Rassismusrelevant: eine diskursive und elementarpädagogische Auseinandersetzung mit frühem demokratischen Lernen, (Anti-)Diskriminierung und Differenzen

Die Themen Demokratiebildung, Demokratieförderung, Diskriminierung und menschliche Differenz werden in der deutschen Elementarpädagogik in zunehmendem Maße projektförmig aufgegriffen. Gleichzeitig werden solche Vorhaben von radikal rechten Akteuren diffamiert und für deren Zwecke instrumentalisiert. In diesem Spannungsfeld bewegen sich frühpädagogische Fachkräfte, die einen Bedarf nach Fortbildung und Beratung äußern. Anhand eines Fallbeispiels aus dem Alltag einer Kita wird gezeigt, wie Fachkräfte, Familien und Kinder zu einer Reproduktion von Rassismus beitragen können. Dem wird schließlich ein Plädoyer für eine intensive Antidiskriminierungsstrategie entgegengestellt.

Ungleiche Kinder und Familien

Kindertagesstätten und junge Kinder, pädagogische Fachkräfte und deren Arbeitsbedingungen sind im Zuge der Corona-Pandemie brisante und umkämpfte Themen geworden. Doch auch abseits von gesundheits- und arbeitspolitischen Klärungen spielen elementare politische Fragen im pädagogischen Feld der Kindertagesbetreuung eine wesentliche Rolle: Zum einen wirkt sich gesellschaftliche Ungleichheit in Form von unterschiedlichen Bedingungen des Aufwachsens für junge Kinder und deren Familien aus. So gibt es etwa für minderjährige Migrant*innen in Deutschland eine besonders hohe Bedrohungslage für Armut und soziale Ausgrenzung (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 42). Zum anderen sind Vorstellungen von Ungleichwertigkeit bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein vorhanden und bereits Kinder im Vorschulalter machen Erfahrungen mit Diskriminierung und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.1 Dabei positionieren sich junge Kinder auch selbst zu Differenzverhältnissen und deren gesellschaftlichen Deutungen (vgl. z. B. Machold 2015). In Institutionen wie der Kita sind zudem Erwachsene wesentlich für das pädagogische Aufgreifen und oft auch für die Genese von Themen wie Rassismus und Ungleichheit verantwortlich (vgl. Bundschuh/Müller 2019; Diehm et al. 2013).

In diesem Beitrag werden folgende Fragen thematisiert: Welche Rolle spielen die Themen Demokratiebildung, (Anti-)Diskriminierung und Differenz in der (deutschen) Elementarpädagogik und welche Akteure besetzen diese? Welche Bedarfe sehen Fachkräfte? Wie können die angesprochenen Komplexe – am Beispiel Rassismus – im Alltag in der Institution Kita verhandelt werden, d. h. wie geschieht dies auf eine negative Weise (Fallbeispiel) und wie kann dies positiv(er) angegangen werden (Ableitungen für die pädagogische Praxis)?

Demokratiepädagogik und Diffamierung

Um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten, ist es bedeutend, den gesellschaftlichen Stellenwert von elementarpädagogischer Beschäftigung mit Demokratie und Diskriminierung zu verstehen sowie die Diskurse, die sich um diese Themen entfalten.

Hier ist zunächst Erfreuliches zu konstatieren: Immer häufiger spielen Themen wie Demokratiebildung/Demokratieförderung und Vorurteilssensibilisierung eine Rolle in der Frühpädagogik. Während entsprechende Maßnahmen noch vor 20 Jahren nur vereinzelt initiiert wurden, widmet etwa der 16. Kinder- und Jugendbericht, der seinen Schwerpunkt auf die Förderung demokratischer Bildung legt, dem Thema Kindertagesbetreuung ein eigenes Kapitel (vgl. BMFSFJ 2020: 155ff.). In der aktuellen Förderphase des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gibt es gleich drei Strukturen zum Thema (vgl. BMFSFJ 2021). Im eigenen Cluster „Demokratieförderung im Kindesalter“ erproben Modellprojekte innovative Konzepte für Kita und Grundschule. Ein „Kompetenznetzwerk“ mit dem Titel „Frühkindliche Bildung und Bildung in der Primarstufe“ stellt Expertise zu Demokratieförderung, Diskriminierungsschutz und Kinderrechten für die bundesweite Fachpraxis bereit. Und schließlich will das Begleitprojekt „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“, in dem die sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (mit je eigenen Teilprojekten) sowie die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ organisiert sind, die im Projekttitel aufgeworfenen Themen breit in die Praxis transferieren.

Aber auch radikal rechte Akteure entdecken seit einigen Jahren verstärkt die Kindheitspädagogik als Ziel für Anfeindungen. In Kampagnen, die etwa die Auseinandersetzung mit geschlechtlicher Vielfalt und Sexualaufklärung als „Frühsexualisierung“ diffamieren, finden sich unterschiedliche Medien und Akteure von konservativ über christlich-fundamentalistisch bis extrem rechts zusammen. Die Broschüre „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“ (vgl. Queerformat 2018), die frühpädagogischen Fachkräften Informationen zu Themen wie Inter- und Transsexualität an die Hand gibt, wurde 2018 zu einer „Sex-Broschüre“ umgedeutet. Angeblich richte sich die Veröffentlichung direkt an Kinder und vermittele diesen „sexuelle Spielarten“. Entsprechende Anschuldigungen verbreitete nicht nur die Berliner AfD-Fraktion, sondern auch die dortige CDU sowie Medien wie die Bild-Zeitung und die B.Z. (vgl. Niggemeier 2018).

Dennoch bleibt die AfD der zentrale Akteur (mindestens) im Anstoßen entsprechender Unterfangen, die auch konkrete pädagogische Projekte in den Blick nehmen und sich sogar gegen Einzelpersonen richten. So gab es im Jahr 2019 zu dem oben erwähnten Projekt „Demokratie und Vielfalt in der Kindertagesbetreuung“ eine Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag, mit der detaillierte Mittelverwendungen abgefragt wurden (vgl. Deutscher Bundestag 2019a, 2019b). Anfang 2021 beschuldigte Hans-Thomas Tillschneider, der kulturpolitische Sprecher der AfD-Sachsen-Anhalt, Maisha-Maureen Auma, eine Professorin für Kindheit und Differenz (Diversity Studies) an der Hochschule Magdeburg-Stendal, eines „Rassismus gegen Weiße“ (vgl. Piorkowski 2021). Die Kindheitspädagogin hatte in einem Interview mit dem Tagesspiegel kritisiert, dass die gesellschaftliche Diversität an deutschen Universitäten nicht abgebildet werde. Auch wenn hier keine originären Aussagen zu Demokratiebildung oder Rassismuskritik in der Kindheit angegriffen wurden, hat es dennoch eine Professorin getroffen, die auf diesem Gebiet seit vielen Jahren als Expertin gilt.

Neben solchem Agenda-Setting gibt es zunehmend radikal rechte Akteure, die sich in Kitas engagieren, sowie zahlreiche Kinder, die in Neonazi-Familien aufwachsen. Ab wann dort von einer Kindeswohlgefährdung gesprochen werden kann, ist durchaus eine juristisch und pädagogisch heikle Frage (vgl. Hechler 2021). Fest steht allerdings, dass eine einmal erkannte Gefährdung für das Kindeswohl nicht ohne Konsequenzen bleiben kann und dass Fachkräfte für einen Umgang mit radikal rechten Familien gewappnet sein sollten. Ein Hilfsmittel hierfür soll eine 2018 veröffentlichte Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung sein (vgl. Amadeu Antonio Stiftung 2018). Dort wird in einer fiktiven Fallanalyse ein Mädchen beschrieben, das aus einem völkischen Elternhaus kommt, in dem traditionalistische Geschlechtsrollen gelebt werden, und das Kleider und Zöpfe trägt. Dies führte zu einer öffentlichen Debatte, bei der radikal rechte, aber auch konservative Kreise der Stiftung unterstellten, sie suggeriere, dass Mädchen mit Zöpfen generell ein Beweis für eine radikale rechte Gesinnung der Eltern seien (vgl. Stärck 2019: 355). Zu diesem Fall äußerte sich schließlich sogar die damalige Bundesfamilienministerin Giffey, die daran erinnerte, dass pädagogisch Tätige bei Entscheidungen über Kindeswohlgefährdungen durchaus durch Informationen unterstützt würden, wie sie die umstrittene Broschüre biete (vgl. Menkens 2018).

Die Diskurse um Frühpädagogik, Antidiskriminierung und Rechtsextremismus sind also zahlreich und entwickeln in den letzten Jahren häufig eine Dynamik, die ein Projekt, eine Broschüre oder eine Wissenschaftlerin schnell zum Mittelpunkt einer bundesweiten Kontroverse werden lassen können.

Fachkräfte mit Fortbildungsbedarf

Angesichts jener Versuche, eine frühkindliche Pädagogik der Vielfaltssensibilität, der antirassistischen Bildung und der Rechtsextremismusprävention zu delegitimieren, rücken deren Herausforderungen und Chancen im Alltag in den Blick. So stellt sich die Frage, wie die Fachkräfte in den Kitas mit manifestem Rechtsextremismus umgehen, aber auch welche Vorstellungen und Bedarfe zu Differenz sie mitbringen und welche Alltagssituationen es sind, in denen von ihnen selbst diskriminierende Praktiken ausgehen. Laut einer Befragung in den Fokusregionen Thüringen und Sachsen ist bei Kitaleitungen, die in Kontakt mit radikal rechten Familien stehen (und das ist die Mehrheit der Befragten), „[…] eine gewisse Ratlosigkeit zu erkennen. Die Befragten finden es falsch, dass die Familien rechts sind, wollen und können diese aber auch nicht ausgrenzen.“ (Schutter/Braun 2018: 23)

Aufgrund dessen identifizieren die Autorinnen der Studie Fortbildungsbedarf zu den Themen Rechtsextremismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die Kitas selbst geben zwar einerseits an, auf gesellschaftliche Vielfalt gut vorbereitet zu sein. Andererseits machen die Fachkräfte geltend, dass sie einen hohen Bedarf an Weiterbildungen zum Umgang mit Vielfalt sowie zu den Themen Kinderrechte und Partizipation haben. Dies deckt sich mit Erfahrungen aus einem anderen Projekt, in dem verschiedene Formate zu den Themen Vielfalt und Partizipation von Kita-Fachkräften stark nachgefragt wurden (vgl. Stärck et al. 2019: 38).

Fallbeispiel: „Nur Afrikaner würden ihren Müll auf die Straße schmeißen“

Welche Problematiken u. a. in der Auseinandersetzung mit Rassismus im frühpädagogischen Alltag bestehen und wie verschiedene Akteure dabei interagieren, zeigt beispielhaft der Erfahrungsbericht einer Schwarzen Mutter, die einen Elternabend in der Kita beschreibt, die ihre Tochter besucht (Puhlmann 2020, alle Zitate dort). Diese Kita befindet sich, wie die Mutter es ausführt, „im hippen, vermeintlich toleranten Hamburger Vorzeige-Antifa-Stadtteil St. Pauli“. Von über 120 Kindern werde neben der dreijährigen Tochter der Verfasserin nur ein weiteres Schwarzes Kind in der Kita betreut. In dieser Kita ist nun folgendes vorgefallen:

Ein Vater hatte die Erzieherinnen Wochen vor dem Elternabend darauf aufmerksam gemacht, sein Sohn hätte gesagt, nur Afrikaner würden ihren Müll auf die Straße schmeißen. Er war davon überzeugt, dass sein Sohn dies aus der Kita haben müsse, denn zuhause, so beteuerte er, würde er dies nicht zu Ohren bekommen – derselbe Vater begrüßte meine Tochter morgens öfters mit Betitelungen wie „Brownie“ oder „Schokoladenkind“ […]. Dieser besagte Vater bat nun die Erzieherinnen, dies irgendwie aufzuarbeiten. Und das taten sie auch. Mit viel Hingabe konzentrierten sie sich auf ein Müllprojekt, welches die Kinder wohl allesamt toll fanden.

Auf dem Elternabend wurde dieses Projekt auch von anderen Eltern gelobt. Die Verfasserin fragte dort nach, „wie die Kita denn mit dem rassistischen Teil der Aussage des Kindes umgegangen sei“ und nennt eine Spielsituation, bei der ihrer Tochter von anderen Kindern das Mitspielen verweigert wurde, da diese keine blonden Haare habe. Als Reaktion verwiesen andere Eltern etwa darauf, dass sie selbst aufgrund blonder Locken gehänselt wurden oder machten Zeitdruck. Die Fachkräfte sagten zunächst, „dass die Kinder zu klein seien, um zu verstehen“, gingen aber nach der Diskussion auf die Verfasserin zu, bedankten sich bei ihr, gestanden ihre mangelnde Vorbereitung ein und fragten sie nach einer Bücherliste zum Thema Diversität.

Jahre nach dem Elternabend berichtete die nun fünfjährige Tochter ihrer Familie, dass andere Kinder aus der Kita behauptet hatten, „sie sähe aus wie Schokolade und hätte einen komischen Körper“. Auf diesen Vorfall angesprochen, versicherte eine Fachkraft der Mutter, „dass Kinder ja gar nicht rassistisch sein können“.

In diesem Beispiel gelingt den Fachkräften zwar eine pädagogische Bearbeitung des Themas Müll, die alle Seiten zufriedenstellt. Mit Rassismus wird sich allerdings nur unzureichend auseinandergesetzt: Zunächst verweisen die offenbar überforderten Erzieherinnen auf die fehlende Verantwortlichkeit junger Kinder. Dann sehen sie doch Handlungsbedarf, geben ihren pädagogischen Auftrag aber in gewisser Weise an ein Elternteil ab. Die erfragte Bücherliste führt offenbar in der Kita zu keinen Änderungen, da es Jahre später sogar zu schwierigeren Vorfällen kommt und die Fachkräfte daraufhin ähnlich wie zuvor lediglich auf die Unschuld der Kinder verweisen.

Die „Müll-Aussage“ des Jungen erinnert dabei (sofern sie tatsächlich von dem Kind getroffen wurde) an das Konzept der „pre-prejudices“ (Derman-Sparks 1989), mit dem der Entwicklungsstand von jungen Kindern berücksichtigt werden soll, aber auch eine Imitation und Reproduktion von stereotypen Bildern und Ungleichwertigkeitsvorstellungen angesprochen ist.2 In den Behauptungen und direkten verbalen Angriffen der anderen Kinder auf das Schwarze Mädchen dagegen wird deutlich, dass Funktionen von Vorurteilen auch direkt von jungen Kindern nachempfunden werden können. Klassifikationen bzw. Stereotypisierungen werden dadurch, wie in einer wegweisenden Studie festgehalten wurde, in einer diskriminierenden, hier rassismusrelevanten Absicht als „manipulative tools“ (Van Ausdale/Feagin 2001) genutzt (vgl. auch Stärck 2019: 22).

Eine wichtige Rolle spielen in diesem Beispiel die Familien: Zunächst könnte man dem Vater, der das „Müll-Projekt“ ins Rollen brachte, noch unterstellen, dass er aus einem antirassistischen Impetus handelt, da er eine möglicherweise rassistische Aussage problematisiert. Allerdings wird schnell deutlich, dass der Vater selbst rassistische Bezeichnungen verwendet. Es geht ihm wohl tatsächlich lediglich darum, dass das Thema Müllbeseitigung pädagogisch aufgegriffen wird. Denn er findet, wie offenbar alle anderen anwesenden Eltern außer der Berichtsverfasserin, das Projekt der Kita gut, hat aber kein Interesse daran, Rassismus zu thematisieren. Die eigentliche Aussage, die Stein des Anstoßes der ganzen Debatte gewesen ist, bleibt letztlich in ihrem Gehalt etwas unklar. Es wirkt allerdings nicht so, als ob sie auf der Erfahrungswelt von Kindern basiert. Ob sie von Fachkräften oder Eltern stammt, kann nicht rekonstruiert werden, der Sprachgebrauch erinnert jedoch an vorurteilsbehaftete Aussagen von Erwachsenen.

Neben diesen unterschiedlichen Perspektiven tritt eine Gruppe von Akteuren in dem Beispiel nicht auf, und zwar die Kinder, die Ziel der generalisierenden und diskriminierenden Aussagen sind. Die Auswirkungen auf die Tochter der Berichtsverfasserin werden nicht im Detail geschildert und entziehen sich daher einer rekonstruktiven Analyse. Studien deuten darauf hin, dass rassistische Diskriminierung und kindliche Stigmatisierung zu Traumata führen und alle Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung hervorbringen können (vgl. American Psychological Association 2018). Die Reduktion des Aussehens von Kindern auf die Farbe eines Lebensmittels könnte ein solcher Auslöser für ein Trauma sein.

Ableitungen für die pädagogische Praxis

Kinder agieren wie pädagogische Akteure unter spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen. Bestimmte Ideen und Wahrnehmungsmuster von Norm und Abweichung, die mit Vorstellungen von Ungleichwertigkeit verknüpft sind und auf denen Vorurteile und Rassismus aufbauen, werden auch in modernen, zunehmend diversen Gesellschaften tradiert und sind daher von Einzelnen kaum bearbeitbar (vgl. Lutz/Wenning 2001: 20f.). Deshalb ist ein Aufgreifen dieser Themen für Fachkräfte herausforderungsreich. Dies entbindet Erzieher*innen selbstverständlich nicht von ihrem professionellen Handlungsauftrag und ihrer Verantwortung für die Bildung und soziale Entwicklung von Kindern. Doch wie sollten und können Fachkräfte im Kita-Alltag rassismus- und diskriminierungssensibel und situativ angemessen agieren?

Es gibt bereits zahlreiche pädagogische Konzepte zu den angesprochenen Themen. Ansätzen wie der Inklusiven Pädagogik, der Demokratiebildung, der Interkulturellen Pädagogik/Migrationspädagogik, der Rassismuskritik oder der Pädagogik der Vielfalt ist gemeinsam, dass sie sich mit Gleichheit/Gleichwertigkeit oder Egalität sowie Verschiedenheit/Differenz oder Heterogenität auseinandersetzen (vgl. Prengel 2010). Es handelt sich dabei gewissermaßen um zwei Seiten einer Medaille, die Prengel als „egalitäre Differenz“ fasst: „Gleichheit ohne Differenz wäre Gleichschaltung, und Differenz ohne Gleichheit wäre Hierarchie“ (Prengel 2010: 6). Beide Pole anzuerkennen, bedeutet letztlich nichts anderes, als „dass jedem Kind sein individueller Eigensinn gleichermaßen zugestanden wird“ (ebd.). Dies kann beispielsweise bedeuten, Differenz in Hautfarben tatsächlich aufzugreifen, wenn sie von Kindern relevant gemacht wird:

Die Verneinung der Unterschiedlichkeit zwischen Menschen, etwa mit Aussagen wie: ‚Alle Hautfarben sind gleich‘, erscheint als der falsche Weg, wenn damit nicht die Idee der Gleichwertigkeit vermittelt wird. Solche ‚ungenauen‘ Vorstellungen brechen […] auf, da sie der unmittelbaren Wahrnehmung von Kindern widersprechen. Ein Lernziel pädagogischer Prävention sollte es daher sein, die Kinder dazu zu befähigen, ein tiefergehendes Verständnis von Unterschieden, die sie erkennen, zu entwickeln und diese als gleichwertig zu rahmen. (Stärck 2019: 347)

Als sinnvoll hierzu hat sich speziell im Vergleich zu einer „cultural understandings“-Strategie, bei der Vorurteile durch kulturelle Begegnungen abgebaut werden sollen, eine umfassende Antidiskriminierungsstrategie erwiesen (vgl. Stärck 2019). Dieser geht es gerade darum, mit den Mitteln, die der Pädagogik zur Verfügung stehen, auch breitere institutionelle Ebenen zu adressieren und gesellschaftliche Dominanzverhältnisse mitzudenken (vgl. Stärck 2019: 356). Für ein solches Vorgehen liegen unter dem Stichwort der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung zahlreiche Praxishilfen und Materialien vor (vgl. z. B. Ayten et al. 2019).

Hierfür ist es auch bedeutend, diejenigen Kinder ernst zu nehmen, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, und anzuerkennen, dass es Unterschiede in Diskriminierungsrisiken gibt (vgl. Auma 2020: 13). Ein Demokratieverständnis ist dabei in einem doppelten Sinne angesprochen: zum einen als Vorstellung einer auf Partizipation und Beteiligung aller ausgerichteten „Demokratie als Lebensform“ (vgl. Richter/Lehmann/Sturzenhecker 2017: 17), zum anderen als freiheitliche Idee, die durch ihre Praxis gegen ihre Feinde verteidigt wird:

Die Überzeugung, dass alle Stimmen wichtig sind und auf keine verzichtet werden kann, um die Einrichtung im besten Interesse der Kinder als einen demokratischen Lernort zu gestalten, schärft auch die Wahrnehmung für antidemokratische Stimmen. Nur wer erkennt, welche Positionen sich gegen die Demokratie richten, wird in der Lage sein, sich ihnen zu widersetzen. (Wagner 2020: 35)

Konzepte und Ideen einer (hier nur grob umrissenen) intensiven Antidiskriminierungsstrategie sollten in langfristig angelegten Fortbildungen vermittelt werden und bereits in der frühpädagogischen Ausbildung verankert sein. Angesichts von Familien mit radikal rechten Einstellungen und der dargestellten thematischen Diskurse mit großer Eigendynamik ist es außerdem vorteilhaft, wenn Fachkräfte, Kitas und deren Träger nicht alleine stehen. Hilfreich kann hier eine Vernetzung in den Sozialraum, etwa mit Familienzentren und Servicestellen, oder die Koordination durch Fachberatungen sein (vgl. Stärck et al. 2019: 68). Und natürlich sind auch weitere gesellschaftliche Teilsysteme in der Pflicht. Hoffnungsvoll stimmen hier etwa mediale Vorstöße wie die US-Version der Fernsehsendung „Sesamstraße“, in der mittlerweile Schwarze Puppen die Entstehung von unterschiedlichen Hautfarben durch Einfluss von Melanin erklären und für die Akzeptanz von Differenz werben (vgl. Der Spiegel 2021). Überhaupt sollte die Hoffnung auf positive Entwicklungen in diesem Feld nicht vorschnell aufgegeben werden: Wie anfangs dargestellt, gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Maßnahmen und Projekten zu den Themen Diskriminierung und Demokratie in der frühen Kindheit. Und Kindertagesstätten sind in gewisser Weise „passfähig“ hierzu, stehen sie doch nach wie vor – gerade im Vergleich zur Schule, die eher unter Rückgriff auf Honneth als System der Nicht-Anerkennung begriffen werden kann (vgl. Hummrich 2021: 37) – qua ihrer Funktion für soziales Lernen.


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1    Wer noch davon überzeugt ist, dass Kindheit hierfür einen besonderen Schutz- und Schonraum biete, dem sei das aufsehenerregende Interview von Herzogin Meghan und Prinz Harry mit Oprah Winfrey empfohlen. Dort traf Herzogin Meghan folgende Aussage in Bezug auf den Umgang des britischen Königshauses mit ihrem Sohn Archie: „In those months when I was pregnant, [there were] concerns and conversations about how dark his skin might be when he’s born“ (The Sun 2021). Angesichts dessen ließe sich sogar bereits von einem pränatalen Rassismus sprechen.
2    „Pre-prejudice“ wird definiert als „beginning ideas and feeling in very young children that may develop into real prejudice through reinforcement by prevailing societal biases“ (Derman-Sparks 1989: 3). Hiermit ist gemeint, dass sich bestimmte „Ideen“ und Vorstellungen, etwa über Unterschiede zwischen Menschen, bei Kindern kognitiv entwickeln und durch den Einfluss von gesellschaftlich vorhandenen Bewertungen und Stereotypen zu tatsächlichen Vorurteilen werden können.
 

Literatur

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American Psychological Association

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Hummrich, Merle (2021): Anerkennung. Erziehungswissenschaftliche Betrachtungen einer ambivalenten Kategorie. In: PraxisForschungLehrer*innenBildung, 3(2), S. 34–47.
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(2020): Share the mic. Unsere Leserin Aileen Puhlmann erzählt, wie sie in der Kita gegen Diskriminierung kämpft. Online: www.ohhhmhhh.de/alltagsrassismus-aileen/ [28.05.2021].


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