Judith Hilz1
Frau Denstädt, was können wir uns unter der Arbeit der Polizeivertrauensstelle vorstellen – insbesondere in Hinblick auf den Aspekt von geschlechtsspezifischer und antifeministischer Gewalt?
Doreen Denstädt
Die Polizeivertrauensstelle ist eine Beschwerdestelle, laut Koalitionsvertrag eigentlich offen für Bürgerinnen und Bürger UND für Polizist*innen, effektiv aber nicht für Polizist*innen offen. Wir dürfen tatsächlich nur Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern entgegennehmen, dürfen aber auch anonym Beschwerden entgegennehmen. Ich bin seit 2006 bei der Thüringer Polizei, habe damals mein Studium angefangen im gehobenen Dienst, bin 2009 fertig geworden und nach Erfurt-Nord direkt auf die Dienststelle gekommen. Dort habe ich auch mit dem Phänomenbereich häusliche Gewalt zu tun gehabt. Seit 2021 bin ich in der Polizeivertrauensstelle und habe festgestellt, dass es diverse Probleme gibt, z. B. dürfen Kinder, Söhne insbesondere, ab einem gewissen Alter nicht mehr mit ins Frauenhaus. Das war mir aus polizeilicher Sicht nicht bewusst. Die Konsequenzen, die sich für die betroffene Frau anschließen, sind eine Herausforderung. Während der Arbeit in der Polizeivertrauensstelle musste ich leider feststellen, dass im Anschluss an eine Anzeige viele Sachen am Opfer hängen und dass das Opfer proaktiv etwas machen muss. Ich habe mich früher immer gewundert, warum wir als Polizei mehrmals zu Opfern hingefahren sind. Unsere Wahrnehmung war: Die Frau geht wieder zurück, das ist halt so, und dann fährt man wieder hin, nimmt wieder eine neue Anzeige auf usw. Erst in Hinblick auf die Herausforderungen, die ein Opfer hat, um aus diesem Kreislauf herauszukommen, wurde mir bewusst, was da alles dranhängt.
Judith Hilz
Wie werden geschlechtsspezifische, aber auch antifeministische Gewalttaten aufgeführt und polizeilich erfasst?
Doreen Denstädt
Es gibt die Kategorisierung „Häusliche Gewalt“ während der Anzeigenaufnahme. In Vorbereitung des Podiumsgesprächs habe ich in der Polizeilichen Kriminalstatistik nachgeschaut und musste feststellen, dass diese Kategorie darin nicht enthalten ist. Ich bin bei der Recherche auf eine Kleine Anfrage2 gestoßen, in der es um Femizide ging und das Ergebnis war ernüchternd: Dafür, dass ich das als Polizeibeamtin immer aufgenommen habe, ist zum Schluss in der Statistik nicht besonders viel übrig geblieben. Also ich kann vielleicht noch sagen, wie viele Körperverletzungsdelikte und Tote es gibt, allerdings muss ich schon bei den Toten eingrenzen: Es gab keine Angaben, ob zum Beispiel Kinder betroffen sind. Das wird nicht erfasst. Es war auch nicht so ganz klar: Gibt es Wiederholungstäter? Und spätestens nach dieser Antwort auf die Kleine Anfrage dürfte klar sein, dass da noch ganz viel Arbeit zu tun ist.
Judith Hilz
Wird antifeministische und geschlechtsspezifische Kriminalität unterschieden? Wird antifeministische Gewalt überhaupt aufgenommen in dem Sinne? Weil häusliche Gewalt ist, je nachdem, wie man es fasst, nicht dasselbe wie antifeministische Gewalt.
Doreen Denstädt
Ich denke, die Kategorie „Antifeminismus“ ist tatsächlich noch gar nicht angekommen. Opfer von Straftaten, die weiblich sind, werden in den jeweiligen Deliktskategorien erfasst, aber es macht ja einen Unterschied. Und es gibt gewisse Deliktsbereiche, in denen sich das nicht klar fassen lässt – also zum Beispiel eine Sachbeschädigung: Ist die jetzt politisch motiviert und hat das vielleicht auch irgendwas mit Geschlecht zu tun? Das wird noch nicht erfasst.
Judith Hilz
Katharina Göpner, der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, kurz bff, konzentriert sich vor allem auf betroffene Frauen und Mädchen. Mich würde die konkrete Arbeit des bff interessieren und ob zwischen geschlechtsspezifischer und antifeministischer Gewalt unterschieden wird?
Katharina Göpner
Der bff ist der Dachverband von aktuell 211 ambulanten Fachberatungsstellen, die gewaltbetroffene Frauen und Mädchen unterstützen. Das sind alles eingetragene kleine Vereine, die meisten in autonomer Trägerschaft. Viele von denen sind aus der zweiten Frauenbewegung heraus entstanden, das heißt, sie arbeiten seit vielen Jahrzehnten zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen. In vielen Beratungsstellen erleben wir gerade eine Öffnung für geschlechtliche Vielfalt, also auch für trans Personen, inter Personen, nicht binäre Personen. Das ist ein Prozess, den wir als bff unterstützen. Die Beratungsstellen machen unterschiedliche Sachen. Betroffene können sich an sie wenden – bei sexualisierter Gewalt, bei Gewalt in Partnerschaften, bei psychischer Gewalt, bei Stalking, bei digitaler Gewalt, bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend und bei aktuell erlebter Gewalt. An die Beratungsstellen können sich auch Bezugs- und Unterstützungspersonen wenden sowie Fachkräfte, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen. Die ambulanten Beratungsstellen machen neben der konkreten Unterstützungsarbeit im Einzelfall Präventionsarbeit und Fortbildung, auch bei Polizei, Justiz und Medizin. Jetzt zur Frage: Wir als Dachverband sind die Vernetzungsstelle der Beratungsstellen und arbeiten bundesweit. Mein Eindruck ist, dass wir bisher in der konkreten praktischen Arbeit und in der Öffentlichkeits- oder Lobbyarbeit als bff noch nicht so sehr unterscheiden zwischen geschlechtsspezifischer Gewalt und antifeministischer Gewalt, sondern ganz klar mit dem Begriff geschlechtsspezifische Gewalt arbeiten. Das resultiert daraus, dass das die Kernarbeit der Beratungsstellen ist. Wir arbeiten mit der Polizeilichen Kriminalstatistik und einmal im Jahr gibt es eine Sonderauswertung zu Gewalt in Partnerschaften, die bisher immer am 25.11. veröffentlicht wurde. Hier wird aufgeschlüsselt, wie viele Fälle von Gewalt in Partnerschaften angezeigt werden, wie viele Tötungsdelikte innerhalb von Deutschland es innerhalb von Partnerschaften gibt. Aber neben den betroffenen Kindern fehlen in der Statistik auch andere Angehörige, die mitgetötet werden, zudem fehlen Femizide außerhalb von Partnerschaftskontexten. Gleichwohl ist die Statistik eine sehr hilfreiche für uns. Und in der PMK, also in der Politisch Motivierten Kriminalität, sehe ich das Potenzial, geschlechtsspezifische Gewalt zu repolitisieren.
Judith Hilz
Wie wird in der Arbeit versucht, den antifeministischen Aspekt aufzugreifen?
Katharina Göpner
Wir erleben es häufig, und das ist ein großes Problem, dass geschlechtsspezifische Gewalt individualisiert wird, also es gibt Schuldzuschreibungen an Betroffene usw. Das erleben wir bei Femiziden, die als Beziehungsdramen bezeichnet werden, das erleben wir bei sexualisierter Gewalt. Die Benennung von geschlechtsspezifischer Gewalt, also dass eine Tat etwas mit Antifeminismus, Misogynie und Frauenhass zu tun hat, ist deshalb wichtig. Wir müssen geschlechtsspezifische Gewalt als politisches Problem sehen, das auch politisch gelöst werden muss. Wir hatten vor ein paar Jahren ein sehr gutes Forschungsprojekt zum Thema „Kontextualisierte Traumaarbeit“3 und da ging es genau um die Frage der Kontextualisierung von Gewaltverhältnissen. Deshalb ist es im Ansatz der Beratungsstellen so wichtig, dass sie ganz klar geschlechtsspezifische Gewalt in der gesellschaftlichen Rahmung betrachten, weil diese immer etwas mit Gesellschaftsverhältnissen, Diskriminierungsverhältnissen, Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu tun hat.
Judith Hilz
Christina Clemm, als an Anwältin für Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt als auch von rechter Gewalt oder von Rechtsextremismus: Gibt es Überschneidungen zwischen den beiden Bereichen oder lässt sich das in der Rechtspraxis doch relativ leicht voneinander abgrenzen?
Christina Clemm
Ich bin seit fast 30 Jahren Rechtsanwältin – sowohl Fachanwältin für Familienrecht als auch für Strafrecht. Ich bin auch Strafverteidigerin in bestimmten Bereichen. Ich vertrete sehr viele Verletzte von geschlechtsspezifischer Gewalt, LGBTIQ-feindlicher Gewalt, antisemitischer Gewalt, rassistischer Gewalt. Da ich auch Familienrechtlerin bin, arbeite ich häufig an der Schnittstelle von Familienrecht und Strafrecht und vertrete viele Frauen, die vor ihren Partnern geflohen sind, ins Frauenhaus zum Beispiel, und die dann familienrechtliche Probleme haben, u. a. bzgl. Umgang, Sorgerecht usw. Eines der großen Probleme ist, dass geschlechtsspezifische Gewalt niemals strukturell betrachtet wird. Dass es ein strukturelles, über das individuelle Handeln des einzelnen Täters hinausgehendes Problem gibt, ist etwas, das sich im Diskurs über rassistische Übergriffe, rechtsextreme Überfälle oder sonstige rassistisch motivierte Gewalttaten längst etabliert hat, wenn es auch lange noch nicht hinreichend berücksichtigt, geschweige denn bekämpft wird. Ich kann im Gerichtssaal über Rassismus sprechen, auch wenn es selten gehört wird. Meinem Eindruck nach ist es aber noch schwerer, Sexismus, Frauenfeindlichkeit oder Frauenverachtung zu thematisieren, das wird gar nicht verstanden. Unter anderem deswegen ist es wichtig, Zahlen zu haben und gute Analysen, denn von allem haben wir zu wenig. Es gibt auch zu wenig Dunkelfeldforschung. Wir haben anders als viele andere nicht einmal eine Monitoringstelle zur Analyse von Femiziden. Wie soll man sie richtig bekämpfen, wenn man die Hintergründe nicht versteht? Im Moment wird rechtspolitisch darüber diskutiert, ob bei der Strafzumessung besonders berücksichtigt werden soll, wenn die Motive geschlechtsspezifisch oder gegen die sexuelle Orientierung gerichtet sind. Ich finde das prinzipiell richtig, aber es nützt natürlich nichts, wenn man nicht auch diejenigen, die danach arbeiten, fortbildet, sonst erkennen sie es nicht. Zu verstehen, dass Männer ihre Partnerinnen nicht aus Liebe, sondern aus Besitzanspruch töten oder dass nicht der Trieb Männer vergewaltigen lässt, sondern sie die verletzte Person herabwürdigen wollen. Dafür braucht es Aus- und Fortbildung. Bisher gibt es die weder im Studium noch zwingend für Staatsanwält*innen und Richter*innen. Nichts im Hinblick auf Rassismussensibilität, Klassismussensibilität oder Sexismus. Dabei wäre das so wichtig!
Judith Hilz
Wenn Femizide tatsächlich auch als solche erfasst und besonders behandelt werden würden, und eben nicht als Todesfälle oder Todesfälle in Partnerschaften, welche Auswirkungen hätte das?
Katharina Göpner
Ich habe den Eindruck, dass es immer hilfreich ist, Zahlen zu haben, um Phänomene beschreibbar zu machen. Wir brauchen Statistiken, viel mehr Dunkelfeldforschung und wir brauchen auch so etwas, was die Amadeu Antonio Stiftung jetzt mit der Antifeminismus-Meldestelle aufgebaut hat. Es braucht die NGOs und eine starke Zivilgesellschaft. Wir wünschen uns aus Perspektive der Praxis zum Beispiel eine systematische Zusammenarbeit von Polizei, Beratungsstellen, Jugendamt, Jobcenter, von unterschiedlichsten Behörden, von staatlichen und nicht staatlichen Akteur*innen, um hochgefährdete Frauen rechtzeitig ausmachen zu können. Aus- und Fortbildungen verschiedener Berufsgruppen halte ich für einen guten Weg, um dem Ganzen zu begegnen.
Christina Clemm
Ich hatte ein Verfahren, versuchter Mord, ist auch so verurteilt worden – ein klassischer Femizid im Nahbereich, meine Mandantin musste 5 Mal zur Polizei gehen und hat gesagt: „Er bedroht mich, er hat immer wieder gesagt, dass er mich töten will.“ Irgendwann ist ihre Mutter zur Polizei gegangen und hat mit den Polizeibeamten gesprochen und gesagt, dass die Polizei endlich etwas tun muss. Und der Beamte hat entgegnet: „Naja, es ist nur eine Bedrohung.“ Der Mann hatte meine Mandantin bereits vorher mehrfach verletzt, aber jetzt waren‘s ja nur Bedrohungen. Sie sagte zu dem Polizisten: „Wissen Sie nicht, es gibt so etwas wie Femizide in Deutschland!“ Sie hat es ausgesprochen. Das nächste Mal hat sie ihre Tochter in der Intensivstation gesehen. Das ist ein ganz typischer Fall, also dass die geschlechtsspezifische Gewalt nicht erkannt und immer noch banalisiert wird. Der Blick auf die Verhaltensweisen ist auch der Falsche. Statt immer wieder zu fragen: Was machen die Frauen? Warum ist sie denn zurückgegangen?, ist die richtige Frage: Warum denken so viele Täter, dass sie das einfach so tun dürfen? Warum hören sie nicht auf? Letztlich gibt es zu wenig Reaktionen auf die Gewalt, sowohl juristische als als auch gesamtgesellschaftliche: „Alle kennen Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt, aber niemand kennt Täter“. Ein anderes Problem ist, dass im Bereich Sexualdelikte ungefähr 10 % der Menschen, die sexualisierte Gewalt erfahren, überhaupt Strafanzeige erstatten – das LKA Berlin geht davon aus, dass von ihren Anzeigen, die sie bekommen, 3,5 % in einer Verurteilung enden. Wir müssen also von einer Kultur der Straflosigkeit sprechen.
Judith Hilz
Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht, dass die Erfassung von Politisch Motivierter Kriminalität, gerade im Hinblick auf frauen- und queerfeindliche Gewalt, verbessert werden soll. Ich frage mich nun, ob es schon Verbesserungen gibt, auch innerhalb der Polizei, zur Erfassung, und ob es aus Eurer jeweiligen Perspektive konkrete Forderungen an Zivilgesellschaft, Wissenschaft, aber eben auch Politik und Polizei gibt?
Doreen Denstädt
In Hinblick auf Polizei sind die Aus- und Fortbildungen wichtig, da muss tatsächlich etwas passieren. In der Beschwerdestelle sind mehrere Fälle aufgetreten, bei denen meiner persönlichen Einschätzung nach klassische Fälle häuslicher Gewalt nicht so bearbeitet wurden, wie die Betroffenen sich das vorgestellt haben. Und so wie die Betroffenen das dargestellt haben – ich kann das nur wiedergeben, denn wir haben keine eigene Ermittlungskompetenz oder Recherchemöglichkeiten – gewinne ich den Eindruck: Es wird nicht ordentlich erkannt, es wird nicht ordentlich aufgenommen und es werden zum Teil sehr gefährliche Fehler gemacht, zum Beispiel, wenn ich dem Täter kein Kontaktverbot ausspreche und der dann wieder dasteht oder gar nicht erst weg war, und die Frau dann aus dem Krankenhaus zurückkommt und dem Täter wieder gegenübersteht. Wichtig wäre zudem eine Strafrechtsänderung, weil für die Polizei dann ein klarer Auftrag da wäre.
Katharina Göpner
Ich schließe mich der Forderung nach mehr Fortbildung für Polizei, aber auch für die Justiz an. Das ist auch etwas, was die Istanbul-Konvention ganz klar fordert. Das wäre schon meine nächste Forderung: Es gibt gerade eine Evaluation der Umsetzung der Istanbul-Konvention hier in Deutschland und das Zeugnis ist eher mangelhaft. Es existiert zum Beispiel bisher keine staatliche Koordinierungsstelle, die auch strukturell prüft: Was muss getan werden zum Schutz, zur Prävention, zur Intervention bei geschlechtsspezifischer Gewalt? Wichtig sind zudem mehr Beratungsstellen. Und ich sage noch etwas zu dem, was in der PMK jetzt aufgenommen ist: Es gibt seit diesem Jahr die Kategorien „frauenfeindlich“, „männerfeindlich“ und „Queerfeindlichkeit“, und gerade für die Kategorie „Queerfeindlichkeit“ braucht es Fortbildungen, damit Polizist*innen wissen, wie sie was einzuschätzen haben. Und wir brauchen darüber hinaus viel mehr Forschung und Verknüpfung von Themen.
Christina Clemm
Da kann ich anknüpfen. Es braucht mehr Kapazitäten bei Polizei und Staatsanwaltschaft, die immer weiter eingekürzt werden oder andere Schwerpunkte haben. In Berlin ist die angebliche Clankriminalität das große Thema – geschlechtsspezifische, sexualisierte Gewalt ist es nicht. Und wenn die so wenig Kapazitäten haben, dann können die auch nicht ordentlich ermitteln. Und so ist es dann auch leichter, Verfahren einzustellen, statt genauer hinzugucken. Bei den Gerichten ist ein Problem, dass sie völlig überlastet und nicht speziell geschult sind. Man könnte darüber nachdenken, ob man spezialisierte Gerichte einrichtet, die vor allem zum Beispiel bei sexualisierter Gewalt zuständig sind. Es braucht jedenfalls viel mehr Geld: Der Etat im Bundeshaushalt zur Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Gewalt liegt im Moment bei 5 Millionen Euro. Doch 5 Millionen Euro sind nichts! Ich finde, es ist geradezu beschämend, dass es flächendeckend nicht genug Beratungsstellen und Frauenhausplätze gibt, dass schutzsuchende Frauen abgewiesen werden müssen und dass Mitarbeitende in den Schutzeinrichtungen häufig völlig unterbezahlt sind. Es wird keine Geschlechtergerechtigkeit und es kann keine Gleichstellung geben, wenn nicht die Bekämpfung geschlechtsspezifischer wie auch rassistischer und klassistischer Gewalt angegangen wird.
Judith Hilz
In Hinblick auf die Verbesserung der Erfassung würde mich noch interessieren, ob es da auch eine Zusammenarbeit, bspw. von Justiz oder Anwält*innen, gibt, mit Beratungsstellen und der Polizei, Politiker*innen, und ob das überhaupt gewünscht ist aus Eurer jeweiligen Perspektive?
Katharina Göpner
Beratungsstellen vor Ort sind bei konkreten Fällen mit der Polizei vernetzt und arbeiten mit ihr zusammen. Ich habe in der Vorbereitung überlegt, aber mir ist bisher nicht bekannt, dass es eine explizite Zusammenarbeit zwischen einer Polizeivertrauensstelle und Beratungsstellen gibt. Ich kann mir das aber gut vorstellen, weil das eine Chance sein könnte, dass es für Betroffene leichter wird, sich an eine Beschwerdestruktur zu richten. Und was sich ebenfalls bewährt hat, sind Runde Tische, zum Beispiel zu häuslicher Gewalt, an denen alle relevanten Akteur*innen zusammenkommen. Für eine verbindliche und regelmäßige Teilnahme an solchen Vernetzungen bräuchte es Freistellungen und mehr Kapazitäten, damit eine Teilnahme auch z. B. für Richter*innen und Staatsanwält*innen möglich ist. Das wäre sehr hilfreich für eine gelungene Vernetzung und Zusammenarbeit.
Doreen Denstädt
Sowohl mir als auch meiner Chefin ist bewusst, dass es, gerade wenn man den Feminismus vorantreiben will, ohne Vernetzung nicht geht, und wir arbeiten mit diversen Beratungsstellen zusammen. Wir arbeiten auch mit Anwält*innen zusammen – nicht im Sinne davon, dass wir Akten austauschen oder so, sondern einfach, wenn es irgendein Problem gibt, hat sich mittlerweile in Thüringen herumgesprochen, dass wir hilfreich sein können. Wir haben eine Ministeriumssignatur und das ist manchmal hilfreich, wenn man als Innenministerium nachfragt: Wie ist denn das gelaufen? Wir sind stark daran interessiert, so ein Phänomen zu erkennen, auch in Hinblick auf den Schulungsbedarf von Kolleginnen und Kollegen. Und wir müssen vielleicht über die Kategorie „geschlechtsspezifische Gewalt“ neu nachdenken. Wir haben diverse Stellen geschaffen, auch im Ministerium, die dafür zuständig sind, Antidiskriminierung zum Beispiel, und dann abklopfen und fragen: Was genau machen wir? Was gibt es? Müssen wir da etwas umstellen? Wäre es vielleicht sinnvoll, bestimmte Akteure miteinander zu vernetzen usw.?
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1 Die Podiumsdiskussion wurde transkribiert, das Transkript im Anschluss redaktionell bearbeitet (insbesondere gekürzt und sprachlich/stilistisch geglättet).
2 https://dserver.bundestag.de/btd/19/100/1910062.pdf.
Christina Clemm, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Straf- und Familienrecht, Strafverteidigerin und Nebenklagevertreterin, dort bei sexualisierter, geschlechtsbezogener, lgbtiq-feindlicher, rechtsextrem oder rassistisch motivierter Gewalt.
Doreen Denstädt, Polizeihauptkommissarin, VPol TMIK
Katharina Göpner ist Geschäftsführerin des bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Sie ist Diplom-Pädagogin und arbeitet seit mehr als 12 Jahren zum Thema. Themenschwerpunkte ihrer Arbeit im bff sind und waren u. a. Femizide und Hochrisikofälle bei Gewalt in Partnerschaften, Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen und geflüchtete Frauen.
Judith Hilz, M. A. Gesellschaftstheorie, ist Jugendreferentin am Demokratischen Jugendring Jena e. V. und war bis Ende 2022 studentische Mitarbeiterin am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena. Forschungsschwerpunkte: Geschlechterforschung, insb. weibliche Subjektivität und Antifeminismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus.