Queerfeindliche Hasskriminalität in Deutschland

Empfohlene Zitierung:

Ponti, Sarah (2023). Queerfeindliche Hasskriminalität in Deutschland. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antifeminismus & Hasskriminalität, Band 13, Online-Ausgabe. Jena, 112–125.

Schlagwörter:

Queerfeindlichkeit, queerfeindliche Hasskriminalität, LSBTIQ*

 


Täglich werden in Deutschland Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter*innen ihren Hass auf queere Menschen in Gewalt ausleben. Allein der Anblick einer trans* Person oder eines gleichgeschlechtlichen Paares kann Gewalttäter*innen motivieren, brutal zuzuschlagen. Die Fallzahlen der polizeilich erfassten queerfeindlichen Hasskriminalität steigen seit Jahren kontinuierlich an. Dennoch liegt ein Großteil der Straftaten weiterhin im Dunkelfeld. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über das bekannte Ausmaß queerfeindlicher Hasskriminalität in Deutschland, über die Defizite bei der polizeilichen Erfassung und strafrechtlichen Verfolgung sowie über die notwendigen Reformen.


Die massivste Ausdrucksform gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist Hasskriminalität. Hassmotivierte Straftaten zielen nicht nur auf die Menschen als Individuen, sondern zusätzlich auch darauf, ganze Bevölkerungsgruppen einzuschüchtern. Es kann in Deutschland auch heute noch gefährlich sein, im öffentlichen Raum als schwul, lesbisch, bisexuell, trans*, inter* oder queer (LSBTIQ*) erkannt oder dafür gehalten zu werden. Allein der Anblick einer trans* Person oder eines lesbischen oder schwulen Paares kann Gewalttäter*innen motivieren, brutal zuzuschlagen. Aus solchen Taten spricht Hass. Die Täter*innen sehen sich als Vollstrecker*innen eines von ihnen fantasierten Mehrheitswillens. Queere Menschen gelten ihnen als minderwertig und vogelfrei.

Die amtlichen Zahlen der polizeilich erfassten Hasskriminalität gegen LSBTIQ* steigen seit Beginn ihrer Erfassung 2001 stetig an. Seit 2018 haben sich die Zahlen der erfassten Straftaten mehr als verdreifacht. Die tatsächliche Zahl der begangenen Delikte ist jedoch nach Schätzungen weitaus höher: Die geringe Anzeigebereitschaft der Betroffenen, Defizite im Ermittlungsverfahren und eine lückenhafte statistische Erfassung führen zu einem hohen Dunkelfeld. Die Bundespolitik hat notwendige Reformen lange verschlafen. Gewalt gegen LSBTIQ* stand beispielsweise erst 2021 zum ersten Mal seit 1954 auf der Agenda der halbjährlichen Innenminister*innenkonferenz. Ein seit vielen Jahren von der Zivilgesellschaft geforderter bundesweiter Aktionsplan gegen Queerfeindlichkeit wurde erst 2022 auf den Weg gebracht.

 

Queerfeindliche Hasskriminalität als politisch motivierte Kriminalität

Unter Queerfeindlichkeit versteht man Diskriminierungen, Anfeindungen und Straftaten, die sich gegen sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten außerhalb des cis-heteronormativen Spektrums richten. Darunter fallen beispielsweise homophobe oder trans*feindliche Äußerungen sowie Benachteiligungen, gerade weil jemand bisexuell oder inter*geschlechtlich ist. Ziel von Queerfeindlichkeit können Menschen, aber auch Institutionen oder Sachen sein, die in Zusammenhang mit Queerness gebracht werden, zum Beispiel Denkmäler oder Organisationen, die sich für queere Menschen einsetzen. Ein anderer Begriff für Queerfeindlichkeit ist LSBTIQ*-Feindlichkeit.

Queerfeindliche Hasskriminalität bezeichnet den strafrechtlich relevanten Teil von Queerfeindlichkeit, wenn also Straftaten aus Hass gegen LSBTIQ* begangen werden. Nach der Definition des Bundeskriminalamts umfasst dies politisch motivierte Straftaten, die sich gegen eine Person wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität richten oder gegen eine Institution, Sache oder ein Objekt im Zusammenhang damit. Das Opfer, die Institution, Sache oder das Objekt werden dabei stellvertretend für alle queeren Menschen angegriffen. Typische Beispiele für queerfeindliche Hasskriminalität sind Beleidigungen, Volksverhetzung, verhetzende Beleidigungen und Sachbeschädigungen, z. B. Vandalismus an Denkmälern oder Gebäuden queerer Organisationen. Es kommt jedoch auch zu Grabschändungen und Körperverletzungen und in extremen Fällen zu Totschlag oder Mord.

 

Ausmaß queerfeindlicher Hasskriminalität in Deutschland: amtliche Fallzahlen

Polizeiliche Erfassung als politisch motivierte Kriminalität durch den KPMD-PMK

Aus der Zivilgesellschaft gibt es keine bundesweite Erfassung queerfeindlicher Hasskriminalität. Die einzigen bundesweiten Zahlen liefert die jährliche Statistik des Bundesinnenministeriums (BMI) zu politisch motivierter Kriminalität. Seit 2001 wird Hasskriminalität durch den „Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK) erfasst – neben anderen politisch motivierten Straftaten, etwa Propagandadelikten. Die Einstufung eines Delikts als politisch motivierte Straftat erfolgt durch die ermittelnden Polizeibeamt*innen. Sie wirkt sich nicht nur auf die statistische Erfassung aus, sondern auch auf die weiteren Ermittlungen (z. B. durch Abgabe des Verfahrens an das Landeskriminalamt), auf bestimmte strafprozessuale Vorschriften und auf die Strafzumessung durch das Gericht (Habermann und Singelstein 2018; zu den Reformen siehe Kleffner 2018).

Queerfeindliche Straftaten wurden zunächst dem Unterthemenfeld „sexuelle Orientierung“ zugeordnet (Bundestagsdrucksache 17/14546), wobei hierunter alle „gegen Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuelle motivierten Straftaten“ erfasst werden sollten (Bundesinnenministerium 2019). Zum 1. Februar 2020 wurde das zusätzliche Unterthemenfeld „Geschlecht/sexuelle Identität“ eingeführt. Damit wollte das BMI eine „trennscharfe“ Unterscheidung von „transphoben“ und „homophoben“ Taten ermöglichen. Warum man für Angriffe auf trans* Personen die Kategorie „sexuelle Identität“ wählte, obwohl es um geschlechtliche Identität geht, während der Begriff sexuelle Identität in der Regel die sexuelle Orientierung meint, wurde nicht näher erläutert, sorgte jedoch nicht gerade für die gewünschte Trennschärfe. Da zudem auch auf „Geschlecht“ Bezug genommen wurde, vermengte die Begriffswahl zudem frauenfeindliche mit trans*- und inter*feindlichen Beweggründen. Zum 1. Februar 2022 wurde das unglücklich gewählte Unterthemenfeld daher in die drei Unterthemenfelder „frauenfeindlich“, „geschlechtsbezogene Diversität“ und „männerfeindlich“ ausdifferenziert (Bundesministerium für Inneres und Heimat 2022, 2). Trans*- und Inter*feindlichkeit sollen unter das Unterthemenfeld „geschlechtsbezogene Diversität“ fallen.

 

Aktuelle Entwicklungen queerfeindlicher Hasskriminalität bundesweit

In den letzten Jahren zeigt sich ein deutlicher Anstieg der in der Statistik erfassten Fallzahlen. Von 2018 bis 2021 verdreifachten sich die Zahlen. Die in der PMK-Statistik am häufigsten registrierten Delikte gegen LSBTIQ* sind Beleidigungen und Volksverhetzungen, ein erheblicher Teil sind jedoch auch Gewaltdelikte.

 

2018 erfasste die BMI-Statistik bundesweit 351 gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Straftaten, 2019 waren es bereits 576 Fälle, 2020 wurden insgesamt 782 Straftaten von Hasskriminalität gegen LSBTIQ* registriert. Das ist ein Anstieg von 36 % gegenüber 2019. Im selben Jahr wurde auch erstmals zwischen Straftaten gegen die „sexuelle Orientierung“ und gegen „Geschlecht/sexuelle Identität“ unterschieden. Dem Themenfeld „Geschlecht/Sexuelle Identität“, das insbesondere trans*feindliche Straftaten erfassen soll, wurden 204 Straftaten zugeordnet, im Unterthemenfeld „Sexuelle Orientierung“ wurden 578 Straftaten registriert. 2021 stiegen die Zahlen erneut deutlich an: Im Unterthemenfeld „Geschlecht/Sexuelle Identität“ wurden 66 % mehr Straftaten registriert (340 Fälle), im Unterthemenfeld „sexuelle Orientierung“ stieg die Zahl um 50 % auf 870 Fälle. Auch 2022 setzte sich der Trend weiter fort: In dem neu eingeführten Unterthemenfeld „geschlechtsbezogene Diversität“ wurden 417 Fälle gemeldet, im Unterthemenfeld „sexuelle Orientierung“ waren es 1.005 Fälle.

 

Hohes Dunkelfeld

Ob die steigenden Zahlen der vergangenen Jahre vornehmlich auf gestiegene Queerfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft zurückzuführen sind oder auf eine höhere Anzeigebereitschaft und eine bessere Erfassung der Straftaten, lässt sich anhand der vorhandenen Datenlage nicht klären. Es gibt eklatante Forschungslücken hinsichtlich Ausmaß, Erscheinungsformen und Hintergründen queerfeindlicher Gewalt und über den Umgang von Sicherheitsbehörden und Justiz mit diesen Ausprägungen auf Hasskriminalität. Einigkeit besteht jedoch dahingehend, dass die amtliche Statistik des BMI nur die Spitze eines Eisbergs zeigt. Sowohl das BMI (2022, 2) als auch LSBTIQ*-Ansprechpersonen bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft gehen von einem erheblichen Dunkelfeld aus. Etwa 80 % bis 90 % der Straftaten werden nicht angezeigt, schätzt der Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter in Deutschland (VelsPol) (Ausschuss für Inneres und Heimat 2021). Eine repräsentative Umfrage der EU-Grundrechteagentur aus dem Jahr 2020 stützt diese Vermutung. Danach erstatteten lediglich 13 % der von einer queerfeindlichen Straftat Betroffenen Anzeige (European Union Agency for Fundamental Rights 2020, 48). Doch selbst wenn Betroffene zur Polizei gehen, heißt das noch nicht, dass die Straftat als queerfeindliche Hasskriminalität erkannt und in der Statistik registriert wird. Eine unzureichende Ermittlung menschenverachtender Beweggründe durch Polizei und Staatsanwaltschaft sowie eine mangelhafte statistische Erfassung von Hasskriminalität sind ebenfalls für das hohe Dunkelfeld verantwortlich.

 

Täter*innen und Motive

Es gibt kaum empirische Daten zu Täter*innen und ihren Motiven. Die amtliche Statistik des BMI erhebt lediglich, ob sich die Straftat bestimmten politischen Phänomenbereichen zuordnen lässt. Diese Phänomenbereiche sind: „rechts“, „links“, „ausländische Ideologie“, „religiöse Ideologie“ und „nicht zuzuordnen“. Die meisten Hassdelikte gegen LSBTIQ* werden in der BMI-Statistik keinem Phänomenbereich zugeordnet. Danach folgt mit großem Abstand zu den anderen Phänomenbereichen der Bereich „rechts“. 2021 wurden beispielsweise von insgesamt 1.051 queerfeindlichen Straftaten 662 keinem Phänomenbereich zugeordnet (davon 190 Gewalttaten). Dem Phänomenbereich rechts wurden 327 Delikte zugeordnet (davon 29 Gewaltdelikte). Es folgen die Phänomenbereiche religiöse Ideologie (23, davon 8 Gewaltdelikte), ausländische Ideologie (20, davon 7 Gewaltdelikte) und links (19, davon 3 Gewaltdelikte).

 

Geringe Anzeigebereitschaft von Betroffenen queerfeindlicher Hasskriminalität

Viele Betroffene queerfeindlicher Hasskriminalität erstatten keine Anzeige. Die Gründe für die geringe Anzeigebereitschaft sind vielfältig und zum Teil historisch bedingt. Lange Zeit waren Polizei und Justiz für queere Menschen nicht Freund und Helfer, sondern Teil der staatlichen Verfolgung Homosexueller nach § 175 StGB. In der Community gibt es daher bis heute noch teils große Vorbehalte gegen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte. Nicht immer zu Unrecht werden auch unter Polizeibeamt*innen queerfeindliche Einstellungen vermutet. In der Umfrage der EU-Grundrechteagentur gaben 23 % der Betroffenen an, aus Angst vor Homo- und Trans*phobie bei der Polizei keine Anzeige gestellt zu haben. 21 % hatten kein Vertrauen in die Polizei. 40 % gingen davon aus, dass eine Anzeige nichts bringe, 37 % schien der Vorfall nicht schlimm genug für eine Anzeige. Daneben gibt es auch Betroffene, die einen Vorfall zwar anzeigen, aber das mögliche queerfeindliche Motiv der Täter*innen verschweigen. Entweder, weil sie es nicht für wichtig halten, oder, weil sie nicht wissen, dass es für die Verurteilung relevant sein kann, teilweise jedoch auch aus Scham oder aus Angst vor der Reaktion der Polizeibeamt*innen.

Ein wesentlicher Baustein für eine effektive Verfolgung und Erfassung queerfeindlicher Hasskriminalität sind deshalb vertrauensbildende Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden, um die Anzeigebereitschaft in der LSBTIQ*-Community zu erhöhen. Eine in einigen Städten bereits erfolgreich eingesetzte Möglichkeit ist die Einrichtung von LSBTIQ*-Ansprechpersonen bei Polizei und Staatsanwaltschaft, die spezifisch qualifiziert und geschult sind. Die Ansprechpersonen können als Bindeglied zwischen Polizei, LSBTIQ*-Selbstvertretungen und Beratungsstellen dienen, Beamt*innen bei der Anzeigenbearbeitung und Einsatzplanung unterstützen, bei der Aus- und Fortbildung sowie der Sensibilisierung der Beschäftigten mitwirken und die Öffentlichkeitsarbeit begleiten. Auch eine Sensibilisierung der Opferhilfe, Opferschutzberatung und -beauftragten sowie eine Stärkung von Anti-Gewalt-Projekten aus der Community heraus könnte die Anzeigebereitschaft erhöhen und die Betroffenen über das polizeiliche Meldeverfahren informieren. Wichtig ist zudem, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für queerfeindliche Hasskriminalität zu stärken. Dies kann durch die explizite Benennung queerfeindlicher Hasskriminalität in den jährlichen Polizeiberichten zu politisch motivierter Kriminalität geschehen, wie dies heute schon in Berlin passiert. Ein öffentliches Bewusstsein dafür, dass Queerfeindlichkeit strafbar sein kann und tatsächlich strafrechtlich verfolgt wird, kann zur Folge haben, dass Betroffene die queerfeindliche Motivation im Ermittlungsverfahren eher benennen.

 

Defizite im Ermittlungsverfahren und bei der Strafzumessung

Für das hohe Dunkelfeld im Bereich der Hasskriminalität ist auch die unzureichende Ermittlung menschenverachtender Beweggründe durch Polizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren sowie die unzureichende Berücksichtigung dieser Motive bei der Strafzumessung verantwortlich. Die unzureichende Ermittlung queerfeindlicher Motive kann mit fehlendem Wissen oder fehlender Sensibilität in der Polizei zusammenhängen. Etwa bei der Aufnahme am Tatort oder bei der Anzeige: Wird nur nach dem Tathergang gefragt oder wird auch Hinweisen auf mögliche menschenverachtende Beweggründe der Täter*innen nachgegangen?

Für eine effektive Verfolgung von Hasskriminalität sind deshalb regelmäßige verpflichtende Fortbildungen für Staatsanwält*innen und Polizist*innen erforderlich. Fortbildungsangebote für Richter*innen sind ebenfalls sinnvoll. Das Erkennen und zutreffende Ermitteln menschenverachtender Beweggründe erfordert Kenntnis von rassistischen, antifeministischen und rechten Strukturen in Deutschland – ebenso wie Sensibilität gegenüber Betroffenen von rassistischer, antifeministischer und queerfeindlicher Hassgewalt. Zudem könnte geprüft werden, ob die Anzeigeformulare so angepasst werden können, dass dort gezielt menschenfeindliche Tatmotive, bspw. Queerfeindlichkeit, angegeben werden können.

In den relevanten Bestimmungen im Strafgesetzbuch, in der Strafprozessordnung und in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren müssen queerfeindliche Beweggründe ausdrücklich als Beispiele für menschenverachtende Tatmotive benannt werden. Wir erleben immer wieder, dass die Polizei bei Straftaten gegen LSBTIQ* nur den Tathergang ermittelt, sich aber nicht bemüht aufzuklären, welche Beweggründe die Täter*innen veranlasst haben, die betroffene Person als Opfer auszusuchen. Auch die Staatsanwaltschaften nehmen solche Straftaten oft nicht ernst und verweisen beispielsweise Opfer von queerfeindlich motivierten Beleidigungen und Sachbeschädigungen auf den Privatklageweg, obwohl dies für Hasskriminalität nicht zulässig ist. Wenn queerfeindliche Hasskriminalität nicht ausdrücklich im Gesetz benannt ist, werden diese Motive in der Praxis der polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen und damit auch bei der Strafzumessung nicht angemessen beachtet.

Bislang steht in § 46 StGB zu den Grundsätzen der Strafzumessung, dass das Gericht „die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende“, zu beachten hat. Tatmotive, die sich gegen die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität richten, werden vom Begriff der „sonstigen menschenverachtenden“ Beweggründe zwar umfasst. Das hat für die Praxis jedoch kaum Belang. Gleiches erleben wir für den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB). Dort werden als mögliche Ziele von Volksverhetzung „nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe(n)“ ausdrücklich hervorgehoben, während LSBTIQ* als Gruppe unter das Tatbestandsmerkmal „Teil der Bevölkerung“ fallen. Das Ergebnis: Entscheidungen zu homophober oder sexistischer Volksverhetzung sind trotz weitverbreiteter homophober und sexistischer Hassreden äußerst selten. Die von den Gerichten entschiedenen Fälle beziehen sich „fast ausschließlich auf rassistische, antisemitische und rechtsextremistische Äußerungen“ – also auf die explizit im Gesetz benannten Gruppen (Lembke 2017, 7). Auch der neu eingeführte Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung (§ 192a StGB) ist zu eng formuliert. Im Tatbestand werden geschlechtsspezifische Hassbotschaften nicht aufgezählt. Damit sind Hassbotschaften gegen Frauen, trans* und inter* Personen von § 192a StGB nicht erfasst, obwohl dies laut der Gesetzesbegründung beabsichtigt war (Bundestagsdrucksache 19/31115, 15). Dabei sind gerade diese Gruppen besonders stark von Hasskriminalität betroffen. Eine gesetzliche Klarstellung ist deshalb dringend erforderlich.

 

Erfassungsdefizite der polizeilichen Statistik

Für eine Erfassung queerfeindlicher Straftaten ist nicht nur erforderlich, dass die ermittelnden Polizeibeamt*innen die Beweggründe der Täter*innen ermitteln, sondern auch, dass sie den Sachverhalt im Anschluss als queerfeindliche Hasskriminalität erkennen, registrieren und klassifizieren. Polizeibeamt*innen müssen deshalb in verpflichtenden Modulen in Aus- und Weiterbildung mit dem Thema Hasskriminalität vertraut gemacht werden und mit der richtigen Erfassung vertraut sein. Wenn ein*e Polizist*in vor Ort den queerfeindlichen Hintergrund einer Straftat nicht (an)erkennt oder weitergibt, wird er nicht in der Statistik erfasst. Es braucht klare polizeiinterne Handlungsanweisungen, die sicherstellen, dass Hasskriminalität richtig erkannt und erhoben wird.

Die Datenerhebung im KPMG-PMK muss zudem differenzierter ausgewiesen werden, damit Hasskriminalität detailliert aufgeschlüsselt und in ihren realen Ausmaßen gesellschaftlich sichtbar wird. Die Erfassungskategorien müssen eindeutig und klar definiert sein. Idealerweise differenziert die Statistik zwischen schwulen-, lesben-, bi-, trans*-, inter*- und nichtbinärfeindlichen Beweggründen. Die bisher ausschließliche Erfassung als politisch motivierte Kriminalität greift zudem methodisch zu kurz und verstellt häufig den Blick. Zweifelsohne gehören Homo- und Trans*phobie und weitere queerfeindliche Haltungen zum Kernbestand menschenfeindlicher Ideologien wie Rechtsextremismus oder Islamismus. Hasskriminalität geschieht aber weit über den Bereich des politischen Extremismus hinaus. Queerfeindliche Einstellungen finden sich nicht nur in dezidiert menschenfeindlichen Gruppierungen, sondern in der Mitte der Gesellschaft. Notwendig ist daher eine Reform der polizeilichen Erfassungssysteme, damit queerfeindliche Hasskriminalität in ihren realen Ausmaßen gesellschaftlich sichtbar wird. Empirische Daten über Ausmaß, Erscheinungsformen und Hintergründe sind für zielgenaue Konzepte zur Prävention, zur Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz sowie zur ausreichenden Unterstützung von Opferhilfe-Einrichtungen unerlässlich.

 

Gesundheitliche Folgen für die Betroffenen queerfeindlicher Hasskriminalität

Die EU-Grundrechteagentur hat in ihrer Umfrage auch die gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen queerfeindlicher Hasskriminalität erhoben. 38 % der Befragten gaben dabei an, dass sie nach einem Erlebnis mit Hasskriminalität psychische Probleme wie Depression oder Angst hatten. Dies betraf besonders häufig trans* (55 %) und inter* Befragte (52 %). Lesbische Befragte waren hiervon mit 28 % deutlich seltener betroffen. 22 % der Befragten hatten nach dem Erlebnis Angst, vor die Tür zu gehen oder bestimmte Orte aufzusuchen. Trans* (31 % ) und inter* (32 %) Befragte gaben dies erneut überdurchschnittlich häufig an. Dieselbe Gruppe gab auch besonders häufig an, dass sie nach dem Angriff medizinisch versorgt werden mussten (16 % bzw. 10 %) oder arbeitsunfähig waren (12 % bzw. 6 %). Bei schwulen Männern (11 %) war die Häufigkeit einer notwendigen medizinischen Versorgung ebenfalls erhöht im Vergleich zu lesbischen und bisexuellen Menschen, deren Angaben zwischen einem und sechs Prozent lagen. Etwa die Hälfte der Lesben (50 %) und Schwulen (46 %) sowie der bisexuellen Männer (50 %) gab an, dass das Erlebnis von Hasskriminalität keine Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden hatte. Diese Zahl war für trans* (26 %) und inter* (25 %) Befragte sowie für bisexuelle Frauen (35 %) deutlich geringer.

 

Queerpolitischer Ausblick: Pläne der Bundesregierung zum Umgang mit queerfeindlicher Hasskriminalität

Die Ampelregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ einen queerpolitischen Aufbruch versprochen und u. a. Vorhaben zum Umgang mit queerfeindlicher Hasskriminalität vereinbart. Die Erfassung politisch motivierter Kriminalität soll im Hinblick auf frauen- und queerfeindliche Hasskriminalität verbessert, queerfeindliche Beweggründe sollen in den Strafzumessungsparagraf § 46 StGB ausdrücklich aufgenommen und ein ressortübergreifender Nationaler Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt soll erarbeitet und finanziell unterlegt umgesetzt werden.

Umgesetzt wurde davon bereits die differenziertere Erfassung von frauenspezifischer, männerspezifischer und trans*- und inter*spezifischer Hasskriminalität im KPMG-PMK durch die Einführung neuer Unterthemenfelder zum 1. Januar 2022. Ein Gesetzentwurf zur Ergänzung von § 46 StGB um geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Beweggründe wurde im Juli 2022 vorgelegt. Es wird erwartet, dass dieser im Sommer 2023 in Kraft treten wird. Klarstellende Ergänzungen von § 130 StGB (Volksverhetzung) und § 192a StGB (verhetzende Beleidigung) sind hingegen bisher nicht in Angriff genommen worden.

2021 setzte die Innenminister*innenkonferenz das Thema queerfeindliche Hasskriminalität erstmalig auf ihre Agenda und bat das BMI in einem einstimmigen Beschluss, ein unabhängiges Expert*innengremium aus Wissenschaft und Praxis einzusetzen, unter Einbindung von Fachverständigen aus der LSBTIQ*-Gemeinschaft. Dieses Gremium sollte bis zur Herbstkonferenz 2022 einen ersten Bericht mit konkreten Handlungsempfehlungen vorlegen, wie die Bekämpfung von gegen LSBTIQ* gerichteten Gewalttaten verbessert werden kann. Nachdem das BMI acht Monate untätig blieb, berief es im September 2022 einen Arbeitskreis „Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt“ ein. Dieser soll bis Juni 2023 einen Bericht mit Auswertungsergebnissen und Handlungsempfehlungen erarbeiten.

Im November 2022 beschloss die Bundesregierung den Aktionsplan „Queer leben“, der zahlreiche Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung queerfeindlicher Gewalttaten, Übergriffe und Anfeindungen verspricht. Die im Aktionsplan vorgesehenen Maßnahmen müssen jedoch noch in einem ressortübergreifenden Arbeitsprozess unter Einbeziehung von Verbänden und der Länder konkret ausgestaltet, priorisiert und umgesetzt werden. Außerdem fehlt es an einer finanziellen Unterlegung des Aktionsplans durch den Bundeshaushalt. Vielmehr müssen die Ministerien und Länder die erforderlichen Haushaltsmittel jeweils selbst bereitstellen. Die Effektivität der im Aktionsplan vorgesehenen Maßnahmen kann derzeit noch nicht beurteilt werden.

 


Sarah Ponti, Dr., Volljuristin, setzt sich als Grundsatzreferentin des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) für eine Verbesserung der Rechte von LSBTIQ* in Deutschland ein. Themenschwerpunkte: queerfeindliche Hasskriminalität, rechtliche Anerkennung von Familienvielfalt, Zugang zu Reproduktionsmedizin, Selbstbestimmungsrechte für trans*, inter* und nichtbinäre Menschen, Rechte queerer Geflüchteter, Blutspende, Konversionsbehandlungen, Antidiskriminierungsrecht.



Literaturverzeichnis

 

Ausschuss für Inneres und Heimat (2021). Wortprotokoll der 144. Sitzung, 7. Juni 2021, zum Antrag Vielfalt schützen – Homo- und transfeindliche Hasskriminalität bekämpfen (Bundestagsdrucksache 19/26159). Online verfügbar unter www.bundestag.de/resource/blob/859592/3fe76f39cb5a5dc892cd8bf9f33b53f3/Protokoll-07-06-2021-14-30-data.pdf (abgerufen am 14.04.2023).

Bundesministerium für Inneres und Heimat (2019). Straf- und Gewaltdaten im Bereich Hasskriminalität 2017 und 2018. Online verfügbar unter www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2019/pmk-2018-hasskriminalitaet.html (abgerufen am 14.04.2023).

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Deutscher Bundestag (2013). Die polizeiliche Erfassung von Hasskriminalität als politisch motivierte Straftaten. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vom 16.09.2013 (Bundestagsdrucksache 17/14546). Online verfügbar unter dserver.bundestag.de/btd/17/147/1714754.pdf (abgerufen am 14.04.2023).

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Habermann, Julia/Singelnstein, Tobias (2018). Praxis und Probleme bei der Erfassung politisch rechtsmotivierter Kriminalität durch die Polizei. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie – Schriftenreihe des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft: Gewalt gegen Minderheiten. Jena, 20–31

Kleffner, Heike (2018). Die Reform der PMK-Definition und die anhaltenden Erfassungslücken zum Ausmaß rechter Gewalt. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie – Schriftenreihe des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft: Gewalt gegen Minderheiten. Jena, 30–37.

Lembke, Ulrike (2017). Kollektive Rechtsmobilisierung gegen digitale Gewalt. Online verfügbar unter www.gwi-boell.de/sites/default/files/e-paper_43_kollektive_rechtsmobi.pdf (abgerufen am 14.04.2023).