Antiakademismus heute

Für antiakademische Positionen ist eine Kritik des universitären Status quo bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Wissenschaftlichkeit kennzeichnend. Mit der „GegenUni“ und der „Hannah Arendt Akademie“ nehmen wir zwei Fälle eines reaktionären Antiakademismus in den Blick. Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Frage nach der Normativität dieser Fälle. Gegen einen reaktionären Antiakademismus bringen wir abschließend einen demokratisierenden Antiakademismus in Stellung, der sich nicht nur gegen die untersuchten reaktionären Positionen wendet, sondern auch gegen die bestehende Hochschule.

Einführung

Mit der „GegenUni“ und der „Hannah Arendt Akademie“ konnten wir jüngst die Gründung zweier reaktionärer Plattformen beobachten, die sich selbst als akademisch verstehen, für die aber zugleich eine Kritik des Akademischen kennzeichnend ist. Dieses Changieren zwischen Abgrenzung und Kritik auf der einen Seite und dem In-Anspruch-Nehmen von Wissenschaftlichkeit auf der anderen Seite ist charakteristisch für antiakademische Positionen (Engelmeier und Felsch 2017).

Unser Interesse richtet sich folglich auf Projekte, die im Sinne des Antiakademismus „ihre Profile über die Negation der real existierenden Universitäten“ (ebd., 5) gewinnen – und gerade so den Anspruch einer „wahren, gerechteren, schöneren oder leidenschaftlicheren Hochschule“ (ebd., 4) erheben. Ziel unseres Beitrags ist es, die spezifische Normativität der genannten Fälle zu untersuchen, indem wir ihre Grenzbearbeitungen gegenüber dem etablierten Wissenschaftsbetrieb in den Blick nehmen. In diesen entstehen bestimmte Auffassungen von Wissenschaftlichkeit und Wissenschaftler*in-Sein. Wir weisen zunächst die Relevanz dieses Gegenstandes nach. Aus historischer Perspektive wird deutlich, dass Antiakademismus eng mit der Demokratisierung des Akademischen verbunden war und ist. So geht es im Antiakademismus heute um die Frage, wer zukünftig wie an der akademischen Wahrheitsproduktion teilnehmen und wie überhaupt ein Anspruch auf Wahrheit aus partikularen Perspektiven erhoben werden kann. Anschließend zeigen wir, wie sich der Antiakademismus der „GegenUni“ und der „Hannah Arendt Akademie“ reaktionär gegen die Demokratisierung der Hochschule wendet. Im letzten Teil positionieren wir uns selbst und zeichnen Grundelemente einer demokratisierenden antiakademischen Perspektive nach.

Antiakademismus zwischen demokratisierendem und reaktionärem Projekt

Antiakademismus zeigt sich facettenreich. Formal ist zu beobachten, dass Antiakademismus normative Forderungen („Eine andere Hochschule ist notwendig!“) in das wissenschaftliche Feld einführt, während in diesem Feld die eigene Normativität allzu oft mit dem Verweis auf Wissenschaftlichkeit und Wert(urteils)freiheit verdeckt wird. Antiakademismus umfasst eine Reihe von Praktiken, welche mit eigenen Varianten des Lehrens und Forschens, inhaltlich-normativen Schwerpunktsetzungen sowie intellektueller Lebensführung Kontraste zu etablierten akademischen Gepflogenheiten schaffen (Engelmeier und Felsch 2017). Dabei zeigen sich kulturpessimistische Ausprägungen, die eine imaginierte Tradition im Sinne strikter Hierarchien, Rollenverteilungen und kanonischer Literatur zurückersehnen, als auch solche Praktiken, die versuchen, die Eingebundenheit der Hochschule in staatliche und kapitalistische Strukturen infrage zu stellen (Diederichsen 2017).

Historisch war Antiakademismus einerseits eng mit Demokatisierungsprozessen verbunden. Mit der Parole „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“ wendeten sich Studierende 1967 gegen eine Universität mächtiger Professoren (sic!) und ihr nationalsozialistisches Erbe (Kraushaar 2017). Demokratisierung der Hochschule bedeutete hier, die Macht der Professoren einzuschränken und Studierende und den Mittelbau strukturell in Entscheidungsprozesse einzubinden (Habermas 1969; Kraushaar 2017). Damit verbunden war die Idee einer Rationalisierung der Hochschule durch Deliberation. Grundannahme ist, dass sich in demokratischen Aushandlungen das bessere Argument und nicht der Wille einzelner Hochschullehrender durchsetzt (Kraushaar 2017). Andererseits zeigten sich antiakademische Bestrebungen, die sich gegen diese Demokratisierungsprozesse richteten. Anstelle Hierarchien zu reduzieren und in Lehre und Forschung auf Augenhöhe zu agieren, wird hier etwa eine hierarchische Schüler-Meister-Beziehung gepflegt, das professorale Charisma idealisiert, dem Mythos des autonomen männlichen Wissenschaftlers gefolgt oder das eigene Handeln in einer nationalen Gemeinschaft überhöht („Volk der Dichter und Denker“). Solche reaktionären Bilder laufen Errungenschaften akademischer Selbstverwaltung und dem Anspruch einer inklusiven Hochschule zuwider und sind damit Teil des Versuches, Demokratisierungsprozesse an Hochschulen zurückzudrehen (Engelmeier und Felsch 2017).

Eine weiterführende Demokratisierung des Akademischen zeigt sich in Projekten, die nicht nur die Hochschulorganisation, sondern auch die Wahrheitsproduktion und ihre institutionellen Verun- bzw. Ermöglichungen in den Mittelpunkt stellen. Queerfeministische und rassismuskritische Standpunkte inner- und außerhalb der Universität zeigen, dass die Erfahrungen, Kenntnisse und Einstellungen zahlreicher Menschen in Gesellschaft und akademischem Betrieb marginalisiert werden. Problematisch ist also, neben ungleichen Zugangsvoraussetzungen und der damit verbundenen Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheiten sowie individueller Diskriminierungen, auch eine wissenschafts- und erkenntnistheoretische Dimension: Einige Problematisierungsweisen, Fragestellungen, Perspektiven und Standpunkte werden systematisch von der (akademischen) Wahrheitsproduktion ausgeschlossen (Ahmed 2021; de Lagasnerie 2017; Schubert, unveröffentlichtes Manuskript).

Es sind unserer Beobachtung nach diese Diskurse, die Antiakademismus heute einerseits prägen. Andererseits kommt es auch zur Gründung der „GegenUni“ und der „Hannah Arendt Akademie“, die wir nun – als Erscheinungsformen eines reaktionären Antiakademismus – analytisch in den Blick nehmen (III). Uns interessiert, welche Diagnosen Anlass dafür sind, normativ eine andere Universität zu fordern und welche Selbstverständnisse von Wissenschaftlichkeit und Wissenschaftler*innen-Sein sich hier zeigen.

Zwei Beispiele für reaktionären Antiakademismus

Mit der „GegenUni“1 und der „Hannah Arendt Akademie“ greifen wir Fälle auf, die unterschiedlich zu kontextualisieren sind. Die „GegenUni“ ist „der selbsternannten ‚neuen Rechten‘, also dem Teil der rechtsextremen Szene, der sich als gebildeter und weniger offen nationalsozialistisch versteht“ (Rafael 2021), zuzuordnen. Die „Hannah Arendt Akademie“ ist durch eine Verflechtung in die „Querdenken“-Bewegung und in die verschwörungsideologische/-gläubige Szene gekennzeichnet (Waldmüller 2021). Beide Plattformen richten bzw. richteten sich mit einem kostenpflichtigen Online-Angebot an junge Menschen und Interessierte.

Die „GegenUni“

Die „GegenUni“ ist ein Beispiel für wissenschaftsbezogenen Rechtspopulismus/-extremismus. Mit diesem Begriff beschreiben wir (extrem) rechte Organisationen, Praktiken und Diskursstrategien, die sich auf das Feld der Wissenschaft beziehen. Die „GegenUni“ steht damit in der Tradition des „Instituts für Staatspolitik“ (Haker und Otterspeer 2021) und der „Bibliothek des Konservatismus“ (Hümmler 2021). Sie bezeichnet sich explizit als antiakademisch und setzt sich zum Ziel, „Konservativen und Patrioten qualitativ hochwertige Theoriearbeit zugänglich zu machen“ (GUS1).

Die Initiatoren der „GegenUni“, insbesondere Eric Ahrens, diagnostizieren sowohl eine Krise der (extremen) Rechten als auch der Linken. Die (extreme) Rechte sei zwar parteipolitisch erfolgreich und ihre Protestbewegungen bekämen Aufmerksamkeit, es fehle dieser aber an einer „einheitlichen Weltsicht und einer verbindlichen Theorie“ (GUS1). Das politisch linke Lager sei hingegen „träge geworden“ (GUS1), habe aber noch die Deutungshoheit an Universitäten inne, die „fest in linksliberaler Hand“ (GUS1) seien. Dieser Diagnose zufolge befinden wir uns gegenwärtig in einer Zeit des Übergangs. Der Erfolg der (extremen) rechten Parteien drohe in den Kompromissen, die der politische Betrieb ihnen abverlangt, zu zerfallen und der Protest auf der Straße werde noch von „zweifelhaften Akteuren mit oberflächlichen Botschaften dominiert“ (GUS1).

In dieser Phase zielt die „GegenUni“, ihrer Selbstdarstellung folgend, darauf ab, den historisch als neu eingestuften, aber noch als wackelig angesehenen politischen Erfolg der (extremen) Rechten durch ideologische Arbeit zu stärken. Es gehe darum, (extrem) rechtes Wissen einer breiten Öffentlichkeit anzubieten und zukünftig „ideologische Hoheit“ (GUS1) für die (extreme) Rechte zu gewinnen. Ahrens sieht etwa die Amadeu Antonio Stiftung als Vorbild (GUS2) und sein Gesprächspartner Daniel Fiß führt im „GegenUni“-Podcast aus, dass „neue Institutionen geschaffen werden“, um „an den Institutionen und institutionellen Stellen zu wirken, wo [...] Theorieproduktion stattfindet“ (GUS2).

Normativ operiert die „GegenUni“ mit einer einfachen links/rechts-Unterscheidung. Aus der Perspektive der extremen Rechten erscheint es so, als seien die gegenwärtigen Hochschulen durch politisch linke Positionen dominiert. Das Narrativ lautet: „Die Aufgabe unserer Generation ist, die metapolitische Dominanz von Links zu brechen“ (GUS1). Die Institution der Hochschule steht bei dieser Form des Antiakademismus nicht in der Kritik. Die Macht, die von einer Universität ausgeht, ist vielmehr die Beute, die es im (extrem) rechten Hegemonieprojekt einzufangen und für die eigenen politischen Anliegen zu unterwerfen gilt. Die Zukunftsvision der „GegenUni“ besteht folglich darin, eine vermeintlich linke durch eine rechte Hegemonie zu ersetzen. In der Beschreibung zum „einprozent“ Podcast (GUS3) heißt es etwa:

Die Linke hält die Diskurshoheit innerhalb der deutschen und westeuropäischen Universitäten fest in ihrer Hand. Die Universitäten fungieren als staatliche Reproduktionsräume linker Kulturhegemonie. Was in der Gesellschaft mit einer gewissen Zeitverzögerung Geltung beansprucht, entstammt in den meisten Fällen linksdominierten Lehrstühlen der Gesellschaftswissenschaften.

Überall wo Linke oder links steht, sollte aus Sicht der „GegenUni“ Rechte und rechts stehen.

Der Antiakademismus der „GegenUni“ richtet sich also nicht gegen eine von hierarchischen Machtstrukturen durchzogene und ökonomischen Zwängen ausgesetzte Hochschule mit einem klassischen Verständnis von Vorlesung, Seminaren und Scientific Community. Ahrens zufolge waren Massive Open Online Courses (MOOCs) und Apps Vorbild für die „GegenUni“, die von vornherein auf „Vermarktbarkeit“ zielt (GUS3). Kritisiert wird auch nicht der epistemologische Status sozial- und geisteswissenschaftlicher Fächer. Die Grenzarbeit der „GegenUni“ besteht eher darin, sich diesem Bild einer hierarchischen und ökonomisierten Hochschule anzunähern und Gemeinsamkeiten zu betonen (siehe zu dieser Strategie Haker und Otterspeer 2021). Dies wird auch am College-Design des Logos deutlich.

Die abgelehnte Form von Hochschule, über die sich das Selbstverständnis der „GegenUni“ bildet, sind Gegenunis, die als politisch links beschrieben werden. Im „einprozent“-Podcast fragt Philip Stein nach einer solchen nicht näher benannten Gegenuni in Frankfurt am Main. In Ahrens Antwort (GUS3) wird deutlich, dass die von der „GegenUni“ abgelehnten Inhalte und Praktiken nur aus Erzählungen und Berichten bekannt sind. Es wird ein diffuses Gegenüber skizziert, das in seinen Praktiken („einem alten Institutsgebäude, was irgendwo besetzt wurde“), in seinem Auftreten („maximal eigentlich für die Öffentlichkeit unattraktiv“) und seinen Inhalten („Gender Studies und über Postcolonial Studies“, „Kritische Theorie und Israel und Antisemitismus und Rassismus und all sowas“) abgelehnt wird.

Die „Hannah Arendt Akademie e. V.“

Der zweite von uns analysierte Fall ist die „Hannah Arendt Akademie e. V.“2. Als Initiator der „Hannah Arendt Akademie“ tritt besonders Matthias Burchardt, Erziehungswissenschaftler an der Universität zu Köln3, hervor. Die Gründung der „Hannah Arendt Akademie“ ist im Zusammenhang der sogenannten „Querdenken“-Bewegung zu verorten (Waldmüller 2021). Auf der nicht mehr verfügbaren Webseite der „Hannah Arendt Akademie“ heißt es zur eigenen Zielsetzung (HAAS1):

Als unabhängiger und unparteilicher Verein von Wissenschaftlern und Experten machen wir es uns zur Aufgabe, Abiturienten und Studenten Zugang zur Orientierung einer akademischen Aus- und Weiterbildung sowie einem Studium auf höchstem wissenschaftlichen Niveau zu ermöglichen.

Die Notwendigkeit eines solches Angebots verdeutlicht Burchardt so: Mit der „Hannah Arendt Akademie“ entstehe ein Ort, „der auch ein bisschen frei ist von den Restriktionen der akademischen Kultur, die ja doch einen gewissen Verlauf genommen hat in Richtung Political Correctness und Über-Regulation“ (HAAS2).

Mit dieser Diagnose operiert die „Hannah Arendt Akademie“ normativ mit einer Unterscheidung von frei/nicht frei. Während Hochschulen Orte des „Hygiene-Regimes“, von „Restriktionen“ und von „Repressionen“ (HAAS2) seien, sei im Rahmen der Akademie ein Austausch frei von Einschränkungen möglich, wie es im Leitbild heißt (HAAS1):

Die Dozenten genießen uneingeschränkte Wissenschaftsfreiheit [...]. Es herrscht Rede-, Meinungs- und Gedankenfreiheit unter kultivierten und gebildeten Personen. Sprachregulationen im Sinne der Political correctness werden kategorisch abgelehnt.

Mit dieser Inanspruchnahme von Wissenschaftsfreiheit geht ein weiterer normativer Einsatz einher. Einer verwertungsorientierten Hochschule wird Allgemeinbildung und Persönlichkeitsbildung entgegengestellt. Die „Hannah Arendt Akademie“ solle „so werden wie Hogwarts, dass man eigentlich unbelästigt von den ganzen Muggeln eigentlich die Zauberkraft der Bildung zur Entfaltung bringen könnte“ (HAAS2). Burchardt träumt vom Kauf eines Klosters und Gunnar Kaiser – sein Interviewpartner und vorgesehener Dozent an der „Hannah Arendt Akademie“ – schwärmt von einer „Universität als ein geistiger Ort, als eine Agora, ein Marktplatz der Ideen“ (HAAS2). Neben die Unterscheidung verwertungsorientiert/allgemeinbildend tritt hier die Unterscheidung früher/heute, die mit historischen Idealisierungen – das Kloster und die Agora als Orte wahrer Bildung – arbeitet. Der informelle Charakter jenseits von Zertifizierungen gebe der Akademie, so Burchardt, „gerade dadurch ihren Charme [...], dass sie nicht unmittelbar verwertbar sind, sondern der Entfaltung der Persönlichkeit unmittelbar zugutekämen“ (HAAS2). Die nach dem „Kriterium der Wissenschaftlichkeit“ (HAAS2) gewählten Dozierenden würden ehrenamtlich arbeiten und trotz teilweise zu erwartenden Widerständen, etwa der sie beschäftigenden Hochschulen, diesen Einsatz zeigen.

Für einen demokratisierenden Antiakademismus

Unsere Analyse hat mit der „GegenUni“ und der „Hannah Arendt Akademie“ zwei Fälle eines reaktionären Antiakademismus zum Gegenstand. Die Grenzbearbeitung der „GegenUni“ besteht darin, sich als (extrem) rechte „Ergänzung, Alternative und Konkurrenz“ (GUS1) zu vermeintlich linken und linksliberalen Inhalten an Hochschulen ins Spiel zu bringen. Institutionell, ökonomisch und in der Form der Lehrpraxis versucht die „GegenUni“ jedoch, die etablierte Praxis und Institutionalisierung von Hochschulbildung zu kopieren. Für die „Hannah Arendt Akademie“ dagegen sind behauptete Institutionalisierungen an Hochschulen ein wesentliches Abgrenzungskriterium. Dies trifft nicht nur auf die Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie zu, sondern auch auf die Institutionalisierung von nicht näher spezifizierter Political Correctness. Uneingeschränkte Freiheit ist das Selbstbild, das die „Hannah Arendt Akademie“ hieraus für sich ableitet. Die von uns in den Blick genommenen Formen eines reaktionären Antiakademismus heute sind historisch und in einem gegenwärtigen gesellschaftlichen Zusammenhang zu verorten.

So unterschiedlich die Fälle auch sein mögen – es lässt sich schnell aufzeigen, dass offen Rechtsextreme und sich libertär gebende Akteur*innen (mit der einfachen Behauptung, Freiheit sei außerhalb der institutionalisierten Universität einfach da) aus dem Milieu der Querdenker*innen Teil eines gemeinsamen, über sie hinaus reichenden Hegemonieprojekts sind: Erstens existiert Political Correctness überwiegend als (neu)rechte Bezeichnungspraxis, über die, in Abgrenzung zu (nicht näher benannten) Political-Correctness-Vertreter*innen, diskriminierende Sprache möglich wird und emanzipatorische Positionen Abwertung erfahren (Degele 2020). Zweitens gibt es personelle Verbindungen zwischen der Neuen Rechten und „Querdenken“ im Allgemeinen und zwischen „Hannah Arendt Akademie“ und „GegenUni“ im Besonderen (Redaktion Belltower.News 2022). Das gemeinsame Hegemonieprojekt steht in der Tradition der Neuen Rechten, die sich einerseits mit der durch Armin Mohler ex post geprägten Sammelbezeichnung „Konservative Revolution“ auf antidemokratische Autoren der Weimarer Republik bezieht und dabei Verstrickungen in den aufstrebenden und sich etablierenden Nationalsozialismus zu verdecken sucht und die andererseits von der französischen „Nouvelle Droite“ der 60er-Jahre inspiriert wurde (Pfahl-Traughber 2022). Dabei zeigt sich in neurechten Vereinigungen wie dem „Thule-Seminar“ (Jäger 1988) oder dem „Institut für Staatspolitik“ (Haker und Otterspeer 2021), dass das antiakademische Changieren zwischen Abgrenzung und Inanspruchnahme von Wissenschaftlichkeit – schon in der Benennung eines außeruniversitären Zusammenschlusses mit typisch akademischer Selbstbezeichnung („Akademie“, „Institut“, „Seminar“ oder „Uni“) – keine neue Entwicklung ist und daher in seiner Kontinuität eher akademische Traditionen unter reaktionären Vorzeichen fortführt.

Cancel Culture und Political Correctness sind Kampfbegriffe, die gegenwärtig auch im etablierten wissenschaftlichen Milieu verwendet werden. Öffentlichkeitswirksam formuliert das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ in eine der „Hannah Arendt Akademie“ ähnlichen Richtung. Das Manifest des Netzwerks problematisiert, dass innerhalb der Wissenschaft, aber auch von außen, zusehends „ein Konformitätsdruck erzeugt [wird], der immer häufiger dazu führt, wissenschaftliche Debatten im Keim zu ersticken“ (Netzwerk Wissenschaftsfreiheit 2021). Und Sandra Kostner, Sprecherin des Netzwerks, verbreitet analog zur Diagnose der „GegenUni“ das Narrativ einer von Linken dominierten Hochschule (Breuer 2021). Ein reaktionärer Antiakademismus trifft hier auf ein diskursives Feld, das er zum einen selbst bestellt, das zum anderen aber auch ein Einfallstor in aktuelle akademische Debatten ist.

Die Kritik am reaktionären Antiakademismus könnte nun vorschnell dazu neigen, die bestehende Hochschule gegen die skizzierten Normativitäten der „GegenUni“ und der „Hannah Arendt Akademie“ zu verteidigen. Allerdings sehen auch wir, dass die Hochschule in problematischer Weise ökonomisiert ist, dass ihre internen Machtstrukturen Freiheiten einschränken und dass sie eng verknüpft ist mit politischer Hegemonie (siehe auch Schubert 2021). Es braucht also unbedingt Antiakademismus als normative Kritik des wissenschaftlichen Feldes – demokratisierenden Antiakademismus.

Reaktionärer Antiakademismus entlang der frei/unfrei-Unterscheidung setzt Freiheit als naturgegebene Eigenschaft absolut und hält diese für nicht weiter begründungsnotwendig. Demokratisierender Antiakademismus rückt stattdessen die Frage in den Mittelpunkt, wie bedingte/partielle Autonomie erst praktisch hergestellt und in Anspruch genommen werden kann. Auch die unterkomplexe rechts/links-Unterscheidung des reaktionären Antiakademismus weist der demokratisierende Antiakademismus zurück. Die Frage nach guter Wissenschaft entscheidet sich nicht entlang dieser Grenze. Und dass „Links-Sein“ ein scheinbar verbindendes Merkmal von Klimaforscher*innen, rassismuskritischen Forscher*innen, Kolleg*innen in den Gender Studies oder postkolonialen Perspektiven ist, ist ein strategisches Phantasma der (extremen) Rechten.

Statt uns weiter an den Beispielen des reaktionären Antiakademismus abzuarbeiten und seine verqueren Konzepte von Freiheit oder seine Vorstellungen von vermeintlich linker Hegemonie an Hochschulen zu kritisieren, plädieren wir zum Abschluss dieses Beitrags für einen demokratisierenden Antiakademismus. Zwar wenden wir uns damit gegen die im reaktionären Antiakademismus vorgenommenen Diagnosen und Setzungen, wir machen die Vertreter*innen des reaktionären Antiakademismus aber nicht zu unseren Adressat*innen (gute Gründe hierfür liefert Feustel 2019). Von ihnen ist keine Einsicht zu erwarten. Insbesondere historische Analysen zeigen, dass die Neue Rechte kaum zu gedanklichen Innovationen in der Lage ist (Assheuer und Sarkowicz 1992; Pfahl-Traughber 2022).

Stattdessen wenden wir uns dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Feld zu: Studierende, Lehrende, Forschende und die Verwaltung können in ihrem täglichen Handeln dazu beitragen, dass eine Hochschule möglich ist, die den eigenen Ansprüchen und rechtlichen Pflichten an Diskriminierungsfreiheit, Toleranz und Weltoffenheit gerechter wird. Der demokratisierende Antiakademismus funktioniert aus diesem Grund auch als immanenter Antiakademismus auf dem Feld der Wissenschaft.

Hochschulen sind weiterhin exklusive Institutionen. Sie tragen zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten und Diskriminierungen bei. Dies ist nicht nur ein politisches Problem sozialer Gerechtigkeit, sondern wird zu einem wissenschaftlichen Problem, wenn Perspektiven und Standpunkte in der akademischen Wahrheitsproduktion ausgeschlossen werden (Ahmed 2021; Celikates et al. 2021; Schubert 2021). Demokratisierender Antiakademismus zielt nicht auf die Übernahme akademischer Machtpositionen. Es geht ihm um eine grundlegende Veränderung akademischer Institutionalisierungen und Praktiken vor dem Hintergrund der Frage, wie Ansprüche auf Wahrheit in diesen hergestellt werden können. Demokratisierender Antiakademismus befragt einerseits die eigene Forschungspraxis hinsichtlich der in ihr steckenden Spuren der eigenen gesellschaftlichen und historisch gewachsenen Position kritisch. Dabei geht es darum, was durch die eigene Perspektivität aus der Wahrheitsproduktion ausgeschlossen wird. Er klärt andererseits, wie das identitätspolitische Ringen um Standpunkte, die zum Beispiel in sozialen Bewegungen oder auch sozialwissenschaftlicher Forschung herausgearbeitet werden, neue Perspektiven auf Gesellschaft und den Gegenstand der eigenen Forschung öffnet (Schubert, unveröffentlichtes Manuskript). Demokratisierung der Wahrheitsproduktion darf also nicht verwechselt werden mit Mehrheitsentscheiden über einen Wahrheitsgehalt.

Auch vom Ausgang der Auseinandersetzungen zwischen einem Antiakademismus als demokratisierendem und einem Antiakademismus als reaktionärem Projekt hängt es ab, welche Positionen und Standpunkte langfristig Eingang in die Wissensproduktion und in gesellschaftliche Debatten finden. Auf dem Feld des Antiakademismus heute steht Demokratie zum einen unter Druck. Es öffnet sich aber auch die Möglichkeit weitergehender Demokratisierungsbewegungen, die mit Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen von Erkenntnis und Wahrheit notwendig sind.

 

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1    Die folgende Analyse bezieht sich auf die Selbstdarstellung der „GegenUni“ auf ihrer Hompage (GUS1), auf die erste Folge des „GegenUni“-Podcasts (GUS2) und auf eine Folge des „einprozent“-Podcasts (GUS3), in dem Eric Ahrens auftritt.

2    Die folgende Analyse bezieht sich auf die Selbstdarstellung der „Hannah Arendt Akademie“ auf ihrer nicht mehr verfügbaren Homepage (HAAS1) und auf ein Gespräch zwischen dem Initiator Matthias Burchardt und Gunnar Kaiser (HAAS2). Das Angebot der „Hannah Arendt Akademie“ ist nicht mehr verfügbar.

3    https://www.hf.uni-koeln.de/30820 (abgerufen am 23.05.2022).

Material

GUS1:

GegenUni (2022). GegenUni. Die rechte Digitalakademie. Online verfügbar unter gegenuni.de/gegenuni/ (abgerufen am 02.05.2022).

GUS2:

GegenUni (2021). #Quergelesen | Folge 1 – Vorstellung & GU-Start. Online verfügbar unter www.podbean.com/media/share/pb-nntv2-109fb63 (abgerufen am 02.05.2022).

GUS3: Lagebesprechung. Der Podcast zur politischen Krise

(2021). Die GegenUni – Eric Ahrens im Gespräch. Online verfügbar unter podcast.einprozent.de/die-gegenuni-erik-ahrens-im-gespraech-497/ (abgerufen am 02.05.2022).

HAAS1: Die Webseite der Hannah Arendt Akademie ist aktuell nicht mehr verfügbar. Screenshots der Webseite können bei Interesse bei den Autoren nachgefragt werden.

HAAS2

: Gunnar Kaiser (2021). Denken ohne Geländer: Die Hannah-Arendt-Akademie – Matthias Burchardt im Gespräch | PHILOSOPHIE. Online verfügbar unter www.youtube.com/watch (abgerufen am 02.05.2022).

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