Deutschlands bei Wahlkampfveranstaltungen zur Bundestagswahl 2017 und der dramatische Anstieg fremdenfeindlicher Straf- und Gewalttaten, den der jüngste Verfassungsschutzbericht 2016 ausweist (Bundesministerium des Inneren 2017) – dies alles sind Indizien für einen lauter und aggressiver gewordenen Rechtspopulismus, der mancherorts von Rechtsextremismus nur noch schwer zu trennen ist (z. B. Quent 2017). Hass und Hetze richten sich dabei zuvorderst gegen eingewanderte, geflüchtete und muslimische, aber auch gegen jüdische, homosexuelle, queere oder von sozialstaatlicher Unterstützung abhängige Personen (oder als solche etikettierte), gegen als „Linke“ und „Feminist_innen“ Adressierte wie gegen alle, die sich schützend oder unterstützend für die Gleichwertigkeit und Gleichstellung von Minderheiten einsetzen und als „Gutmenschen“ lächerlich gemacht werden.

Greifbar wird diese Entwicklung nun mit dem Einzug der rechtspopulistischen bis rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) mit dem beachtlichen Ergebnis von bundesweit fast 13 Prozent der Wählerstimmen in den Deutschen Bundestag. Dabei fallen neben einigen westdeutschen Städten und Gemeinden – strukturschwachen, armen wie Gelsenkirchen auch einige wohlhabende in Bayern – vor allem ostdeutsche Regionen mit erschreckend hohen Zustimmungsraten für die AfD auf, allen voran Sachsen, wo sie stärkste Kraft wurde und drei Direktmandate gewann. Mittlerweile zeichnet sich ein Normalisierungseffekt ab. Immer häufiger werden rechtsextreme, völkische Positionen in etwas moderaterer Weise übernommen, rassistische wie nationalistische Äußerungen sind nicht nur wieder salonfähig, sondern mancherorts (wieder) anerkannter Mainstream. Mehr noch als im Westen scheint der Rechtspopulismus im Osten der Republik besonders laut, trifft auf mehr Zustimmung und weniger Gegenwehr in der breiten Gesellschaft.

Der Beitrag fasst im ersten Teil einige zentrale Ergebnisse der von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) geförderten Mitte-Studie aus dem Jahr 2016 zusammen, in der sich diese Entwicklungen bereits abzeichneten (Zick et al. 2016; dort auch Details zur Erhebungsmethode und Stichprobe). Im zweiten Teil werden mögliche Erklärungen für die gefundenen höheren Zustimmungswerte zu rechtspopulistischen, rechtsextremen und neurechten Einstellungen in Ostdeutschland angesprochen. Die FES-Mitte-Studie beobachtet rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen seit 2006.1 Die Langzeituntersuchung ist als repräsentative Bevölkerungsbefragung von rund 2.000 Personen ab 16 Jahren angelegt, die im Sommer 2016 telefonisch befragt wurden. Rund ein Fünftel der Befragten ist überwiegend im Osten aufgewachsen, die übrigen im Westen, wo sie auch derzeit noch leben. Für einen besonderen Blick auf Thüringen ist die vorhandene Stichprobe leider zu klein (siehe dazu aber die Ergebnisse des Thüringen Monitors 2017; Best et al. 2017; Salheiser 2017). Den Daten der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (Heitmeyer 2002–2011) zufolge liegt die Ausprägung von rechtspopulistischen Einstellungsdimensionen in Thüringen im Mittelfeld der ostdeutschen Bundesländer.2

Rechtspopulismus und Rechtsextremismus

Die Logik des Rechtspopulismus setzt auf Vereinfachung, Personalisierung, Emotionalisierung, Schwarz-Weiß-Denken, Skandale und Tabubrüche, die Ablehnung von Mediation durch etablierte Parteien oder Medien und bedient sich des Narrativs vom betrogenen Volk (Diehl 2016). Seine Rhetorik und die Ideologie lassen sich im Wesentlichen auf zwei Dimensionen beschreiben: einer vertikalen Dimension, auf der ein „wir hier unten“ – der einfache, hart arbeitende Mann – gegen „die da oben“ – die Eliten, die Politiker_innen, die Medien oder schlicht das „System“ – in Stellung gebracht wird, und einer horizontalen Dimension, in der ein „wir“ gegen „die Anderen“ abgegrenzt wird (zur Definition von Rechtspopulismus u. a. Decker/Lewandowski 2017). Mit „die Anderen“ sind jeweils recht flexibel verschiedene soziale Gruppen gemeint, die als abweichend, fremd, ungleich und unnormal betrachtet werden. Die Konstruktion dieser sozialen Gruppen erfolgt über die Zuweisung von Merkmalen wie ethnische oder kulturelle Herkunft, Religion, Gender, sexuelle Orientierung bzw. Identität, einer Behinderung oder der sozialen Lage, z.B. aufgrund von Wohnungslosigkeit oder Langzeitarbeitslosigkeit. Dieses pauschale Absprechen von Gleichwertigkeit, mit denen ganze Gruppen belegt werden, macht den Rechtspopulismus aus, unabhängig davon, wo Personen sich selbst politisch verorten. Zusammengenommen wird darin der antidemokratische Charakter des Rechtspopulismus deutlich, gehören doch Pluralität und Gleichwertigkeit zum Kern von Demokratie. Er behauptet, „wir – und nur wir – repräsentieren das Volk“; alle, die anderer Ansicht sind, gehörten daher nicht zum „wahren Volk“, ihre Haltungen seien illegitim (Müller 2016).

Rechtsextremismus wird traditionell vom Rechtspopulismus unterschieden, wobei insbesondere die Gewaltkomponente des Rechtsextremismus hervorgehoben wird, während beide eine gleiche Ideologie der Ungleichwertigkeit bzw. entsprechende Ideologiefragmente teilen (Heitmeyer 1987). Die theoretisch scharfe Trennung von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus am Gewaltaspekt verwischt sich in der Praxis allerdings zunehmend – Rechtsextremist_innen nutzen rechtspopulistische Strategien, Rechtspopulist_innen zeigen sich hasserfüllt, aggressiv und gewaltbereit (dazu u. a. Priester 2010).

Während offen erkennbarer Rechtsextremismus nach wie vor in der breiten Gesellschaft geächtet wird, gelingt es neurechten Strömungen seit einigen Jahren zunehmend erfolgreicher, rechtsextremes Gedankengut bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineinzutragen (Stöss 2010). Sie bereitet die alte völkische und nationalsozialistische Ideologie in modernisierter und auf den ersten Blick eben nicht so leicht dechiffrierbarer Art und Weise auf und verbreitet sie über Stichworte wie „Identität“ und „Widerstand“. Ihr sichtbarster Arm ist die sich selbst so bezeichnende Identitäre Bewegung, die zwar zahlenmäßig klein, aber sehr aktiv und europaweit gut vernetzt ist. Der jüngste Verfassungsschutzbericht 2016 spricht alarmierend davon, das rechtspopulistische Spektrum böte Rechtsextremist_innen „zumindest potentiell eine bürgerliche Camouflage“ um „rechtsextreme Argumentationslinien sukzessive in breitere Gesellschaftsschichten einsickern zu lassen“ (ebd.: 56). Dies dürfte auch und gerade für eine rechtsextreme und völkische Ideologie gelten, die in neurechtem Gewand daher kommt. Diese Entwicklung zeichnete sich bereits in den Befunden der FES-Mitte-Studie im Erhebungsjahr 2016 in den Einstellungen der breiten Bevölkerung ab, über die im Folgenden berichtet wird.

Verbreitung rechtspopulistischer, rechtsextremer und neurechter Einstellungen 2016

Die ganz große Mehrheit der Befragten positioniert sich auf den ersten Blick demokratisch, spricht sich für Vielfalt und Gleichwertigkeit aus. Die offen menschenfeindliche Abwertung vieler sozialer Gruppen hat im Trend über die vergangenen Jahre hinweg eher ab- als zugenommen. So sind beispielsweise 84 Prozent der Befragten der FES-Mitte-Studie der Ansicht: „Die deutsche Demokratie funktioniert im Großen und Ganzen ganz gut“, 85 Prozent meinen: „Verschiedene kulturelle Gruppen bereichern unsere Gesellschaft“. Auch der Zuspruch zur Europäischen Union ist hoch und hat sogar zugenommen: Von 2014 auf 2016 stieg der Anteil jener, die meinen, „der Zusammenhalt in der EU muss gestärkt werden“, von 74 Prozent auf 82 Prozent. Zugleich aber vertritt ein nicht unerheblicher Anteil der Deutschen widersprüchliche Meinungen. Dazu gehören rechtspopulistische und pauschal abwertende Einstellungen gegen ganze Bevölkerungsgruppen. Es dürfte dabei vielen nicht wirklich bewusst sein, dass sie mit pauschalisierenden Abwertungen sozialer Gruppen zutiefst undemokratische Einstellungen äußern und sogar Aussagen zustimmen, die anschlussfähig an neurechte, rechtsextreme Ideologien sind.

In der FES-Mitte-Studie haben wir rechtspopulistische Einstellungen in Anlehnung an theoretische Überlegungen in sechs zentralen Facetten erhoben: Demokratiemisstrauen, das sich in kritischen bis feindselig-pauschalisierenden Äußerungen gegen Politiker_innen, Parteien und demokratische Prozesse richtet, einen aggressiven Law-and-Order-Autoritarismus, der härtere Strafen und, um Recht und Ordnung zu erhalten, ein härteres Vorgehen gegen Außenseiter_innen und Unruhestifter_innen fordert, sowie pauschale Abwertungen von Eingewanderten, Muslim_innen, Asylsuchenden und Rom_nja. Im Jahr 2016 vertritt zusammengefasst rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung in diesem Sinne deutlich rechtspopulistische Einstellungen. Legt man ein weniger strenges Kriterium an, tendieren sogar 40 Prozent in eine rechtspopulistische Richtung (Zick et al. 2016: 111–142).

Gleichzeitig vertreten nur noch sehr wenige Befragte eine offene harte Form des Rechtsextremismus. In der jüngsten FES-Mitte-Studie zeigen knapp 3 Prozent ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. In der im selben Jahr durchgeführten Leipziger Mitte-Studie waren es gut 5 Prozent. Darüber hinaus stimmen aber zum Teil deutlich mehr Befragte einzelnen Dimensionen rechtsextremer Einstellungen zu. Während in der FES-Mitte-Studie die Befragung per Telefon stattfindet, verwendet die Leipziger Mitte-Studie Fragebögen zum Selbstausfüllen, was eine höhere Anonymität bedeutet und daher gemeinhin zu höheren Zustimmungswerten führt. Rechtsextreme Einstellungen wurden in Anlehnung an die sogenannte Konsens-Definition in beiden Mitte-Studien in sechs Dimensionen erhoben. Dazu gehören die drei politischen Dimensionen Befürwortung einer Diktatur, nationaler Chauvinismus, der die eigene Nation anderen überlegen sieht, und die Verharmlosung des Nationalsozialismus sowie drei soziale Dimensionen, in denen die menschenfeindliche Abwertung anderer deutlich wird: Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Sozialdarwinismus, nach dem einige Völker anderen von Natur aus überlegen seien, der also biologistischen Rassismus widerspiegelt.

Während die alte Ausdruckform des Rechtsextremismus nur von wenigen Personen Zustimmung erfährt, sind neurechte Einstellungen deutlich weiter verbreitet. Damit ist die modernisierte Variante einer klassisch rechtsextremen und völkischen Ideologie gemeint. In der letzten FES-Mitte-Studie haben wir erstmals versucht, neurechte Einstellungen über sechs Fragmente abzubilden (Küpper et al. 2016): eine Anti-Establishment-Haltung, den Aufruf zum Widerstand gegen die Politik, die Behauptung einer „Islamverschwörung“, die Forderung nach einer nationalen Rückbesinnung gegen die EU sowie die Unterstellung eines „Meinungsdiktats“. Diese Fragmente korrelieren empirisch so eng miteinander – d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person gleich mehreren dieser Meinungsfragmente zustimmt ist hoch –, dass sie zu einem Index neurechter Einstellungen zusammengefasst wurden. 28 Prozent der Befragten stimmten den auf diese Weise erfassten neurechten Einstellungen zu. Deutlich wird: Wer neurechten Einstellungen zustimmt, neigt auch mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit zum alten offenen Rechtsextremismus (und umgekehrt) und zeigt zudem eine deutliche höhere Affinität zu Gewalt als jene, die keine neurechten Einstellungen vertreten (Abbildung 1 ). Neurechte Einstellungen scheinen die alten, leichter zu dechiffrierenden Formen rechtsextremer Einstellungen abzulösen.

Deutlich wird zudem eine sich verschärfende Polarisierung : Während sich die große Mehrheit der Bevölkerung für Demokratie, kulturelle und soziale Vielfalt und zum Beispiel auch für die Aufnahme von Geflüchteten ausspricht und dies im Vergleich zu 2014 noch deutlich tut, positioniert sich eine nicht ganz kleine, aber laute Minderheit deutlich dagegen. Diese Polarisierung wird sogar bei harten rechtsextremen und neurechten Aussagen wie der folgenden deutlich: „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“ Auf der einen Seite stimmten 56 Prozent der Befragten dieser Aussage überhaupt nicht zu, weitere 10 Prozent eher nicht zu, auf der anderen Seite stimmen 9 Prozent überwiegend und immerhin 14 Prozent – also rund jeder 7. Befragte – voll und ganz zu (11 Prozent antworteten mit teils-teils).

Einstellungsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen

Befragte, die überwiegend im Osten aufgewachsen sind, unterscheiden sich in etlichen der beobachteten Einstellungen signifikant von jenen aus dem Westen, allerdings – das muss betont werden – sind die Unterschiede absolut gesehen nicht sehr groß. Im Vergleich zu Befragten, die überwiegend im Westen aufgewachsen sind, sind Befragte aus Ostdeutschland nicht sehr auffallend, aber doch signifikant etwas weniger von der Demokratie in Deutschland überzeugt, auch weniger stolz auf die Demokratie und die Verfassung. Das zeigen die Daten der FES-Mitte-Studie. So sind beispielsweise 85 Prozent der Westdeutschen, aber nur 81 Prozent der Ostdeutschen der Ansicht, „die Demokratie in Deutschland funktioniert im Großen und Ganzen ganz gut“. 75 Prozent der Westdeutschen, aber nur 60 Prozent der Ostdeutschen sind stolz auf die Demokratie in Deutschland. Zugleich sind unter Befragten, die überwiegend im Osten aufgewachsen sind, rechtspopulistische Einstellungen weiter verbreitet (2016: 30 %; 2014: 26 %) als unter jenen aus dem Westen (2016: 19 %; 2014: 18 %). Sie haben auf allen sechs erfassten Facetten rechtspopulistischer Einstellungen höhere Zustimmungswerte, besonders groß ist der Unterschied in der Ablehnung von Asylsuchenden (Abbildung 2). Bei ihnen zeichnet sich zudem eine leichte Zunahme rechtspopulistischer Einstellungen von 2014 auf 2016 ab.

In beiden Mitte-Studien sind Befragte aus Ostdeutschland auch etwas häufiger rechtsextrem eingestellt, zudem nimmt dort die Zustimmung zum Rechtsextremismus im vergangenen Jahr wieder zu, während im Westen die Zustimmungswerte nicht nur niedriger, sondern auch – zumindest galt dies bis einschließlich der Erhebung im Sommer 2016 – anhaltend rückläufig sind. Personen, die im Osten aufgewachsen sind, tendieren zudem etwas häufiger zu neurechten Einstellungen als jene, die im Westen aufgewachsen sind (33 % vs. 26 %); dies gilt für alle fünf erfassten Subdimensionen neurechter Einstellungen. Erschreckend ist zudem, dass im Osten Deutschlands die Zustimmung zu etlichen Dimensionen rechtsextremer Einstellungen bei jüngeren Befragten unter 30 Jahren am höchsten ist, während im Westen jüngere Befragte weniger oft zustimmen als Ältere (Decker et al. 2016).

Ergänzend zum Rechtspopulismus haben wir zudem die Zustimmung zu kollektiver Wut mit Bezug auf Einwanderung erhoben (z. B. mit der Aussage „Die Wut der Bürger auf die Zuwanderung ist absolut verständlich.“) sowie die Billigung von und Bereitschaft zu Gewalt. Auch die kollektive Wut und Billigung von bzw. Bereitschaft zu Gewalt ist unter jenen, die im Osten aufgewachsen sind, signifikant höher.

Rechtspopulistische, rechtsextreme und neurechte Einstellungen nach Parteienpräferenz

Rechtspopulistische und neurechte Einstellungen finden sich in der Wählerschaft aller Parteien, allerdings mit Abstand am häufigsten bei den (potenziellen) Wähler_innen der AfD (Abbildung 3).3 80 Prozent der (potenziellen) Wähler_innen der AfD vertraten im Jahr 2016 rechtspopulistische, 84 Prozent sogar neurechte Einstellungen, so wie sie von uns erhoben wurden. Ebenso finden harte rechtsextreme Einstellungen, denen ansonsten kaum noch Befragte zustimmen, unter ihnen mit 23 Prozent eine auffallend hohe Verbreitung. So befürworten beispielsweise 21 Prozent unter ihnen eine Diktatur (es folgen dann die Nichtwähler_innen erst mit knapp 7 % Zustimmung, bei allen anderen Wähler_innen liegt die Zustimmung bei höchstens 4  %). 20 Prozent verharmlosen den Nationalsozialismus und 47 Prozent fordern einen nationalen Chauvinismus (gefolgt von 23 % der Nicht-Wähler_innen, bei den Wähler_innen aller anderen größeren Parteien liegt die Zustimmung bei unter 15 %). Deutlich häufiger als bei den potenziellen Wähler_innen anderer Parteien sind unter jenen der AfD zudem Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Sozialdarwinismus verbreitet. Hier können aufgrund der zu kleinen Stichprobe keine Aussagen über mögliche Ost-West-Unterschiede getroffen werden. Die Befunde der FES-Mitte-Studie offenbaren aber: Die Wähler_innen der AfD mögen von der Partei nicht immer überzeugt sein, wie eine Nachwahlbefragung der ARD/Infratest dimap ergab, ihre Einstellungen stimmen aber durchaus in weiten Teilen mit dem überein, was die AfD ihnen anbietet und was auch in vielen Wahlkampfreden führender Akteure der Partei offen ausgesprochen wurde.

Ursachen- und Bedingungsfaktoren: individuell, gruppal, gesellschaftlich

Ein ganzes Bündel möglicher Ursachen- und Bedingungsfaktoren, die den aktuellen Rechtspopulismus und die höheren Zustimmungswerte bzw. Wahlerfolge der AfD im Osten erklären könnten, wird derzeit in der Öffentlichkeit diskutiert. Etliche dieser möglichen Erklärungen wurden in der langjährigen Forschung im Feld Vorurteile, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bereits umfassend analysiert (zur Übersicht u. a. Küpper 2016). Fest steht – ein komplexes Phänomen wie Rechtspopulismus ist fast nie nur Ergebnis einer Ursache, sondern vieler, die ggf. auch zusammenwirken.

Besonders häufig wird zur Erklärung des aktuellen Rechtspopulismus auf die Angst vor dem sozialen Abstieg verwiesen. Allerdings sind beispielsweise die Wähler_innen der AfD im Durchschnitt kaum schlechter gestellt als die Wähler_innen anderer Parteien. Gerade im Osten wurde aber der soziale Aufstieg mühsam erkämpft, noch immer leben dort viele Menschen mit niedrigem Einkommen; aus den im Vergleich zum Westen nach wie vor niedrigen Löhnen und Renten ergibt sich ein Frustpotenzial. Die Forschung zu dieser sozioökonomischen These zeigt (zur kurzen Übersicht s. Küpper/Zick 2011): Das individuelle Einkommen spielt zwar eine gewisse Rolle – ärmere Menschen neigen beispielsweise häufiger zu Fremdenfeindlichkeit –, wichtiger aber sind die subjektiven Interpretationen der eigenen wirtschaftlichen Lage. Hier spielen weniger eine aus der eigenen Sicht schlechte finanzielle Lage oder das Gefühl der individuellen Schlechterstellung im Vergleich zu anderen eine Rolle, als vielmehr das Gefühl der kollektiven Schlechterstellung (die fraternale relative Deprivation), d. h. der Eindruck, die eigene Gruppe sei im Vergleich zu einer Fremdgruppe benachteiligt (Rippl/Baier 2005). Ebenso ist das Gefühl der kollektiven Bedrohung von Bedeutung, d. h. die Angst oder auch nur die Behauptung, eine Fremdgruppe bedrohe den Wohlstand und die Werte der eigenen Gruppe (Riek et al. 2006). Allein die Angst vor möglicher Konkurrenz mit Eingewanderten facht die Fremdenfeindlichkeit an, die dann sogar auf die Abwertung weiterer Gruppen überspringt, zum Beispiel in Form von Sexismus. De facto konkurrieren Eingewanderte auf dem Arbeitsmarkt wenig mit Alteingesessenen, selbst nicht mit Niedrigqualifizierten, da die ersteren mindestens die Sprache und das Wissen um das Arbeiten in Deutschland voraushaben (Jean et al. 2011). Es geht hierbei also immer auch um die Angst vor dem Verlust von Status, den man über die Mitgliedschaft zu einer bislang privilegierten sozialen Gruppe erhält. Und genau hier ist das Einfallstor für den Rechtspopulismus. Er holt Menschen ab, denen es finanziell nicht gut geht oder die Angst vor dem sozialen Abstieg haben, redet ihnen ein, sie seien kollektiv im Vergleich zu anderen schwachen Gruppen schlechter gestellt, heizt Gefühle der Bedrohung an und lenkt diese auf einfache Sündenböcke wie beispielsweise Muslim_innen, Eingewanderte und Geflüchtete, aber auch alle anderen, die in der modernen Welt den Anspruch erheben, auf gleicher Augenhöhe mitzumachen. „Das deutsche Volk“ hat dabei eine integrierende Botschaft für alle, die als dazugehörig betrachtet werden oder sich als dazugehörig betrachten, allerdings auf Kosten von und in Abgrenzung zu jenen, die nicht als dazugehörig angesehen werden. Insbesondere für jene Ostdeutsche, die sich als Bürger zweiter Klasse fühlen, dürfte daher das Angebot der Rechtspopulist_innen besonders attraktiv erscheinen (Klein et al. 2009).

Eine weitere damit verbundene These bezieht sich auf die zunehmende Unübersichtlichkeit und Orientierungslosigkeit, die durch die Globalisierung befördert werden und die unweigerlich Veränderungen mit sich bringen. Der Rechtspopulismus propagiert hier einfache und nationale Lösungen, die die Leute gern glauben wollen. Es könnte sein, dass Ostdeutsche eine noch größere Angst vor oder Unwillen zu (weiteren) Veränderungen haben als Westdeutsche. Viele Ostdeutsche haben durch die Wende dramatische Veränderungen in ihrem Leben erfahren, die etliche nicht unbedingt positiv erlebt haben, und die viele große Anstrengungen und Kraft gekostet haben. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung in mehreren Ländern Europas bestätigt den befördernden Einfluss von Globalisierungsangst – hier einfach als das Gefühl der Bedrohung durch die Globalisierung erfasst – auf rechtspopulistische Einstellungen und die Wahl rechtspopulistischer Parteien in Europa (de Vries/Hoffmann 2016). In der FES-Mitte-Studie stimmt rund ein knappes Viertel der Befragten (23 %) überhaupt voll und ganz der Aussage zu: „Die Globalisierung der Wirtschaft macht mir Sorgen“, während ebenfalls ein Viertel (25  %) hier überhaupt nicht zustimmt. Es bestätigt sich: Je größer die Sorgen vor der Globalisierung der Wirtschaft, desto stärker auch die Neigung zu rechtspopulistischen und damit verknüpften Einstellungen, beispielsweise Sexismus.4 In ihrer Sorge vor der wirtschaftlichen Globalisierung unterscheiden sich Ost- und Westdeutsche in der FES-Studie allerdings nicht signifikant. Denkbar wäre aber, dass Ostdeutsche mit Globalisierung nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle Bedrohungen verbinden, weil sie über weniger Erfahrung mit Einwanderung und Eingewanderten verfügen.

In diesem Zusammenhang wird derzeit besonders häufig auf tatsächliche oder vermeintliche „Sorgen und Ängste in Bezug auf Flüchtlinge“ der Bürger_innen verwiesen – auch die Rechtspopulist_innen selbst reklamieren dies für sich. Hier geht es um Angst vor Kriminalität, wirtschaftliche Belastungen, aber auch vor dem „Islam“ oder schlicht zusammengefasst: die Angst vor der_m Fremden. In der FES-Mitte-Studie gaben knapp 30 Prozent der Befragten in Zusammenhang mit der Flüchtlingsbewegung nach Deutschland an: „Ich mache mir große Sorgen darüber, wie sich unsere Gesellschaft gerade verändert“. Jene, die hier große Sorgen äußern, finden es im Durchschnitt auch weniger gut, dass „Deutschland so viele Flüchtlinge aufgenommen hat“. Diese Befragten haben auch ansonsten im Alltag weniger Kontakt mit Eingewanderten. Die geäußerten Sorgen hängen deutlich eher mit rechtspopulistischen Einstellungen zusammen, d. h. mit der Ablehnung der „Fremden“ und einem Misstrauen in demokratische Institutionen und Prozesse, und fließen seltener in konstruktives Handeln (Küpper et. al 2016). Interessant ist: Diese Befragten äußern zwar große Sorgen und zugleich wenig Hoffnung, Deutschland könne die Situation mit den vielen Geflüchteten gut bewältigen. Zugleich engagieren sie sich aber deutlich seltener selbst für Geflüchtete bzw. kennen auch seltener jemanden in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, der dies tut. Ostdeutsche äußern in Bezug auf die Veränderungen durch Geflüchtete zwar nicht mehr Sorgen als Westdeutsche, machen sich aber etwas weniger Hoffnung, dass die Situation gut bewältigt wird. Hier könnte die geringere Erfahrung mit Einwanderung eine Rolle spielen.

Mangelnder Kontakt zu Eingewanderten ist eine weitere Erklärung. Denn Kontakt und Engagement helfen, eigene Vorbehalte abzubauen, und zwar gerade in den Regionen, in denen bis dato weniger Erfahrung mit Einwanderung bestand. Im Osten lief das Engagement für Geflüchtete bei Beginn der Fluchtbewegung im Sommer 2015 zunächst nur zögerlich an, zugleich waren die Ressentiments höher. Doch nach und nach engagierten sich auch im Osten mehr Menschen. Mit der Gelegenheit, die „Fremden“ im direkten, persönlichen Kontakt oder die über das soziale Umfeld vermittelten Erfahrungen kennenzulernen, gingen die Ressentiments und eine mögliche „Fremdenangst“ zurück – die Fremden wurden weniger fremd (Ahrens 2017). Im Osten bestätigt sich damit die in der Forschung vielfach nachgewiesene positive Wirkung von Kontakt (Pettigrew/Tropp 2008). Bis dato gab es in Ostdeutschland aufgrund der geringen Einwanderungsquote deutlich weniger Möglichkeiten zum Kontakt mit Personen aus anderen Ländern.

Hieran schließt sich eine weitere These an, die den ländlichen Raum in den Blick nimmt. Studien verweisen auf eine höhere Tendenz zu Fremdenfeindlichkeit in ländlichen Regionen und gerade solchen in Ostdeutschland (u. a. Petzke et al. 2007). Hier ist die Möglichkeit zu Kontakt mit „Fremden“ generell geringer, zudem fallen dort Fremde schlicht mehr auf und es besteht ein höherer Druck zur Konformität (ebd.). Damit verbunden ist die These des Provinzialismus (Pettigrew 2011). Diese umschreibt eine geringe Weltgewandtheit und das Verhaftet-Sein in der eigenen kleinen Welt, was in der Provinz häufiger vorkomme. „Fremde“ werden dann einfach deshalb abgelehnt, weil sie fremd sind und man sich eher von Fremden bedroht fühlt. Gerade in Ostdeutschland sind viele Regionen ländlich geprägt und durch mangelnde Infrastruktur abgehängt. Erschwerend hinzu kommt die starke Abwanderung insbesondere aus ländlichen Regionen im Osten, wobei gerade die Jungen, Beweglichen und Offenen mit größerer Wahrscheinlichkeit in Städte ziehen. Diese Personen fehlen dann bei der Ausbildung und Aufrechterhaltung zivilgesellschaftlicher Strukturen.

Eine weitere damit verknüpfte Erklärung ist die Sozialisation, d. h. Erziehung und Kultur und aktuelle Stimmungen, die sich auch als Selbstläufer verbreiten. Hier gibt es in Deutschland eine unangenehme bis gefährliche Mischung aus politischer Kultur und historischer Tradierung von Obrigkeitsstaatlichkeit, Schuldabwehr, Arroganz und Anspruch auf Anerkennung und Bedeutsamkeit (zur politischen Kultur in Sachsen und zum Aufstieg von Pegida siehe u. a. Demuth 2016). Im Osten ist die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte noch schleppender als im Westen verlaufen, die Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion wird mancherorts durch einen Opfergestus behindert, der durchaus auch von der Politik befördert wird. Zudem ist der Autoritarismus noch höher als im Westen ausgeprägt mit einer Mischung aus Staatshörigkeit und Staatsmisstrauen.

All diese Erklärungen könnten dafür verantwortlich sein, warum der Rechtspopulismus in Deutschland wie auch in anderen Ländern (wieder) laut und aggressiv werden konnte. Zugleich ergeben sich Hinweise, warum der Osten besonders zugänglich für rechte Propaganda ist und sich dort rechtspopulistische bis rechtsextreme Positionen noch eher halten bzw. leichter wiedererweckt werden können als im Westen. Zugleich ergeben sich hieraus umgekehrt auch Ansatzpunkte für die Prävention und Intervention. Viele Aktive in Ost und West engagieren sich unter hohem Einsatz für die Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit. Sie dürfen nicht allein gelassen werden, sondern brauchen derzeit umso mehr Unterstützung – auch und gerade durch die Zivilgesellschaft, um die es letztlich geht.

 

 

1 Seit 2014 wird sie unter Leitung von Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, gemeinsam mit einem Autor_innenteam durchgeführt. Zuvor wurde die Reihe der FES-Mitte-Studien von einem Autor_innenteam um Elmar Brähler und Oliver Decker durchgeführt, die seit 2014 eine ähnlich angelegte Studie unter dem Label Leipziger Mitte-Studie fortsetzen.

2 Eigene Auswertung für diesen Beitrag; um eine einigermaßen große Stichprobe für Thüringen zu erhalten, wurden die Datensätze der letzten fünf Jahre des GMF-Surveys von 2007–2011 aggregiert.

3 In der Befragung im Sommer 2016 gaben insgesamt 11 Prozent der Befragten an, die AfD wählen zu wollen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären, oder hatten zumindest schon einmal mit diesem Gedanken gespielt.

4 Eigene Auswertung der Daten der FES-Mitte-Studie 2016 für diesen Beitrag.

 

Literaturverzeichnis

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