Gefährdungslagen für LSBTIQA* in Thüringen: Handlungsbedarfe bei Prävention, Intervention und Dokumentation

Empfohlene Zitierung:

Helwig, Marcello/Lauß, Theresa (2023). Gefährdungslagen für LSBTIQA* in Thüringen: Handlungs- bedarfe bei Prävention, Intervention und Dokumentation. In: Institut für Demokratie und Zivilge- sellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antifeminismus & Hasskriminalität, Band 13, Online-Ausgabe. Jena, 126–137.

Schlagwörter:

LSBTIQA*, LSBTIQA*-Feindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt

 


Der homofeindliche Mord an Mario K. 2020, der von zivilgesellschaftlichen Organisationen als bisher letztes Todesopfer in Thüringen gezählt wird, zeigt nur die Spitze des Eisbergs der LSBTIQA*-Feindlichkeit in Thüringen. Anhand einiger Beispiele wird verdeutlicht, wie prekär die Situation für queere Personen in Erfurt oder Altenburg ist und wie sich dies in heterogenen Ausprägungen – z. B. auf offener Straße oder im Landesparlament – zeigt. Die Notwendigkeit queerer Selbstorganisation offenbart sich auch jährlich auf verschiedenen CSD-Demonstrationen in Thüringen, die rechte Akteur*innen zunehmend nutzen, um No-Go-Areas für (potenziell) Betroffene zu schaffen und queerfeindliche Inhalte zu verbreiten. Aus diesen Problemlagen ergeben sich konkrete (Heraus-)Forderungen an Politik und Zivilgesellschaft – beispielhaft und kritisch wird erläutert, welche Maßnahmen das Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt in Thüringen konkret zur Lösung vorschlägt. Da die Umsetzung an vielen Stellen dennoch auf sich warten lässt, werden weitere Handlungsoptionen herausgearbeitet.


 

Im Jahr 2022 fanden in Thüringen so viele Christopher-Street-Day-Demonstrationen wie noch nie zuvor statt: In sechs Städten demonstrierten Menschen für Vielfalt, Offenheit, Selbstbestimmung und LSBTIQA*-Rechte. Das scheint auch immer noch notwendig – die Situation für LSBTIQA*-Personen in dem eher ländlich geprägten Bundesland ist prekär: Queerfeindlichkeit, körperliche Angriffe, Diskriminierungen und Beleidigungen im öffentlichen Raum sind für queere Menschen noch immer an der Tagesordnung. Die Projektkoordinatorin des Queeren Zentrums in Erfurt, Luna Karsubke, legte im November 2022 gegenüber der Thüringer Allgemeinen dar: „Viele fahren abends keine Straßenbahn oder gehen mit den Dunkelheitsgrenzen einfach nicht mehr raus“ (Lazar 2022). Der Artikel betont die Notwendigkeit eines Anlaufpunkts für LSBTIQA*-Personen und berichtet, dass queere Menschen insbesondere im Erfurter Südosten und Norden der Landeshauptstadt vorsichtig seien und einige Orte zu bestimmten Uhrzeiten nicht mehr betreten würden. Eine Reaktion auf diese persönlichen Erfahrungen kam u. a. von der AfD: In einer Kleinen Anfrage im Landtag erfragte der Abgeordnete Mühlmann kurz darauf die von der Thüringer Polizei erfassten Straftaten gegenüber queeren Menschen in der Landeshauptstadt. Das Innenministerium listete daraufhin zwei queerfeindliche Vorfälle seit 2016 auf – das Verbrennen einer Regenbogenflagge im Erfurter Rieth 2021 sowie aus einem Hochhaus abgeworfene queerfeindliche Flugblätter während des CSD 2022 in Erfurt. Die Thüringer Landesregierung konstatierte auf Basis der polizeilichen Lagebewertung, es gebe in Erfurt „kein gesteigertes Gefährdungspotential für Menschen mit einer queeren Lebenseinstellung“. Diese Bewertung lässt jedoch außer Acht, dass Betroffene von rechter und queerfeindlicher Gewalt Vorfälle oftmals nicht zur Anzeige bringen.

Das hat Gründe: Gerade Menschen, die alltäglich Diskriminierung erleben, fürchten, bei Behörden wie der Polizei nicht ernst genommen und erneut viktimisiert zu werden. Selbst wenn es zur Anzeige kommt, heißt es nicht, dass Fälle entsprechend als homo- oder queerfeindlich eingeordnet werden. Die Vorfälle auf dem CSD in Erfurt, bei dem zwei Ordner*innen aus einer Männergruppe heraus unter queerfeindlichen Beschimpfungen angegriffen wurden, tauchen in der Antwort auf die Kleine Anfrage beispielsweise gar nicht auf, obwohl für Betroffene und Organisator*innen das LSBTIQA*-feindliche Motiv eindeutig war (CSD Bündnis Erfurt 2019). Hinzu kommt, dass alltägliche Beleidigungen, Bedrohungen und Diskriminierungserfahrungen für Betroffene zu einem traurigen Alltag gehören, der zum Teil auch im engen sozialen Umfeld erlebt wird. Hier die fehlt oft die Kraft, entsprechende Vorfälle anzuzeigen und sich weiterer Viktimisierung auszusetzen. Die Angst, dass Betroffenen nicht geglaubt wird, ist real: Auf Basis der Kleinen Anfrage sprach ein Abgeordneter der AfD auf Facebook von „listige[n], queere[n] Falschaussagen“ und unterstellte den Mitarbeitenden des Queeren Zentrums, sie würden sich als Opfer konstruieren, denen man keinen Glauben schenken könne.1 Erst im November 2022 stimmten CDU und AfD im Thüringer Landtag gemeinsam für ein Verbot gendergerechter Sprache in öffentlichen Einrichtungen des Landes. Die CDU sprach in ihrem Antrag vom Gendern als „Ausdruck einer ideologischen Auffassung, die das biologische Geschlechtersystem von Männern und Frauen“ infrage stelle. Obwohl das Verbot nicht bindend für Behörden ist, zeigt sich in den Ausführungen zum Antrag eine LSBTIQA*-feindliche Ideologie im Rahmen parlamentarischer Kommunikation, die eine Legitimationsgrundlage für potenzielle Täter*innen bieten kann.

 

Die tödliche Dimension von LSBTIQA*-Feindlichkeit – der homofeindliche Mord in Altenburg

Dass LSBTIQA*-feindliche Gewalt real ist und tödlich sein kann, zeigt der Mord an Mario K.: Am 12. Februar 2020 wird der 52-Jährige in Altenburg von zwei jungen Männern brutal ermordet. Die folgenden Darstellungen des Tathergangs beruhen im Wesentlichen auf den Aussagen der Täter.

Den beiden Tätern Sven N. und Tony S. sollen von Mario K. zunächst an einer Tankstelle Geld für sexuelle Handlungen angeboten worden sein. Die Täter lachen darüber und lehnen dies ab. Sie beschließen, Mario K. in seiner Wohnung aufzusuchen, um ihm für das Angebot an der Tankstelle „einen Denkzettel zu verpassen“. Dort angekommen, treten sie ihr Opfer zunächst so, dass es zu Boden geht, und traktieren ihn dort weiter mit Tritten und Schlägen gegen Kopf und Oberkörper. Daraufhin stechen sie mit einem Messer auf den immer noch am Boden liegenden Mario K. ein und lassen ihn daraufhin sterbend in der Wohnung zurück. Der Leichnam wird erst elf Tage später aufgefunden.

Am 10. März 2021 beginnt der Prozess wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes am Landgericht Gera. In den sieben Prozesstagen werden eindeutige Hinweise offengelegt, die auf ein homofeindliches Motiv schließen lassen. Der Angeklagte Sven N. wird im Prozess u. a. vom Bruder als „rechtsradikal“ bezeichnet. Das Milieu der Täter zeigt Verbindungen zu einer mindestens rechtsoffenen Subkultur. Auf dem Handy von Sven N. findet sich beispielsweise auch eine Reichskriegsflagge.
Zentral in den Aussagen der beiden Angeklagten ist immer wieder die Zuschreibung gegenüber des Ermordeten als „pädophil“. Das Feindbild des vermeintlichen „Kinderschänders“ ist ein weit verbreitetes Narrativ und wichtiges Mobilisierungselement (Petersen 2015) in der extrem rechten Szene, das oft mit Aufrufen zur Selbstjustiz einhergeht. Rechte Täter*innen fühlen sich durch ebenjene Zuschreibungen in ihren Gewalttaten legitimiert und sehen sich als Ausführende eines angeblichen Volkswillens. Die Täter im vorgestellten Fall setzten die Homosexualität von Mario K. mit Pädophilie gleich.

Auch die extrem brutale Art der Tatbegehung spricht für ein rechtes Tatmotiv: Die Vielzahl der Messerstiche, zahlreiche Schläge und Tritte sowie das Zurücklassen des Ermordeten in der Wohnung für mehrere Tage sprechen für eine Entmenschlichung von Mario K. Die Täter erniedrigten und entwerteten Mario K. auch dann noch, als sie seinen Tod Tage später bemerkten.

Auf Basis dieser Informationen ordnet die spezialisierte Opferberatungsstelle ezra diesen Mord als homofeindlich ein. Mario K. ist damit ein weiteres, bisher staatlich nicht anerkanntes Todesopfer rechter Gewalt in Thüringen. Im Urteil spielt dieses Motiv jedoch keine Rolle. Die Angeklagten wurden wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt und gehen mehrere Jahre in Haft. Dass rechte und hier speziell queerfeindliche Tatmotive von Ermittlungsbehörden und Justiz nicht ausreichend untersucht und in der Konsequenz nicht eingeordnet werden, zeigt leider eine jahrzehntelange traurige Kontinuität.

 

Von der Unsichtbarmachung individueller Erfahrungen zur Notwendigkeit queerer Proteste

Der Mord an Mario K. geschah in Altenburg in einem Kontext, in dem LSBTIQA*-Feindlichkeit kein Einzelfall, sondern für Betroffene erschreckende und alltägliche Realität ist. Torge Dermitzel sieht sich täglich mit Queerfeindlichkeit konfrontiert (MDR 2021) und organisierte aus diesem Grund den ersten CSD in Altenburg und unterstützt darüber hinaus weitere Bündnisse im ländlichen Raum. Dermitzel beschreibt zum einen Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen über Social Media, zum anderen aber auch Anfeindungen auf offener Straße. Als Organisator des CSD fungiert er als Repräsentant einer von den Täter*innen konstruierten und abgewerteten Gruppe, die als politischer Feind im Rahmen einer sogenannten Botschaftstat angegriffen werden soll (Porath 2013). Aber auch andere Aktivist*innen bekommen diese Ablehnung zu spüren (Queer.de 2021). Der CSD in der Ostthüringer Stadt fand 2022 nun schon zum zweiten Mal statt.

Wie bereits ausgeführt, sind Menschen auch in der vermeintlich bunten und weltoffenen Landeshauptstadt Erfurt mit Queerfeindlichkeit konfrontiert. Seit 2018 melden beispielsweise die in Erfurt organisierten, militanten Neonazis Gegenkundgebungen zum örtlichen CSD an, um Hass zu propagieren und hier bewusst den Raum zu beanspruchen, den die LSBTIQA*-Community sich für diesen Tag nehmen möchte. Dies gipfelte 2022 in einem Bannerwurf („Kein CSD in unserer Stadt“) aus einem Hochhaus unweit der CSD-Kundgebung am Anger. Auch am 1. Mai zeigten die extrem rechte Akteur*innen, was sie von LSBTIQA* halten: Sie liefen im Nachgang einer antisemitischen Rede mit ihrem Demozug über eine Regenbogenflagge (Queer.de 2022). Staatlich legitimiert wurde dies zuvor durch das Verwaltungsgericht in Weimar. Auch beim CSD in Gotha 2022 meldete eine lokale Nazi-Gruppierung eine Gegenkundgebung an, um queere Aktivist*innen einzuschüchtern. Ziel war hier die Schaffung einer Hegemonie, einer No-go-Area, in der sich Betroffene nicht mehr sicher fühlen, nicht sichtbar sein wollen und zum Teil auch Erkennungsmerkmale aus Angst vor Angriffen ablegen. Diese Unsichtbarmachung führt dazu, dass auch individuelle Erfahrungen versteckt werden und sich queere Menschen nicht mehr trauen, sich für ihre politischen Überzeugungen zu engagieren oder diese zum Beispiel in Form von Aufnähern und Buttons überhaupt offen zu zeigen. Die rechten Strategien der Botschaftstaten und Raumnahme wirken damit nicht nur auf direkt Betroffene, sondern auf die ganze Community.

 

Das Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt als landesweiter Maßnahmenplan gegen Queerfeindlichkeit?

Das Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt wurde in einem partizipativen Verfahren mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Thüringen und den Thüringer Ministerien sowie weiteren staatlichen Stellen in der Zeit von November 2015 bis Ende 2017 erarbeitet. Die vorliegende Fassung wurde von der Thüringer Landesregierung am 30. Januar 2018 beschlossen (Thüringen 2019). Bereits im Oktober 2018 wurde die LSBTIQ*-Koordinierungsstelle eröffnet. Sie soll als Kontakt- und Koordinierungsstelle der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen die Umsetzung des Landesprogramms kritisch begleiten und dazu Impulse aus der Zivilgesellschaft und Community geben. Erstmalig im Dezember 2020 wurden die Haushaltsmittel für das Landesprogramm im entsprechenden Haushaltstitel für das Jahr 2021 erhöht. Somit konnte im Oktober 2021 auch das Queere Zentrum Erfurt eröffnen. Damit wurde ein gewisser Grundstock an Mitteln für die zivilgesellschaftliche Seite bereitgestellt. Jedoch standen zur Umsetzung in den einzelnen Ressorts unverändert nur geringe Mittel im Haushalt der Thüringer Staatskanzlei zur Verfügung (Thüringen 2021).

Das Landesprogramm besteht aus 5 Hauptkapiteln, wobei sich im ersten Kapitel „Beratung und Anti-Gewalt-Arbeit“ die meisten Maßnahmen gegen Queerfeindlichkeit finden lassen:

Im Unterkapitel „Beratungsangebote“ findet sich unter Zuständigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Staatskanzlei (LADS) die „Sensibilisierung von Fachkräften in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, nieder- gelassenen Ärzt*innen und bei Einsatzkräften der Opferversorgung (Feuerwehr, Rettungsdienste) für den Umgang mit und die Erkennung von LSBTIQ*-Feindlichkeit sowie Gewalt in Beziehungen“.

Zusätzlich wird unter „Opferschutz und Anti-Gewalt-Arbeit“ das Innenministerium (TMIK) zum

  • „Aufbau und Förderung eines Anti-Gewalt-Projekts zur Prävention von LSBTIQ*-feindlicher Gewalt, zur Vernetzung und Fortbildung von Überfall-Telefonen,
  • zum Monitoring von vorurteilsmotivierter Gewalt gegen LSBTIQ*-Personen,
  • zum kriminalpräventiven Austausch mit der Thüringer Polizei,
  • zur Entwicklung und Umsetzung von Opferschutzkonzepten und
  • zur Erfassung von Gewalt und Diskriminierung innerhalb der LSBTIQ*-Szene“ beauftragt.

Bei den Maßnahmen zu „Häusliche[r] und sexualisierte[r] Gewalt“ werden zugleich Sozialministerium (TMASGFF) und Bildungsministerium (TMBJS) aufgefordert, „Fort- und Weiterbildung von Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt und von Kinder- und Jugendschutzdiensten für die Bedarfe von LSBTIQ*-Personen“ zu organisieren. Darüber hinaus soll das TMIK „die ‚Polizeilichen Maßnahmen in Fällen häuslicher Gewalt – Leitlinien der Thüringer Polizei‘ in Bezug auf die Zielgruppe der LSBTIQ*-Personen“ überarbeiten; das Justizministerium (TMMJV) für die „Einführung der anonymen Spurensicherung auch für LSBTIQ*-Personen“ sorgen und wiederum das TMASGFF die „Entwicklung eines Konzepts für Zufluchtsmöglichkeiten für LSBTIQ*-Personen bei häuslicher und sexualisierter Gewalt“ vorantreiben.

Für die Thüringer Polizei und somit in der Verantwortung des TMIK werden folgende Maßnahmen formuliert:

  • „Ergänzung der Polizeiaus- und -fortbildung um Wissen über LSBTIQ*-Lebensweisen und Diskriminierungen sowie typische Gewalterfahrungen“,
  • „Informationspflicht für politisch motivierte Straftaten mit LSBTIQ*-feindlichem Hintergrund an den Staatsschutz“,
  • „Schulung der Opferschutzbeauftragten der Thüringer Polizei für den Umgang mit LSBTIQ*-Personen“,
  • „An die Polizeivertrauensstelle können sich Bürger*innen bei LSBTIQ*-Belangen wenden“,
  • „Verbesserung der Erfassungsmöglichkeiten zur gesonderten Ausweisung von politisch motivierter Kriminalität gegen LSBTIQ*-Personen bzw. von Hasskriminalität mit LSBTIQ*-feindlichem Hintergrund (IMK-Initiative)“ sowie
  • „Übermittlung politisch motivierter Kriminalität gegen LSBTIQ*-Personen bzw. von Hasskriminalität mit LSBTIQ*- feindlichem Hintergrund an den bundesweiten Bericht über Hasskriminalität in Deutschland“.

Im Verantwortungsbereich des TMMJV werden für den Bereiche Justiz Maßnahmen formuliert, die ebenfalls ab 2018 umzusetzen seien:

  • „Informationsangebote, etwa zur Lebenswelt von LSBTIQ*- Personen, für Richter*innen, Staatsanwält*innen und Polizeibedienstete im Kontext der Strafverfolgung LSBTIQ*- feindlicher Straftaten“,
  • „Etablierung von Ansprechpersonen bei der Generalstaatsanwaltschaft und allen Staatsanwaltschaften für LSBTIQ*-Personen, die u. a. Opfer von LSBTIQ*-feindlicher Hasskriminalität geworden sind, für Beschwerden oder für die Beantragung von Rehabilitierungsbescheinigungen nach StrRehaHomG“ und
  • „Sensibilisierung der Staatsanwaltschaften, dass auch bei Opfern von LSBTIQ*-feindlicher Hasskriminalität nach § 200 Abs. 1 Satz 3 und 4 StPO in der Anklage auf die Mitteilung der vollständigen Anschrift der Opfer und Zeug*innen verzichtet und in der Akte nach § 68 Abs. 2 bis 4 StPO eine anderweitige ladungsfähige Anschrift vermerkt werden kann“.

Analog heißt es für den Bereich des Justizvollzugs:

  • „Benennung und Schulung von Ansprechpersonen für LSBTIQ*-Beschäftigte und LSBTIQ*-Inhaftierte in den vier Justizvollzugsanstalten und der Jugendstrafanstalt“,
  • „Erarbeitung und Umsetzung eines Schutzkonzeptes für LSBTIQ*-Inhaftierte“ sowie
  • „Schulung der Bediensteten im Umgang mit und in der Erkennung von LSBTIQ*-Feindlichkeit in den Einrichtungen des Justizvollzugsdienstes“.

Schließlich sollen im Bereich der Hochschulen die LADS, die LSBTIQ*-Koordinierungsstelle und die Hochschulen „mit Forschenden in Thüringen (zur wissenschaftlichen Begleitung, inhaltlichen Weiterentwicklung und Evaluation dieses Landesprogramms)“ zusammenarbeiten. Die „Unterstützung der wissenschaftlichen Begleitung des Landesprogramms durch die Landesregierung“ soll ebenfalls die LADS absichern.

Die zahlreichen Maßnahmen bergen in sich viel Potenzial zur Bekämpfung und Eindämmung von Queerfeindlichkeit in Thüringen. Erste Gespräche in Justizvollzugsanstalten haben stattgefunden, ebenso mit der Polizeivertrauensstelle und der Koordinierungsstelle. Darüber hinaus lässt die Umsetzung des Landesprogramms meist auf sich warten. Im Jahr 2023 soll mit mehreren Begleitveranstaltung u. a. von der LSBTIQ*-Koordinierungsstelle eine erste Bilanz nach 5 Jahren Landesprogramm gezogen werden.

 

Herausforderungen der Zivilgesellschaft und Forderungen an die Politik

Die größte Herausforderung stellt der Stand der Umsetzung des Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt dar. Einige öffentlichkeitswirksame Statements aus den Reihen der Politik lassen sich vernehmen, die eine gewisse symbolische Wirkungskraft entwickeln. Jedoch bleiben nachhaltig wirkende Maßnahmen bisher überwiegend Absichtserklärungen auf dem Papier ohne konkrete Selbstverpflichtung mit einer zeitlichen Untersetzung zur Implementierung und Umsetzung. Gerade Maßnahmen in den Kapiteln Bildung, Lebenslagen, Gesundheit und ländlicher Raum, die präventiv wirken, werden nicht oder nur sehr schleppend angegangen. Denn Queerfeindlichkeit beginnt nicht bei einer begangenen Gewalthandlung oder Straftat. Die Grundlagen werden gesellschaftlich bereits im Kindes- und Jugendalter gelegt. Bildungsinstitutionen vom Kindergarten über die Schule bis hin zur Hochschule, aber auch der beruflichen Bildung und Erwachsenenbildung kommen dabei eine besondere Rolle zu. Hier muss bereits ein Klima der Akzeptanz und Vielfalt geschaffen werden. Schon bei abwertenden Äußerungen ist durch Bildungsarbeiter*innen und Fachkräfte Einhalt zu gebieten. Queere Lebensrealitäten müssen selbstverständlich neben anderen Perspektiven Teil des Alltags und von Bildungsinhalten sein. Darüber hinaus gilt es Fachpersonal in sämtlichen Lebensbereichen für LSBTIQA* zu sensibilisieren, um einen akzeptierenden Umgang miteinander zu finden und eigene Privilegien aus einer normativ wirkenden Gesellschaft heraus zu reflektieren.

Dazu muss das Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt als solches aber auch in seinen Einzelmaßnahmen ernst genommen und konsequent umgesetzt werden. Das heißt, verantwortliche Personen in den einzelnen Ministerien und weiteren Institutionen zu benennen, die mit der Umsetzung des Landesprogramms betraut und auch entsprechenden Ressourcen ausgestattet sind. Es braucht Verbindlichkeit, Verantwortung und klare Zuständigkeiten. Zu den erforderlichen Ressourcen zählen finanzielle Mittel, die beispielsweise in Form eigener Haushaltstitel in den einzelnen Ministerien untersetzt sind, wie in vergleichbaren Landesprogrammen wie etwa in Berlin (Berlin 2019).

Darüber hinaus fehlt die Sichtbarkeit und Bekanntheit der Antidiskriminierungs- und Opferberatungsstellen, z. B. von EmpowerMensch oder ezra, als Anlaufstelle für LSBTIQA*. Zwar wird auf den Internetseiten von ezra ausführlich über das Beratungsangebot und die Zielgruppe informiert, jedoch bleibt die queere Zielgruppe im Titel „Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen“ unsichtbar (ezra 2023). Auch bei EmpowerMensch können sich LSBTIQA* zwar im Titel „Unabhängige Antidiskriminierungsberatungs- und -fachstelle Thüringen“ indirekt angesprochen fühlen, eine ausführliche Beschreibung der Beratungstätigkeit und Angebote bleibt jedoch aus (EmpowerMensch 2023).

Zudem gibt es ein hohes Dunkelfeld neben zivilgesellschaftlich und insbesondere staatlich dokumentierten Fällen rechter- und queerfeindlicher Gewalttaten. Über die oben genannten Herausforderungen hinaus werden nicht alle Betroffene erreicht und sind über die Möglichkeit einer (in-)offiziellen Meldung der Gewalttaten informiert. Daher erreichen zivilgesellschaftliche Stellen nur ein Bruchteil der Fälle. Auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) oder gar der gesonderten Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität (PMK) werden nur wenige Fälle erkannt und erfasst, auch mangels Fortbildungen und Sensibilisierung bei den zuständigen Behörden (vgl. den Beitrag von Ponti in diesem Band).

Aber auch in queeren Beratungsstellen tauchen Diskriminierungserfahrungen oft nur als Nebenthema auf. Queerfeindlichkeit ist bei den Betroffenen internalisiert. Sie sind in einer sie ablehnenden Gesellschaft aufgewachsen, in der bis heute die Hetero- und Cis-Normativität stark wirkt. Anfeindung und Ablehnung wird oft auch bei Betroffenen als normal oder Beiläufigkeit empfunden. Teilweise haben sie einen eigenen Umgang und Bewältigungsstrategien gefunden. Daher werden Gewalterfahrungen nicht als meldenotwendig gewertet oder im Umgang mit staatlichen Stellen als wenig aussichtsreich eingeschätzt. Offizielle Meldung bleiben allzu oft aus. Folglich braucht es eine Aufstockung der Mittel und den Ausbau der Dokumentations- und Opferberatungsstellen auch für LSBTIQA* bzw. die Schaffung neuer Stellen mit diesem Schwerpunkt. Auch eine nachhaltige und lückenlose Finanzierung der übrigen Strukturen für LSBTIQA* ist (weiterhin) notwendig. Das kann einen Beitrag leisten, Opferberatung für LSBTIQA* für Betroffene sichtbarer und erreichbarer zu machen.
Marcello Helwig ist Referent für Erwachsenenbildung im Queeren Zentrum Erfurt und studiert das Lehramt für politische Bildung und Chemie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Theresa Lauß arbeitet als Beraterin bei ezra – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen und hat Soziologie und Politikwissenschaft an den Universitäten in Erfurt und Jena studiert.

 

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Vgl. www.facebook.com/AfD.Fraktion.EF/posts/pfbid02sr7VPnK5M8eibDY9aKTbXhgiwL6iYTXPJ3Hh9qhLHFGyb1aXAg2c9meaXJVRdquol (abgerufen am 22.05.2023).

 


Marcello Helwig ist Referent für Erwachsenenbildung im Queeren Zentrum Erfurt und studiert das Lehramt für politische Bildung und Chemie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Theresa Lauß arbeitet als Beraterin bei ezra – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen und hat Soziologie und Politikwissenschaft an den Universitäten in Erfurt und Jena studiert.


 

Literaturverzeichnis

Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung (2019). Bereich Antidiskriminierung. Online verfügbar unter www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/lsbti/igsv/ (abgerufen am 28.04.2023).

CSD Bündnis Erfurt (2019). Pressemitteilung: Übergriff auf Teilnehmer*innen und Ordner*in des CSD Erfurt. Online verfügbar unter drive.google.com/file/d/1sLcwU3zL0tuijoj1Dt5koMb5ux8jwtFs/view (abgerufen am 28.04.2023).

EmpowerMensch (2023). Homepage. Online verfügbar unter empowermensch.org (abgerufen am 28.04.2023).

ezra.de (2023). Unser Beratungsangebot. Online verfügbar unter ezra.de/beratungsangebot/ (abgerufen am 28.04.2023).

Lazar, Johanna (2022). Ein Jahr Queeres Zentrum in Erfurt: Beratung und Rückhalt bei Anfeindungen. Online verfügbar unter www.thueringer-allgemeine.de/regionen/erfurt/ein-jahr-queeres-zentrum-in-erfurt-beratung-und-rueckhalt-bei-anfeindungen-id236857347.html (abgerufen am 28.04.2023).

MDR (2021). LGBTQ: Queer in der Provinz. Online verfügbar unter www.mdr.de/nachrichten/thueringen/ost-thueringen/altenburg/queer-altenburg-csd-organisation-mit-widerstand-100_page-0_zc-6615e895.html (abgerufen am 28.04.2023).

Petersen, Janna (2015). Analyse: Wie instrumentalisieren Rechtsextreme das Thema sexueller Missbrauch? In: Amadeu Antonio Stiftung (Hg.). Instrumentalisierung des Themas sexueller Missbrauch durch Neonazis. Berlin, Amadeu Antonio Stiftung, 19.

Porath, Judith (2013). Beratung für Betroffene rechter Gewalt. Spezifik des Arbeitsansatzes und des Beratungskonzeptes. In: Opferperspektive e. V. (Hg.). Rassistische Diskriminierung und rechte Gewalt. An der Seite der Betroffenen beraten, informieren, intervenieren. Münster, Verlag Westfälisches Dampfboot, 229.

Queer.de (2021). Ein Kleiner CSD kämpft gegen eine Welle von Hass. Online verfügbar unter www.queer.de/detail.php (abgerufen am 28.04.2023).

Queer.de (2022). Erfurt: Neonazis treten Regenbogenfahne mit Füßen. Online verfügbar unter www.queer.de/detail.php (abgerufen am 28.04.2023).

Thüringer Finanzministerium (2021). Landeshaushalt: Haushaltspläne: Haushalt 2021. Online verfügbar unter finanzen.thueringen.de/themen/haushalt/haushaltsplaene/haushalt-2021 (abgerufen am 28.04.2023).

Thüringer Staatskanzlei (2019). Arbeitsfelder Landesantidiskriminierungsstelle (LADS): Landesprogramm: Akzeptanz und Vielfalt. Online verfügbar unter www.staatskanzlei-thueringen.de/arbeitsfelder/akzeptanz-und-vielfalt (abgerufen am 28.04.2023).