Kann Feminismus weiß und rassistisch sein?
Es ist schwer zuzugeben, dass es auch unter Menschen, die für die Rechte anderer einstehen, Rassismus und Diskriminierung geben kann. So auch unter Feministinnen. Ablehnung und Diskriminierungen gegenüber muslimischen Frauen, insbesondere wenn sie als gläubige gelesen werden, begegnete ich in Einzelgesprächen, in Veröffentlichungen oder in Frauenveranstaltungen schon des Öfteren. Wahrscheinlich lag es in erster Linie an meinem äußerlichen Erscheinungsbild als muslimische Frau mit Kopftuch. Auch Organisationen, die sich muslimisch noch in den Namen ihrer Organisation schreiben, so wie es beim Sozialdienst muslimischer Frauen der Fall ist, müssen sich lange erklären. Insbesondere Frauen, die ein Kopftuch tragen, werden auch schon mal in öffentlichen Veranstaltungen begafft, befragt und beleidigt, ohne sich zu kennen. Wir müssen fragen: Gibt es einen weißen rassistischen Feminismus, der in der Praxis mit sich wiederholenden Mustern muslimische Frauen ausgrenzt? Ich möchte hierzu mit meinem Beitrag eine Diskussion innerhalb des feministischen und antirassistischen Diskurses anstoßen.
Ein Beispiel aus Köln
Engagierte Frauen aus unserem Ortsverein SmF-Köln bemühen sich darum, mit lokalen Netzwerken, vor allem mit Frauenorganisationen, in Kontakt zu kommen und sich darin zu engagieren. Die Vorstandsvorsitzende berichtete von einer Frauenveranstaltung, zu der jährlich Frauenorganisationen einen Markt der Möglichkeiten organisieren. Der SmF-Köln kümmert sich seit etwa einem Jahr darum, in dieses aktive Netzwerk aufgenommen zu werden. Vergebens. Und so gingen Vorstandsmitglieder ihres Vereins zu dieser Veranstaltung, um gezielt Repräsentantinnen anzusprechen. Die Vorsitzende des SmF-Kölns schilderte später:
„Als wir zur Veranstaltung kamen, blickte uns jeder an. Ein Getuschel begann. Wir fielen offenbar auf mit unseren Kopftüchern. Wir blieben dennoch motiviert. An einem Stand wurde eine unserer Kolleginnen, nachdem sie sich vorgestellt hatte, von der Vorsitzenden eines feministischen Frauenvereins verbal angegriffen. Ihre Fragen und Aussagen waren hasserfüllt, herablassend, herabwürdigend und beschämend. Die Kollegin wurde auf ihr Kopftuch angesprochen, quasi reduziert. Dass sie auf ähnlichem Bildungsniveau standen, war unwichtig, dass sie beide Frauenempowerment fördern wollten, spielte keine Rolle. Nur das Tuch und die Tatsache, dass sie eine Muslimin ist, erlaubte Äußerungen wie: ‚Wann muss deine Tochter ein Kopftuch tragen? Wann wird deine Tochter gezwungen zu heiraten? Mit wie viel Jahren verheiratest du deine Tochter? Warum nennt ihr euch Sozialdienst muslimischer Frauen? Ihr könnt doch gar nicht unabhängig oder neutral sein.‘
Während die Kollegin an dieser Stelle diffamiert wurde, von Frau zu Frau, ereignete sich an einer anderen Stelle im großen Saal etwas Ähnliches. Von Frau zu Frau. Ein Gespräch entstand, bei dem meine Kollegin den Sozialdienst muslimischer Frauen vorstellte. Dann begannen die Standardfragen: ‚Gehört ihr der Gülen-Bewegung an oder seid ihr Anhänger von Erdogan?´ […]
Sehr aufgewühlt und verletzt verließen wir die Veranstaltung. Während wir uns tagtäglich bemühen, durch unsere Arbeit unseren Mehrwert für die Gesellschaft deutlich zu machen, erleben wir immer wieder solche Anfeindungen. Besonders verletzend war es, dass das von Frauen kam, die sich als feministisch bezeichnen und angeblich für andere Frauen einsetzen. Sie verhalten sich bevormundend und herablassend.“
Dieses Beispiel zeigt einige Muster auf, denen muslimische Frauen ausgesetzt sind, wenn sie in der Öffentlichkeit sichtbar werden wollen. Insbesondere fällt das Eindringen in die privatesten Gedanken und Lebensumstände dieser Frauen auf. Als Rechtfertigung dafür dienen vor allem zwei Dinge. Zum einen ist das die Fokussierung auf ihre „Unterdrückungsgeschichte“, die jedes Eindringen als „besorgte Retter*in“ zu rechtfertigen scheint. Worin genau das Motiv dieses Eindringens ins Innere tatsächlich liegt, in der Sorge, im Misstrauen oder im Voyeurismus oder woanders, ist nicht immer klar. Die andere Rechtfertigung ist das Misstrauen, dass muslimische Frauen selbst Vertreterinnen des Apparates sein könnten, der Frauen unterdrückt. Dieses Misstrauen ist nicht immer unbegründet, auch in Hinblick auf die aktuellen Ereignisse im Iran, Afghanistan oder anderen muslimisch geprägten Ländern. Es führt aber zu misstrauischen Kategorisierungsversuchen, denen nun einmal weiße Frauen nicht ausgesetzt sind. Hier ist ein diskriminierungsfreies Vorgehen erforderlich.
Muslimische Frauen sind in ihrer Individualität, in ihren Wertevorstellungen, in ihren Weltanschauungen und in ihrem Handeln vielschichtig und vielfältig. Diese Vielfalt wird jedoch meistens sowohl in der feministischen Szene als auch innerhalb der muslimischen Gesellschaft nicht als Reichtum bewertet, sondern dient der Aussonderung in unterschiedliche Schubladen, um muslimische Frauen beurteilen zu können. Die Reduktion der Reaktion auf muslimische Frauen auf einige wenige festgelegte, fast schon ritualisierte Muster führt auch zur Reduktion vielfältiger Frauen auf einige wenige, zumeist problematische Kategorien.
Diskriminierungserfahrungen muslimischer Frauen
In einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Diskriminierungserfahrungen in Deutschland wird beschrieben, dass in den letzten 24 Monaten etwa ein Drittel der repräsentativ Befragten Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Eine hohe Zahl. Richtig sichtbar wird das Ausmaß der Diskriminierung, wenn man sich einzelne Milieus genauer ansieht.
Als Sozialdienst muslimischer Frauen (SmF-Bundesverband, smf-verband.de) sind wir eine der Trägerorganisationen des Bundesprogrammes „Menschen stärken Menschen“ und haben seit 2018 bisher über 6.600 geflüchtete und sozial benachteiligte Menschen mithilfe von über 1.200 eingetragenen Ehrenamtlichen begleitet und unterstützt. Im Jahr 2021 befragten wir die Ehrenamtlichen über ihre Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen und die Erfahrungen ihrer Mentees. Die Ergebnisse der Onlinebefragung von 435 Pat*innen aus mehreren Bundesländern zeigen eindeutig, dass sich Diskriminierung und Rassismus durch die gesamte Gesellschaft und alle persönlichen Lebensbereiche ziehen kann und zugleich innerhalb von Institutionen und anderen Strukturen zu finden ist. Laut unserer Befragung erlebten von 435 befragten Pat*innen 81,44 % mindestens einmal eine Diskriminierung.
Der Unterschied zwischen einem Drittel und über 80 % ist immens und sicher treffen auch beide Zahlen zu. Hier sehen wir aber, dass der Anteil an Diskriminierungserfahrungen in manchen Gruppen der Gesellschaft, Stadtteilen oder Milieus weit höher liegen muss als in anderen. Die Erfahrungswelt muslimischer Frauen, vor allem jener mit Kopftuch, ist von Alltagsrassismus bis zu rassistischen Übergriffen geprägt. Hier exemplarisch einige Erzählungen von Frauen, die ein Kopftuch tragen:
- „… in Amerika erfolgreich studiert und wollte in Deutschland ein Praktikum machen. Die Bewerbung habe ich ohne mein Foto versendet. Als ich zum persönlichen Gespräch mit meinem Kopftuch erschien, wurde ich beim Praktikumsgespräch aussortiert, ohne dass es zu einem qualitativen Gespräch kam.“
- „Im Einkaufszentrum werde ich oftmals diskriminiert und böse angeschaut, wegen meines Kopftuchs.“
- „Ein Mentee von mir ist am helllichten Tag auf der Straße angespuckt worden.“ (Aussage über Mentee, die Kopftuch trägt)
- „Eine Lehrerin an einer Sprachschule sagte immer, dass Frauen, die ein Kopftuch tragen, in Deutschland keinen Job finden, egal wie viel sie lernen.“
- „Mir wurde ein Arbeitsplatz angeboten (Bäcker) und als ich meinte, dass ich in Zukunft ein Kopftuch tragen werde, wurde das Angebot zurückgezogen.“
Die „Mehrheitsgesellschaft“ und ihre vermeintliche Deutungshoheit über muslimische Frauen
Die Mehrheitsgesellschaft urteilt über muslimische Frauen nach eigenen Maßstäben und ignoriert hierbei gänzlich das Selbstbestimmungsrecht dieser Frauen. Der Rassismus und die Diskriminierung drücken sich in der Beurteilung dieser Frauen aus. Einer Frau, die eine Kopfbedeckung trägt und durch ihre äußerliche Erscheinung als Muslimin erkannt wird, wird unterstellt, dass sie entweder unterdrückt wird und zu dieser Art sich zu kleiden gezwungen wird, oder Vertreterin extremistischer Meinungen ist und direkt oder indirekt die Männerherrschaft akzeptiert. Ist diese Frau meinungsstark, identifiziert sich als Deutsche, beherrscht die deutsche Sprache und ist zudem gebildet, wird sie der politisch extremistischen Ecke zugeordnet. Ist sie nicht so selbstbewusst und eher hilflos, wird sie bemitleidet oder ignoriert. Wie auch immer fristen sie ihr Dasein in den Randzonen der Gesellschaft.
Das Meinungsbild über muslimische Frauen wird durch die medialen Darstellungen aktiv gestärkt, indem der Islam fast nur in Kombination mit Terrorismus, Gewalt, Analphabetismus, Frauenunterdrückung, Armut, Flucht, Migration und ähnlichen Themen in Verbindung gebracht wird. Insbesondere muslimische Frauen sind diesen Vorurteilen und Klassifizierungen ausgesetzt, da sie durch das Kopftuch in der Öffentlichkeit deutlich sichtbarer sind als muslimische Männer.
Wenn muslimisch gekleidete Frauen sich organisieren und als Teil der Zivilgesellschaft engagieren möchten, finden sie kaum Verbündete unter den feministischen Organisationen, weil sie per se als frauenfeindlich und extremistisch eingestuft werden – es sei denn, es gibt ein Interesse mit migrantischen Zielgruppen zu arbeiten und die Zusammenarbeit kann hierarchisch gestaltet werden.
Ich frage mich, wieso muslimisch gekleidete Frauen entweder als Opfer des Patriarchats muslimisch-migrantischer Communitys gesehen werden oder als deren Fürsprecher*innen? Wieso müssen sie für die Situation in muslimischen Ländern die Verantwortung tragen? Ersetzt der Begriff der Kultur oder Religion in solchen Vorurteilen gegenüber muslimischen Frauen nicht quasi den Begriff der „Rasse“? Ist Fremdbestimmung weniger problematisch, wenn es um nicht-muslimische Frauen geht? Wenn ja, steht diese Haltung nicht für eine Beurteilung der Wertigkeit bestimmter Religionen, Kulturen oder weiterer Zugehörigkeiten? Werden andere Religionen hierdurch nicht als minderwertig angesehen? Sind das nicht die Merkmale einer rassistischen Haltung?
Diese Fragen könnten sehr leicht mit „ja!“ beantwortet werden. Dennoch wird diese Antwort nicht ausreichen, weil das „ja“ immer mit einem „aber“ kombiniert wird. Es heißt sehr oft: „Ja, aber es gibt genug Beispiele, die solche Urteile bestätigen.“ Dennoch müssen wir die durchaus vorhandenen negativen Beispiele, die von den muslimischen Gesellschaften geliefert werden, differenzierter betrachten und die Fähigkeit besitzen, zwischen Kritik und rassistischen Vorurteilen sowie Verallgemeinerungen zu unterscheiden.
Flucht und Arbeitsmigration muslimisch geprägter Bevölkerung
Wir können die Situation muslimischer Frauen in Deutschland nicht angemessen behandeln, wenn wir sie losgelöst von der Migrationsgeschichte der letzten 60 Jahre bewerten. Die Migrationsgeschichte kann uns helfen, die gegenwärtige Situation besser zu analysieren und hilft uns im Umgang mit neuzugewanderten muslimischen Frauen. Arbeitsmigrant*innen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren aus muslimisch geprägten Ländern nach Deutschland kamen, waren überwiegend einfache Arbeiter*innen und Familienangehörige oder Oppositionelle aus den Herkunftsländern der Migrant*innen. Die Oppositionellen hatten einen Putsch bzw. eine Revolte erlebt und ein kritisches, meist negatives Bild von der Religion und der Kultur. Ihre staatskritische Haltung förderte ihre Anschlussfähigkeit an das linke Spektrum, an sozialdemokratische Kreise, an die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung sowie feministische Gruppen. Diese Bündnisse blieben den Milieus, die sich als muslimisch definierten, verwehrt, wodurch sie unter sich blieben.
Muslimische sowie migrantische Strukturen waren – so wie die Arbeitsmigration auch – männlich dominiert. Dies war sowohl bei politisch Verfolgten als auch bei religiös-traditionellen Menschen ähnlich. Die mitgebrachten Rollenbilder verfestigten später, nach der Familienzusammenführung, die männliche Dominanz. Die Frauenbewegung erreichte diese Gruppen weder sprachlich noch inhaltlich. Geprägt durch die Angst vor Assimilierung stellten die migrantischen Frauen ihre Religion und mitgebrachte Kultur in den Vordergrund. Während Arbeitsmigrantinnen aus christlich geprägten Ländern an bestehende kirchliche Strukturen und Wohlfahrtsverbände andocken konnten, waren die Muslim*innen auf sich gestellt. Im Wohlfahrtsbereich sollte die AWO als säkularer Wohlfahrtsverband, der aus der Arbeiterbewegung entstanden war, bis zu den 1990er-Jahren u. a. für die Muslime zuständig sein.
Währenddessen bildeten die traditionellen Gruppen nach ihrem Bedarf eigene Organisationen und blieben innerhalb ihrer monoethnischen und monosprachlichen Gruppen. Ihre Abkapselung wurde institutionalisiert und machte sie zugleich auch für die anderen uninteressant. Frauen mit religiösen und kulturellen Prägungen wurden innerhalb dieser Verbände in die hinteren Reihen gedrängt. Sie durften die Strukturen durch Eigenfleiß fördern, aber waren nicht entscheidungsbefugt. Ihre Fremdbestimmung bestand auch in ihren eigenen Milieus fort. Sie waren als Mütter und als Ehefrauen oder Töchter wertvoll und schützenswert, aber außerhalb dieser Rollenzuschreibungen wurden sie mit ihren individuellen Wünschen, Sorgen, Bedürfnissen und Eigenschaften kaum wahrgenommen.
Viele muslimische Frauen waren mit diesen Rollenzuschreibungen zufrieden. Sie merkten kaum, dass durch ihre unkritische Haltung und Zustimmung die bestehenden Probleme von der Öffentlichkeit viel leichter der Kultur und der Religion zugeschrieben werden konnten. Je mehr die Probleme auf die Kultur und die Religion zurückgeführt wurden, desto stärker fühlten sich die muslimischen Frauen verantwortlich, ihre Kultur und Religion in Schutz zu nehmen. Obwohl sie in patriarchalisch organisierten muslimischen Vereinigungen wenig Resonanzraum fanden, konnten sie in dieser Abwehrhaltung gegenüber den eigenen innermuslimischen Strukturen keine offene, kritische Haltung einnehmen. Je mehr Themen, so etwa innerfamiliäre Gewalt, Zwangsheirat oder Ehrenmord, mit Kultur und Religion begründet wurden, desto schwieriger wurde es, diese Probleme im Kern anzupacken und innerhalb der eigenen Reihen die Existenz dieser Probleme zuzugestehen und zu bekämpfen. Sie hatten Angst, dadurch Kultur- und Religionskritiker*innen in die Hände zu spielen.
Die Art und Weise der medialen Rhetorik, wie zum Beispiel in der Frauenzeitschrift „Emma“ oder in Medienberichten der 1980er- und 1990er-Jahre, sowie die Debatten Anfang der 2000er-Jahre um die Deutsche Islamkonferenz und den nationalen Integrationsgipfel vertieften die kultur- und religionssensiblen Probleme und verzögerten ihre konstruktiven Lösungen. Ein Teufelskreis entstand: Selbstkritik spielt in die Hände rassistischer Gruppen und fördert Islamfeindlichkeit. Kritikunfähigkeit stärkt die bestehenden Systeme und macht einen Fortschritt unmöglich. Nur vereinzelte muslimische Frauen, die nicht islamkritisch waren, waren in der Lage, interne Kritik innerhalb des migrantischen Milieus auszuüben. Diese konstruktive Kritik wurde von traditionellen Verbänden und traditionellen Frauen auf lange Sicht nicht getragen.
Muslimische Frauen, die für eine Veränderung kämpften, hatten es schwer, überwiegend religiös definierte und kulturell begründete frauenfeindliche Haltungen der traditionellen Kreise zu durchbrechen. Einige Versuche, wie das Buch „Ein einziges Wort und seine große Wirkung“, das vom Zentrum islamische Frauenforschung und -förderung herausgegeben wurde, fand in männlich dominierten muslimischen Kreisen wenig Anklang. Sie machten das Buch wie folgt bekannt:
„Muslimische Frauen sehen sich zwischen zwei Fronten gestellt: den Vorwürfen der ‚Moderne‘, sich nicht energisch genug von den ‚frauenfeindlichen’ Texten des Islams zu distanzieren und den Forderungen der Binnengesellschaft, die gewachsenen Traditionen unhinterfragt zu bewahren. Frauenzentrierte Blicke auf die Offenbarungstexte werden beiderseits ignoriert.“
Die kritischen Frauen fanden als „Aufsässige“ keine dauerhaften Räume. Auch die feministischen Frauengruppen Deutschlands haben ihre Schwierigkeit, diese äußerlich sichtbaren muslimischen Frauen und Frauengruppen in ihren Stärken wahrzunehmen und sie als Gleichgesinnte zu akzeptieren. Eigene muslimische Frauenorganisationen, die sich kritisch gegen frauenfeindliche Thesen und Praktiken innerhalb der Muslim*innen entwickeln, werden erst seit Mitte 2010 erkennbar.
Wir, der SmF-Bundesverband, verstehen uns als eine deutsche Wohlfahrtsorganisation, die Frauenempowerment als eines seiner wesentlichsten Aufgabenbereiche sieht und arbeiten intersektional mit Frauen aus unterschiedlichen kulturellen und weltanschaulichen Kontexten. Wir sehen uns in der Verpflichtung, insbesondere neuzugewanderten muslimischen Frauen einen Entfaltungsspielraum anzubieten. Für die Frauen, die nach Deutschland flüchten oder migrieren, sehen wir uns als Pionier*innen, die einzelne Frauen stärken und den Kampf für eine Gleichstellung der Geschlechter in Einbindung auch neuzugewanderter Frauen und Männer führen. Dazu sehen wir Frauenorganisationen und feministische Gruppen als Verbündete. Wir sehen aber auch, dass eine Öffnung seitens bereits etablierter feministischer Gruppen dringend erforderlich ist. Denn es ist erforderlich, dass sowohl die weißen feministischen Gruppen als auch die bisher als Verbündete geltenden muslimkritischen und migrantischen Frauenorganisationen ihren bisherigen Umgang und Berührungen mit muslimischen Frauenorganisationen neu reflektieren.
Feministische Organisationen sind weiß
Die deutsche feministische Szene besteht traditionell aus weißen, privilegierten Frauen aus dem Bürgertum und hat in ihrer Tradition die Erfahrungen eher mit weißen und privilegierten Frauen und Frauengruppen gesammelt. Die Erfahrung mit migrantischen Frauengruppen sammelten sie bisher partiell, je nach ideologischer, kultureller oder religiöser Nähe. Linksorientierte Frauengruppen kamen mit linksorientierten migrantischen Frauengruppen zusammen, während christliche Frauenorganisationen mit westeuropäischen und christlichen Frauenorganisationen in Berührung kamen. Aus den Einzelgesprächen mit einzelnen Migrantinnen, die in nicht muslimischen oder säkularen Frauengruppen organisiert sind, entnehme ich jedoch, dass auch diese Berührungen auf einer senkrechten Hierarchie basierten und keine Augenhöhe ermöglichten.
Die fehlenden Kontakte feministischer Frauengruppen mit schwarzen, migrantischen und muslimischen Frauen auf Augenhöhe erschweren die Reflexion der eigenen Haltung und der Art und Weise der Interaktion. Während weiße Feminist*innen sich in deutschen Kulturgütern auskennen, haben muslimische Frauen weitere kulturelle Ressourcen und Gepäcke. Sie kommen nicht ursprünglich aus dem Bürgertum, sie und ihre Eltern haben oft ein niedrigeres Einkommen und wenige Privilegien. Dies erschwert meist die Augenhöhe und den intensiven Kontakt, sodass weiße Feminist*innen muslimische Frauen in ihrer Vielfalt schwer wahrnehmen können. Auch wenn muslimische Frauen als Akademikerinnen und Aktivistinnen neue Räume für sich beanspruchen, müssen sie gegen bestehende Vorurteile ankämpfen und sich in ihrer Demokratiefähigkeit und ihrer Haltung gegen bisherige Fremdzuschreibungen beweisen.
Muslimische Frauenorganisationen, die nicht mit der Religion oder der Tradition abrechnen, aber auf eine nachhaltige Veränderung von innen zielen, haben es wegen verfestigter Vorurteile weißer Frauenorganisationen und herrschender Sichtweisen nicht leicht, einen Platz in der Frauenbewegung einzunehmen. Die seit Jahren verfestigten Vorurteile verbauen die Möglichkeit zu einem ernst gemeinten Austausch und einer Interaktion.
Haltlose Beschuldigung: Aufbau von Parallelstrukturen
Die Bestrebungen muslimischer Frauen werden strukturell nicht ernst genommen und/oder als Aufbau einer Parallelstruktur kleingeredet. Der von ihnen gemeldete Bedarf, ihre Erfahrungen, Ziele und Visionen, werden, insbesondere wenn es um die Regelförderungen geht, ignoriert. Hierzu möchte ich meine jahrelang andauernden Bemühungen als Einzelperson innerhalb und mithilfe unterschiedlicher muslimischer Organisationen als Beispiel nennen. Seit 1986 kämpfe ich dafür, dass ein kultur- und religionssensibles Frauenschutzhaus in Trägerschaft einer muslimischen Organisation, am besten einer Frauenorganisation, gefördert wird.
Dieses Frauenschutzhaus soll in beide Richtungen eine Signalwirkung haben. An die muslimische Gesellschaft sollte das Signal gehen, dass muslimische Frauen nicht schutzlos sind und dass Religion die Gewalt gegen Frauen nicht legitimiert. Der Allgemeinheit soll es zeigen, dass auch Muslim*innen Gewalt nicht befürworten.
Ein Frauenschutzhaus, das offen für alle ist und gleichzeitig Frauen, die aus streng-religiösen Familien stammen, einen Halt bietet. Frauen, die mit dem Märchen aufgewachsen und manipuliert wurden, dass der Mann über der Frau stehe, dass die Ehe wichtiger sei als das Glück jedes Ehepartners und dass Gewalt ein legitimes Mittel für die Erziehung oder Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft ist. Diese Tabus müssen mit besonderen Konzepten von muslimischen Frauengruppen gezielt bearbeitet und durchbrochen werden. Diese legitime und zivilgesellschaftliche Forderung wurde in NRW von der bisherigen Gleichstellungsbeauftragten (bis zur letzten Legislaturperiode) mit einem Totschlagargument abgelehnt: Wir hätten in NRW genügend Plätze und ein Frauenschutzhaus in muslimischer Trägerschaft sei eine Parallelstruktur. Wir sollten diese Fälle an bestehende Einrichtungen weiterleiten. Es war für sie unwichtig, dass es unter den bestehenden Frauenschutzhäusern kein Haus mit besonderem Schutzkonzept unter muslimischer Trägerschaft gibt.
Resümee
Deutlich wird: Wenn für muslimische Frauengruppen und feministische Organisationen in Zukunft Möglichkeiten für einen Austausch fehlen, wird auf lange Sicht für beide Seiten die Chance für eine Öffnung verwehrt. Ein Austausch würde jedoch allen Beteiligten die Möglichkeit bieten, Wertvorstellungen und Haltungen zu reflektieren. Feministische Organisationen sind nicht per se frei von Rassismen, auch wenn sie antirassistische Arbeit befürworten oder aktiv darin sind. Wir sollten alle Gleichstellungsbeauftragten in die Pflicht nehmen, diese Situation als einen Bestandteil ihres Aufgabenfeld zu öffnen/definieren.
Ayten Kılıçarslan, Dipl. Pädagogin & Volkswirtin, ist geschäftsführende Vorstandsvorsitzende des Sozialdiensts muslimischer Frauen. Arbeitsschwerpunkte: Migrations- und Integrationspolitik, soziales Engagement, Frauenschutz, Empowerment von Frauen und Aufbau muslimischer zivilgesellschaftlicher Strukturen. Sie schreibt gelegentlich für Fachzeitschriften. Ihre Bücher „Amerika‘dan izlenimler“ und „Göç sürecinde Almanya’da Türk Kadınları“ erschienen auf Türkisch. Sie hat bisher mehrere bundesweit tätige zivilgesellschaftliche Organisationen gegründet und ist in bundesweiten Netzwerken aktiv.