Hasskriminalität zum Thema machen: das Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt

Empfohlene Zitierung:

Lüter, Albrecht/Riese, Sarah/Konradi, Moritz (2023). Hasskriminalität zum Thema machen: das Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antifeminismus & Hasskriminalität, Band 13, Online- Ausgabe. Jena, 138–149.

Schlagwörter:

Hasskriminalität, Monitoring, LSBTI, Gewalt, Prävention, Berlin

 


Durch antifeministische und LSBTI-feindliche Haltungen und Vorurteile motivierte Gewalt kann als Hasskriminalität verstanden werden. Um effektive zivilgesellschaftliche und strafrechtliche Strategien zur Bekämpfung und Prävention solcher Taten entwickeln zu können, bedarf es einer gezielten und aufmerksamen Wahrnehmung, Erfassung und Dokumentation. Der vorliegende Beitrag skizziert am Beispiel des Berliner Monitorings trans- und homophober Gewalt die konzeptionelle Anlage eines Berichterstattungsverfahrens zu Hasskriminalität anhand eines konkreten Umsetzungsbeispiels. Zudem werden ausgewählte Befunde des Monitorings präsentiert, die aufzeigen, wie sexistische und LSBTI-feindliche Gewalt intersektional ineinandergreifen. Es wird aufgezeigt, wie ein Monitoringverfahren dazu beitragen kann, die Phänomenologie von Hasskriminalität klarer zu fassen.


 

Politische Mobilisierungen, die sich gegen Errungenschaften feministischer und queerer Bewegungen richten, gehören zu den markantesten Signaturen dieser Zeit. Sie eint das Ziel, Frauen und LSBTI-Personen, die in emanzipatorischen Kämpfen gewonnenen gesellschaftlichen Spielräume streitig zu machen. Rechtskonservative und -extreme Proteste gegen die Reformierung des Abtreibungsrechts oder die Abschaffung des Transsexuellengesetzes zeigen beispielhaft: Die Selbstbestimmung von Frauen und LSBTI-Personen bleibt bedroht. Oft geht diese Bedrohung von sehr ähnlichen, oftmals sogar identischen ideologischen Konzepten, Akteur*innen und Netzwerken oder alltäglichen Praxen aus. Übergänge dieser Bewegungen zu mehr oder minder organisierter Hasskriminalität und Gewalt sind dabei an der Tagesordnung.

Eine Antwort auf diese Phänomene muss verschiedene Ebenen und Elemente umfassen. Ein grundlegender Schritt ist die aufmerksame Wahrnehmung, Erfassung und Dokumentation von Hasskriminalität. Sie hebt Vorfälle aus dem privaten Erfahrungsraum von Individuen und Gruppen und schafft Bezugspunkte für kollektives Handeln. Daher hat die Dokumentation von Hasskriminalität und gruppenbezogener Gewalt in vielen Forderungskatalogen und Aktionsplänen ganz selbstverständlich einen Platz. Dennoch wirft die Umsetzung entsprechender Verfahren nicht selten weitreichende Fragen auf: Die erforderlichen Informationen sind nicht immer verfügbar, die Erfassungspraxis bleibt lückenhaft und die Aussagekraft fraglich. Zum Teil entstehen widersprüchliche Lagebilder, deren politischen Konsequenzen unklar bleiben.

Der vorliegende Beitrag zielt auf zweierlei: Am Beispiel des Berliner Monitorings trans- und homophober Gewalt (Lüter et al. 2020; 2022) skizzieren wir die konzeptionelle Anlage eines Berichterstattungsverfahrens zu einer besonderen Form von Hasskriminalität. Damit möchten wir die Diskussion um ein konkretes Umsetzungsbeispiel erweitern. Zudem präsentieren wir ausgewählte Befunde, um die Phänomenologie von Hasskriminalität klarer zu fassen.

 

Wozu ein Monitoring trans- und homophober Gewalt?

Das Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt ist das bundesweit erste und bisher einzige kontinuierlich angelegte Verfahren zur Berichterstattung über trans- und homophobe Hasskriminalität. Es wird seit 2020 als Teil der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (IGSV, Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung 2019) von Camino (camino-werkstatt.de) umgesetzt und durch die Landesstelle für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung (LADS) gefördert. In der Systematik der Berliner IGSV nimmt die Prävention und Bekämpfung von Hasskriminalität einen zentralen Stellenwert ein.

Auch für das Selbstverständnis und die Ziele des Monitorings ist das Konzept der Hasskriminalität zentral. Seine besondere Stärke besteht darin, dass es gruppenbezogene Vorfälle als Botschaftstaten entschlüsselt (siehe z. B. Coester 2008; 2018). Betroffen sind zunächst immer Individuen; der Botschaftscharakter von Hasstaten umfasst aber weitergehende Dimensionen. Indem Einzelne angegriffen oder abgewertet werden, werden zugleich Signale in ganze Bevölkerungsgruppen gesendet. Bestehende Muster der Ungleichbehandlung und Diskriminierung werden reproduziert und fundamentale Grund- und Menschenrechte infrage gestellt (Perry 2001).

 

Zum Zusammenhang zwischen LSBTI-Feindlichkeit und Antifeminismus

Auf den ersten Blick könnte es erläuterungsbedürftig erscheinen, was ein Monitoring von trans- und homophober Gewalt zur Auseinandersetzung mit Antifeminismus beitragen kann. Beschreibt Antifeminismus nicht Bewegungen oder Strömungen, die sich organisiert gegen feministische Anliegen, gegen Kämpfe für Selbstbestimmung und die Gleichberechtigung der Geschlechter richten? Was hat LSBTI-Feindlichkeit damit zu tun?

Der Zusammenhang zwischen einer binär und hierarchisch organisierten Geschlechterordnung und einer heteronormativen oder zwangsheterosexuellen Ordnung des Begehrens beschäftigt die feministische und queere Theorie bereits seit Langem: So entwickelte Monique Wittig in den 1970er-Jahren ein Verständnis von Geschlecht als Markierung, die von einer institutionalisierten Heterosexualität eingesetzt wird – und durch ein befreites lesbisches Begehren infrage gestellt und destabilisiert werden könne (Wittig 1992). In den 1990er-Jahren beschrieb Judith Butler eine Zwangsordnung rigider, binärer und hierarchischer Vorstellungen von Geschlecht, Geschlechtsidentität und Begehren, die „unweibliche“ Frauen, effeminierte/schwule Männer, trans* Personen und viele andere nicht-normative Subjekte marginalisiert und der Gewalt preisgibt (Butler 1991). In den 2000er-Jahren untersuchte Antke Engel die wechselseitigen Konstituierungen von Geschlecht und Sexualität, Zwei-Geschlechter-Ordnung und heterosexueller Norm, die sich mittels diskursiver und sozialer Praktiken ineinander verstricken und gegenseitig stabilisieren. Strategien der Enthierarchisierung und Denormalisierung seien nötig, um die gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten von Frauen und LSBTI-Personen zu erweitern (Engel 2002).

Die queer-feministische Theoriebildung hat also begründet, dass Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität, Misogynie und Homo-/Transphobie, Sexismus und LSBTI-Feindlichkeit ineinandergreifen und einander stützen. Vor diesem Hintergrund können feministische Bewegungen und LSBTI-Bewegungen als Kämpfe für die Selbstbestimmung derjenigen verstanden werden, die in rigiden Ordnungen von Geschlecht und Sexualität an den Rand gedrängt und durch verschiedene Formen geschlechtsbezogener und vorurteilsmotivierter Gewalt bedroht sind.
Auch hinsichtlich der Erfassung und Dokumentation von Hasskriminalität und gruppenspezifischen Straf- und Gewalttaten bestehen wechselseitige Lernpotenziale. Diese erstrecken sich von sozialwissenschaftlicher Forschung über Monitorings von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen bis zur polizeilichen Statistik zu politisch motivierter Kriminalität. Sie haben für die Wahrnehmung und Analyse von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und antifeministischen Straftaten jeweils einen hohen Stellenwert.

 

Über trans- und homophobe Gewalt berichten: konzeptionelle Gesichtspunkte und methodische Umsetzung

Die Rede von Hasskriminalität impliziert einen Bezug auf (straf-)rechtliche Fragen und Kategorien und mit Ermittlungs- und Strafverfahren gehen statistische Erfassungen einher. Auch im Blick auf Phänomene der Hasskriminalität stellen sich jedoch Fragen zu Hell-Dunkelfeldrelationen. Die in Verfahren generierten Daten bleiben bezüglich der Gesamtheit von Vorfällen nämlich selektiv und begrenzt. Die Dokumentation von Hasskriminalität fordert daher Strafverfolgungsbehörden, die Anzeigen aufnehmen, und zivilgesellschaftliche Angebote, die Vorfälle dokumentieren. Zugleich erfordert sie genuin sozialwissenschaftliche Zugänge zum Dunkelfeld, also beispielsweise Befragungen von durch Hasskriminalität bedrohten oder betroffenen Personen.

Hasskriminalität betrifft elementare Bedürfnisse der Betroffenen und zentrale kollektive Normen. Sie ist ein essentiell umkämpftes Phänomen. Die Thematisierung von Hasskriminalität geht oftmals auf Kämpfe von sozialen Bewegungen und betroffenen Gruppen oder Communitys zurück. Sie findet von dort Eingang in die öffentliche Aufmerksamkeit oder die administrative Bearbeitung. Die Integration des Wissens zivilgesellschaftlicher Akteur*innen und aus den Communitys ist insofern ein wichtiges Qualitätskriterium für jedes Monitoringverfahren.

Hasskriminalität beschränkt sich nicht auf Gewalttaten. Zugleich ist Hassgewalt ein besonders einschneidendes Phänomen, das aus guten Gründen besondere Aufmerksamkeit verdient. Im Strafrecht oder in der polizeilichen Ermittlung bestehen robuste Kriterien zur Eingrenzung von Gewaltdelikten. Dennoch finden sich in der Erfahrungswelt von Betroffenen oftmals komplexe und mehrschichtige Beschreibungen. Sind Abwertungen und Diskriminierungen bereits Gewalttaten? Wie sind institutionelle und strukturelle Muster der Ungleichbehandlung und Diskriminierung mit Gewalt verschränkt? Monitoringverfahren zu Hasskriminalität sind gut beraten, die Komplexität sozialwissenschaftlicher Forschung und die mehrschichtige Erfahrungswelt von Betroffenen in ihre begrifflichen Entscheidungen aufzunehmen.

Das Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt arbeitet mit einem erweiterten, aber nicht entgrenzten Gewaltbegriff: Kernkriterien für Gewalt sind die Intentionalität und Absichtshaftigkeit von Taten sowie die schwerwiegende Schädigung der Betroffenen. Der physisch-leibliche Bezug, der im Delikt der Körperverletzung explizit benannt ist, bleibt ein wichtiger, allerdings begrenzter Referenzpunkt. Auch nicht-leibliche Phänomene wie verbale Übergriffe oder Anfeindung im digitalen Raum verdienen Beachtung. Darüber hinaus bleibt für das Monitoring ein interpersonaler Bezug relevant, also eine Identifizierbarkeit von Betroffenen und Verursachenden. Zugleich sollten sich konzeptionelle Vorentscheidungen von den jeweiligen Phänomenbereichen informieren lassen: Im Blick auf Transfeindlichkeit kann von institutionellen Strukturen und Prozessen beispielsweise kaum abgesehen werden.

Ein weiterer konzeptioneller Fluchtpunkt ist die Frage der Intersektionalität. Intersektionale Fragestellungen können anhand amtlicher Statistiken in Deutschland, wenn überhaupt, dann nur sehr selektiv abgebildet werden. Daher sind an dieser Stelle eigenständige Erhebungen erforderlich. Das soll ermöglichen, die Betroffenheit von Gewalt hinsichtlich der Überlagerung verschiedener individueller oder zugeschriebener Merkmale zu bewerten. Im Blick auf LSBTI-feindliche Gewalt unterstreichen die Erhebungen des Berliner Monitorings beispielsweise die enge und oftmals unauflösliche Verschränkung von LSBTI-Feindlichkeit und Antifeminismus.

Das Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt setzt diese Überlegungen um, indem es unterschiedliche Stränge der Datenerhebung und -auswertung zusammenführt:

  • Erstens erschließt das Monitoring amtliche Daten, führt sie zusammen und analysiert sie. Kern der Analyse bilden hierbei polizeiliche Daten im Bereich der Hasskriminalität. Diese Daten werden im Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) registriert (Bundeskriminalamt 2021). Weitere Quellen – zunächst die staatsanwaltschaftliche Statistik – werden nach Möglichkeit ergänzt.
  • Zweitens wird das Wissen zivilgesellschaftlicher Beratungs- und Opferhilfeeinrichtungen eingebunden: durch Dialogformate, Workshops, einen Runden Tisch und durch Auswertung der durch diese Akteur*innen gepflegten Meldesysteme und Dokumentationen. Im Rahmen dieser Kooperation werden auch Möglichkeiten der Zusammenführung dieser heterogenen Zahlenwerke sondiert.
  • Drittens werden eigene wissenschaftliche Erhebungen insbesondere zu vernachlässigten Fragen und der Situation bestimmter Gruppen durchgeführt. Das umfasst sowohl standardisierte Befragungen wie auch offene qualitative Interviews.

Neben eigenständigen Erhebungen und Analysen zu wechselnden Themenschwerpunkten (lesbenfeindliche Gewalt und transfeindliche Gewalt) umfasst das Monitoring auch Sekundäranalysen von Daten aus anderen Erhebungen. Beispiele sind der „Berlin-Monitor“ zu Einstellungen und Diskriminierungserfahrungen (Pickel et al. 2019) oder der LGBTI-Survey der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (EU Fundamental Rights Agency 2021). Beide bisherigen Ausgaben des Monitorings beinhalten darüber hinaus Gastbeiträge, die einzelne Fragen und Aspekte vertieft diskutieren.

 

Trans- und homophobe Hasskriminalität im Fokus

Die Erfassungspraxis der Polizei Berlin im Bereich Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung/sexuelle Identität ist vergleichsweise gut ausgebaut. Ein erheblicher Teil der bundesweit gegen die sexuelle Orientierung und/oder Geschlecht/sexuelle Identität erfassten Hasskriminalität wird in Berlin registriert. Der Anteil der in Berlin erfassten Taten an den bundesweit bekannten Fällen belief sich im Jahr 2018 auf 64,1 %, 2019 auf 60,9 %, 2020 auf 48,2 % und 2021 auf 37,9 %. Mittlerweile werden zwar auch in anderen Bundesländern verstärkt Fälle dokumentiert. Der Bundesländervergleich veranschaulicht dennoch, dass die polizeiliche Erfassung von Hasskriminalität zu wesentlichen Teilen nicht nur auf das objektive Aufkommen von entsprechenden Taten zurückgeht, sondern erheblich von der jeweiligen Erfassungspraxis beeinflusst wird.

Dass der Anteil der in Berlin erfassten Hasskriminalität gegen LSBTI im Bundesmaßstab sinkt, bedeutet nicht, dass die Fallzahlen zurückgehen würden. Im Gegenteil: In Berlin steigen die Fallzahlen kontinuierlich an. Das Berliner Monitoring dokumentiert selbst im Corona-Jahr 2020 einen moderaten Anstieg. In den Vor- und Folgejahren sind die jährlichen Zuwächse in der Regel erheblich. Auch im Bund lässt sich insbesondere seit 2019 ein geradezu exponentieller Anstieg angezeigter Fälle verzeichnen. Dieser Befund legt nahe, dass der Handlungsdruck in der Auseinandersetzung mit LSBTI-feindlicher Hasskriminalität und Gewalt in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist.

LSBTI-feindliche Hasskriminalität wird zum größten Teil in Form von Beleidigungsdelikten registriert. Deren Anteil betrug im Zeitraum von 2010 bis 2021 in Berlin 45,8 %. Beleidigungsdelikte mit gruppenfeindlicher Motivation können in sozialwissenschaftlicher Perspektive als eine besondere Erscheinungsform verbaler oder symbolischer Gewalt bewertet werden. In polizeilicher Perspektive handelt es sich jedoch nicht um Gewaltdelikte. Es werden aber auch strafrechtlich schwerwiegendere Delikte in erheblichem Maße erfasst. Dabei handelt es sich etwa um einfache Körperverletzungen (15,4 %), schwere und gefährliche Körperverletzungen (11,2 %), Volksverhetzung (6,7 %), Sachbeschädigung (5,6 %) oder Bedrohungen (4,5 %). 35 % der erfassten Taten gelten damit auch im polizeilichen Sinn als Gewaltdelikte. Die Ergebnisse standardisierter Befragungen des Monitorings spiegeln dies weitgehend wider.

LSBTI-feindliche Hasskriminalität ist zudem eng mit der öffentlichen Sichtbarkeit queeren Lebens verschränkt. Das zeigt sich anhand einer ganze Reihe polizeilich erfasster Tatmerkmale: Die Taten werden vor allem in innerstädtischen Quartieren verübt, die eine wichtige Rolle auch als queere Ausgehviertel haben. Sie finden in erheblichem Maße, wenn auch keineswegs ausschließlich, im öffentlichen Raum statt, also auf Straßen und Plätzen oder im öffentlichen Nahverkehr. Sie kommen verstärkt in den Sommermonaten vor, in denen sich das Leben in die Öffentlichkeit verlagert, und zudem nochmals verstärkt an Wochenenden und in den Abendstunden. Damit ergibt sich der in Teilen paradoxe Befund, dass ein selbstbewusstes und sichtbares queeres Leben nicht unbedingt in sicheren öffentlichen Räumen gedeiht oder auf diese zurückgeht. Es zeigt sich ein kompliziertes Ineinandergreifen von Liberalisierung und Öffnung des öffentlichen Lebens auf der einen Seite und Gegenbewegungen und Überschreitungen der Schwelle zur Gewaltausübung auf der anderen Seite.

Die Erhebungen zu lesbenfeindlicher und transfeindlicher Gewalt zeigen außerdem ein enges Zusammenspiel von LSBTI-feindlicher Gewalt und Sexismus. Viele Befragte erleben sowohl LSBTI-feindliche wie auch sexistische Abwertung. Übergriffe haben zudem häufig zugleich eine LSBTI-feindliche und eine frauenfeindliche Komponente. Lesbenfeindliche Übergriffe gegen Frauen geschehen beispielsweise oft in Zusammenhang mit unerwünschter heterosexueller Anmache bzw. in Reaktion auf deren Zurückweisung. Übergriffe in diesen Kontexten werden oft als besonders gewaltsam beschrieben.

Insbesondere transfeindliche Gewalt wird durch die Betroffenen als Versuch der Täter/Täter*innen1 verstanden, Abweichungen von einer hegemonialen binären Geschlechterordnung zu sanktionieren. Entsprechend erfahren Personen, die sichtbar von Vorstellungen einer binären Geschlechterordnung abweichen, deutlich häufiger Gewalt. Trans* Frauen erleben zudem häufiger Gewalt als trans* Männer, weil sie auch als Frauen angegriffen werden und weil trans* Frauen oft weniger Möglichkeiten haben, ihr Transsein durch Kleidung, Auftreten etc. zu verstecken.

Auffällig ist zudem ein weiterer Aspekt, der begleitend zur Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 an Bedeutung gewonnen hat und auch für antifeministische Hasstaten wichtig ist: der wachsende Stellenwert des digitalen Raums. Vor der Pandemie hatten zwischen 10 % und 20 % der erfassten Fälle einen Bezug zum Internet (oder Telefon, Versand). In der Pandemie ist dieser Anteil auf 27,6 % im Jahr 2020 und 25,2 % im Jahr 2021 angestiegen. Er hat sich von 2019 auf 2020 damit verdoppelt. Auch die Berliner Anti-Gewalt-Beratungsstellen nehmen in ihrer Beratung und Dokumentation von Fällen eine starke Verlagerung ins Digitale wahr. Der digitale Raum als Echokammer für Hasskriminalität erfordert insofern deutlich verstärkte Aufmerksamkeit.

Geschlechtsspezifische Aspekte LSBTI-feindlicher Gewalt zeigen sich auch hinsichtlich der polizeilich ermittelten Tatverdächtigen sehr deutlich, die ganz überwiegend männlich sind (2010 bis 2021: 90,0 %). Die Dominanz männlicher Täter ist für Gewaltdelikte insgesamt typisch. Sie zeichnet sich bei LSBTI-feindlicher Hasskriminalität nochmals verstärkt ab. Zudem sind die erfassten Tatverdächtigen oftmals bereits polizeilich bekannt. Im Zeitraum von 2010 bis 2021 war das in 75,9 % aller Fälle so, dabei in 24,7 % aller Fälle auch oder ausschließlich hinsichtlich politisch motivierter Kriminalität. Das wirft die Frage auf, inwieweit viele LSBTI-feindliche Täter nicht nur einmal, sondern mehrfach auffällig werden und nicht nur aus der Situation heraus handeln, sondern verfestigte Einstellungs- und Handlungsmuster aufweisen.

Umgekehrt gilt allerdings auch, dass vor allem männliche Geschädigte Anzeige bei der Polizei erstatten. Im Jahr 2021 belief sich ihr Anteil auf 72,5 %, in den Vorjahren war dieser Anteil zumeist deutlich höher. Männer zeigen zwar auch häufiger Gewaltdelikte an als Frauen (wenn auch deutlich weniger als Personen, die polizeilich als divers geführt werden). Befragungsstudien legen aber nahe, dass die deutlich stärkere Repräsentation von Männern im Hellfeld nicht nur mit ihrer größeren Betroffenheit zu tun hat. Frauen stellen sich auch höhere Barrieren der Anzeigeerstattung. Erstens wird die Polizei häufig als hypermaskuline Institution wahrgenommen. Es bestehen insofern Vorbehalte hinsichtlich eines empathischen Umgangs mit Betroffenen lesbenfeindlicher Gewalt. Zweitens nehmen Frauen angesichts des omnipräsenten Sexismus und der damit einhergehenden Übergriffe Gewalt eher als alltäglich, erwartbar und ‚normal‘ hin.

Die Entstehung des Begriffs der Hasskriminalität geht wesentlich auf die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung und den Kampf gegen organisierte rassistische Übergriffe durch Gruppen bis hin zu Lynchjustiz zurück. Hinsichtlich der polizeilich erfassten Hasskriminalität lässt sich heute zugleich festhalten, dass ein erheblicher Teil der angezeigten Vorfälle auf einzelne Tatverdächtige zurückgeht. In den Jahren 2010 bis 2021 belief er sich durchschnittlich auf 56,5 %, der Anteil der Fälle mit mehreren Tatverdächtigen belief sich auf 22,1 %. Zu 21,4 % der Fälle lagen keine entsprechenden Angaben vor. LSBTI-feindliche Gewalt begegnet den Betroffenen häufig in molekularer Form, eingebettet in die Normalität des urbanen Lebens und quasi ansatzlos aus alltäglichen Situationen eskalierend. Betroffene haben das als „Gewalt im Vorübergehen“ charakterisiert. Dieser Umstand verdient hinsichtlich einer angemessenen begrifflichen Fassung von Hasskriminalität stärkere Beachtung.

 

Plädoyer für Multidimensionalität

Die voranstehenden Befunde zur LSBTI-feindlicher Hasskriminalität stellen nur eine kleine Auswahl der Ergebnisse des Berliner Monitorings trans- und homophobe Gewalt dar. Sie verdeutlichen zugleich übergreifende Aspekte, die auch für die Berichterstattung über andere Formen der Hasskriminalität von Bedeutung sind: Erstens konzentriert sich die Rezeption von polizeilichen (und anderen) Statistiken oftmals auf die registrierten Fallzahlen. Damit geht eine Verkürzung der Analysepotenziale einher. Gerade quantitative Fallzahlen hängen nicht unerheblich von der Erfassungspraxis ab. Das zeigt etwa der Vergleich von Berlin und der Bundesebene deutlich. Zugleich werden die bereits derzeit und selbst angesichts offenkundiger Begrenzungen gegebenen Auswertungsmöglichkeiten oftmals nicht ausgeschöpft. Zweitens lassen sich – insbesondere in den letzten Jahren – veränderte Muster LSBTI-feindlicher Hasskriminalität verzeichnen, die verdeutlichen, dass die polizeiliche Erfassung nicht feststeht. Sie ist angesichts neuer Phänomene und Bewertungen entwicklungsfähig. Das könnte hinsichtlich der Erfassung antifeministischer Taten Perspektiven eröffnen. LSBTI-feindliche Hasskriminalität wird in Berlin derzeit stark zunehmend als „extremistisch“ bewertet, d. h. in der polizeilichen Erfassung höher bewertet. In den letzten Jahren zeigen auch Frauen polizeilich an, was als Hinweis auf die Potenziale einer aktiven Ansprache von Szenen und Communitys zur Aufhellung des Dunkelfeldes gelesen werden kann. Der Themenfeldkatalog der Polizei wurde neben den Straftaten gegen die sexuelle Orientierung um das Thema Geschlecht/sexuelle Identität erweitert. Ein Monitoring von Hasskriminalität kann neben der laufenden Berichterstattung im besten Fall auch dazu beitragen, bestehende Klassifikationen reflexiv verfügbar zu machen und deren Weiterentwicklung auf die Tagesordnung zu setzen.

So wichtig die polizeiliche Statistik zu Hasskriminalität für die Erkenntnisgewinnung und aufgrund ihres amtlichen und offiziellen Charakters für die politische Auseinandersetzung bleibt, kann sie allerdings die Anforderungen an Monitoringverfahren nicht allein tragen. Die Erfahrungen des Berliner Monitorings trans- und homophobe Gewalt zeigen: Es sind mehrdimensionale Verfahren erforderlich, die auch zivilgesellschaftliches Wissen und wissenschaftliche Expertise systematisch berücksichtigen.

 

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1    Wir wählen die Schreibweise Täter/Täter*innen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es sich zumeist um männliche Täter handelt.

 


Albrecht Lüter, Dr., Politikwissenschaftler und Soziologe, ist Bereichsleiter Gewaltprävention bei Camino. Bevor er 2015 zu Camino kam, war er in der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation von Bundes- und Länderprogrammen zur Rechtsextremismusprävention und Demokratieförderung am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt tätig.
Sarah Riese, Dr., ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Bevor sie 2019 als Mitarbeiterin der Arbeitsstelle Jugendgewaltprävention zu Camino kam, leitete sie den Förderbereich der Stiftung Schüler Helfen Leben und begleitete Projekte in den Bereichen Bildung, Demokratieentwicklung und Antidiskriminierung. Ihre Schwerpunkte liegen in der Evaluation von Projekten in den Themenfeldern Antidiskriminierung und Gewaltprävention.
Moritz Konradi ist Kriminologe und Polizeiwissenschaftler. Bevor er 2020 zur Arbeitsstelle Gewaltprävention bei Camino kam, war er Programm-Manager beim Europäischen Forum für Urbane Sicherheit (Efus, Paris), wo er europäische Kooperationsprojekte in den Themenfeldern kommunale Kriminalprävention, Hate Crime, Radikalisierung/gewaltbereiter Extremismus und Drogenpolitik koordinierte.


 

Literaturverzeichnis

 

Bundeskriminalamt (2021). Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität. Stand: 21.09.21*, Gültig: ab 01.01.22. Bundeskriminalamt Kommission Staatsschutz.

Butler, Judith (1991). Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main, Suhrkamp.

Coester, Marc (2008). Hate Crimes. Das Konzept der Hate Crimes aus den USA unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsextremismus in Deutschland. Frankfurt am Main, Peter Lang Verlag.

Coester, Marc (2018). Das Konzept der Vorurteilskriminalität. Wissen Schafft Demokratie. Schriftenreihe des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft 4, 38–49. Online verfügbar unter bit.ly/3afrjQ0 (abgerufen am 07.02.2020).

Engel, Antke (2002). Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik der Repräsentation. Frankfurt/New York, Campus.

EU Fundamental Rights Agency (2021). The EU LGBTI II Survey 2019. ZA7604 Datenfile Version 1.1.0, GESIS Datenarchiv. Köln.

Lüter, Albrecht/Breidscheid, Dana/Greif, Philippe/Imhof, Willi/Konradi, Moritz/Riese, Sarah (2022). Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt. Zweite Ausgabe 2022. Schwerpunktthema Transfeindliche Gewalt. Berlin, Camino.

Lüter, Albrecht/Riese, Sarah/Sülzle, Almut (2020). Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt. Erste Ausgabe. Schwerpunkt lesbenfeindliche Gewalt. Online verfügbar unter bit.ly/31GcsPa (abgerufen am 06.12.2021).

Perry, Barbara (2001). In the Name of Hate. Understanding Hate Crimes. New York/London, Routledge.

Pickel, Gert/Reimer-Gordinskaya, Katrin/Decker, Oliver/Schuler, Julia/Celik, Kazim/Höcker, Charlotte/Tzschiesche, Selana (2019). Der Berlin-Monitor 2019. Vernetzte Solidarität - Fragmentierte Demokratie. Online verfügbar unter bit.ly/35aasvr (abgerufen am 07.12.2019).

Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (2019). IGSV – Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“. Maßnahmenplan. Online verfügbar unter bit.ly/36Wl0hG (abgerufen am 06.02.2020).

Wittig, Monique (1992). The straight mind and other essays. Boston, Beacon Press.