Podiumsgespräch „Transfeindlichkeit als antifeministische Strategie“

Empfohlene Zitierung:

Ewert, Felicia/Marschner, Noah (2023). Podiumsgespräch „Transfeindlichkeit als antifeministische Strategie“. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwer- punkt Antifeminismus & Hasskriminalität, Band 13, Online-Ausgabe. Jena, 150–159.

Schlagworte:

Transfeindlichkeit, Transmisogynie, Antifeminismus, trans* Personen

 


Antifeminismus behindert die Gleichstellung und Emanzipation von Frauen und LGBTQIA* auf vielen Ebenen – zum einen durch direkte Hassrede und Gewalttaten, zum anderen auf struktureller gesellschaftlicher Ebene. Hierbei ist ein intersektionaler Blick auf Antifeminismus wichtig, zum Beispiel die Interaktion mit Rassismus, Antisemitismus, Queer- oder Transfeindlichkeit. Politikwissenschaftlerin, Autorin und Podcasterin Felicia Ewert spricht im Online-Gespräch über den Zusammenhang von Hasskriminalität und struktureller Transmisogynie in der Gesellschaft sowie über politische und zivilgesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten dagegen.


Noah Marschner1
Sie sind Autorin des Buches „Trans. Frau. Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung“ und betonen besonders den Zusammenhang zwischen Transfeindlichkeit und Antifeminismus bzw. benennen Transmisogynie als spezielle Form der Feindlichkeit, u. a. gegenüber Transweiblichkeiten. Was meinen Sie, wenn Sie von Transfeindlichkeit, aber auch von Antifeminismus und Misogynie sprechen?

Felicia Ewert
Bei Transfeindlichkeit kommen verschiedene Ebenen zusammen. Wir haben einmal die gesellschaftliche, aber auch die institutionelle Ebene. Wenn wir über den rechtlichen Rahmen sprechen, dann ist das seit mittlerweile mehr als 40 Jahren bestehende sogenannte Transsexuellen-Gesetz zu nennen. Das stellt eine institutionelle Ebene von Transfeindlichkeit dar. Wir können natürlich die positiven Seiten betrachten: Es ermöglichte transgeschlechtlichen Menschen erstmals, den Geschlechtseintrag und Vornamen korrigieren zu lassen. Aber von Beginn an war es an massive Hürden geknüpft, die im Lauf der Zeit nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern nur aufgrund von Klagen und über Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen abgeschafft wurden – sei es die Zwangsscheidungen, sei es generell Ehe- und Kinderlosigkeit sowie Zwangssterilisationen, die es bis 2011 in Deutschland gegeben hat. Auf einer gesellschaftlichen Ebene ist jedes Anzweifeln und Absprechen unserer Geschlechter, Vornamen, Pronomen und Sonstiges manifeste Transfeindlichkeit. Auch diese ist wie alle anderen Diskriminierungsformen gesellschaftlich verankert. Das heißt, wir müssen zwischen unbewusster Feindlichkeit durch tatsächliches Unwissen und Unsicherheit auf der einen Seite unterscheiden. Das kommt vor, wir lernen alle dazu. Und auf der anderen Seite haben wir gezielte Feindseligkeit, wobei wir nicht davon ausgehen dürfen, dass eines weniger schlimm wäre als das andere. Gesellschaftlich verankert ist das grundsätzliche Denken, dass trans* Personen sich permanent erklären und rechtfertigen müssen. Transfeindlichkeit beginnt nicht mit wutschnaubenden Beleidigungen oder körperlichen Angriffen, sondern da, wo von Außenstehenden ganz offen und sachlich über unsere Leben debattiert wird.

Noah Marschner
Warum ist es für Sie wichtig, die Themen Transfeindlichkeit und Antifeminismus gemeinsam zu denken?

Felicia Ewert
Wir müssen davon wegkommen, das immer als separate Themen zu begreifen. Es gibt Sexismus, Misogynie und Transfeindlichkeit, aber insbesondere bei transgeschlechtlichen Frauen schlägt sich das als eine Kombination nieder, die nicht voneinander abgetrennt werden kann. Mitunter sehen Leute die Verbindung aus Unwissenheit und Erfahrungsmangel nicht. Mitunter gibt es ganz bewusste Strategien, das voneinander abzutrennen, damit es ein VERSUS gibt. Der Begriff „Transmisogynie“ ist hierfür sehr wichtig. Den habe ich erstmals im Buch „Whipping Girl“ von Julia Serano gelesen. Sie sagte: „Ich hab den Begriff nicht erfunden, ich habe ihn gefunden und zu etwas mehr Öffentlichkeit verholfen“. Nämlich die spezielle Verwobenheit, also die Intersektion aus Transfeindlichkeit und Misogynie als eine Art der Frauenfeindlichkeit gegenüber transgeschlechtlichen Frauen: das Absprechen des Geschlechtes, Absprechen von Sexualität, Absprechen von Gewalterfahrung etc. Ein gezielter Angriff auf transgeschlechtliche Frauen ist nichts anderes als antifeministisch, egal als was sich die angreifenden Personen selbst identifizieren. Das sage ich sehr gern, weil uns immer Selbstidentifikation vorgeworfen wird. Deswegen versuche ich den Fokus umzulenken und zu sagen: Das kommt dann wohl von sich selbst als Feministinnen identifizierenden Personen, die die Geschlechter, Lebensrealitäten, Existenzen von trans* Personen negieren und ablehnen oder trans* Personen am liebsten ganz und gar aus der Gesellschaft verbannen möchten. Dass das nicht nur aus vermeintlich feministischen Kreisen kommt, darüber brauchen wir nicht diskutieren. Antifeminismus, Frauenverachtung und Sexismus sind gesellschaftsweit verankert.

Noah Marschner
Wo liegen für Sie die Wurzeln der Gewalt gegen insbesondere transweibliche Menschen und trans* Personen im Allgemeinen?

Felicia Ewert
Auch hierbei sind der gesellschaftlich verankerte Sexismus und patriarchale Strukturen grundsätzlich der Kern. Es schlägt sich nur anders gegen trans*, nicht binäre oder intergeschlechtliche Personen nieder. Hierbei bedienen sich auch Menschen, die sexistische Stereotype seit Jahrzehnten hinterfragen, all dieser Stereotype, um sie gezielt gegen trans* Personen zu verwenden. Aber es wird nicht nur aktiv abgesprochen, dass wir überhaupt existieren, sondern der nächste Schritt nach dem Absprechen von Geschlecht und Erfahrung ist es, eine Drohkulisse aufzubauen und uns als Gefahr für gesellschaftliche Zusammenhänge darzustellen. Das sehen wir gerade von rechten Akteur*innen, dass generell gegen queere Menschen mit Frauenschutz, mit Kinderschutz und Sonstigem argumentiert wird. Dadurch wird ein ganz gefährliches Mobilisierungspotenzial geschaffen, wonach Angriffe auf uns als berechtigt dargestellt werden. Der Begriff hierfür nennt sich „stochastischer Terrorismus“. Nämlich dadurch, dass ein Klima geschaffen werden soll, in der wir als Gefahr oder als Bedrohung dargestellt werden, sollen Angriffe gegen uns früher oder später massiv zunehmen. Das gezielte Schüren von Ängsten zeigt sich auch bei bestimmten „extrem feministischen“ Zeitungen. Dadurch werden verbale und explizit körperliche Angriffe gebilligt. Aber der Kern davon ist der strukturelle Sexismus. Grundsätzlich wird zum Beispiel auch cisgeschlechtlichen Menschen in vielen Belangen ihres Lebens immer wieder abgesprochen, dass sie tatsächlich ihrem Geschlecht entsprechen, wenn beispielsweise jemand sagt: „Du bist unmännlich, du bist kein echter Mann.“

Noah Marschner
Sie haben angesprochen, dass häufig Akteur*innen, die von sich selbst sagen, dass sie feministisch seien, sich in Allianzen mit Rechten wiederfinden, wenn es zum Beispiel um das Hetzen gegen Selbstbestimmungsrechte von trans* Personen geht. Wo sehen Sie die Gründe für diese Allianzen und was macht deren besondere Gefahr aus?

Felicia Ewert
Ich würde mit einem Beispiel antworten: Es war im Februar 2022, als die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer eine Rede im Bundestag hielt. Kurz darauf trat Beatrix von Storch ans Redepult und hat sie aufs Widerwärtigste verbal attackiert und erniedrigt. Auf Social Media zeigte sich, dass viele offen transfeindliche Personen aus selbstidentifizierten „feministischen“ Kontexten ihr zugestimmt und das mitunter als frauenpolitische Themen geframet haben. Das waren mitunter öffentliche Accounts von Wissenschaftler*innen und Journalist*innen, die anscheinend ihrem Hass freien Lauf lassen konnten, weil sie großen Support bekommen. Was sie dazu veranlasst: Queere Menschen im Allgemeinen sorgen für eine Irritation. Wir werfen geschlechtliche Selbstverständnisse von Menschen über den Haufen. Das Grundprinzip von queer ist, Dinge zu veruneindeutigen: keine starren Kategorien, kein starres binäres System, keine starre Heteronormativität. Jetzt sind wir an einem Punkt angekommen, wo queere Menschen, in Bezug auf Sexualität, eine etwas größere Anerkennung erfahren. Es zeigen sich bei transfeindlichen Feminist*innen mitunter dieselben patriarchalen und sexistischen Mechanismen und Denkweisen, die früher bzw. früher stärker gegen sie gerichtet gewesen sind. Es könnte nicht widersprüchlicher sein, dass sich selbst als Feminist*innen bezeichnende Menschen plötzlich an frauenverachtende Cis-Männer für Unterstützung wenden. Aber die sind hervorragende Verbündete. Salopp ausgedrückt bekommen frauenverachtende Männer von anderen Frauen Prokura erteilt, ihrem Frauenhass auf Social Media und in der Öffentlichkeit freien Lauf zu lassen. Und das ist eine fatale und sehr gefährliche Wechselwirkung.

Noah Marschner
Können Sie noch einmal darauf eingehen, wie sich diese Transfeindlichkeit unterschiedlich gegenüber transmännlichen Personen und trans* Frauen äußert?

Felicia Ewert
Sehr weit runtergebrochen wird ein trans* Mann als verwirrte Frau dargestellt und eine transgeschlechtliche Frau als Gefahr für die Allgemeinheit. Wir dürfen auf keinen Fall davon ausgehen, dass es transgeschlechtlichen Männern besser gehen würde. In der Regel ist nur die Attacke, das Framing ein anderes.

Noah Marschner
Sie haben es schon gesagt: trans* Frauen werden häufig als Gefahr dargestellt. Sehen Sie Verknüpfungen zu Verschwörungsideologien und wie dort Gruppen wie Juden*Jüdinnen oder queere Menschen als Gefahr für die bestehende Ordnung und als übermächtige Kräfte dargestellt werden?

Felicia Ewert
Ich glaube, es ist schon zwei Jahre her, da erschienen im Feuilleton der „unfassbar feministischen“ Frankfurter Allgemeine Zeitung ein Artikel über Joan K. Rowling und dass sie etwas gesagt habe, was der „Transgender-Lobby“ nicht passe und es deshalb jetzt Probleme in ihrem Verlag gebe. Den Begriff „Transgender-Lobby“ habe ich früher in der Regel bei anonymen Twitter-Accounts gelesen und plötzlich taucht er unironisch und unkritisch in einer der größten deutschen Tageszeitungen auf. Das heißt, es wird uns eine unfassbare Machtposition unterstellt. Das ist jetzt in diesem Fall kein Antisemitismus, aber es bedient antisemitische Narrative von dieser kleinen, mächtigen, finanzstarken Gruppe, die im Hintergrund Druck auf Medien ausüben könne.

Noah Marschner
Gerade in den Allianzen von Rechten und explizit transfeindlichen sogenannten Feminist*innen sind häufig Verbindungen zu anderen Diskriminierungsformen erkennbar, z. B. zu einem rassistischen Feminismus. Wo sehen Sie beim Thema Misogynie und Transfeindlichkeit Verbindungen zu intersektionalen Perspektiven auf einen Feminismus, der bestimmte Gruppen ausschließt?

Felicia Ewert
Das zeigt sich etwa bei dem Versuch, definieren zu können, wer die Stonewall-Proteste 1969 in New York begonnen hat. Hierbei werden queere Menschen of Color und Schwarze transgeschlechtliche Frauen gezielt aus der Geschichte getilgt. Ihre Kämpfe und Anstöße werden negiert. Ihnen haben wir den Christopher Street Day und viele Rechte zu verdanken. Wenn wir von intersektionalen Aspekten sprechen, müssen wir immer im Fokus behalten, dass wir strukturelle Diskriminierung erfahren und trotzdem Privilegierungen besitzen können. Beispielsweise behaupten cisgeschlechtliche Frauen, die offen transfeindlich sind, dass sie selbst niemanden diskriminieren könnten, weil Sexismus und Patriarchat existieren. Gerade vor den historischen Kontexten ist es als weiße Frau sehr gewagt zu behaupten, man könne anderen Menschen keine Gewalt antun. Dann müssen wir nur ein bisschen in die Geschichte schauen. Beispielsweise waren weiße Frauen im späteren Verlauf der Segregation in den USA maßgeblich daran beteiligt, Ängste gegenüber Schwarzen Menschen zu schüren. Das Problem verdeutlicht sich auch sehr gut in weißen Feminismen, bei denen häufiger Rassismus nicht als feministisches Thema begriffen wird. Wir haben hier Kimberlé Crenshaw viel zu verdanken, denn sie hat den Begriff der Intersektionalität geprägt, um auf die speziellen Diskriminierungserfahrungen von Schwarzen Frauen aufmerksam zu machen..

Noah Marschner
Sie sind in Ihrem Buch auch auf die Pathologisierung von trans* Personen und den Zusammenhang mit Ableismus und Behindertenfeindlichkeit eingegangen. Da haben sie einerseits Gemeinsamkeiten, aber auch Spannungen im Aktivismus von trans* Personen aufgezeigt.

Felicia Ewert
Zunächst müssen trans* Personen die Diagnose Transsexualität bekommen, dessen genaue Bezeichnung immer wechselt. Kurzer Einschub: Ich möchte nicht als transsexuell bezeichnet werden, ich verabscheue diesen Begriff, denn es geht bei mir um Geschlecht und nicht die Sexualität. Wir müssen unterscheiden zwischen Fremdbezeichnung und Selbstbezeichnung. Die Diagnose heißt mal „echte Transsexualität“, „Geschlechtsinkongruenz“ oder „Geschlechtsidentitätsstörung“. Doch meine Identität ist nicht gestört, ich bin damit ziemlich stabil. Die Debatte geht darum, dass es zu einer Entpathologisierung kommen muss. Die Sorge, wenn Transgeschlechtlichkeit entpathologisiert wird, ist, dass es für Krankenkassen keinerlei Veranlassung mehr gäbe, medizinische Behandlungen zu übernehmen. Das funktioniert aber dennoch ziemlich gut, denn zum Beispiel: Eine Schwangerschaft ist keine Krankheit, sondern ein Zustand, in dem früher oder später medizinische Behandlungen notwendig werden.

Noah Marschner
Wo sehen Sie Handlungsmöglichkeiten, um sich gegen Transmisogynie einzusetzen und einen solidarischeren, inklusiveren Feminismus zu schaffen?

Felicia Ewert
Das ist ein Appell an cisgeschlechtliche Menschen, die nicht intergeschlechtlich sind: Nutzt den Raum aus, den ihr habt und macht ihn trans- und queerfreundlich. Legt Widerworte ein, betreibt Gegenrede, wenn ihr es auf Social Media, in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz oder in der Familie erlebt. Folgt transgeschlechtlichen Menschen auf Social-Media-Kanälen und teilt Inhalte. Bringt trans* Personen nicht in eine Situation, wo sie sich permanent erklären oder rechtfertigen müssen, weil das müssen sie permanent. Das müssen wir vor Gericht, das müssen wir in der Gutachtensitzung. Es sollte vieles davon eine Selbstverständlichkeit sein, aber die Realität zeigt, dass es eben nicht selbstverständlich ist. Wenn ihr im Bundestag abstimmen dürft und wenn dieses Selbstbestimmungsgesetz irgendwann mal wieder zur Abstimmung kommen sollte, dann stimmt nicht wieder dagegen. Gerade als die Abstimmung im Mai 2022 war, gab es viele Leute, die dagegen gestimmt haben, aber in den Social-Media-Profilen Regenbogenflaggen und „Trans Rights are Human Rights“ stehen hatten.

Noah Marschner
Wo sehen Sie weitere gesetzliche Ansatzpunkte, um besser gegen transfeindliche und antifeministische Gewalt vorgehen zu können und an welchen Stellen gibt es Probleme, wo Gesetze noch nicht funktionieren wie angedacht?

Felicia Ewert
Das Abstammungsrecht muss in Deutschland reformiert werden, das hat man im Zuge des Entwurfs zum Selbstbestimmungs-Gesetz festgestellt. Transgeschlechtliche Eltern werden in Bezug auf ihre Kinder weiterhin als ihr zugewiesenes Geschlecht betrachtet. Das heißt, in den Geburtsurkunden unserer Kinder steht nicht unser korrekter, sondern unser uns zugewiesener Name und die falsche Anrede. In puncto Selbstbestimmungsgesetz und Hasskriminalität kochte sehr stark hoch, dass das Misgendern eine Straftat sei, die mit Geldstrafen belegt werden könne. Dazu muss ich sagen, dass es das Offenbarungsverbot im sogenannten Transsexuellengesetz bereits seit 1981 gab. Das ist also kein neuer Passus, dass der ursprüngliche Name und Geschlechtseintrag nicht veröffentlicht werden dürfen. Das heißt, das ist eigentlich kein neues Ding, aber es wird zu einer neuen Bedrohung aufgebauscht: Man dürfe nichts mehr sagen. Und ja, du darfst keine Menschen aktiv beleidigen. Ansonsten ist es mit sogenannter Hasskriminalität grundsätzlich bei allen Diskriminierungsformen gerade auf Social Media schwierig. Wir dürfen nicht in so ein Law-and-Order-Prinzip verfallen, wo wir uns nur an die Polizei wenden. Queere Menschen und Menschen of Color können sich in der Regel nicht mit Sicherheit an die Polizei wenden. Ich verstehe den Wunsch dahinter, Angriffe usw. zur Anzeige zu bringen, Statistiken zu führen und es damit zu bekämpfen. Aber als ich damals Bedrohung erlebt und Anzeige erstattet habe, hat es nicht viele Tage gedauert, bis auf Social Media die Leute darüber Bescheid wussten.

Noah Marschner
Was sehen Sie für zivilgesellschaftliche Möglichkeiten, um gegen Transmisogynie aktiv zu werden? Welche Akteur*innen gibt es bereits?

Felicia Ewert
Es gibt etwa den „Bundesverband Trans*“, der maßgeblich an den Entwürfen zum Selbstbestimmungsgesetz mitbeteiligt war, also das betroffene Menschen dort als Expert*innen für rechtliche Belange auftreten, ebenso die „Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V.“, der Ergänzungsausweise ausstellt, die von vielen Behörden in Deutschland anerkannt werden, wenn wir noch keine offizielle Personenstandsänderung haben oder sie gar nicht wollen, weil wir uns das nicht leisten können oder das Verfahren nicht durchlaufen wollen. Aber in den letzten Jahren haben viele queere Vereine, Universitätsreferate und Vereine für Frauen festgestellt, dass sie sich auch für ihre transgeschlechtlichen Schwestern einsetzen müssen. Dafür kassieren sie mitunter massiven Hass. Es gibt viele dezentrale Vereinigungen, die sich weiter geöffnet und in gewisser Form politisches Standing bewiesen haben. Auch die Frauenhauskoordinierung hat vor Kurzem öffentlich gemacht, dass grundsätzlich jede Frau Zugang zu einem Frauenhaus haben muss, wenn sie auf Hilfe angewiesen ist, weil es immer wieder die Diskussion darüber gibt, ob transgeschlechtliche Frauen in Frauenhäuser dürfen.

Frage aus dem Chat
Haben Sie Empfehlungen, wie das komplexe Thema Geschlechtsidentität vermitteln werden kann?

Felicia Ewert
Ich kann das Buch „Was wird es denn? Ein Kind“ von Ravna Marin Siever empfehlen. Das ist natürlich ein spezieller Fokus auf Kinder und geschlechtsoffene Erziehung, aber es werden viele Begriffe darin einfach erklärt. Gerade bei Interviews kam häufiger mal der Satz zu mir: Es wäre toll, wenn Sie einfache Begriffe verwenden. Aber in der Regel meinen die Leute Begriffe, die ihr Konzept von Geschlecht nicht ernsthaft infrage stellen. Wir können Körperfunktionen, bestimmte Organe etc. präzise benennen, ohne sie direkt zu vergeschlechtlichen. Das ist der Punkt mit dem sogenannten biologischen Geschlecht: Das lässt sich nicht respektvoll verwenden. Denn die Leute wissen nicht mal über ihren eigenen Körper Bescheid, aber glauben auf 1.000 Kilometer Entfernung meinen Chromosomensatz zuordnen zu können. Das biologische Geschlecht wird so begründet: Ja, wir brauchen Kategorien, um Körper präzise benennen zu können. Aber das versucht, Eindeutigkeit zu schaffen, wo keine vorhanden ist. Es gibt intergeschlechtliche Menschen und verschiedenste Chromosomenvariationen. Menschen aller Geschlechter können verschiedenste Ausprägungen von Hormonleveln in ihren Körpern haben. Sie sind cisgeschlechtlich und können trotzdem einen gesteigerten Anteil von beispielsweise Testosteron oder Östrogen im Körper haben. Die Normierung von Körpern und Verhaltensweisen versucht Eindeutigkeit zu schaffen, die nicht vorhanden ist. Wissenschaft darf nicht dazu missbraucht werden, Gewalt gegen Menschen zu rechtfertigen. Ich leugne Biologie nicht. Chromosomen sorgen dafür, wie in etwa Körper ausgeprägt werden, aber wir können alles präzise benennen, ohne Chromosomensätze, Hormone oder Organe als weiblich zu bezeichnen. Zum Beispiel ist der Uterus ein potenzielles Fortpflanzungsorgan, macht aber kein Geschlecht. Dass sehr viele Menschen einen Uterus im Körper haben und gleichzeitig Frauen sind, brauchen wir nicht debattieren. Das ist eine statistische Häufung. Es wird immer wieder versucht, Eindeutigkeit nachzuweisen – nicht um Sachen zu erklären, sondern um sie gezielt gegen trans* Personen in Stellung zu bringen. Das empfinde ich als Wissenschaftsmissbrauch, um Herrschaft auszuüben.

Noah Marschner
Was möchten sie anderen trans* Menschen mit auf den Weg geben?

Felicia Ewert
Meine Geschwister, ihr seid wundervoll und ihr seid wunderschön und ihr seid alle wahrhaftig! Lasst euch niemals von irgendwem etwas anderes einreden. Auch wenn es so viele Widerstände in eurem Leben gibt, und ich habe das auch alles durchgemacht, mit den ganzen Selbstzweifeln und Selbsthass, mit schlimmsten Dysphorieschüben, die ich mitunter hatte: Es wird besser, glaubt mir bitte!

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1    Das Podiumsgespräch wurde transkribiert, das Transkript im Anschluss redaktionell bearbeitet (insbesondere gekürzt und sprachlich/stilistisch geglättet).

 


Felicia Ewert, Autorin, Referentin, Kolumnistin, Sensitivity Reading, Podcasterin; Twitter: @redhidinghood_, Instagram: @feliciaewert, Mastodon: @feliciaewert@mstdn.social.

Noah Marschner, B. A., arbeitet als studentische*r Mitarbeiter*in am IDZ Jena im Projekt „Internationaler Rechtspopulismus im Kontext globaler ökologischer Krisen“ und studiert im Master Soziologie an der Universität Jena.