Projektvorstellung: MBT Hessen: Gedanken zur Demokratieentwicklung im ländlichen Raum und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus

Die langjährige Erfahrung der Mobilen Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus (1) in Ost- und Westdeutschland zeigt, dass Problemlagen und mögliche Bearbeitungsstrategien im Themenfeld in städtischen und ländlichen Räumen bisweilen extrem unterschiedlich sind. In Stadtgesellschaften lassen sich Personen aus unterschiedlichen Milieus häufig leichter für das Engagement gegen menschenfeindliche Einstellungen aktivieren und mobilisieren als in Dörfern. Das liegt beispielsweise an den differenzierteren zivilgesellschaftlichen Strukturen (Parteien, Verbände etc.), aber auch an der größeren Anonymität in den Städten. Auf dem Land „kennt jede*r jede*n“ – ein Eintreten für demokratische Kultur und gegen Rechtsextremismus kann daher auch bedeuten, dass man sich gegen seine Nachbar*innen engagiert, mit denen man auch im Sportverein oder der Feuerwehr gemeinsam aktiv ist. Gerade im Dorf, wo es zur Lebensqualität und Notwendigkeit gehört, dass man sich gegenseitig unterstützt und aufeinander angewiesen ist, werden private und erst recht politische Konflikte selten offen ausgetragen. Das erschwert eine Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Erscheinungen.

Die zunehmende Spaltung in der Gesellschaft lässt sich auch in ländlichen Räumen konstatieren. Das zeigte und zeigt sich im Umgang mit der Aufnahme von Geflüchteten – ein Teil der Gemeinschaft setzt sich seit 2015 für die Aufnahme und Integration Geflüchteter ein, während ein anderer Teil dagegen protestiert. Doch die Ursachen der gesellschaftlichen Spaltung sind aus Sicht Mobiler Beratung schon länger zu beobachten und haben nur bedingt etwas mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015 (korrekt: eine Krise von Verwaltung und Politik wegen Überforderung) zu tun. In vielen ländlichen Regionen Ost- und Westdeutschlands herrscht bereits seit Jahren das Gefühl, es ginge bergab: Alltagsrelevante Infrastruktur wurde nach und nach abgebaut; Dorfkneipen wurden geschlossen; junge Menschen, vor allem Frauen und besser Qualifizierte, ziehen weg und kehren nicht wieder. Gewerbe siedelt sich kaum noch an, die Bevölkerung schrumpft und überaltert. Die Strukturdefizite, die damit verbundenen Benachteiligungsgefühle und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung sind wichtige Gründe für das Aufkommen und Erstarken des Rechtspopulismus. Auf einer Tagung „Was blüht dem Dorf?“ zum Thema Demokratie in ländlichen Räumen, die der Bundesverband Mobile Beratung (BMB) zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung im September 2018 durchführte, war diese Wahrnehmung bei den geladenen Wissenschaftler_innen und den engagierten Teilnehmenden u. a. von Bürgerinitiativen und Behörden vorherrschend.

Aber ländliche Räume sollten nicht als „defizitäre Sozialräume“ wahrgenommen werden, die zwangsläufig rechtsextremen und rechtspopulistischen Einstellungen und Aktivitäten ausgeliefert seien. Vielerorts engagieren sich unzählige Vereine und zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse für ihr Gemeinwesen. Diese lokalen Akteur*innen wirken demokratiefeindlichen Phänomenen aktiv entgegen. Momentan stellt sich nicht nur die wichtige Frage, wie Rechtsextremismus und -populismus zurückgedrängt werden können, sondern auch, wie demokratische Kultur in „schrumpfenden“ Sozialräumen überhaupt verteidigt und ausgebaut werden kann. Dazu braucht es – das belegen die angeregten Diskussionen im Verlauf der Tagung – intensiven Austausch zwischen Politik und Bevölkerung, Wissenschaft und Praxis. Vor allem braucht es zukunftsweisende Konzepte für die Stärkung lokaler demokratischer Strukturen und der demokratischen Kultur im ländlichen Raum. Die Mobile Beratung kann hier als Mittlerin und Moderation von Veränderungsprozessen eine Rolle spielen. Es gibt viel zu tun.

 

1 Informationen zu Konzept und Arbeitsweise der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus auf der Website des Bundesverbandes: <link www.bundesverband-mobile-beratung.de>www.bundesverband-mobile-beratung.de.</link&gt;